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aventinus antiqua Nr. 16 [24.08.2011] 

 

Jasmin Schäfer 

Ikonen der Fruchtbarkeit 

Isis mit dem Horusknaben als Vorläuferin der Maria mit dem Jesuskind 

 

Die wohl bekannteste christliche Ikonendarstellung, ist die der Maria, der Mutter Gottes mit dem Jesuskind auf dem Arm. Einige Altertumsforscher sehen Parallelen zwischen dieser und der aus dem ägyptischen Einflussgebiet stammenden Darstellung der Isis mit ihrem Sohn, dem Horusknaben. Was aber ist eigentlich eine Ikone? Der Ursprung des Wortes stammt aus dem altgriechischen Sprachgebrauch (εκν,-νος) und kann mit „Abbild“, „Bildnis“, „Statue“ übersetzt werden. Von der Bedeutung des Wortes lassen sich die wissenschaftlichen Methoden zur Analyse und Interpretation von Bildwerken und ihrer Motive unter Berücksichtigung zeitgenössischer Einflüsse ableiten, namentlich Ikonographie und Ikonologie.

Unterdrückung, Verfolgung, Gleichstellung und Emanzipation des Christentums 

In griechisch-römischer Zeit gab es eine Vielzahl von Göttern und Göttinnen, von heidnischen Religionen, die den Alltag in der Alten Welt bestimmten. Daher mussten Christen lange Zeit der Verfolgung und Unterdrückung standhalten, sich dem Heidentum unterwerfen und an heidnischen Ritualen und Festen teilnehmen. Der Zwang zur Konformität neigte sich jedoch bereits mit einem Toleranzedikt des Kaisers Galerius, das er im Jahre 311 kurz vor seinem Tode erlassen hatte, dem Ende zu. Im Februar 313 beschlossen dann Kaiser Licinius und Kaiser Konstantin in Mailand, die Ausgrenzung und Diskriminierung von Christen mittels eines Edikts zu beenden. Die Existenz einer christlichen Glaubensrichtung wurde nun auch neben den sonst üblichen, sog. heidnischen Bräuchen der griechisch-römischen Antike toleriert und akzeptiert. 

Die Integration der Christen in das Römische Reich beinhaltete eine gleichberechtigte Behandlung zwischen den Gläubigen, d.h. von nun an war es den Christen erlaubt, über Besitztümer und Vermögen, ebenso wie über entsprechende Räumlichkeiten für christliche Zusammenkünfte zu verfügen. Erst durch diese Gleichbehandlung mit den Heiden der römischen Welt, konnte ein Rahmen für die Entwicklung der christlichen Kunst geschaffen werden. 

Als die christliche Weltanschauung sich zu verbreiten und zu verfestigen begann, insbesondere im 3. und 4. nachchristlichen Jahrhundert nach der Erklärung des Christentums zur Staatsreligion des Römischen Reiches im Jahre 380 und dem Verbot der Götterkulte in den Jahren um 392/393 durch Theodosios I., konnten sich die Anhänger des Christentums frei ihrem Glauben und somit auch der biblischen Ermahnung hingeben, nicht den Gottesdienst der Heiden anzunehmen (Jeremia 10, 2)  und sich von ihnen abzusondern (2. Korintherbrief 6, 17). 

Vom Polytheismus zum Monotheismus

Der heidnische Glaube in der griechisch-römischen Antike brachte Religionsformen hervor, welche die Verehrung einer Vielzahl von Göttern erlaubten. Weiterhin waren die sog. Mysterienkulte (z.B. für Isis) weit verbreitet, in denen zwar ein zentraler Gott verehrt wurde, neben welchem aber auch noch andere Götter angebetet und andere Kulte vollzogen werden durften. Diese Art der Verehrung wird in der Forschung als henotheistisch  bezeichnet, deren Grundlage die synkretistische, d.h. vermischende Religion bildet, da es zwar eine Hauptgottheit gibt, diese jedoch nicht zwingend exklusiv verehrt wird. Das Christentum, wie auch das Judentum, erlauben allerdings nur die Verehrung einer einzigen Gottheit, weshalb diese Religionen als monotheistisch bezeichnet werden. Nun mussten die Heiden sich der christlichen Religion unterwerfen, wenn sie nicht Opfer von Unterdrückung und Verfolgung werden wollten.

Aus Alt mach Neu“ – Der Einfluss paganer Religionen auf das Christentum

In religionsgeschichtlicher Hinsicht gibt es allerdings einige auffallende Gemeinsamkeiten zwischen den poly- und henotheistischen, heidnischen Religionen des Altertums und dem Christentum. Das Christogramm, die Kombination der beiden griechischen Buchstaben Chi und Rho, etablierte sich durch eine angebliche Vision Kaiser Konstantins zum Siegeszeichen der römischen und byzantinischen Kaiser. Es ist jedoch schon seit hellenistischer Zeit als Monogramm für Namen bekannt, die ebenfalls mit diesen Buchstaben beginnen. Das Kreuzzeichen ist möglicherweise ebenfalls außer- bzw. vorchristlichen Ursprungs. So ist das Henkelkreuz eine altägyptische Hieroglyphe für das Leben. Auch zwischen Isis, der ägyptischen Muttergottheit mit dem Horusknaben, und Maria, der heiligen Mutter Gottes mit dem Jesuskind auf dem Schoße oder im Arm, gibt es Parallelen. Letztere ist die wohl häufigste Bilddarstellung in der christlichen Kunst. Sie wurde aber nicht erst mit der Entstehung des christlichen Glaubens ins Leben gerufen, sondern adaptiert ältere, vorchristliche, im gesamten antiken Mittelmeerraum weit verbreitete Bildtypen, in denen Muttergottheiten mit Kind auf dem Schoße, im Arm oder stillend dargestellt wurden.

Die Entwicklung der Ikonographie – Von der Göttin zur Heiligen 

Die Göttin Isis hat aufgrund ihrer vielfältigen Funktionen mehrere Gesichter. An dieser Stelle kann jedoch nur einer ihrer Gestalten nachgegangen werden, da sie wohl diejenige ist, die den Grundstein für die abendländisch geprägte, christliche Darstellung der „Madonna lactans“, der stillenden Madonna, legte. Sie ist die thronende Muttergottheit, die ihrem Kinde die Brust reicht. So ist es wohl keine Ausnahme gewesen, wenn, wie in der Kirche der Benediktinerabtei Saint Germain des Prés in Paris, antike Isisdarstellungen mit frühchristlichen Mariendarstellungen verwechselt wurden, was letztlich für so viel Empörung sorgte, dass der zuständige Kardinal die Isisfigur zerstören ließ. 

Zum Verständnis des Zusammenhangs von Isisdarstellungen mit dem Horusknaben und denen der Maria mit dem Jesuskind, soll an dieser Stelle anhand exemplarisch ausgewählter Skulpturen eine kurze, chronologische Betrachtung der Entwicklung dieses Bildtypus seit dem 1. vorchristlichen Jahrtausend wiedergegeben werden.  

Eine Rundplastik aus der Zeit der 25. Dynastie, um 700 v. Chr., ist eine der ältesten Darstellungen der stillenden Isis mit dem Horusknaben, die eindeutig auf die ägyptische Göttin Bezug nimmt (Abb. 1). Schepenupet II., Gottesgemahlin des Amun, ließ sich selbst als thronende Isis darstellen und stiftete eine nahezu lebensgroße Statue der ihren Sohn stillenden Göttin, der auf dem Schoß und in den Armen seiner Mutter liegend seinen Platz fand. Die Zeitumstände und damit verbunden der drohende politische Untergang Ägyptens verlangten nach einer vermehrten Verehrung einer Göttin Isis, die dem Volk als Schutzpatronin im Alltag dienen konnte.

Eine weitere Darstellung der Isis mit dem Horusknaben aus Serpentin stammt vom Beginn der 26. Dynastie (zwischen 663-610 v. Chr.), wie man anhand der eingravierten Bilder auf dem Thronsockel ablesen kann (Abb. 2). Die Zuweisung zur Göttin Isis kann aufgrund ihrer Attribute erfolgen: Das Kuhgehörn mit Sonnenscheibe und ein Kranz aus Uräusschlangen lassen eine eindeutige Bestimmung der Figur zu. Besonders zu beachten ist bei dieser Darstellung die rechte Hand des Horusknaben, mit der dieser das rechte Handgelenk der Gottesmutter umfasst. Dieser Bildtypus hat sich bis in christliche Zeit erhalten und lässt einen Zusammenhang mit der Entstehung der Marienbilder mit dem Jesuskind vermuten. 

Eines der schönsten Beispiele der „Isis lactans“, ist uns aus der  Zeit der 30. Dynastie (ca. 380-343 v. Chr.), erhalten (Abb. 3). Die Datierung ergibt sich aufgrund der Körperformen und Gesichtszüge, welche in der Art ihrer Ausführung für die frühe Ptolemäerzeit typisch sind. Isis wird hier mit ihren für diese Zeit traditionellen Attributen, d.h. der eng anliegenden Gewandung, der dreigeteilten Stufenperücke und der Geierhaube wiedergegeben. Bronzestatuetten zeigen sie in der Regel mit der Hathorkrone auf dem Haupt, bei den Fayence-Bildnissen ist jedoch die Hieroglyphe s.t (Sitz, Platz) anstelle der Krone nicht unüblich. Mit ihrer rechten Hand umfasst Isis ihre rechte Brust, mit dem linken Arm stützt sie Horus, von dem leider nur noch Hände und Beine zu erahnen sind. 

Nach der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen, wandelt sich das äußere Erscheinungsbild der Isis, wenn auch der Bildtypus als solcher erhalten bleibt. Ptolemäus I., einer der Nachfolger Alexanders des Großen, hat in den Jahren um 287/286 v. Chr. in Alexandria ein Serapeum erbauen lassen, welches dem ägyptisch-hellenistischen Gott Sarapis gewidmet wurde, der zu jener Zeit die höchste Stadtgottheit Alexandrias darstellte. Griechische Quellen berichten von einem marmornen Kultbild des Sarapis, an dessen Seite auch seine Gemahlin Isis und der gemeinsame Sohn Horus ihren Platz fanden. 

Diese berühmte Statuengruppe ist uns leider nicht erhalten, aber stattdessen gibt es zahlreiche Nachbildungen aus Ton wie auch aus Stein, Bronze, Gold und Elfenbein, von denen angenommen wird, dass sie auf das große Vorbild aus dem Serapeum zurückgehen (Abb. 4-5). Das schlichte, faltenlose Gewand der Göttin muss nun einer modisch gewordenen faltenreichen Tracht weichen, welche stark an griechische Gewandungen erinnert, aber dennoch auf ägyptische Vorbilder zurückgeht. Ein weiteres Erkennungsmerkmal für Darstellungen der Isis und ihrer Dienerschaft entsteht durch das Anlegen des neueren Gewandes mit dem sog. Isisknoten, der traditionell zwischen den Brüsten der Göttin seinen Platz findet. Die starre Körperhaltung der altägyptischen Darstellungen wird im Zuge der Hellenisierung durch eine bewegungsfreudigere, dynamischere Abbildung der Göttin und ihres göttlichen Sohnes ersetzt.

Die Münchner Isis aus Serpentin (Abb. 6) vermag Parallelen mit späteren Mariendarstellungen besonders gut aufzuzeigen. Auch wenn vom linken Unterarm der Mutterfigur und dem Horuskinde nichts mehr erhalten ist, lässt sich die Position des Kindes durch die Haltung der Mutter zumindest erahnen. Da Isis mit ihrer rechten Hand ihre linke Brust lüpft, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dieser Figur um eine weitere Darstellung der „Isis lactans“ handelt. Die Datierung des Kunstwerks ist nicht mit Sicherheit festzustellen, da bisher kein Isisbild vorhanden ist, das zum Vergleich herangezogen werden könnte. Eine Entstehung um Christi Geburt scheint bei dieser Darstellung ebenso möglich wie eine Datierung in das 3. nachchristliche Jahrhundert.

Ikonen der Fruchtbarkeit 

Die Ähnlichkeit zu frühen Marienbildnissen mit dem Jesuskind, wie z.B. aus der Zeit zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert (Abb. 7), wird immer offensichtlicher, und nun scheint es auch verständlicher, wie es in der besagten Abtei in Paris überhaupt zu einer Verwechslung mit einer Isisfigur kommen konnte. Ob nun Isis mit dem Horuskind oder Maria mit dem Jesusknaben – letztendlich sind beide Göttinnen als Muttergottheiten zu verstehen, deren Stillgestus einzig und allein als Symbol für die lebensspendende Kraft beider Frauen und der damit verbundenen Funktion innerhalb ihrer Religionen zu verstehen ist. 

Sekundärliteratur: 

J.G. Deckers, Die frühchristliche und byzantinische Kunst, München 2007. 

Thorsten Fleck, Isis, Sarapis, Mithras und die Ausbreitung des Christentums im 3. Jahrhundert, in: K.-P. Johne – Th. Gerhardt – U. Hartmann (Hrsg.), Deleto paene imperio Romano. Transformationsprozesse des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert und ihre Rezeption in der Neuzeit, Stuttgart 2006, S. 289-314.

Sabine Albersmeier, Griechisch-römische Bildnisse der Isis, S. 310-314 (Kat. 200-214), in: H. Beck – G. Kaminski (Hrsg.), Ägypten - Griechenland - Rom: Abwehr und Berührung, Katalog zur Ausstellung, Frankfurt am Main 2005. 

K. Schreiner, Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin, München 1994, S. 178-202. 

B. Brenk, Spätantike und frühes Christentum, (Propyläen Kunstgeschichte, Suppl. I), Berlin 1977. 

V. Tran Tam Tinh, Isis Lactans, Leiden 1973. 

H.W. Müller, Isis mit dem Horuskinde. Ein Beitrag zur Ikonographie der stillenden Gottesmutter im hellenistischen und römischen Ägypten, in: Münchener Jahrbücher 14 (1963) S. 7-38. 

Abbildungsverzeichnis: 

Abb. 1: Paris, Louvre, Inv.-Nr. E 7826. 

Abb. 2: Karlsruhe, Badisches Landesmuseum, Inv.-Nr. 70/9. 

Abb. 3: Hildesheim, Pelizaeus-Museum, Inv.-Nr. 1203. 

Abb. 4: bpk / Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, SMB Inv.-Nr. ÄM 8704.

Abb. 5: bpk / Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, SMB / Jürgen Liepe Inv.-Nr. ÄM 20004.

Abb. 6: München, Ägyptische Staatssammlung, Inv.-Nr. 4201. 

Abb. 7: bpk / Skulpturensammlung und Museum für byzantinische Kunst, SMB Inv.-Nr. J. 4726.

Empfohlene Zitierweise

Schäfer, Jasmin: Ikonen der Fruchtbarkeit. Isis mit dem Horusknaben als Vorläuferin der Maria mit dem Jesuskind. aventinus antiqua Nr. 16 [24.08.2011], in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/8456/

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Erstellt: 16.02.2011

Zuletzt geändert: 24.08.2011

ISSN 2194-1947