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aventinus bavarica Nr. 3 (Sommer 2006) 

 

Alois Schmid 

Die bayerische Königspolitik im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit 

Im 1. Januar des Jahres 1806 wurde in München folgende Bekanntmachung veröffentlicht: 

Wir Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern. 

Durch die unerschütterliche Treue Unserer Unterthanen und die vorzüglich bewiesene Anhänglichkeit der Baiern an Fürst und Vaterland, hat der Baierische Staat sich zu seiner ursprünglichen Würde emporgehoben. Wir haben Uns daher entschlossen, zur Begründung der Unabhängigkeit der Uns von der Vorsehung anvertrauten Nation, den den vormaligen Beherrschern derselben angestammten Titel eines Königs von Baiern anzunehmen, und diesen Entschluß durch eine feierliche Proklamation heute öffentlich in Unserer Residenzstadt bekannt machen zu lassen. 

Unsere feierliche Krönung und Salbung haben Wir auf eine günstigere Jahreszeit vorbehalten, welche wir in Zeiten öffentlich bekannt machen werden. [1]

Dieser wenigzeilige Schriftsatz ist eines der wichtigsten Dokumente für einen der großen Marksteine der bayerischen Geschichte. Entscheidend ist die in diesem Dokument zur Annahme der Königswürde vorgetragene Begründung: Dazu hätten den Landesherrn von Bayern einerseits die göttliche Vorsehung, andererseits die unerschütterliche Treue der Untertanen veranlasst. Diese kurzen Hinweise wollen besagen, dass der neue Königstitel für die Landesherrn in Bayern als nichts Neues betrachtet wurde, sondern lediglich die Rückkehr zu früheren, letztlich den ursprünglichen Zuständen darstellt. Dazu seien die entscheidenden Initiativen von den Untertanen ausgegangen Die Annahme des Königsranges wird damit als ein Vorgang ausschließlich der Innenpolitik hingestellt, der sogar von unten eingeleitet worden sei. Der Vorgang wird aus der Geschichte begründet. 

In deutlichem Gegensatz zu dieser apodiktischen Aussage, die sich in ähnlicher Form in anderen Dokumenten findet, stellt die maßgebliche Literatur den Vorgang dar. Thomas Nipperdey leitet seine epochale "Deutsche Geschichte" des 19. Jahrhunderts mit dem zwischenzeitlich klassisch geworden kurzen Satz ein: „Am Anfang war Napoleon.“ [2] Dieser Auftakt gilt - wie ein Leitmotiv - auch für die Königserhebung Bayerns: Maximilian I. Joseph  wird als "König von Frankreichs Gnaden" vorgestellt. Als solcher erscheint er auch in der übrigen vorliegenden Literatur zur Epoche bis hin zum "Handbuch der bayerischen Geschichte". [3] Die Königserhebung Bayerns wird im Grunde recht übereinstimmend als Ergebnis der europäischen Politik dieser Zeit betrachtet.

Der Widerspruch zwischen den entscheidenden Quellen und der maßgeblichen Literatur ist offensichtlich. Aus ihm erwächst die Verpflichtung zur Überprüfung des Sachverhaltes: Läßt sich die in dieser amtlichen Bekanntmachung behauptete und betont in den Vordergrund gerückte Berufung auf sehr alte innere Traditionen in Bayern wirklich nachweisen? Dieser Leitfrage ist im folgenden nachgehen. Sie wird durch die gesamte Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit führen. 

Von den Agilolfingern zu den Welfen 

Die Suche nach Königsgedanken in Bayern führt zurück zu den Anfängen der bayerischen Geschichte. Als erstes Herrschergeschlecht sind die Agilolfinger bezeugt. Sie nahmen den Rang von Herzögen ein; als solche (duces) werden sie in den ältesten und entscheidenden Quellen oftmals bezeugt. Nur ein Geschichtsschreiber dieser Frühzeit berichtet einen anderen Sachverhalt. Der wichtigste Historiograph der Langobarden Paulus Diaconus spricht in seiner "Historia Langobardorum", wenn auf das agilolfingische Bayern zu sprechen kommt, meistens von einem Königreich (regnum) und Königen (reges). [4] Zur Erklärung dieser abweichenden Angaben bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Entweder Paulus Diaconus wertet in diesen Nebenbemerkungen ohne Absicht einfach aus nicht hinreichender Kenntnis infolge seiner räumlichen und zeitlichen Distanz das Herzogtum zum Königtum auf. Oder aber er spricht dem Nachbarland mit Absicht einen solchen königlichen Rang zu, um den eigenen Landesherrn nach ihren vielfachen Heiraten mit den bayerischen Agilolfingern eine möglichst ebenbürtige Verwandtschaft zu verschaffen. Vom machtvollen Herzog Tassilo III. (748-788) ausgehend, der sich mit dem eindrucksvollen Dombau zu Salzburg am Vorbild der fränkischen Merowinger orientierte und dessen Stiftung Frauenchiemsee sich mit Vorliebe wirklich als königliches Stift bezeichnete, hat Paulus Diaconus den Verfassungsrang Bayerns und aller seiner Regenten im Rückblick als königlich eingestuft. So ist er jedenfalls in der Folgezeit meistens verstanden worden. Wie in der langobardischen Tradition taucht auch im Urkundenmaterial der Frühzeit für Bayern vereinzelt der Begriff regnum auf. Die neueste Forschung rät zur Vorsicht: Vielleicht ist dieser Schlüsselbegriff doch ganz wertneutral lediglich als Herrschaftsraum zu verstehen. Denn die bayerische Historiographie der Agilolfingerzeit verwendet dieses Attribut nicht. Für Arbeo von Freising sind die agilolfingischen Landesherren durchwegs nur Herzöge (duces), die ein Herzogtum oder auch einfach fines, ein Gebiet, beherrschen. [5]

Entsprechendes gilt für die fränkische Historiographie der Merowingerzeit. Sie verwendet mit Vorliebe das Herzogsattribut, um den verfassungsmäßigen Abstand des Randgebietes zum Frankenreich sachgerecht zu verdeutlichen. Einhard, der Geschichtsschreiber Karls des Großen, geht noch weiter, indem er in einem eigenen Kapitel auf die Zerschlagung des Herzogtums der Agilolfinger Bezug nimmt, das nach 788 nur mehr Grafen anvertraut worden sei (neque provincia - ulterius duci, sed comitibus ad regendum  commissa est). [6]  Dementsprechend spricht das amtliche Schriftgut der frühen Karolingerzeit weder von regnum noch von ducatus, sondern überwiegend noch neutraler nur von provincia.

Doch sollten sich diese Verhältnisse bereits nach wenigen Jahrzehnten ändern. Erstmals im Jahre 830 urkundete Ludwig der Deutsche als "von Gottes Gnaden König der Bayern" (Hludouuicus divina largiente gratia rex Baioariorum). [7] Dieser Titel wird in seiner Kanzlei zur oftmals gebrauchten Herrscherintitulatio. Es wäre aber verfehlt, dieses Attribut mit Bayern in unmittelbare Beziehung zu bringen. Der Königstitel des 9. Jahrhunderts hängt an den karolingischen Herrschern und nicht an dem von ihnen regierten Land. Er bezeichnet nicht einen König der Bayern, sondern die Herrschaft der Karolingerkönige in Bayern. Das gilt auch für die Folgezeit, vor allem für Karlmann. Freilich kristallisierte sich die provincia Bayern unter diesen karolingischen reges immer mehr als Kern des sich verselbständigenden Ostfränkischen Reiches heraus. Und für dieses Kernland setzte sich auch im amtlichen Schriftgut allmählich wieder die Bezeichnung regnum durch. Noch immer hängt dieses Attribut vorwiegend an den das Land beherrschenden Karolingern, denen der Rang von Unterkönigen zukam. An der Begrifflichkeit der Urkunden orientierte sich die Historiographie, die mit dem Substantiv regnum in erster Linie  den nach wie vor ins Karolingerreich einbezogenen Reichsteil Bayern kennzeichnen wollte.

Die Verhältnisse verschoben sich erneut mit dem Eintritt ins 10. Jahrhundert unter den Luitpoldingern. Vor allem der machtvolle Herzog Arnulf (907-937) baute auf den angesprochenen Traditionen auf. Er nahm zwar für sich nie den Titel eines rex in Selbstaussage in Anspruch, wohl aber regnum für seinen Herrschaftsraum und regnare für seine Tätigkeit. Sie war auf eine königgleiche Herrschaftspraxis ausgerichtet, die der Sachse Heinrich I. erst nach harten Kämpfen dem gleichrangigen Freund (amicus) auch zuzugestehen bereit war. Mit der Urkundenausstellung einschließlich der Besiegelung, der Münzprägung oder der Designation des Nachfolgers nahm er ebenso Königskompetenzen wahr wie mit der Heidenabwehr oder seinen außenpolitischen Aktivitäten in Böhmen, Ungarn und Italien. Den deutlichsten Ausdruck verleiht seinen Absichten die Preisschrift des "Fragmentum de Arnulfo duce", die sowohl in den formalen Bezügen als auch den inhaltlichen Aussagen unmissverständlich Königsansprüche anmeldet und dem Herzog sogar das Königsheil zuerkennt. [8] Die weitere Interpretation dieser Vorgänge ist freilich umstritten. Die einen denken an ein die Alpen umspannendes bayerisch-langobardisch-karantanisches Südreich Arnulfs, zu dem er zudem durch das Angebot der langobardischen Königskrone für seinen Sohn Eberhard ermuntert worden sei, andere an das entstehende Deutsche Reich. Eine möglichst offene Ausdeutung sollte den Königsplan von der Durchsetzbarkeit abhängig machen und damit verstärkt der politischen Realität Rechnung tragen. Der vielerörterte Eintrag der Salzburger Annalen zum Jahr 920  (et regnare eum fecerunt in regno Teutonicorum) vermag als nachträglicher Einschub des 11. Jahrhunderts zur Problemlösung nur in begrenztem Ausmaß beizutragen. [9] Arnulf beabsichtigte die Erneuerung der agilolfingischen und die Fortführung der karolingischen Tradition, so weit das möglich sein würde. Diese beiden Wurzeln speisten seine Königspläne, die auf die Aufwertung seines Herrschaftsraumes zum möglichst eigenständigen Königtum abzielten.

Der Sohn dieses machtbewussten Herzogs Arnulf, Eberhard, wurde dann aber bereits 938 aus diesem Amt verdrängt. König Otto I. hat Bayern fest ins ottonische Herrschaftsgefüge eingebaut. Auch weiterhin verwenden die zeitgenössischen Quellen das Attribut regnum für das Stammesherzogtum Bayern und verweisen damit auf eine der Kernlandschaften des nunmehr entstehenden Deutschen  Reiches. Das ganze 10. Jahrhundert über werden dann aber von den  ins zweite Glied zurückgesetzten Luitpoldingern Aufstände gegen das sich verfestigende ottonische König- und Kaisertum unternommen. Das gilt vor allem für die unruhigen Jahre unter Heinrich II. "dem Zänker" (955-995).  Ziel dieses selbstbewußten Herzogs war der Königsthron, der nach dem Tod Kaiser Ottos III. wirklich erreicht wurde. Mit Herzog Heinrich IV. kam 1002 erstmals ein Herzog aus Bayern als König Heinrich II. an die Spitze des Reiches; 1014 stieg er sogar zum Kaiser auf. Freilich trennte er zwischen Herzogs- und Königsamt und gab nach der Erlangung der Krone das Herzogtum im Jahre 1004 an  Heinrich V. ab. [10]

Mit König bzw. Kaiser Heinrich II. wurde Bayern zum Kronland in der Hand des Reichsoberhauptes. Diese Tradition führten die salischen Könige und Kaiser weiter. Sowohl Heinrich III. als auch Heinrich IV. sind aus dem Herzogsamt in diesem Kronland Bayern auf den Königsstuhl und schließlich auf den Kaiserstuhl  aufgestiegen. Auch sie haben dieses Ausgangsland immer an andere Familienmitglieder oder Vertraute als Herzöge weitergegeben.

Auf diesem Wege gelangte das Herrscheramt in Bayern 1070 an die Welfen. Diese Hochadelsfamilie verfolgte ihre ausgeprägte Königspolitik, die auch auf die Reichskrone ausgerichtet war, nun von Bayern aus. [11] Dieses Fernziel löste beim Aussterben des salischen Königshauses 1125 den staufisch-welfischen Thronkampf aus. Vor allem Heinrich der Stolze und Heinrich der Löwe traten in erbitterte Konkurrenz zum staufischen Königtum. Dabei dienten ihnen ihre beiden Herzogtümer Sachsen und Bayern lediglich als Ausgangsländer und Basis für ihre Ambitionen. Deswegen wurden das Scheitern und die Absetzung des im Land nur wenig  verwurzelten Heinrich des Löwen in Bayern kaum wahrgenommen und schon gar nicht beklagt.

Die herzogliche Zeit der Wittelsbacher 

In einen neuen Abschnitt traten die bayerischen Königspläne mit der Regierungsübernahme der Wittelsbacher im Jahre 1180. [12] Denn die in besonderer Königsnähe aufgestiegene Familie sah sich nach der Erringung des Herzogsthrones in Bayern noch keineswegs am Endpunkt ihrer Ziele angelangt, sie strebte, nachdem sie ihre Herrschaft stabilisiert hatte, nach noch höheren Würden.

Die Voraussetzungen dafür verbesserte das Ende der Staufer. Erstmals Herzog Ludwig der Strenge (1253-1294) meldete nach dem Interregnum Anspruch auf die Reichskrone an. Abt Hermann von Niederaltaich leistete dazu wirkungsvolle Schützenhilfe mit entsprechenden historiographischen Untersuchungen. Im Vorfeld der Königswahl von 1273 spielt Herzog Ludwig der Strenge von Oberbayern eine bemerkenswerte Rolle, die er mit einer gezielten Heiratspolitik unterstrich. Freilich stießen seine Bemühungen um die Reichskrone auf Widerstand, weswegen er sie schließlich wieder einschränkte. Bei der Königserhebung von 1273 selber trat er als Kandidat nicht mehr in den Vordergrund. Mit seiner Stimme wurde schließlich Rudolf von Habsburg auf den Thron gehoben. Damit trat nun die Familie der Habsburger neben die Wittelsbacher. Die Rivalität dieser beiden Dynastien sollte das nächste halbe Jahrtausend der europäischen Geschichte nachhaltig beeinflussen.

Dieser erfolglose Anlauf der Wittelsbacher auf den Königsthron erfuhr bald Fortsetzung. Sie betraf die beiden Linien, in die sich das Haus Wittelsbach 1255 teilte.  Als erste war die niederbayerische Linie erfolgreich. Sie errang die Krone im Königreich Ungarn. Beim Aussterben der dort regierenden Arpaden 1301 prallten Wittelsbacher und Habsburger erneut aufeinander. Herzog Otto III. von Niederbayern (1290-1312) wurde 1305 auf den Thron des heiligen Stephan erhoben. Rasch stieß er auf Widerstand, der ihn schon 1307 schmählich aus dem Land jagte. Dennoch führte Otto III. den Titel rex Ungariae bis zu seinem Tod  konsequent weiter.

Zur gleichen Zeit meldete die oberbayerische Linie Ansprüche auf eine Königskrone an. Schon der Sohn Ludwigs II., Ludwig IV., der Bayer (1294-1347) [13], erlangte 1314 sogar die Reichskrone - freilich in zwiespältiger Wahl. Abermals sah er sich dem Widerstand der Habsburger ausgesetzt, den er aber 1322 in der Schlacht bei Mühldorf niederrang. Damit konnte  er zum zweiten Mal die bayerischen Königsansprüche zum Erfolg führen. Nun erwuchs ihm jedoch der erbitterte Widerstand des Papsttums zu Avignon. Dennoch stieg Ludwig 1328 auch zum Kaiser im Heiligen Römischen Reich auf. Da ihm das Papsttum zu Avignon  Anerkennung und Krönung versagte, mußte der Wittelsbacher dabei auf die säkularen Traditionen der römischen Antike zurückgreifen. Ludwig der Bayer hat seine Dynastie damit zwar an ihr vornehmliches Ziel, auf dem Thron des Reiches, geführt, konnte sich dort aber nicht auf Dauer behaupten. Die Wahl des Luxembugers Karl IV. im Jahre 1346 drängte ihn schließlich in die Defensive. Die unumgängliche Entscheidungsschlacht zwischen den beiden Thronaspiranten verhinderte allein der Tod des Wittelsbachers am 11. Oktober 1347. Seine sehr nachhaltig wirksame Hauptleistung ist die Neuordnung des Wahlvorganges. Das erste große Grundgesetz des Alten Reiches, die Goldene Bulle von 1356, basiert wesentlich auf den Erfahrungen der kampferfüllten Jahre des wittelsbachischen König- und Kaisertums. In seiner engsten Umgebung wurden zukunftweisende Gedanken zum Konziliarismus und sogar zur Einbeziehung des Volkes in die Regierungspraxis des Reichsoberhauptes angestellt. Eine weitere Leistung ist seine anspruchsvolle Pflege der Hofkunst, die er als erster sehr gezielt zu repräsentativen Zwecken einsetzte. Insofern tragen die Jahre des wittelsbachischen König- und Kaisertums sehr ambivalente Züge. Ludwig der Bayer schließt einerseits die alte Auseinandersetzung zwischen Reich (imperium) und Kirche (sacerdotium) ab, weist aber andererseits mit verschiedenen Aspekten seiner Regierungspraxis auch in die Renaissance voraus.

Die wittelsbachischen Königsträume  lebten nach Kaiser Ludwig IV. weiter, einerseits in der Realpolitik, andererseits in der Theorie. In der Realpolitik gelang es schon ein halbes Jahrhundert später einem zweiten Wittelsbacher, dieses Mal freilich aus der pfälzischen Linie, den von den Söhnen Kaiser Ludwigs zwar angestrebten, aber verlorenen Reichsthron wieder zu erringen. Freilich konnte auch Rupprecht von der Pfalz (1400-1410)  ihn nur ein Jahrzehnt mit sehr begrenzter Ausstrahlung behaupten. Die pfälzische Linie besetzte mit Christoph von Bayern von 1440 bis 1448 sogar den Königsthron in Dänemark und den zugehörigen skandinavischen Königreichen Schweden und Norwegen. Die altbayerischen Wittelsbacher richteten zur gleichen Zeit den Blick nach dem Ende der Luxemburger auf das benachbarte Böhmen, wo aber Herzog Albrecht III. 1440 seine Kandidatur nicht mit Erfolg durchsetzen konnte. Hauptursache seines Rückzuges war nicht die nachträglich behauptete Verzichtbereitschaft, sondern einmal mehr der überstarke Widerstand der nunmehr endgültig zu Hauptkonkurrenten aufsteigenden Habsburger. Sie kehrten nach dem Ende der Luxemburger 1437 wieder an die Reichsspitze zurück, die sie nun über ein halbes Jahrtausend hinweg nahezu kontinuierlich behaupteten. Diesen Aufstieg  verfolgten die benachbarten Wittelsbacher mit unerkennbarer Missgunst. Daß sie gegen die herkömmlichen Rivalen nun auf Dauer den kürzeren ziehen sollten, wollten sie nicht kampflos hinnehmen.

Die andere Plattform, auf der die Auseinandersetzung geführt wurde, war die Historiographie. Gerade in diesem 15. Jahrhundert wurde im Herzogtum Bayern eine ungewöhnlich rege Pflege der Landesgeschichte aufgenommen. Die frühen Landeschroniken des Andreas von Regensburg, Ulrich Füetrer, Hans Ebran von Wildenberg oder Veit Arnpeck werden im einzelnen von sehr unterschiedlichen Motivationen getragen, gemeinsam ist ihnen die betonte Ausrichtung auf Dynastie und Land, deren Glanz und Ansehen sie so nachdrücklich unterstrichen, dass geradezu von politischer Propaganda und nationaler Geschichtspflege (Jean-Marie Moeglin)  gesprochen wurde. Leitmotiv war der Nachweis der großen Vergangenheit des von Arnpeck vielsagend mit einer Rose verglichenen Herzogtums Bayern in Konkurrenz zu Habsburg, das als traditionsloses Haus aus gräflichen Verhältnissen kommender Aufsteiger gezielt erniedrigt wurde. „Bairn - vor zeiten ain königreich gewesen“, heißt es in einer wichtigen Urkunde. „Beyrn - nicht allein ain land, sonder auch  ein konigkreich“,  betonte selbstgewiß Hans Ebran von Wildenberg [14] und verlieh damit dem Geschichtsdenken dieser Epoche geradezu programmatischen Ausdruck. Absichtlich verfolgte man die Reihe der bayerischen Landesherren bis in biblische Zeiten zurück. Für die historischen Jahrhunderte stellte die Scheyerer Fürstentafel die Verbindung zum abendländischen Idealkönig Karl dem Großen her, als dessen Geburtsort nun sogar die Reismühle bei Gauting in Anspruch genommen wurde. Andreas von Regensburg belegte Kaiser Ludwig schließlich mit dem Attribut „der Große“ (Magnus).

Diese Gedanken hatten Rückwirkungen auf die Politik. Vor allem der machtvolle, an Italien orientierte Herzog von Bayern-München Albrecht IV. (1465-1508) träumte von einem süddeutschen Reich der Wittelsbacher, an dem er ein Leben lang baute. Dieses Ziel brachte ihn notwendigerweise in Konkurrenz zu den Habsburgern, mit denen er deswegen in vielfältige Auseinandersetzungen verwickelt wurde. Nicht ohne Grund wählte er sich gerade Kaiser Ludwig den Bayern zum Vorbild. Grundlage seiner vielfältigen politischen und kulturellen Aktivitäten  waren die herkömmlichen Königspläne der Wittelsbacher, an denen er seine Politik ausrichtete.

Konkrete Schritte zu deren Verwirklichung wurden nach dem Eintritt ins 16. Jahrhundert unternommen. Die Beendigung des Zeitalters der Herrschaftsteilungen und das Primogeniturgesetz von 1506 hatten die Voraussetzungen wesentlich verbessert. Tatsächlich meldeten die wittelsbachischen Herzöge nach dem Tod Kaiser Maximilians I. 1519 wieder  ernsthafte Ansprüche auf die Reichskrone an. Die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. (1508-1550) und Ludwig X. (1516- 1545) wurden in den zwanziger Jahren das Herz einer machtvollen Fürstenopposition im Reich. Sie betrieben den Aufbau einer antihabsburgischen Partei, die den habsburgischen Kaiser Karl V. mit der Frage der Königswahl weiter in die Defensive drängen wollte. Erneut liebäugelte ersterer ab 1524 mit der Königskrone im Reich und ab 1526 in Böhmen. Der große Johannes Aventinus nährte diese Hoffnungen, indem er den bayerischen Königsgedanken ein erstrangiges literarisches Kleid verlieh. Für ihn war Bayern ein königliches Land, das in früheren Jahren von Kaisern und Königen regiert worden sei. Der Erstdruck der deutschen Fassung seiner Gesamtdarstellung erhielt den bezeichnenden Titel: „Chronica, Darinn nit allein deß gar alten Hauß Beyern, Keiser, Könige, Hertzogen, Fürsten, Graffen, Freyherrn Geschlechte Herkommen, Stamm und Geschichte [...]  zusammen getragen“ (Frankfurt 1566). Nicht ohne Grund stellte für ihn Kaiser Ludwig der Bayer den unbestrittenen Höhepunkt der bayerische Geschichte überhaupt dar, den er in einem eigenen Buch breit ausführte. [15] In gleichem Sinne beschäftigten sich Hofmaler wie Hans Werl gerade mit den Abschnitten, in denen die königlichen Ambitionen am wirkungsvollsten zum Tragen gekommen waren. Freilich sollte es dem Hause Habsburg gelingen, mit der Wahl Ferdinands I. zum Römischen König 1531 einen erfolgreichen Schlusspunkt hinter die Auseinandersetzungen zu setzen und damit das Haus Habsburg an der Reichsspitze weiter zu stabilisieren. Aus diesem Grunde musste der Münchner Herzogshof seine Königspläne in der Folgezeit wieder zurückstellen. Im höfisch orientierten Schrifttum des Umkreises, vor allem bei den Jesuiten, wurden sie aber mit Nachdruck  weitergeführt. So rühmte die Festschrift der „Trophaea Bavarica“, die 1597 zur Weihe der Münchner Jesuitenkirche St. Michael vorgelegt wurde, die Stifterfamilie an mehreren Stellen ausdrücklich als königliches Geschlecht (sate sanguine Regum).

Die kurfürstliche Zeit 

Die königlichen Ansprüche kamen in der Politik zum nächsten Mal in den frühen Jahren des  kraftvollen Maximilian I. (1598-1561) zum Tragen. [16] In einer Phase der Schwäche des Hauses Habsburg machte er sich daran, an dessen Stelle im Reichsverband zu gelangen. Als Gründer und Anführer der Katholischen Liga versammelte er hinter sich einen Großteil der katholischen Reichsstände. Sein Eintritt in den Dreißigjährigen Krieg ist vor allem von dieser Führungsfunktion über die unmittelbaren Stammlande hinaus bestimmt. Auch dieses Mal arbeitete eine anspruchsvolle Hofhistoriographie dem Landesherrn wirkungsvoll zu. In seinem Auftrag beschäftigte sie sich mit den Kernproblemen der Politik dieser Zeit. Das bezeichnendste literarische Werk der Epoche wurde die „Bavaria sancta et pia“ (4 Bände, München 1615-1627; Dillingen 21704) des Jesuitenpaters Matthäus Rader, die das konfessionspolitische Grundziel des Landesherrn als katholischer Führungsmacht historiographisch untermauerte. In einem ungedruckt gebliebenen, in seinem Nachlaß im Bayerischen Hauptstaatsarchiv zu München überlieferten Werk kam Rader noch deutlicher zur Sache: Ob Bayern Könige gehabt? Seine Schlussfolgerung lautete: Wenn Bayern von Anfang an ein Königreich gewesen ist und seine Herrscher oftmals den Königsrang erreichten, dann steht  ein solcher dem Landesherrn auch in der Gegenwart zu. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bemühten sich die Historiker um den gesicherten Nachweis der direkten Abstammung der Wittelsbacher von Karl dem Großen, der vielsagend auf die Fassade der St. Michaels-Kirche in München gestellt wurde, und die Verteidigung Kaiser Ludwigs, der vor allem vom noch immer auf ihm lastenden Kirchenbann befreit werden sollte. Die Kaiser Karl der Große und Ludwig der Bayer waren auch Maximilians I. erklärte Vorbilder.

Tatsächlich hat Maximilian aus derartigen Gedanken politische Konsequenzen gezogen. Da das Haus Habsburg eine Phase der Krise durchlebte, trug er sich mit dem ernsthaften Gedanken einer Bewerbung um die Kronen, die die Häupter seiner habsburgischen Verwandten zierten. Dafür fand er durchaus die Unterstützung mehrerer Reichsfürsten. Die wichtige böhmische Königskrone brachte aber zunächst sein wittelsbachischer Verwandter Friedrich V. von der Pfalz am 27. August 1619 in seine Verfügung, konnte sie aber nur wenige Monate behaupten. Seinen Misserfolg hatte der Winterkönig wesentlich dem Münchner Verwandten zuzuschreiben, der ihn am Weißen Berg am 8. November 1620 vom Thron stieß. Trotzdem hat sich Maximilian in entscheidenden Momenten dann doch nicht zur Wahl gestellt und damit den Weg für den Habsburger Ferdinand II. frei gemacht, der am 28. August 1619 auf den Reichsthron erhoben wurde. Der Rückzug Maximilians I. ist wesentlich in seinem reichspolitischen Denken begründet. In der für ihn maßgeblichen Werteskala Dynastie, Territorium, Kirche und Reich setzte er die Prioritäten in der genannten Reihenfolge und richtete daran auch sein  politisches Handeln aus.

Das Problem gewann aber sofort nach dem Tode Maximilians I. erneute Brisanz, als der fast gleichzeitige Wechsel an der Reichsspitze 1657 die Frage einer erneuten wittelsbachischen Kandidatur Ferdinand Marias (1651-1679) um die Reichskrone aufwarf. Abermals wurden die Möglichkeiten in der Geschichtsschreibung theoretisch hinterfragt, mit Deduktionen juristisch untermauert und in Verhandlungen diplomatisch abgeklärt. Einmal mehr gelangte man nach eingehender Prüfung aller bedeutsamen Aspekte zu einem negativen Ergebnis. Der jugendliche Ferdinand Maria konnte sich ebenfalls zu keiner  Kandidatur entschließen, die ihm vor allem von französischer Seite und auch der ehrgeizigen Gemahlin Henriette Adelheid mit großem Nachdruck nahegelegt wurde. Der junge friedfertige Thronfolger wollte seinen Untertanen nach dem zehrenden Großen Krieg den damit verbundenen unvermeidlichen Waffengang ersparen. Mit Recht hat ihm die Nachwelt dafür den Beinamen "der Friedfertige" verliehen.    

Freilich war mit dieser Entscheidung kein Präjudiz für die Zukunft getroffen. Vielmehr war das Gegenteil der Fall. Nun wurde die Überzeugung vom königlichen Rang des Landes Bayern und den daraus abzuleitenden Ansprüchen der Dynastie immer mehr ein tragender Grundpfeiler bayerischer Staatsideologie. Die entscheidenden Sprachrohre wurden die mit Einsatz geförderte Geschichtsschreibung und Publizistik. Das bezeichnendste Werk ist sicherlich die Staatstheorie des „Mundus Christiano-Bavaro-Politicus“, die um das Jahr 1711 einer der Söhne des Staatskanzlers Ferdinand Marias, Kaspar von Schmids, in weit ausholender Diktion anfertigte; von ihr sind vier umfängliche Quartbände in den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek München überliefert (cgm 3009, 4006 a,b,c). Als zentrales Thema der Historiographie rückten die Verbindungen der Wittelsbacher zu Karl dem Großen in den Mittelpunkt. Sie werden mit größter Zielstrebigkeit weiter untermauert. Karl der  Große galt als Stammvater (fundator), dem gegenwärtigen Landesherrn oblag die vornehmliche Pflicht, die von diesem begründete Tradition als propagator nach Kräften zu festigen. Hauptaufgabe der Politik der Kurfürsten von Bayern wurden im Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg der Ausbau des königlichen Ranges des Hauses Wittelsbach. Nun erreichten die bayerischen Königsgedanken ihren Höhepunkt; sie mündeten in eine zu jedem Einsatz bereite Königspolitik.

Dazu trugen auch die erfolgreichen Bemühungen vergleichbarer Dynastien um Königswürden wesentlich bei: Das Haus Wettin erlangte 1697 die begehrte Krone im Wahlkönigreich Polen. Die Hohenzollern stiegen 1701 zu Königen in Preußen, die Hannoveraner 1714 zu Königen von England auf. Die Kurfürsten in der Pfalz  kehrten 1654 mit Karl X., Karl XI. und Karl XII. für drei Generationen  auf den Thron im skandinavischen Königsreich Schweden zurück. Diesen zeitgenössischen  Vorbildern wollte es die Münchner Wittelsbacher gleich machen.

 Mit Maximilian Emanuel (1726-1745) [17] trat die bayerische Königspolitik in die entscheidende Phase. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln setzte er sich für die Verwirklichung dieses Zieles ein. Dabei richtete sich auch sein Blick auf auswärtige Königsreiche. Mit dem Sonnenkönig Ludwig XIV. wurden Verhandlungen über den Erwerb einer Krone in der Lombardei oder im Königreich Neapel-Sizilien geführt. Die Verbindung in den italienischen Raum stellten die Agilolfinger her. Tassilos III. Gattin war die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius gewesen. Wegen dieser Verwandtschaft wurde Tassilo verschiedentlich als König der Lombarden betitelt. Auch Theudelinde rückte in diesem Zusammenhang in den Mittelpunkt des Interesses. Diese alten Südverbindungen sollten reaktiviert werden. Vor allem aber überlegte sich Max Emanuel in den Jahren 1693/94 eine Kandidatur um die polnische Königskrone; sie war durch seine Ehe mit Therese Kunigunde gut begründet. Dennoch entfaltete Max Emanuel letztlich nur begrenzte Aktivitäten. Der Grund dafür war, dass er seinen Blick gänzlich auf Spanien konzentrierte. Seine Ernennung zum Statthalter der Spanischen Niederlande 1691 und die Einsetzung seines Sohnes Joseph Ferdinand zum Universalerben des Königreiches Spanien durch das Testament Karls II. von 1698 eröffneten weitergehende Perspektiven. Sie begründeten die Hoffnung auf ein Weltreich. Deswegen konzentrierte der Kurfürst alle seine Hoffnungen auf die spanische Krone. Max Emanuel und sein Haus schienen endlich dem Ziel ihrer Wünsche sehr nahe gekommen zu sein.

Dann aber trat das Ereignis ein, das alle diese Hoffnungen und Erwartungen urplötzlich zerstörte: der Tod des Erbprinzen Joseph Ferdinand am 6. Februar 1699. Mit einem Schlag brachen alle diese Pläne wie ein Kartenhaus zusammen. Im durch diesen Todesfall ausgelösten Spanischen Erfolgekrieg wollte der Kurfürst das Ruder noch einmal herumreißen und seinen Anspruch durch eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld durchsetzen. Die Niederlage von Höchstädt am 13. August 1704 raubte ihm auch diese Hoffnung. Er musste den Traum von einem Königtum für sich, seine Familie und sein Territorium begraben und unerfüllt mit ins Grab in der Theatinerhofkirche St. Cajetan zu München  nehmen.

Dennoch hat Max Emanuel seine unbefriedigten Erwartungen seinem Sohn Karl Albrecht (1726-1745) weitervererbt. [18] Um alle Möglichkeiten offenzuhalten, hatte er ihn 1722 mit Maria Amalia, der habsburgischen Kaisertochter, verheiratet. Da der Ehe des Kaisers Karl VI. keine Erbprinzen beschert waren, zeichnete sich das Erlöschen des Kaiserhauses in männlicher Linie ab. Deswegen verließ Karl Albrecht mit dem Eintritt in die dreißiger Jahre den schließlich österreichfreundlichen Kurs seines Vaters und begab sich wieder ins Kielwasser der französischen Politik. Er nahm eine äußerst aufwendige Hofhaltung auf. Mit einer  ungezähmten Baupolitik wollte er seine Königs- und Kaiserfähigkeit unter Beweis stellen. Tatsächlich bewunderten auswärtige Beobachter in München einen wahrlich kaiserlichen Hof (imperiale più che ducale). Vor allem begann Karl Albrecht nun gewaltig aufzurüsten. Die dreißiger Jahre sind vom Grundthema der Erwartung des Erbfalles im Hause Habsburg bestimmt. Johann Heinrich von Falckenstein ließ in seiner  "Vollständigen Geschichte der alten, mittlern und neuern Zeiten des großen Herzogthums und ehemaligen Königreichs Bayern" (München 1763) die entscheidenden Begriffe Königreich Bayern durch Rotdruck in Deutlichkeit hervorheben.

In zwei Schritten ging Karl Albrecht sein Fernziel an. Zunächst steuerte er die böhmische Königskrone an. Wirklich wählten ihn die böhmischen  Stände im Dezember 1741 zum König von Böhmen. Daraufhin richtete er den Blick auf die Nachfolge auf dem Kaiserthron. Mit wirkungsvoller Unterstützung Frankreichs konnte er am 24. Januar 1742 auch die Kaiserkrone erringen, die ihm am 12. Februar der Erzbischof von Köln aufs Haupt setzte. Die Feierlichkeiten für den Wittelsbachers waren die prächtigste Kaiserkrönung, die die Krönungsstadt Frankfurt überhaupt erlebte. Zum dritten Mal nach Heinrich II. und Ludwig dem Bayern war ein Herzog aus Bayern auf den Kaiserthron und damit das Haus Wittelsbach an sein Ziel gelangt. Mit unverkennbarem Einsatz nahm sich Karl VII. gerade der Kaiser- und Reichsaufgaben an.  Er gab sich alle Mühe, sich als würdiger Träger der Reichskrone zu erweisen. Das zeigt auch der Blick auf das Gesandtschaftswesen, das er seinem Status entsprechend ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Kosten großzügig ausbaute.

Maria Theresia war aber nicht bereit, sich so einfach vom Thron verdrängen zu lassen. Gerade zwei Tage nach dem Frankfurter Krönungsakt nahmen ihre Truppen das Nachbarland Bayern ein und unterwarfen es einer harten Okkupation, die den wittelsbachischen Kaiser ins Exil nach Frankfurt zwang. Mit militärischen Mitteln rang Maria Theresia den Thronrivalen nieder. Klagend schrieb dieser in sein Tagebuch, dass er als Kaiser freudlose Tage in der Fremde ohne Freunde, ohne Truppen und ohne Geld fristen müsse. Das Unternehmen überstieg seine Kräfte. Als er am 20. Januar 1745 verstarb, hatte er die Aussichtslosigkeit des Vorhabens eingesehen und deswegen in seinen letzten Tagen über Mittelsmänner noch Ausgleichsverhandlungen eingeleitet. Diese führte der Nachfolger Max III. Joseph (1745-1777) [19] fort. Der Friede von Füssen erkannte am 22. April 1745 einerseits das Kaisertum Karl Albrechts an, verlangte aber andererseits vom Nachfolger den Verzicht auf die Kaiserkrone und die wittelsbachischen Kurstimmen für den Gatten Maria Theresias bei der anstehenden Wahl eines Nachfolgers.

Man hat diesen Frieden von Füssen oftmals als endgültige Abkehr Kurbayerns von den bisherigen Großmachtansprüchen und damit entscheidende Wendemarke der wittelsbachischen Außenpolitik im 18. Jahrhundert bezeichnet. Diese Interpretation erscheint beim ersten Zusehen durchaus naheliegend. Wer aber einen Blick in die Aktenüberlieferung wirft, wird sie nicht teilen können. In den hofinternen Papieren wird dieser Friede von Füssen von Anfang an als kapitaler Fehler des jungen Kurfürsten bezeichnet. Da der Vertrag unter dem Druck von Waffen unterzeichnet worden sei, wurde sogar seine Rechtsverbindlichkeit in Frage gestellt. Dementsprechend führte Max III. Joseph in den ersten Wochen nach der Herrschaftsübernahme provokativ den Titel eines Königs von Böhmen und Erzherzogs in Österreich. Mit auffallendem Einsatz übte er das Reichsvikariat des Jahres 1745 aus, das ihm die Wahrnehmung königlicher Kompetenzen zumindest auf Zeit ermöglichte. Er trug sich mit dem für ihn selbstverständlichen Gedanken, trotz des Friedens von Füssen für die anstehende Kaiserwahl erneut wittelsbachische Ansprüche auf eine Kandidatur anzumelden. Dazu erhoffte er die Unterstützung von auswärtigen Mächten, um die ernsthaft verhandelt wurde. Als von dort aber vielen schönen Worten keine Taten folgten, blieb dem jungen Kurfürsten schließlich nichts anderes übrig, als seine Stimme doch  Franz I. zu geben. Das tat er ausgesprochen ungern, geradezu widerwillig und nur unter dem Zwang der Gegebenheiten. Am 13. September wurde Franz I. Stephan mit der Münchner Kurstimme zu Frankfurt zum Römischen Kaiser erhoben und am 4. Oktober auch gekrönt.

Doch setzten diese Vorgänge noch immer keinen endgültigen Schlusspunkt hinter die Münchner Königspläne. Auch in der Folgezeit verhandelte Max III. Joseph mit Friedrich II. von Preußen, mit Staatsminister Pitt am englischen Königshof oder mit Vertretern des französischen Königs zu Versailles im Vorfeld des Aachener Friedenskongresses 1748 oder des geplanten, nie realisierten  Friedenskongresses zu Augsburg 1761 - immer natürlich geheim - über eine Rückkehr der Kaiserkrone an das Haus Wittelsbach. Dabei tauchen am Rande auch immer wieder die Ländertauschprojekte der Zeit  Max Emanuels auf. Wenn dem Kurfürsten im Reich die erhoffte Krone versagt blieb, dann dachte auch Max III. Joseph daran, sich notfalls außerhalb des Reiches dafür entschädigen zu lassen. Die europäische Politik ist aber über diese Wünsche bedenkenlos hinweggegangen. Ab 1745 wurde zumindest die Reichskrone für das Haus Wittelsbach  endgültig ins Reich der Träume verbannt.

Aus diesem Grunde konzentrierte der Kurfürst seine diesbezüglichen Bemühungen in die Innerpolitik. Er wollte sich hier Ersatz verschaffen. Das galt zum einen für die Heiratspolitik. Die Ehe Max III. Josephs mit Maria Anna Sophie von Sachsen wurde auch unter dem Aspekt geschlossen, dass sich der Kurfürst, selber als Sohn eines Kaisers und einer Kaisertochter einer der vornehmsten aller Wittelsbacher, mit einer Angehörigen des königlichen Hauses Wettin  verehelichte, deren Mutter ebenfalls kaiserlichen Geblüts war. Im Gegenzug heiratete die Lieblingsschwester Maria Antonia Walpurgis in die wettinische Königsfamilie ein; auf diesem Wege sollten für die Wittelsbacherin Ansprüche auf die polnische Königskrone begründet werden, die nach dem Tod des Gatten Friedrich Christian wirklich angemeldet wurden, freilich nicht mehr durchgesetzt werden konnten. Demonstrativ wurde das Wappen des königlichen Hauses Wettin an der Schaufassade der Theatinerhofkirche St. Kajetan zu München platziert. Noch deutlicher kommen die Königsambitionen Max III. Joseph in der Verheiratung seiner jüngsten Schwester Josepha mit Kaiser Joseph II. 1765 zum Ausdruck; diese wenig nahe liegende Verbindung wird zumindest einigermaßen verständlich durch den Glanz, den die Reichskrone nach wie vor ausstrahlte. Wenn sie schon dem Landesherrn versagt blieb, so sollte zumindest die Schwester als Kaiserin noch einmal einen Schimmer der Reichskrone auch ihrem Elternhaus Wittelsbach verschaffen. So viel Ausstrahlung ging noch immer vom Kaisertum aus. Das zeigt auch der Blick in die  Hofkunst, die Max III. Joseph mehrfach in unverkennbar imperialer Pose darstellte.

Die wirkungsvollsten Aktivitäten bezüglich des wittelsbachischen Königtums unternahm die Wissenschaft. Diese Frage wurde eines der frühen Hauptthemen der 1759 gegründeten Bayerischen Akademie der Wissenschaften. [20] In ihrem Umfeld wurden Abhandlungen zur hochaktuellen Thematik angefertigt. Die wichtigste diesbezügliche Untersuchung stammt von Michael Adam Bergmann, der bereits 1754 eine "Dissertatio de ducum Bojoariae jure regio" vorlegte. Sie wurde nach der Gründung der Gelehrten Gesellschaft sehr rasch Mittelpunkt einer lebendigen Auseinandersetzung über die Kernfrage, ob den Münchner Kurfürsten nun ein solches Königsrecht zukomme oder nicht. Das Problem wurde in den sechziger Jahren mit unverkennbarer Erregung behandelt. Da dieses Königsrecht in erster Linie an der beanspruchten Kirchenhoheit festgemacht wurde, schalteten sich auch Wissenschaftler aus ganz - sogar dem protestantischen - Deutschland und Österreich ein.  Zum Wortführer am Münchner Hof machte  sich der Gründer Akademie persönlich: Johann Georg von Lori. Der engagierte Verfechter des bayerischen Staatskirchentums legte eine umfassende Sammlung einschlägiger Dokumente an, die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München als Sammlung Lori erhalten ist. Sie wurde Grundlage des sehr scharf geführten Kirchenkampfes, der im Jahre 1768 seinen Höhepunkt erreichte. Auch die Forschung wurde also ganz im Sinne des Rationalismus der Aufklärungsepoche in den Dienst der Königspolitik gestellt.

Freilich verblieb es weithin bei derartigen theoretischen Erörterungen. Sie hatten Auswirkungen höchstens auf innenpolitische Aktionen, die in erster Linie die Kirche zu verspüren bekam. Infolge des starken Gegendruckes aus dem Ausland, das lediglich mit vorsichtig abtastenden diplomatischen Vorstößen mit dem Problem konfrontiert wurde,  konnten die Ansprüche nicht weiter aktiviert werden. Sie erlangten nun keine außenpolitische Relevanz mehr. Max III. Joseph hat seine Königssehnsüchte ein Leben lang weitergepflegt, wenngleich sie in den siebziger Jahren an Brisanz verloren. Er hat sie in seinen späten Jahren nicht mehr mit der früheren Konsequenz verfolgt. So ist er zum großen Friedensfürsten geworden, als der er in der maßgeblichen Literatur erscheint. Doch spricht vieles dafür, dass das letztlich gegen seinen  Willen geschehen ist. Auch er hätte sich sehr gerne mit einer Königskrone geschmückt, wenn es nur möglich gewesen wäre. Die europäische Entwicklung hat diesen Bemühungen jedoch die Grundlage gänzlich entzogen. Seit 1745 ist das wittelsbachische Kaisertum kein ernsthaftes Thema der internationalen Politik mehr. Von nun an werden nur mehr Königspläne verfolgt.

Der Übergang der Herrschaft in Bayern an die pfälzischen Wittelsbacher stellt keinen Bruch in den Grundlinien der kurbayerischen Politik dar. Der Nachfolger Karl Theodor (1777-1799) [21], obwohl aus anderen Traditionen kommend, hat die wittelsbachischen Königspläne durchaus weitergepflegt. Auch er hat das Reichsvikariat, das er sogar zweimal ausüben konnte, als Königsherrschaft zumindest in einer Reichshälfte auf Zeit mit auffallendem Einsatz wahrgenommen. Karl Theodor war als Herr der sieben Länder Regent gleich in zwei Kurfürstentümern und somit der drittmächtigste Mann im Heiligen Römischen Reich. Deswegen glaubte vor allem er sich einer Königskrone würdig. Mehrfach hat er sich mit dem Attribut der Krone darstellen lassen. Nach Wegen dazu hat er ein Leben lang gesucht. Noch immer fand er dabei auch die Unterstützung des rechtssachverständigen Barons Wiguläus Xaver Alois von Kreittmayr, der die Akten nach Ausweis wiederholter Randbemerkungen gerade zu dieser Frage eifrig studierte. Doch war Karl Theodor klar, dass er dieses Ziel mit seiner im Grunde recht wienorientierten Politik in Pfalzbayern kaum erreichen würde. Deswegen richtete er den Blick wieder verstärkt nach außen. Unter ihm gewannen die Ländertauschprojekte noch einmal größte Relevanz; sie sollten ihm seiner Königspläne erfüllen. Er liebäugelte vor allem mit einem Territorium mit den Schwerpunkten am Mittel- und Niederrhein sowie den österreichischen Niederlanden. Mannheim, Düsseldorf und das seinem Geburtsort nahegelegene Brüssel sollten dessen Mittelpunkte werden. Dort erhoffte er sich eine Königskrone, die ihn in die Tradition der Burgunderkönige des Spätmittelalters gestellt hätte. Doch wurde auch über andere Alternativen nachgedacht. Man verhandelte etwa über den Erwerb des Königreiches Sardinien. Und sogar die Würde eines Königs von Galizien wurde Karl Theodor vom Wiener Kaiserhof angeboten. Er konnte sich aber für alle diese Vorschläge nicht begeistern. Sein Hauptziel blieb ein Königreich an Niederrhein und Nordsee mit dem Vorort Brüssel. Doch ist auch sein Wunschtraum nicht in Erfüllung gegangen. Die Französische Revolution hat den in vielen Variationen behandelten Plänen schließlich die Grundlage entzogen. Auch Karl Theodor musste seine Königspläne unerfüllt mit ins Grab in der Theatinerhofkirche zu München nehmen.

Karl Theodors Nachfolger wurde der aus der Pfalz-Zweibrückener Linie kommende Kurfürst Maximilian IV. Joseph (1799-1825) [22]. Die Entwicklung führt nun recht geradlinig in die Regierungszeit dieses letzten Kurfürsten von Bayern hinein und kommt fast folgerichtig mitten im Dritten Koalitionskrieg zum Abschluß. Am 1. Januar 1806 nahm dieser wirklich den Titel eines Königs von Bayern an.

Strukturen 

Die bisher ereignisgeschichtlich ausgerichteten Erörterungen sollen im folgenden nach den tragenden Grundlinien befragt werden, um über die Deskription hinaus zur Analyse fortzuschreiten. 

Eine erste zusammenfassende Beobachtung ist, dass sich Königsgedanken durch alle Jahrhunderte der bayerischen Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit feststellen lassen. Sie waren nicht auf bestimmte Epochen beschränkt, sondern durchziehen alle Jahrhunderte in im einzelnen unterschiedlicher Intensität und unterschiedlicher Ausformung. Diese ist jeweils abhängig vom politischen Umfeld, das wesentlich von der Einbindung in übergeordnete politische Einheiten bestimmt wird. [23] Die bayerische Geschichte hat durch alle Jahrhunderte hindurch von diesen Königsgedanken her eine prägende Signatur erhalten.

Die nächste Frage soll  den Trägern dieser Königsgedanken gelten: Sind sie mehr nur am Hof zu suchen oder kommen sie auch aus dem Land? Sind die Königsgedanken nur eine Angelegenheit der Regierenden selber und der Führungsgruppen in ihrem näheren Umfeld? Oder aber sind sie auch im Volk verwurzelt? Die angestellten Erörterungen zeigen, daß die Königsgedanken in sehr  unterschiedlichen Personenkreisen gepflegt wurden. Natürlich wurden die Bemühungen zur politischen Umsetzung von den Akteuren am Hofe getragen: den Landesherrn selber, die von den entscheidenden Persönlichkeiten ihrer Umgebung darin bestärkt wurden. Diese haben dem Hof auch in dieser Hinsicht zugearbeitet. Immer wieder kam auch Unterstützung von ausländischen Staaten, von denen entsprechende Anregungen und Einladungen oder aber auch Hilfsmaßnahmen ausgingen. Doch waren diese Königspläne keinesfalls nur eine Sache der Höfe. Sie wurden auch von den unteren Schichten im Lande, etwa  Literaten, Künstlern, Juristen oder Staatsdenkern, zumindest mitgetragen oder auch unterstützt. Die Königspläne waren keinesfalls nur eine Angelegenheit der politischen Entscheidungsträger, sondern auch ihrer Untertanen. Derartige Gedanken waren im Land weit verbreitet und fest verwurzelt.

Dementsprechend wurden diese Königspläne mit unterschiedlichen Mitteln angesteuert. Die Landesherren brachten sie mit bezeichnenden Selbstzeugnissen und Maßnahmen der aktuellen Politik bis hin zur Diplomatie oder zum militärischen Einsatz  zur Geltung. Die Untertanen legten ihre Ansichten als Fremdbezeichnungen in theoretischen Denkschriften oder  wissenschaftlichen Deduktionen nieder, die von der Literatur über die Publizistik bis hin zum schöngeistigen Schrifttum reichte. Besondere Bedeutung kam der  Historiographie zu. Auch die Kunst wurde in diesem Sinne instrumentalisiert. Mit diesen sehr unterschiedlichen Medien werden bestimmende Leitfiguren herausgestellt. Deren wichtigste war Karl der Große, der durchaus als Persönlichkeit der bayerischen Geschichte in Anspruch genommen wurde. Auch Kaiser Ludwig der Bayer und Herzog bzw. Kurfürst Maximilian I. sind in diesem Sinne eingesetzt worden. Seit der Neudeutung durch Aventin gehört auch der Luitpoldinger Arnulf zu diesem kleinen Kreis der historischen Vorbilder. Man muß wohl zwischen theoretisch unverbindlichen Königsgedanken, konkreteren Königsplänen und aktiver Königspolitik unterscheiden. Die im einzelnen sehr disparaten Äußerungen betreffen sowohl die politische Theorie als auch die Praxis gleichermaßen.

Ein wichtiges Mittel der Königspolitik war die dynastische Heirat. Hauptzwecke der Ehen in den Herrscherfamilien der vormodernen Zeiten waren die Begründung oder Bekräftigung von politischen Konstellationen, die - besonders im 18. Jahrhundert - auch das angestrebte Hauptziel des Erwerbs einer Krone beförderten. 

Von ähnlich großer Bedeutung war der Krieg. Wiederholt wurden auch die Waffen als Mittel der Königspolitik eingesetzt. Das gilt bereits für Kaiser Ludwig, der den Ausgang der Schlacht bei Mühldorf 1322 als gottgewolltes iudicium belli betrachtete. Das gilt vor allem für das 18. Jahrhundert, in dem besonders auf den Spanischen Erbfolgekrieg (1700-1713) und den Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) zu verweisen ist. In beiden Fällen war das Kriegsziel der Erwerb einer Krone in scharfer Auseinandersetzung mit dem Hause Habsburg. 

Diese Königsgedanken waren keineswegs immer auf das gleiche Ziel hin ausgerichtet. Im wesentlichen wird man drei Marschrouten auseinanderhalten dürfen. Zum einen zielten die Königspläne auf eine Aufwertung des bayerischen Herrschaftsraumes zu einem eigenen Königreich. Das war nur im Früheren Mittelalter unter den Agilolfingern und Luitpoldingern möglich, die Phasen der weitgehenden Selbständigkeit zur Rangerhöhung zu nutzen suchten. Dieses Ziel wurde unter ganz besonderen Umständen auch im Unterkönigtum der späteren Karolingerzeit erreicht. Seit dem Einbau ins Heilige Römische Reich durch die Ottonen war dann aber ein herrschaftlicher Rahmen vorgegeben, der die Aufwertung durch eine eigene  Königskrone des Herrschers in Bayern unmöglich machte. Seitdem zielten die Königspläne auf den Aufstieg aus dem Herzogtum bzw. Kurfürstentum an die Spitze des Reiches durch die Erlangung der Königs- bzw. Kaiserwürde. Derartige Versuche durchziehen nahezu die gesamte Geschichte des Heiligen Römischen Reiches bis zu dessen Untergang. Freilich führten sie nur in Einzelfällen zum Ziel: unter Heinrich II., Ludwig dem Bayern und Karl VII. Albrecht. Sie waren meist von erbitterten Auseinandersetzungen begleitet. Die nachhaltigste Folge dieser Grundkonstellation war der Dauerkonflikt mit dem benachbarten Haus Habsburg, in dem wegen der begrenzten Machtressourcen Bayern in den meisten Fällen unterlag. Von seiten Frankreichs fanden diese Bestrebungen oftmals wirkungsvolle Unterstützung. Weil im Rahmen der Reichsverfassung die erhoffte Krone kaum zu erreichen war, zielten die Königspläne zum dritten auf den Erwerb von Kronen in anderen Ländern, an denen der Königsrang hing. Dazu wurde durchaus auch die Preisgabe der Stammlande in Erwägung gezogen. In diesem Sinne rückten Österreich, Böhmen, Ungarn, Polen, Dänemark mit den skandinavischen Königreichen, und Spanien, aber selbst die Lombardei, Sardinien, Sizilien, Neapel oder Galizien  in den Gesichtskreis der bayerischen Politik. Doch waren diese Bemühungen höchstens kurzzeitig von Erfolg gekrönt. Die Bemühungen um auswärtige Kronen belegen in Eindringlichkeit, dass es zumindest in wittelsbachischer Zeit mehr um einen Königsrang für die regierende Dynastie als das beherrschte Land ging.

Je mehr das Heilige Römische Reich seinem Ende entgegenging, desto intensiver orientierte man sich an der Zeit vor dessen Gründung: Die Zustände dieser Frühzeit sollten wiederhergestellt werden. In diesem Sinne knüpfte man an die Agilolfinger und Luitpoldinger des Früheren Mittelalters an; die Wittelsbacher leiteten sich von diesen frühen Herzogsgeschlechtern ab und wollten an deren Politik erneuern. 

Den angestrengten Bemühungen um eine Königskrone war über viele Jahrhunderte hin nicht das erhoffte Ergebnis in Form eines dauerhaften Erfolges beschieden. Eher wird man insgesamt Misserfolge festzustellen haben. Diese Königspläne haben das Land in viele kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt und haben ihm mehrfach schwere militärische Niederlagen mit schlimmer Okkupation eingebracht. Die Rechnung für die Königspolitik hatten als Kehrseite der Medaille mehrfach die Kleinen Leute zu bezahlen. Auch die zunehmende Staatsverschuldung im Laufe der Frühen Neuzeit ist vornehmlich Folge der Großmachtpolitik. Diesen mißlichen Folgen wird man auf der positiven Seite am ehestem die anspruchsvolle Kunst- und angestrengte Wissenschaftspflege der Wittelsbacher gegenüberstellen dürfen. Es ist heute nicht mehr angebracht, das ausufernde wittelasbachische Mäzenatentum mit dem Verschwendungsargument abzuurteilen. Die mit der Königspolitik untrennbar verbundene Kunst- und Wissenschaftspflege sind längst als zeitgemäße Äußerungen der Politik erkannt. Die in diesem Zusammenhang geschaffenen Leistungen gehören zu den wichtigsten Wertschöpfungen Bayerns überhaupt. Bis in unsere Gegenwart tragen sie ganz entscheidend zum Rang Bayerns als Kulturstaat bei. 

Abschließend sei noch einmal die Ausgangsfrage aufgenommen: Hat die Bekanntmachung vom 1. Januar 1806 recht, wenn sie den Vorgang der Königserhebung auf alte innere Traditionen des Landes zurückführt oder haben die modernen Interpreten mit ihrem betonten Hinweis auf die bestimmende Rolle Frankreichs recht? Die angestellten Erörterungen konnten vor allem eines deutlich machen: Die Königserhebung von 1806 schließt sich an eine lange und breite Tradition an, die sich beständig steigerte, im 18. Jahrhundert schließlich gipfelte, und hinter die sie einen recht geradlinigen Schlusspunkt setzte. Daß die andauernden Hoffnungen und Bemühungen erst zu diesem späten Zeitpunkt in Erfüllung gingen, hängt aber ohne Zweifel mit der konkreten politischen Lage der Jahre um 1806 zusammen. Sie erst schufen dafür die Voraussetzungen. Deswegen ist die Formulierung eines alternativen Entweder - Oder zur Beantwortung der Ausgangsfrage unzureichend.  Beide Stränge sind im Sinne eines Sowohl - Als auch zu berücksichtigen. Im Proklamationsakt vom 1. Januar 1806 wurde eine alte innerbayerische Tradition wirksam, die erst in der konkreten Politik der Jahre 1805/06 endlich die lange erhoffte Erfüllung fand.

Anmerkungen

  • [1]

      Königlich Bayerisches Intelligenzblatt 1806, S. 3. Druck: Rolf KIESSLING - Anton SCHMID (Bearb.), Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern III/2, München 1976, S. 73 Nr. 23.     

  • [2]

     Thomas NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 1806-1866: Bürgerwelt und starker Staat, München 61994, S. 11.

  • [3]

     Eberhard WEIS, in: Max SPINDLER, Handbuch der bayerischen Geschichte IV/1, hg. von Alois SCHMID, München 22003, S. 24; DERS., Montgelas II, München 2005, S. 319.

  • [4]

     Paulus DIACONUS, Historia Langobardorum, hg. von Georg WAITZ, MGH SS rer. Langobard. et Ital., Hannover 1878, S. 109f.

  • [5]

     Arbeo von Freising, Vitae SS. Haimhrammi et Corbiniani, hg, von Bruno KRUSCH, MGH SS rer. Germ. 13, Hannover 1920, S. 14, 75, 203, 205, 214.

  • [6]

     Einhard, Vita Karoli Magni, hg, von Oswald HOLDER-EGGER, MGH SS rer. Germ. 25, Hannover-Leipzig 61911, S. 14.

  • [7]

     Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, hg. von Paul KEHR, MGH DD dt. Karol. 1, Hannover 1932, S. 2 Nr. 2 u.ö.

  • [8]

     Kurt REINDEL, Die bayerischen Luitpoldinger 893-989. Sammlung und Erläuterung der Quellen, München 1953, S. 112 Nr. 56. Vgl. Hans RALL, Der Königsplan des Bayernherzogs Arnulf in Geschichtsschreibung und Politik, in: Historisches Jahrbuch 60 (1940) S. 231-245.

  • [9]

     Annales ex annalibus Iuvavensibus excerpti maximi, hg. von Harry BRESSLAU, MGH SS XXX/2, Hannover 1926, S. 742.

  • [10]

     Stefan WEINFURTER, Heinrich II. (1002-1024), Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg 1999.

  • [11]

     Bernd SCHNEIDMÜLLER, Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (819-1252), Stuttgart 2000, bes. 105-149.

  • [12]

     Ludwig HOLZFURTNER, Die Wittelsbacher. Staat und Dynastie in acht Jahrhunderten, Stuttgart 2005.

  • [13]

     Heinz THOMAS, Ludwig der Bayer (1282-1347), Kaiser und Ketzer, Regensburg 1993; Robert SUCKALE, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993.

  • [14]

     Hans Ebran von Wildenberg, Chronik von den Fürsten aus Bayern, hg, von Friedrich ROTH, München 1905, S. 33.

     

  • [15]

     Johannes Turmair´s genannt Aventinus, Sämmtliche Werke, hg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1881-1908.

  • [16]

     Dieter ALBRECHT, Maximilian I. von Bayern (1573-1651), München 1998.

     

  • [17]

     Ludwig HÜTTL, Max Emanuel, der Blaue Kurfürst (1679-1726). Eine politische Biographie, München 31976.

  • [18]

     Peter Cl. HARTMANN, Karl Albrecht - Karl VII. Glücklicher Kurfürst - unglücklicher Kaiser, Regensburg 1985.

  • [19]

     Alois SCHMID, Max III. Joseph und die europäischen Mächte. Die Außenpolitik des Kurfürstentums Bayern 1745-1765, München 1987.

  • [20]

     Andreas KRAUS, Die historische Forschung an der Churbayerischen Akademie der Wissenschaften 1759-1806, München 1959, S. 236-247; Ludwig HAMMERMAYER, Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften I: Gründungs- und Frühgeschichte, München 1983, S. 292-294.

  • [21]

     Hans RALL, Kurfürst Karl Theodor. Regierender Herr in sieben Ländern, Mannheim 1994.

  • [22]

     Adalbert VON BAYERN, Max I. von Bayern, München 1957.

  • [23]

     Wolfgang QUINT, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik in Bayern. Von der Mitte des 17. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1971.

Empfohlene Zitierweise

Schmid, Alois: Die bayerische Königspolitik im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. aventinus bavarica Nr. 3 (Sommer 2006), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7763/

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Erstellt: 25.05.2010

Zuletzt geändert: 26.05.2010

ISSN 2194-198X