Susanne Wolf

Johannes Aventinus (1477-1534):
Der Vater der bayerischen Geschichtsschreibung

Aventins Leben und Werk
Aventin als Geschichtsschreiber
Aventin und Regensburg
Grabinschrift der Kinder des Vindelicius Surinus
Aventins Wirkung auf andere Forscher
Aventins Verdienste

 

Aventins Leben und Werk

Johannes Turmair (*1477, †1534) nennt sich selbst in humanistischer Manier latinisiert Aventinus nach dem mittelalterlichen Namen seiner Vaterstadt Abensberg. Bedeutung erlangte Aventin, Humanist mit universeller Bildung, auf wissenschaftlichem Gebiet vor allem als Historiker, denn er steht am Anfang der neuzeitlichen bayrischen Geschichtsschreibung und -forschung.
Geboren ist Johannes Turmair als Sohn des wohlhabenden Weinwirts Peter Turmair am 4. Juli 1477 in Abensberg. An den Universitäten Ingolstadt, Wien, Krakau und Paris erwirbt er sich eine umfassende und vielschichtige Bildung, die nicht viele Gelehrte seiner Zeit erreicht haben. Im Jahr 1509 wird er an den Hof nach München berufen, um als Erzieher und Lehrmeister der noch unmündigen Prinzen des verstorbenen Herzog Albrecht IV., Ernst und Ludwig, zu dienen.

In einer landesherrlichen Berufung der Herzöge Wilhelm und Ludwig vom Februar 1517 erhält Aventin die ehrenvolle Aufgabe als Landeshistoriograph eine Geschichte Bayerns zu verfassen. Die "Annales ducum Baioariae" sind 1521 abgeschlossen. Der Höhepunkt seines Schaffens ist jedoch die Verdeutschung der Annales, die er 1522 von sich aus in Angriff nahm. Die Geschichte des bayrischen Volkes sollte nicht nur den Gelehrten verständlich sein, sondern der Allgemeinheit, dem Volk selbst, zugänglich werden. Die "Bayrische Chronik" ist deshalb nicht eigentlich eine Übersetzung der Annales, sondern im Hinblick auf die Vorlage eher eine freie Bearbeitung mit Hinzufügungen und Auslassungen.

Daß sowohl die Annales, als auch die "Bayrische Chronik" trotz intensiver Bemühungen Aventins um eine Drucklegung erst 1554 in Ingolstadt bzw. 1566 in Frankfurt gedruckt wurden, liegt vor allem an den Glaubenskämpfen der Reformation. Aventins kritischer Geist und seine teilweise antiklerikale Haltung führten sogar dazu, daß sein Name 1554 auf einem Index verbotener Bücher, der von der venezianischen Inquisition herausgebracht wurde, erschien. Zu seinen Lebzeiten wurde Aventin selbst der Reformation verdächtigt: Nach kurzer Haft in Abensberg befreit ihn Leonhard Eck, der führende Rat Herzogs Wilhelm IV., und er emigriert in die sichere freie Reichsstadt Regensburg.

Hier bleibt Aventin zuerst vorrübergehend im Hause seines Freundes Georg Primbs. 1529 heiratet Aventin mit 52 Jahren und kauft sich ein Haus in der Engelburgergasse (heute Nr. 14). Dort schreibt er die Geschichte "Von dem herkomen der statt Regenspurg", vollendet 1533 seine "Bayrische Chronik" und arbeitet daneben an weiteren historischen Werken. Im Dezember 1533 erkrankte er auf der Rückreise von Ingolstadt und stirbt infolge dieser Erkrankung am 9. Januar 1534 in Regensburg. Bestattet wird Aventin auf dem Friedhof von St. Emmeram. Noch heute ist das Grabmal im Vorhof zur Kirche St. Emmeram zu sehen.

Aventin als Geschichtsschreiber

In der Geschichtsschreibung, die seit dem 13. Jahrhundert in Bayern Tradition hat, bringt Aventin erstmals die Vorstellungen der Humanisten ein; die Grundlagen dieser Geschichtsforschung haben sich in Italien entwickelt: Geschichtsschreibung ist auf kritische Quellenarbeit gestützt; man ist nicht mehr der mittelalterlichen Methode der Kompilation, der absoluten Vorlagentreue verhaftet. Die Historiographen ringen sich zu eigener Formulierung und Darstellung der Geschichte durch; es kommt zur ersten Analyse der historischen Ereignisse: Aventin erzählt nicht nur, sondern stellt Ursachen und Folgen in einen Zusammenhang.

Ein wesentlicher Punkt, der den Beginn der neuzeitlichen Geschichtsforschung markiert, ist auch die Tatsache, daß der Mensch als Träger der Geschichte der Welt verantwortlich ist und daß im Gegenzug dem göttlichen Prinzip mit Gott als dem Lenker der Welt nicht mehr die absolute Gültigkeit zukommt. Auch Aventin stellt Schöpfungsgeschichte dar, doch bildet sie wie die Reichsgeschichte oder die antike Geschichte nur noch den Rahmen für die eigene Landesgeschichte, für das Schicksal der Bayern, ihres Landes und ihres Fürstenhauses. Jedoch war Aventin - genauso wie andere Humanisten - bereit, trotz quellenkritischer Haltung und verschiedentlicher Richtigstellung eines durch Sagen und Mythen verfälschten Geschichtsbildes, zur Glorifizierung des eigenen Landes neuen Spekulationen und Phantasien nachzugeben.

Aventin und Regensburg

In dem Traktat "von dem Herkomen der statt Regenspurg" wird deutlich, daß die Größe Regens-burgs für Aventin nicht in der Gegenwart, sondern in ihrem Alter und in ihrer einstigen Macht liegt. Regensburg ist "metropolis, darauß al ander stet in disem land geporn und geschloffen sein". Zur Begründung dieser Ansicht dienen Aventin auch römische Inschriftensteine. Einige der von Aventin gefundenen Inschriften werden durch unkorrekte Lesart tatsächlich zu steinernen Zeugen für die ruhmreichen Taten der Bayern.

Bevor Aventin 1528 seinen festen Wohnsitz in Regensburg nahm, hatte er schon Jahrzehnte lang die Suche nach antiken Inschriften betrieben; in dem Werk "Vom herkomen der statt Regenspurg" beweist er damit die römische Vergangenheit der Stadt. Sie beginnt bei Aventin mit der Gründung Regensburgs 14 bzw. 13 v. Chr. durch Tiberius, weshalb sie - so Aventin - auch "Augusta Tiberia" genannt wird. Aventin sammelt jedoch die Inschriften nicht nur, sondern bemüht sich auch zum ersten Mal um eine wissenschaftliche Epigraphik: Er gibt gewissenhaft die genaue Herkunft der Steine, ihren Fundort an, löst Abkürzungen auf und versucht sich als Humanist auch an der Interpretation der Texte.

Die Inschriften - für Regensburg sind es neun, zählt man die drei von Saal hinzu, so sind es zwölf - gibt Aventin im "herkomen der statt Regenspurg", im Buch 2 Kap. 5 der "Annales ducum Baioariae" und im Buch 2 Kap. 49 der "Bayrischen Chronik" wieder. In den Annales begnügt sich Aventin mit einer bloßen Aufzählung der Inschriften; in den beiden anderen, deutschsprachigen Werken bringt er zudem mehrfach seine Übersetzung der jeweiligen Inschrift mit Erläuterung. Von den neun Regensburger Inschriften sind heute noch vier erhalten. Eine davon war zur Zeit Aventins am Schwarzen Turm der Steinernen Brücke (IBR 391, CIL III 5955) angebracht, zwei waren in der Alten Kapelle (IBR 414, CIL III 5969 und IBR 412, CIL III 5968) eingemauert und eine befand sich im Kreuzgang von St. Emmeram (IBR 367, CIL III 5960).

Grabinschrift der Kinder des Vindelicius Surinus

Herausgegriffen werden soll nun die Grabinschrift der Kinder des Vindelicius Surinus, die gegen Ende des 2. Jh. n. Chr datiert werden kann.
 

D(is) · M(anibus)
ET · MEMORIE
MISERRIMORVM ·
VINDELICI(i)S ·
ERMOGENIANO
ET V[i]CTORI
ET SVRE · FIL(iis) ·
VINDEL(icius) · SVRINUS
INFELIX PATER · F(aciendum) · C(uravit)
 
Den Totengöttern 
und dem Andenken
der Beklagenswertesten!
Den Vindeliciern
(H)ermogenianus
und Victor
und Sura, seinen Kindern,
hat Vindelicius Surinus,
ihr unglücklicher Vater (diese Grabinschrift) machen lassen.

 

 So klar und verständlich heute der Sinn dieser Inschrift ist, um so zahlreicher waren die abenteuerlichen Fehldeutungen in der Vergangenheit. Ausgehend von Aventin rankten sie sich vor allem um die Interpretation der 3., 4. und 5. Zeile, denn Aventin hatte z. B. im "herkomen der statt Regenspurg" die Inschrift folgendermaßen gelesen und gedeutet:
D(iis) M(anibus) / ET MEMOR(iae) LE(gionis) / MISERRI(mae) MOR(tuis) M(ilitibus) / VINDELICIS / P(opulo) R(omano) MOCENIAN(ensi) / E(t) VICTORI / E(t) AVR(elio) FIL(iis) /VINDEL(icis) SVRINVS /  INFELIX PATER  F(aciendum) C(uravit).

"Die mainung teutsch: In den êren der nothelfer der toten und zu einer ewigen gedechtnus der legion und den kriegern des lands Vindelicia, so erpärmlich umbkommen sein, den haubtleuten der besezung Mozing und seinen sonen Victori und Aurelio, so auch im land Vindelicia gelegen sein, hat dise gedechtnus machen lassen Surinus ir unglückhaftiger vatter."

Aus dieser Inschrift und einer bei Saal - so Aventin - sei nun abzulesen, daß die Deutschen aus dem Nordgau über die Donau in das römisch besetzte Gebiet eingefallen seien und alle römischen Soldaten in die Flucht geschlagen und "jämerlich erwürgt und villeicht in die Danau getriben und ertrenkt" hätten.

Die angebliche Römerstadt Mocenia, Aventin identifiziert sie mit Ober- und Untermotzing zwischen Pfatter und Straubing, wird von Aventin, der statt ERMOGENIANO nämlich PR MOCENIAN las, als Stätte des Geschehens und der Niederlage der Römer angegeben. Hinzu kommt noch, daß der Name Vindelicius nicht als Personenname, sondern als Völkername oder Landesbezeichnung gedeutet wurde.

Wirkung Aventins auf andere Forscher

Auch lange nach Aventin deutete man diese Grabinschrift als Quelle für die ruhmreiche Geschichte Vindeliciens oder Rätiens. Im Jahr 1546 verfaßte der Humanist A. Morillon sogar ein vierzeiliges Gedicht auf die Inschrift.

Der Regensburger Weihbischof Ernst Albert Graf v. Wartenberg brachte in seinem Manuskript "Ursprung und Herkommen der vormals herrlich und königlichen Hauptstadt Noreja ... anjetzo Regens-Burgg", 1688 neben den anderen Aventin Inschriften Aventins diese in fast wörtlicher Abschrift. Etliche Chronisten und Historiker nach Aventin hielten sich an dessen Darstellung der Inschriften; um nur einige zu nennen: Petrus Apianus (1495 - 1522), Mariangelo Accursius (1489- 1546), Marcus Welser (1558 - 1614), Georg Heinrich Paricius (1675 - 1725), Johann Carl Paricius (1705 - 1760) und Anselm v. Godin (1677 - 1742). Sogar Christian Gumpelzhaimer zweifelte 1830 in seiner Chronik "Regensburgs Geschichte, Sagen und Merkwürdigkeiten" nicht an der Richtigkeit des offensichtlich epi-graphisch belegten Überfalls der Deutschen auf die römische Besatzung und übernahm sogar die Vermutungen Aventins über die Herkunft des Namens "Surae und Surini":

"Der eine Stein ist von Surinus, welchen Namen ein altes Römisches Geschlecht zu Trajans Zeiten, der ohngefähr 100 Jahre nach Christi Geburt zu regieren angefangen führte, zum ewigen Gedächtniß an die Legion und die Krieger, so in Vindelizien erbärmlich umgekommen, sowie den Hauptleuten der Stadt Motzing und seinen beiden Söhnen Victor und Aurelius gesetzt gewesen, wobei Surinus seinen Schmerz in den Worten: Pater infelix ausgedrückt hat." Weiter heißt es dann: "Der Aufstände und Überfälle und Kriege mit den teutschen Völkern war kein Ende. Dem Teutschen verließ nie sein inneres Gefühl und er bemerkte wohl, daß die Römer sein Vaterland noch nicht und nie ganz bezwungen hatten." Und: "Der Niederlage bei Motzing folgten mehrere"!

Die Beweise dafür bleibt er begreiflicherweise schuldig. Erst Joseph von Hefner und dann vor allem H.G.v. Walderdorff traten dieser Ansicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entgegen: Sie versuchten Neulesungen der schwer lesbaren, in drei Teile gebrochenen Inschrift und legten so die Basis für die heute gültige Interpretation. Bemerkenswert ist jedoch, daß Plato-Wild schon 1776 in seinem Manuskript die Grabschrift fast in der korrekten Form entziffert hat.

Aventins Verdienste

Aventin ist auf alle Fälle der erste, der an Hand eines größeren Spektrums römischer Funde auf die Besetzung Südbayerns durch die Römer schloß:

"Solchs bezeugen noch heutigs tags die alten Römischen zerbrochen burgstibel, stein, schrift und münz, so noch täglich gesehen und erfunden werden, überall an der Donau und an der seyten gegen Südwerts".

Durch seine Interpretationen der Inschriften ist Aventin aber auch Irrtümern aufgesessen; so nahm er zum Beispiel auch aufgrund zweier Inschriften aus Regensburg (IBR 391, CIL III 5955 und IBR 358, CIL III 5942) an, daß die legio quarta Italica in Regensburg stationiert gewesen sei, denn er las LEG IIII ITAL statt LEG III ITAL.

Aventin äußerte sich allerdings auch durchaus kritisch zu den Regensburger Inschriften: Auf einen Sarkophagdeckel mit Eckbuckeln, der früher im Kreuzgang von St. Emmeram stand, wird eine Aurelia, die Frau eines P. Aelius Silvanus erwähnt (IBR 367, CIL III 5960). Aventin bemerkte dazu in seiner "Bayrischen Chronik": "Ein gueter läppischer ungelerter tumbherr hat ain andern stain oben auf den alten lassen setzen, maint es ligt alda ain alte heilige junkfrau, sant Aurelia g'nant." Und wirklich hatte Leutwein Gamried von Sarching 1352 das Hochgrab der Aurelia in St. Emmeram errichten lassen.

Heute kennt man ungefähr 120 römische Inschriften aus Regensburg. Aventins neun Entdeckungen waren der erste Schritt in der lateinischen Epigraphik in Regensburg. Dieser vielversprechende Anfang wurde in den Jahrhunderten nach Aventin allerdings kaum weiter-geführt, denn man stützte sich hauptsächlich auf Aventins Ergebnisse und ließ gelegentliche Neu-funde weitgehend unkommentiert.


Stand: VII 98

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