Reformation und Glaubenskriege (1517-1648)

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aventinus nova Nr. 10 (Sommer 2008) 

Sebastian Dregger  

Zwischen manischem Hexenglauben und Überwindung des frühneuzeitlichen Hexenwahns: Die anekdotenhafte Darstellung des Hexenwesens durch den Barockautor Johannes Prätorius (1630-1680) in dessen Hexenbuch „Blockes-Berges-Verrichtung“ (1668)

I. Einleitung 

Das Hexenbuch „Blockes-Berges-Verrichtung“ aus dem Jahre 1668 des Leipziger Barockautors Johannes Prätorius enthält zwar viele Geschichten und Details über das Hexenwesen, die später sogar Goethe als Vorlage für die Walpurgisnachszene im Drama „Faust“ [1] verwenden sollte, – doch es enthält keine eindeutigen Antworten auf die damals im 17. Jahrhundert nach wie vor drängenden und entscheidenden Fragen: Ist Hexerei ein real existierendes Phänomen? Und wenn ja: aus welchen Bestandteilen besteht dieses Phänomen? Ist Hexerei ein Delikt, welches strafrechtlich verfolgt werden muss? Und wenn ja, wie soll dies prozessrechtlich geschehen? Statt diese Fragen explizit zu stellen und zu behandeln, konfrontiert Johannes Prätorius die Leser seines Traktates mit einer Vielzahl undurchsichtiger und bizarrer Anekdoten über das Hexenwesen, die im Hinblick auf eine klare Beantwortung der gestellten Fragen wenig hilfreich sind. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass andere zeitgenössische Autoren des 17. Jahrhunderts, wissend um die Dringlichkeit des Themas, auf eindeutigere Weise zum Hexenwesen Stellung bezogen haben; wie etwa Friedrich Spee mit seiner „Cautio Criminalis“ (1631) oder Johann Meyfahrt mit seiner Schrift „Christliche Erinnerung an Gewalttätige Regenten und Gewissenhafte Praedicanten“ (1635). [2]

Der folgende Essay möchte diesen verwirrenden Befund zwischen der anekdotenhaften Detailfülle des Werkes einerseits und des geringen Aussagewerts der Anekdoten im Hinblick auf eine klare Position in der damaligen Diskussion über das Hexenwesen andererseits aufklären. Dabei wird als Ausgangspunkt zur Klärung des Befundes folgende These vertreten: Das Hexenbuch des Prätorius steht an einer historischen Wegscheide zum Beginn des letzten Drittels des 17. Jahrhunderts, in der zwei historische Tendenzen aufeinander treffen. Zum einen ein starker, detailversessener Hexenglaube, wie zum anderen Ansätze, die diesen Glauben in Frage stellen sollten und so letztlich zur Überwindung des frühneuzeitlichen Hexenwahns beigetragen haben. Beide Tendenzen lassen sich gleichzeitig exemplarisch in Prätorius’ Werk vorfinden und nachweisen – und verursachen so letztlich den skizzierten verwirrenden Befund. 

Um diese These plausibel zu machen, soll in einem ersten Schritt die Entstehungsgeschichte mit dem dazu passenden biographischen Hintergrund des Autors beschrieben werden. Dann in einem zweiten Schritt soll ein Überblick über den Aufbau sowie die zentralen Punkte des Werkes „Blockes-Berges-Verrichtung“ erfolgen, bevor dann schließlich, der Ausgangsthese folgend, diejenigen Elemente herausgearbeitet werden, die beides verdeutlichen: Prätorius’ manischen Hexenglauben sowie diejenigen Elemente, die diesen Glauben brechen und so den Weg ebnen für die Überwindung des damaligen Hexenwahns.

II. Hauptteil 

A. Die Entstehungsgeschichte des Werkes  

Prätorius’ Hexenbuch ist vor dem Hintergrund einer allgemeinen Krisenzeit entstanden, welche auch das Leben des Autors in mehrerlei Hinsicht geprägt hat. So ist zunächst der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 zu erwähnen, in dessen Verlauf die Hälfte der damaligen Bevölkerung in Mitteleuropa ihr Leben verloren hat und in den der Autor am 22.10.1630 in Zelthlingen im heutigen Sachsen-Anhalt hineingeboren wurde. [3] Nachdem schwedische Truppen 1636 den Geburtsort des späteren Barockautors besetzt hatten, musste er mit seiner Familie von dort fliehen. Der Besitz der Familie wurde vollends zerstört, so dass Prätorius’ Kindheit von den Verheerungen des Krieges unmittelbar geprägt war. [4] Daneben spielten unvorhersehbar sich ausbreitende Krankheiten und Seuchen eine fatale Rolle im Leben der damaligen Menschen. So fiel letztlich auch Johannes Prätorius in  Leipzig einer sich ausbreitenden Pest-Epidemie am 25.10.1680 zum Opfer; Leipzig: die Stadt, in der der Autor von 1652 ab an der dortigen Artistenfakultät studieren, alle seine Werke verfassen und bis zu seinem Tode wohnen sollte. [5] Begleiterscheinungen dieser wiederholt auftretenden Krisen ist eine weit verbreitete Endzeitstimmung über weite Teile des 17. Jahrhunderts hinweg, welche sich zum einen an einem vermehrten Interesse der Menschen an Zauberei, Hand- und Stirnlesekunst sowie Astrologie damals zeigte. Auch Prätorius beschäftigte sich intensiv mit diesen Phänomenen, zu denen er auch Bücher schrieb, wie etwa sein 1665 veröffentlichtes Werk: „Reformata Astrologia Cometica“. [6] Zum anderen aber suchten die Menschen nach Sündenböcken, die sie für die damaligen Konfessionsstreitigkeiten, Glaubenskriege, Krankheiten und Missernten verantwortlich machen konnten. In diesem Zusammenhang muss die damals in katholischen wie protestantischen Gebieten betriebene Hexenjagd [7] gesehen werden, welche im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts einen ihrer letzten Höhepunkt in den lutherischen Gebieten Schweden, Mecklenburg und Württemberg erlebte [8], wenngleich im 17. Jahrhundert sich auch die mit dem Jesuiten Friedrich Spee auf katholischer wie Johann Meyfahrt auf evangelischer Seite schärfsten Kritiker der von zumeist weltlichen Gerichten auf der Grundlage des damaligen Strafrechts betriebenen Hexenprozesse zu Wort melden sollten. Die Frage, ob der Lutheraner Prätorius Hexenprozesse in nächster Nähe erlebt hat, kann nicht zweifelsfrei beantwortet werden. Eine direkte Konfrontierung mit einem Hexenprozess wird weder in seinem Hexenbuch noch in der Sekundärliteratur erwähnt, so dass dies jedoch als unwahrscheinlich gelten kann.

B. Das Hexenbuch „Blockes-Berges-Verrichtung“ (1668) [9]

Das Buch des Prätorius fällt durch einige besondere Merkmale auf, die es zu berücksichtigen gilt, wenn man dessen Aussagen, das Hexenwesen betreffend, angemessen verstehen will.

Zunächst gilt es den unsystematischen, mehr assoziativen Aufbau des Werkes zu bedenken. Es gibt keine Einleitung, es gibt keinen Schlussteil. Das Traktat bricht einfach auf Seite 582 ab. Statt mit einer Einleitung beginnt der Autor sein Hexenbuch mit einem Reisebericht einer 15-köpfigen Gruppe, die den Blocksberg im Harz bestiegen hat und von der Schönheit und Unheimlichkeit des Berges überwältigt ist. Im nun folgenden 86-seitigen 1. Teil des Hexenbuches erfolgt eine topografische Beschreibung des Blocksberges, auf deren Grundlage der Autor eine Verbindung zwischen dem Hexenwesen und dem Berg im Harzgebirge konstruiert, um so klären zu können, weshalb der Blocksberg unheimlich auf die Menschen wirkt. Prätorius gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass der Blocksberg der wichtigste und häufigste Treffpunkt für Hexen in Deutschland sei, da sich der Teufel häufig in Gestalt eines Bockes auf dem Blocksberg zeige, was Prätorius aus dem Namen des Berges ableitet. Der Name Blocksberg leite sich nämlich von Bocksberg ab, und das Tier des Ziegenbockes sei diejenige Gestalt, in der sich der Teufel am liebsten manifestiere, was sich an der sexuellen Unersättlichkeit zeige, die für dieses Tier eigen sei und die aus der Verbindung mit dem Teufel stamme. [10]

Nachdem Prätorius aus der Namensgebung heraus dargelegt hat, warum der Blocksberg für das Hexenwesen so wichtig ist, wendet er sich anschließend im 2. Teil des Buches, welcher den kompletten Rest des Werkes umfasst, dem Hexenwesen als solchem zu, dessen Merkmale laut Prätorius in enger Verbindung zum Blocksberg stehen. Als erstes geht Prätorius der Frage nach, wie eine Person zur Hexe werden kann und was eine Hexe auszeichnet. [11] Zunächst sieht Prätorius in den persönlichen moralischen Lastern der Menschen den Grund dafür, warum Menschen anfällig für einen Bund mit dem Teufel werden können. Zu diesen Lastern gehören laut Prätorius: Unwissenheit, Unglaube, Zweifel an Gottes Hilfe und Beistand, Ungeduld, Rachgier, Unversöhnlichkeit, Geilheit, sexuelle Begierde, sowie die Liebe zum Fressen und Saufen. [12] Um aber letztlich zur Hexe zu werden, sei die Macht des Teufels unentbehrlich. Diese erst verleihe dem lasterhaften Menschen die Möglichkeit, zu einem bestimmten Ort zu bestimmten Zeiten auf Besen, Gabeln oder Tieren zu fliegen, um dort zusammen mit ebenso lasterhaften Menschen dem Teufel durch gemeinsamen Tanz und gemeinsame Buhlschaft zu huldigen und so auch vom Teufel die Kenntnisse und Techniken der Zauberei zu erlernen. [13] Für Prätorius gibt es also kein Hexenwesen ohne eine zentrale Lokalität, die gewissermaßen das Zentrum des Hexenwesens darstellt.  

Auf dieser Grundlage unternimmt der Autor ferner den Versuch, durch das Studium verschiedenster Quellen, diejenigen Länder und Orte in Mitteleuropa ausfindig zu machen, wo sich Hexen bevorzugt aufhalten. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass dies vor allem in Belgien, Lothringen, Deutschland, Kurland, Spanien, Erland, Römisch- oder Welschland sowie Gallien der Fall sei, wo jeweils durch Hexerei viele Schäden angerichtet worden seinen, wie etwa Unfruchtbarkeit, Geschlechtsveränderung, Bestienformung, Milchraub und Wettermachung. [14] Für jede dieser Regionen versucht Prätorius weiter, mit der Berufung auf lokale Autoren, einen bestimmten „Lieblingsversammlungsort“ der Hexen ausfindig zu machen, welcher für „Teutschland“ der Blocksberg im Harzgebirge sei. In diesem Zusammenhang erläutert Prätorius auch, dass es bestimmte lokale Variationen und Besonderheiten des Hexenwesens gibt, die es zu berücksichtigen gelte, wie etwa die verschiedenen Mittel, auf denen eine Hexe fliegen kann: Dies können sowohl Tiere (zum Beispiel Böcke,  Kälber, Wölfe, Katzen und Hunde) als auch leblose Gegenstände sein (zum Beispiel Gabeln, Schaufeln, Besen und Salben). [15]

Neben der zentralen Lokalität, die Prätorius für das Hexenwesen betont, widmet er sich schließlich der Frage, zu welchen Zeiten sich die Hexen bevorzugt auf dem Blocksberg treffen. Hier gelangt er zum Ergebnis, dass dies besonders häufig in den Nächten von Montag auf Dienstag und von Freitag auf Samstag der Fall sei, weil in den Quellen, die Prätorius studiert hat, sehr häufig diese Tagen angegeben wurden. [16] Die Zusammenkünfte werden jeweils mit dem Hahnenschrei am frühen Morgen  beendet, weil mit diesem die Menschen anfingen zu beten und der Satan dadurch an die Auferstehung Christi erinnert werde. [17]  Neben den allwöchentlichen Treffen gebe es aber noch einen außergewöhnlichen Tag im Jahr, an dem sich die Hexen zu einer besonderen Orgie mit dem Teufel auf dem Blocksberg träfen und die Prätorius ausführlich im letzten Abschnitt des 2. Teils seines Buches beschreibt: nämlich die Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai. In dieser Nacht träfen sich die Hexen mit dem Teufel auf dem Blocksberg, um die schönste Hexe auszuwählen, die dann mit dem Teufel vermählt werde. Laut Prätorius wünscht sich der Teufel deshalb diese Nacht, weil am 1. Mai das Fest der Heiligen Walpurga stattfinde und es dem Teufel gelungen sei, den Namen Walpurga in Blocksberg umzuwandeln. Darüber hinaus seien Anfang Mai Frauen besonders sexuell empfänglich und das Wetter zudem besonders günstig für orgiastische Zusammenkünfte zwischen dem Teufel und seinen Hexen. [18]  

C. Die Dämonologie des Johannes Prätorius 

Was folgt also aus der Darstellung des Hexenwesens in „Blockes-Berges-Verrichtung“ für die Dämonologie des Autors? 

1) Elemente des Hexenglaubens 

Auf der einen Seite zeichnet sich Prätorius’ Dämonologie durch einen starken, detailversessenen Hexenglauben aus. Was diesen Hexenglauben anbelangt, so finden sich in den Geschichten, die Prätorius in seinem Werke erzählt, alle fünf wesentlichen Bestandteile eines elaborierten Hexenbegriffes [19] wieder, der die Grundlage für das Hexereidelikt in der Frühen Neuzeit bildete: der Teufelspakt, die Teufelsbuhlschaft, der Hexenflug, der Hexentanz und der Schadenszauber, wobei der Schwerpunkt in den Schilderungen des Barockautors darin liegt, wie die Hexen zum Blocksberg fliegen – also dem Hexenflug – und welche Handlungen sie dort gemeinsam, vor allem in der Walpurgisnacht, begehen, um dem Teufel zu huldigen – also dem Hexentanz und der Teufelsbuhlschaft.

Zudem ist Prätorius von der Echtheit des Hexenwesens überzeugt; für ihn ist die Hexerei alles andere als bloße Einbildung. Dies folgt zum einen aus der Tatsache, dass Prätorius, um seinen Geschichten zusätzliche Glaubwürdigkeit zu verleihen, sich immer wieder auf im 17. Jahrhundert als allgemein anerkannte gelehrte Autoritäten bezieht, wie etwa Jean Bodin oder Heinrich Kramer, dem Autor des „Hexenhammers“ (Malleus Malificarum), die das Hexenwesen ebenfalls für eine reale Gefahr hielten. [20] Daneben nimmt Prätorius, um die reale Existenz des Teufels zu unterstreichen, immer wieder Bezug auf die Stellen im Neuen Testament [21], in denen geschildert wird, wie Jesus vom Teufel in Versuchung geführt wurde. Prätorius schließt daraus: Wenn selbst der Sohn Gottes vom Teufel in Versuchung geführt werden kann, dann muss es für den Teufel erst recht möglich sein, einfache Menschen zu verführen und mit ungeheuerlicher Macht auszustatten, wie etwa der Fähigkeit, auf Tieren oder Gegenständen fliegen zu können. [22]

Zusätzlich zeichnet sich der Hexenglaube des Prätorius durch seine besondere Anschaulichkeit aus. Das Hexenwesen und dessen Wirkungsmöglichkeiten erscheinen beim Barockautoren nie als abstrakte Größen. Vielmehr betont der Leipziger Autor in seinen Anekdoten, dass Hexerei auf verschiedene Arten möglich ist und dass ein großer Teil der Menschen aufgrund ihrer allzumenschlichen Laster potenzielle Kandidaten für ein Bündnis mit dem Teufel sind und dass sich somit niemand vor dem Hexenwesen sicher fühlen kann. Die Allgegenwärtigkeit des Hexenwesens betont Prätorius darüber hinaus, indem er darauf hinweist, dass das Hexenwesen ein gesamteuropäisches Phänomen darstellt, welches sich keineswegs nur auf bestimmte Regionen beschränkt vorfinden lässt. Vielmehr geht es Prätorius gerade, unter Berufung auf zahlreiche lokale Autoren, darum zu zeigen, wie weit verbreitet das Hexenwesen ist. Es bleibt also festzuhalten, dass Prätorius an die körperliche Existenz und reale Macht des Teufels glaubt und die Hexerei in diesem Zusammenhang ein realexistierendes Phänomen für ihn ist, welches schädlichen Einfluss auf die Menschheit ausübt. 

2) Elemente der Brechung des Hexenglaubens 

Allerdings weist das Werk „Blockes-Berges-Verrichtung“ ebenso eine Reihe von Besonderheiten auf, die geeignet sind, den starken Hexenglauben des Autors, welcher sich auf den ersten Blick in seinem Werk manifestiert, zu brechen und so zu relativieren.  

Zunächst ist bemerkenswert, dass in Prätorius’ Buch jede Art einer juristischen Betrachtungsweise der Hexerei fehlt. Obwohl das Hexenbild des Prätorius genau diejenigen fünf Elemente  umfasst, die die Grundlage des damaligen Hexereideliktes bildeten, fordert der Autor an keiner Stelle des Buches die strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung der Hexen. Auch fehlt im Buch jeder Hinweis auf die zeitgenössische Hexengerichtsbarkeit des 17. Jahrhunderts. Dies lässt sich durchaus als Infragestellung der damaligen Prozesspraxis gegenüber denjenigen Menschen interpretieren, die der Hexerei bezichtigt wurden; denn wenn Prätorius  tatsächlich auf der Seite der Hexenverfolger gestanden hätte, dann hätte er, wissend um seinen eigenen Hexenglauben, wohl kaum gezögert, die Notwendigkeit der Hexenprozesse zu betonen und zudem für eine harte Bestrafung derjenigen Personen zu plädieren, die nach den damaligen strafrechtlichen Maßstäben der Hexerei überführt worden waren. [23]

Daneben fehlt dem Buch auch jede konfessionell-theologische Betrachtungsweise des Hexenwesens. Dies zeigt sich zum einen daran, dass Prätorius wahllos Anekdoten und Argumente für sein Buch von katholischen, protestantischen – lutherischen wie reformierten – und heidnischen Autoren sowie Befürwortern und Gegnern der Hexengerichtsbarkeit übernimmt, ohne für eine bestimmte Sichtweise explizit Partei zu ergreifen. [24] Auch unterlässt der Barockautor jede theologische Beschreibung und moralische Verurteilung des Hexenwesens, indem er etwa die Vorgänge auf dem Blocksberg als Sünde, Frevel, Abfall von Gott, Gotteslästerung, Ketzerei oder mit anderen theologischen Topoi deutet. Nur einmal diskutiert Prätorius die Frage, wie sich die Allmacht Gottes mit dem Hexenwesen und der damit zusammenhängenden großen Machtfülle des Teufels vereinbaren lässt. Dabei rechtfertigt Prätorius das Hexenwesen, indem er darauf verweist, dass Gott dieses zu bestimmten Zeiten zulasse, um sündige Menschen zu bestrafen. [25]

Prätorius’ Werk fällt zudem durch eine besondere barocke Weitschweifigkeit und  Anekdotenhaftigkeit auf, die bereits Heinrich Heine monierte, als er urteilte: „Der Inhalt des Buches ist ein Wust von Unsinn, aufgegabeltem Aberglauben, maulhängkolischen und affenteuerlichen Historien und gelehrten Zitaten, Kraut und Rüben.“ [26] Dabei liegt gerade in den skurrilen Details und in der Vielzahl der Anekdoten der eigentliche Verdienst Prätorius’. Denn ihm ist es wohl als Erstem gelungen, dass zeitgenössische Hexenwesen für die literarische Verwertung und Umsetzung in Form von Schauergeschichten zu entdecken, in denen es dem Barockautor auf geschickte Weise gelingt, volkstümliche Vorstellungen mit allgemeinen Aussagen gelehrter Autoren zum Thema „Hexerei“ zu verbinden. Deshalb kann Prätorius zu recht als Wegbereiter des Hexen- und Schauerromans als literarischem Genre gesehen werden, in dem es vor allem durch eine szenen- und bildhafte Schilderung des Hexenwesens darum geht, die Phantasie der Leser zu befriedigen. [27] Die bewusst reißerische Darstellung des Themas dürfte auch sicherlich deshalb gewählt worden sein, um die kommerziellen Erfolgschancen des Buches zu erhöhen, die für Prätorius als freien Schriftsteller nicht unwichtig waren. [28] Innerhalb dieses literarischen Genres wird also die Hexerei nicht mehr so sehr als reales Problem betrachtet, sondern vielmehr als Projektionsfläche für die obszönen Phantasien der Leser dieses Genres.

Was zudem die Wirkung des Hexenbuches des Prätorius anbelangt, so wurde das Kompendium über das Hexenwesen des Barockautors vor allem von Literaten späterer Generationen wirkmächtig rezipiert, wohingegen es bei den zeitgenössischen Dämonologen keine größere Bedeutung erlangen sollte – sei es, um die Verfolgung der vermeintlichen Hexen zu rechtfertigen, sei es, um für die Einstellung der Hexenprozesse zu plädieren. Die Literaten hingegen verwendeten das Buch „Blockes-Berges Verrichtung“ als Fundgrube für Sagen und abergläubischen Volksglauben, das Phänomen der Hexerei betreffend. Am bekanntesten dürfte Goethes Adaption des Blocksberges in der Darstellung der Walpurgisnacht im Drama „Faust“ sein. Aufgrund der Wirkung, die spätere Autoren, hier vor allem Goethe und die Gebrüder Grimm in ihrer Märchensammlung, mit ihren Werken bei einem breiten Publikum hatten, gehen bis heute viele gängige Vorstellungen und Clichés, das Hexenwesen betreffend, (etwa, dass Hexen auf Besen reiten) auf Prätorius’ Darstellung dieses Phänomens zurück.  

Es bleibt also ebenfalls festzuhalten, dass Prätorius das Hexenwesen nicht mehr als ein straf- und verfolgungswürdiges Phänomen betrachtet, sondern vielmehr als ein Thema, welches sich sehr gut für das Verfassen reißerischer Schauergeschichten eignet.  

III. Fazit 

Was also Prätorius’ Position innerhalb des 17. Jahrhunderts bezüglich des Hexenwesens auf der Grundlage seines Hexenbuches „Blockes-Berges-Verrichtung“ anbelangt, so ist es zutreffend, dass Prätorius von der realen Existenz sowie von der verderblichen Macht des Hexenwesens überzeugt war. Allerdings stellt sich die Frage, wie ernst diese Position letztlich zu nehmen ist; schließlich diente die reißerische und skurrile Darstellung des Hexenwesens vor allem der Unterhaltung der Leser. Es ist sicher auch zutreffend, dass Prätorius in seinem Werke weder das Hexenwesen als strafwürdiges Delikt betrachtet, welches unbedingt von der weltlichen Obrigkeit juristisch verfolgt werden müsse, noch theologisch verurteilt. Allerdings spricht sich der Autor auch nicht explizit gegen die zeitgenössische Hexengerichtsbarkeit aus, zumal es zusätzlich zu bedenken gilt, dass Prätorius’ Hexenbild genau diejenigen fünf Elemente enthält, welche auch dem Delikt der Hexerei zugrunde lagen. Prätorius kann also weder als eindeutiger Befürworter noch als eindeutiger Gegner der damaligen Hexengerichtsbarkeit bezeichnet werden.

Vielmehr lässt sich an seinem Werke exemplarisch verdeutlichen, wie fragmentarisch und widersprüchlich derjenige Prozess verlief, der letztlich zur Überwindung des frühneuzeitlichen Hexenwahns führte und an dessen Beginn auch  Prätorius’ Hexenbuch steht: Einerseits zeigt das Buch, anhand der vielen volkstümlichen Anekdoten sowie der gelehrten Zitate, wie weit verbreitet und selbstverständlich der Stereotyp und Sündenbock „Hexe“ im 17. Jahrhundert war. Durch die skurrile, oft an das Absurde grenzende Darstellung der einzelnen Anekdoten im Hexenbuch des Johannes Prätorius zeigt sich andererseits aber auch exemplarisch, dass nach dem Dreißigjährigen Kriege im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts dieser Stereotyp und Sündenbock langsam seine Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft verliert. [29] Statt einer realen und existenziellen Bedrohung für Leib und Leben der Menschen wird das Hexenwesen von nun an vor allem ein Sujet für fiktive Schauergeschichten sein.  

IV. Literaturverzeichnis 

Becker, Thomas P., Mythos Walpurgisnacht, 2007, http://members.aol.com/tombeee/hexverf/walpurgis.html

Behringer, Wolfgang, Meinungsbildende Befürworter und Gegner der Hexenverfolgung (15. - 18. Jahrhundert), in: Helfried Valentinitsch (Hg.), Hexen und Zauberer [Ausstellungskatalog Riegersburg, Landesausstellung Steiermark], Graz (Leykam) 1987, S. 219-237. 

Die Bibel, Einheitsübersetzung, 1. Auflage, 1980. 

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Heine, Heinrich, Elementargeister, in: Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Herausgegeben von Hans Kaufmann, Berlin und Weimar 1972. Bd. 5, S. 310-374, Erstveröffentlichung des Textes: 1837. 

Henning, Hans, Johannes Praetorius und sein Hexenbuch von 1668, in: Johannes Praetorius, Blockes-Berges Verrichtung – Mit einer Einführung, 1968, S. I-XXV. 

Jordan, Stefan, Praetorius, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 20, S. 667-668.  

Prätorius, Johannes, Blockes-Berges-Verrichtung – Mit einer Einführung von Hans Henning, Nachdruck der Originalausgabe von 1668, Weimar, 1968. 

Roper, Lyndal, Witchcraft and the Western Imagination, in: Transaction of the RHS 16 (2006), pp. 117-141. 

Trevor Roper, Hugh, The European Witch-Craze of the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: ders.: The European Witch-Craze of the Sixteenth and Seventeenth Centuries and Other Essays, 1969, pp.90-192.

Voltmer, Rita, Prätorius Johannes (1630-80), in: Richard M. Golden (Hg.), Ecyclopedia of Witchcraft, The Western Tradition, Volume 3, K-P, Santa Barbara, Denver und Oxford 2006, S. 929-930. 

Voltmer, Rita, Vom getrübten Blick  auf die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen, in: Magister Botanicus Magische Blätter 7, 2005, S. 61-72. Onlineversion: http://fowid.de/fileadmin/textarchiv/Hexenverfolgungen__Rita_Voltmer___TA-2006-12.pdf

Waibler, Helmut, Johannes Prätorius (1630-1680). Ein Barockautor und seine Werke, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 20, 1979, S. 953-1151. 

Anmerkungen

  • [1]

     Johann Wolfgang Goethe, Faust – Der Tragödie Erster Teil, S. 112-122, Reclam-Ausgabe 2001, Grundlage der Reclam-Ausgabe: J.G. Cotta (Hg.), Goethe’s [sic] Werke, Stuttgart/Tübingen, 1828.

  • [2]

     Einen Überblick über die meinungsbildenden Autoren der Zeit, das Hexenwesen betreffend, bietet: Wolfgang Behringer, Meinungsbildende Befürworter und Gegner der Hexenverfolgung (15. - 18. Jahrhundert), in: Helfried Valentinitsch (Hg.), Hexen und Zauberer [Ausstellungskatalog Riegersburg, Landesausstellung Steiermark] , Graz (Leykam) 1987, S. 219-237.

  • [3]

     Helmut Waibler, Johannes Prätorius (1630-1680). Ein Barockautor und seine Werke, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 20, 1979, S. 955.

  • [4]

     Stefan Jordan, Praetorius, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 20, S. 668.

  • [5]

     Waibler, aaO, S. 961.

  • [6]

     Weibler, aaO, S. 962.

  • [7]

     Einen Überblick über die Entwicklung der Hexengerichtsbarkeit sowie eine Korrektur weit verbreiteter Fehlinformationen und Fehldeutungen zu diesem Thema enthält folgender Artikel: Rita Voltmer, Vom getrübten Blick  auf die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen, in: Magister Botanicus Magische Blätter 7, 2005, S. 61-72. Onlineversion: http://fowid.de/fileadmin/textarchiv/Hexenverfolgungen__Rita_Voltmer___TA-2006-12.pdf   

  • [8]

     Hugh Trevor Roper, The European Witch-Craze of the Sixteenth and Seventeenth Centuries, S. 170-171, in: ders.: The European Witch-Craze of the Sixteenth and Seventeenth Centuries and Other Essays, 1969.

  • [9]

     Alle Angaben, das Hexenbuch des Prätorius betreffend, beziehen sich auf folgende Ausgabe: Johannes Prätorius, Blockes-Berges-Verrichtung – Mit einer Einführung von Hans Henning, Nachdruck der Originalausgabe von 1668, Weimar, 1968.

  • [10]

     Johannes Prätorius, Blockes-Berges-Verrichtung, S. 50-56; S. 82-86.

  • [11]

     Auch Männer können nach Ansicht des Barockautors  zum Hexer werden. Allerdings glaubt Prätorius, dass Frauen dafür anfälliger seien, weil sich der Teufel lieber mit dem „schwachen Geschlecht“ verbünde. Ebd., S. 123-135.

  • [12]

     Ebd., S. 188-200.

  • [13]

     Ebd., S. 294-311.

  • [14]

     Ebd., S. 257-270.

  • [15]

     Ebd., S. 294-311.

  • [16]

     Ebd., S. 479-495.

  • [17]

     Ebd., S. 520.

  • [18]

     Ebd., S. 513-520.

  • [19]

     Wolfgang Behringer, Meinungsbildende Befürworter und Gegner der Hexenverfolgung (15. bis 18. Jahrhundert), S. 219; Rita Voltmer, Vom getrübten Blick auf die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen, Onlineversion, S. 2. http://fowid.de/fileadmin/textarchiv/Hexenverfolgungen__Rita_Voltmer___TA-2006-12.pdf

  • [20]

     Rita Voltmer, Prätorius Johannes (1630-80), S. 930, in: Richard M. Golden (Hg.), Ecyclopedia of Witchcraft, The Western Tradition, Volume 3, K-P, Santa Barbara, Denver und Oxford 2006, S. 929-930.

  • [21]

     Matthäus-Evangelium 4, 1-11; Lukas-Evangelium 4, 1-13.

  • [22]

     Johannes Prätorius, Blockes-Berges-Verrichtung, S. 203.

  • [23]

     Hans Henning, Johannes Praetorius und sein Hexenbuch von 1668, S. XIX, in: Johannes Praetorius, Blockes-Berges Verrichtung – Mit einer Einführung, 1968.

  • [24]

     Johannes Prätorius, Blockes-Berges-Verrichtung, S. 143-145. Hier zählt Prätorius überblicksartig diejenigen Autoren auf, die für sein Werk besonders wichtig sind.

  • [25]

     Ebd., S. 479-495.

  • [26]

     Heinrich Heine, Elementargeister, S. 327, in: Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Herausgegeben von Hans Kaufmann, Berlin und Weimar 1972. Bd. 5, S. 310-374, Erstveröffentlichung des Textes: 1837. Es gilt zu bedenken, dass dieses Zitat sich nicht direkt auf das Werk „Blockes-Berges Verrichtung“ bezieht, sondern auf das 1666 erschiene Buch „Anthropodemus plutonicus oder neue Weltbeschreibung von allerlei wunderbaren Menschen“ gemünzt ist.  Allerdings ist es ebenso treffend für das Buch „Blockes-Berges Verrichtung.“

  • [27]

     Lyndal Roper, Witchcraft and the Western Imagination, S. 128-138, in: Transaction of the RHS 16 (2006), pp. 117-41.

  • [28]

     Thomas P. Becker, Mythos Walpurgisnacht, 2007, http://members.aol.com/tombeee/hexverf/walpurgis.html

  • [29]

     Zu diesem komplizierten und vielschichtigen Prozess: Hugh Trevor Roper, The European Witch-Craze of the Sixteenth and Seventeenth Centuries, S. 165-172.

Empfohlene Zitierweise

Dregger, Sebastian: Zwischen manischem Hexenglauben und Ueberwindung des frühneuzeitlichen Hexenwahns: Die anekdotenhafte Darstellung des Hexenwesens durch den Barockautor Johannes Praetorius (1630-1680) in dessen Hexenbuch „Blockes-Berges-Verrichtung“ (1668). aventinus nova Nr. 10 (Sommer 2008), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7824/

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Erstellt: 28.05.2010

Zuletzt geändert: 29.05.2010

ISSN 2194-1963