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aventinus recensio Nr. 41 [28.02.2014] 

Andreas Eder 

Christoph Nonn: Das 19. und 20. Jahrhundert (=Orientierung Geschichte), Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh Verlag 22009. 252 Seiten. 17,90 €. ISBN 978-3-8252-2942-9.

 

Einführungswerke und Überblicksdarstellungen werden für Studierende der neuen Studiengänge immer wichtiger. Die kurze Zeit des Studiums erfordert ein schnelles Erfassen der wesentlichen Aspekte einer Epoche. Vor diesem Hintergrund will die Reihe „Orientierung Geschichte“ einen „Überblick über das große Feld der Geschichtswissenschaften“ (S. 7) ermöglichen. Auf knappem Raum möchte Christoph Nonn die zentralen Aspekte der europäischen Geschichte zwischen 1789 und 1991 darstellen. Schon im Vorwort wird deutlich, dass bewusst Schwerpunkte gesetzt wurden und dadurch auch manche Themen nur hintergründig behandelt werden können. In sieben Kapiteln untersucht Nonn „Phänomene und Entwicklungen, die in [seinen] Augen den spezifischen Charakter der Epoche des 19. und 20. Jahrhunderts in Europa ausmachen“ (S. 9). 

Das Buch ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern folgt einer systematischen Ordnung. Nonn definiert seinen eurozentrischen Untersuchungszeitraum vom Anfang des langen 19. bis zum Ende des kurzen 20. Jahrhunderts. Im ersten Kapitel widmet er sich der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Europäisierung der Welt, ihren Phasen und Ausprägungen. Es folgt die Industrialisierung mit der eingehenden Fragestellung was diese eigentlich ausmache (Sektoraler Wandel, Häufung technischer Neuerungen, starkes Wirtschaftswachstum). Ihre Voraussetzungen und verschiedenen geographischen Ausprägungen sind ebenso Teil der Analyse wie die Frage, welcher Begriff für das Phänomen angebracht ist. Ausführlich geht Nonn im dritten Kapitel auf den Gesellschaftswandel (allerdings beschränkt auf das 19. Jahrhundert) ein: Beschleunigung, Bevölkerungsexplosion und Wandel von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft sind wichtige Untersuchungsfelder. Weiter beschreibt er die Französische Revolution als erste moderne Revolution und ihre Nachwirkungen und beleuchtet außerdem die sich festigenden Ideologien des Liberalismus, Konservatismus und Sozialismus. Dem Kampf der Demokratien gegen die Ideologien des Faschismus und Kommunismus im kurzen 20. Jahrhundert (1918-1991) ist das sechste Kapitel gewidmet. Das letzte Kapitel ist gleichzeitig auch das längste. Hier geht Nonn näher auf den Nationalismus und die Konstruktion der Nation ein. Auf die Frage ob der Nationalismus im späten 20. Jahrhundert wieder erstarkt oder im endgültigen Niedergang begriffen ist antwortet Nonn mit der Feststellung, dass die Idee der Nation dauerhaft sei und auch der Europäischen Union Grenzen aufzeige. 

In vielen Unterkapiteln wirft Nonn eingangs Fragen auf um seine Vorgehensweise zu strukturieren. Diese werden dann am Ende des jeweiligen Kapitels beantwortet. Generell zeigt er Kausalzusammenhänge auf und lässt Fakten in den Hintergrund treten. Vor allem im Kapitel über die Ideologien, in welchem die Entstehungsgeschichten und Entwicklungen selbiger verständlich erläutert werden, macht diese Vorgehensweise die Ausführungen sehr lesenswert. Die trennscharfe Gliederung, die kurzen Absätze und vor allem die Absatzüberschriften an der Seite erhöhen die ohnehin schon gute Lesbarkeit. Zusammenfassungen am Ende von Unterkapiteln und vereinzelte Definitionen machen den Text auch einem nicht sehr leseerprobtem Publikum erschließbar. Teilweise benutzt Nonn außerdem eine unterhaltsame Sprache, zum Beispiel wenn er darüber nachdenkt warum sich Historiker dafür interessieren, was in fremden Betten passiere (vgl. S. 80). Das Buch wird ergänzt durch (nicht immer hilfreiche) Grafiken, Bilder und Karikaturen. Häufig bezieht Nonn diese in seine Argumentation mit ein.

Der beschworene „Mut zur Lücke“ (S. 8) der Reihe wird stellenweise auch bei Nonn deutlich. Um das Buch nicht über die 252 Seiten hinaus anwachsen zu lassen, war es wohl unmöglich alle Aspekte des 19. und 20. Jahrhunderts einzubeziehen. So liest sich das Buch mit Ausnahme der letzten beiden Kapitel eher wie eine Darstellung alleine des 19. Jahrhunderts mit eher sporadischen Bezügen zum 20. Jahrhundert. Im Kapitel über den Gesellschaftswandel kommt das 20. Jahrhundert fast gar nicht zur Sprache. Gerade hier aber hätten interessante gesellschaftliche Phänomene (zum Beispiel die 20er Jahre oder die Umwälzungen in den 1960er Jahren) die Darstellung bereichern können. Auch über Liberalismus, Konservatismus und Sozialismus im 20. Jahrhundert hätte Nonn wenigstens ein paar Sätze verlieren können. So stellt er diese aber als alleinige Phänomene des langen 19. Jahrhunderts dar, die mit dem Ersten Weltkrieg verschwinden. Ob man aber beispielsweise wirklich vom „Ende der Geschichte des Liberalismus“ (S. 141) mit Beginn des 20. Jahrhunderts sprechen kann, nur weil dieser keine bestimmende Rolle mehr spielt, bleibt fraglich. 

Das Buch ist besonders für Studierende niedriger Semester bzw. Interessierte anderer Fächer geeignet. Nonn schafft es, mit verständlicher und unterhaltsamer Sprache einen Überblick über vor allem das 19. Jahrhundert zu geben. Forschungsdebatten werden, wenn überhaupt, nur oberflächlich erläutert. Jedes Kapitel schließt mit einer knappen Literaturangabe und die Bibliographie am Ende des Buches führt noch einmal einige Einführungswerke und Handbücher an. Auf Anmerkungen (abgesehen von zwölf Endnoten) verzichtet Nonn ebenso wie auf das Besprechen von Textquellen. 

Großer Kritikpunkt muss der (bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel Anderson, Hroch, Schieder) Verzicht auf Nennung von Forschern und Debatten sein. Schon in der Vorbemerkung wirkt es so, als ob die Theorie der kurzen und langen Jahrhunderte von allen Forschern bedenkenlos akzeptiert würde. Probleme solcher Kategorisierungen thematisiert Nonn nicht. Häufig wird nur von „anderen Historikern“ (S. 90) oder einer „Mehrheit der Experten“ (S. 191) gesprochen anstatt diese klar zu benennen. Auch die Ansicht, es hätte einen „bis zur letzten Konsequenz vorangetriebenen Absolutismus“ (S. 110) gegeben, wird schon lange nicht mehr von allen Historikerinnen und Historikern geteilt. Hier hätte Nonn Gelegenheit gehabt, in dieser zweiten Auflage nachzubessern. Auch Anfängern und Studierenden niedriger Semestern ist zuzutrauen, Forschungsdebatten erfassen und nachvollziehen zu wollen. Außerdem lässt Nonns Neigung, Schlagwörter und Fachbegriffe nur in Anführungszeichen zu zitieren (ohne Angabe ihrer Herkunft), anstatt ihr Zustandekommen und ihre Bedeutung zu problematisieren, den Text phasenweise ungenau wirken. Welche Schwierigkeiten bei Begriffen wie „ethnischer Säuberung“ (S. 219) oder „Humankapital“ (S. 51) automatisch entstehen, lässt Nonn offen, denn er macht sich nicht die Mühe diese zu erklären. Hierzu hätten auch die grauen Definitionsboxen herhalten können, die in ihrer geringen Anzahl so im Buch eher zufällig wirken.

Insgesamt kann das Buch als empfehlenswerte Lektüre für Studierende niedriger bis mittlerer Semester empfohlen werden. Nonn schafft es trotz einiger Kritikpunkte die Balance zwischen Überblick und sinnvollem Detailwissen zu halten, ohne sich in Fakten zu verlieren. Klare Struktur und Sprache und eine systematische Gliederung machen den Text gut zugänglich und einfach verständlich. Das Buch eignet sich besonders, um Hintergrundwissen zu erlangen oder zu vertiefen. Der Schwerpunkt liegt klar auf dem 19. Jahrhundert (anders als der Titel impliziert), weswegen es vielleicht sinnvoller gewesen wäre, mehr Platz einzuplanen oder zwei einzelne Bände zu erstellen um das 20. Jahrhundert noch stärker zu betrachten. Das Preis-Leistungs-Verhältnis kann gerade noch als gut bewertet werden, vor allem wenn die elektronische Version beim Verlag bezogen wird.

Empfohlene Zitierweise

Eder, Andreas: Rezension Christoph Nonn: Das 19. und 20. Jahrhundert (=Orientierung Geschichte), Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh Verlag 22009. 252 Seiten. 17,90 €. ISBN 978-3-8252-2942-9.. aventinus recensio Nr. 41 [28.02.2014], in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9844/

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Erstellt: 01.03.2014

Zuletzt geändert: 01.03.2014

ISSN 2194-2137

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