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aventinus recensio Nr. 22 [13.01.2011] / PerspektivRäume Jg. 1 (2010) H.2, S. 168-172 

Florian Grumblies 

Gideon Botsch u.a. (Hrsg.): Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa (=Haskala – Wissenschaftliche Abhandlungen Bd. 44). Georg Olms Verlag: Hildesheim, 2010. 348 Seiten. ISBN: 978-3-487-14438-2. 29,90 Euro 


Als konstitutives Element und tragende Säule nationalsozialistischer Ideologie und Politik fungierte der sich im 19. Jahrhundert aus der religiös motivierten Judenfeindschaft entwickelnde Antisemitismus. Bereits 1919 skizzierte Hitler die direkt in den Holocaust mündende, aus seiner Sicht notwendige Weiter­entwicklung des Antisemitismus. An die Stelle des gefühlten Judenhasses seiner Anhänger trat „ein Antisemitismus der Vernunft“, eine Politik zur „gesetzlichen Bekämpfung und Beseitigung“ der Juden. [1] Bis heute ist Judenfeindschaft in all ihren Formen und Ausprägungen das Erkennungszeichen schlechthin für rechtsextreme Bewegungen und Gruppierungen im In- und Ausland. Rechts­extremismus und antisemitisches Gedankengut stehen damit in einem vielschichtigen symbiotischen Verhältnis zueinander, das der gemeinsamen Erklärung von Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung bedarf.

Neue Einblicke in die Ursprünge, Entwicklungen und Wandlungen des Antisemitismus der radikalen Rechten Europas zeigt ein jüngst erschienener Sammelband. Unter dem treffenden Titel »Politik des Hasses« versammeln die Herausgeber Vorträge dreier interdisziplinärer Colloquien zur Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung des Moses Mendelsohn Zentrums an der Universität Potsdam. Die sich in vier Kapitel gliedernden Beiträge beschäftigen sich mit Traditionen, Motiven und jüdischen Reaktionen auf Judenfeindschaft vor 1933, dem nationalsozialistischen Judenhass, dem Antisemitismus und Rechts­extremismus nach 1945 sowie den internationalen Dimensionen dieses Phänomens. Ausnahmslos beziehen sich die Beiträge auf neuzeitliche, sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufbauende Gefüge des Antisemitismus. Der religiöse Antijudaismus des Mittelalters und der Frühen Neuzeit findet aufgrund des thematischen Zuschnitts in den durchweg ansprechend formulierten und in ihrer Bandbreite und Tiefe abwechslungsreich gestalteten Aufsätzen nur am Rande Erwähnung. 

In dem ersten Themenblock richtet sich der Blick zunächst auf die bemerkenswerte Kombination aus Judenfeindschaft und antichristlicher Religions­kritik im sich an vorchristlichen archaischen Kulten orientierenden Neuheidentum des 19./20. Jahr­hunderts. In den romantisch bzw. rationalistisch interpretierten Hexenbildern dieser – später auch von Heinrich Himmler – hofierten Glaubens­strömung weist Felix Wiedemann überzeugend einen klaren Bezug zum Anti­semitismus nach. Das Neuheidentum assoziierte die Verfolgung der Hexen, die aus romantischer Sicht einer vorchristlichen germanischen Tradition entstammten, zwar mit dem Christentum, erblickte ihren Ursprung und andere negative Auswüchse des Christentums aber in der monotheistischen jüdischen Herkunfts­religion. Dieser antichristliche Antisemitismus lässt sich auch nach 1945 im Hexenrekurs völkisch beeinflusster Esoteriker und bei Anhängern des linksorientierten spirituellen Feminismus der 70er Jahre finden. 

Weitere Beiträge des Sammelbands befassen sich mit der antisemitischen Wochenzeitung »Die Wucherpille« aus Mainz und mit der Deutung und Funktion der „Judenzählung“ in der Wirtschaft sowie mit dem zunehmenden Anti­semitismus im bayerischen Landtag nach 1871, bei dem sich insbesondere Georg Ratzinger, ein Großonkel des Papstes Benedikt XVI, hervortat. Demgegenüber fokussieren zwei andere Studien in einem deutsch-britischen Vergleich die Haltung zu Demokratie und Judentum bei der katholischen Rechten und die Reaktionen der jüdischen Gemeinden beider Länder angesichts des gesteigerten, transnational agierenden Antisemitismus vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Beide Gemeinden versuchten sich angepasst zu verhalten und traten gleichzeitig antisemitischen Vorwürfen öffentlichkeitswirksam entgegen. Doch konnten in Deutschland radikale Antisemiten auf Strukturen und Vorkriegs­netzwerke zurückgreifen, ihre Agitation beständig ausweiten und damit – anders als in England – ein Klima antisemitischer Gewaltbereitschaft erzeugen, welches geradewegs in den Nationalsozialismus führte.

Dass Antisemitismus in dieser Zeit nicht nur eine Angelegenheit der Rechten war, sondern sich bei deutschen Kommunisten mitunter mit dem Antikapitalismus und sogar dem Antifaschismus verband, sucht Olaf Kistenmacher in seiner Analyse der kommunistischen Tageszeitung »Rote Fahne« der Jahre vor 1933 aufzuzeigen. Das Zentralorgan der Kommunistischen Partei reproduzierte in seiner Berichterstattung über die Nationalsozialisten immer wieder antisemitische Stereotype. Obgleich Antisemitismus in der Parteipolitik offiziell verpönt war, fand sich das nationalsozialistische Klischee vom jüdischen Kapitalisten in der Zeitschrift ebenso, wie der aus heutiger Sicht fern liegende, weitergehende Vorwurf an das jüdische Kapital, die Nationalsozialisten zu unterstützen. Einschränkend räumt der Autor ein, dass die Stereotype in den Artikeln wohl keine praktischen Auswirkungen gehabt hätten. Außerdem seien die Polemiken nicht gegen das Judentum per se, sondern – im Unterschied zu den „armen Juden“, die dem Proletariat zugerechnet wurden – nur gegen die „reichen Juden“ als Teil des Kapitals gerichtet gewesen. Die vom Autor zunächst auf eine erweiterte Stufe gestellte These vom linken Antisemitismus dieser Zeit wird damit wieder etwas relativiert. Dessen ungeachtet stellt der Beitrag vollkommen zu Recht ein weiteres Beispiel für die gesellschaftliche Verbreitung antisemitischer Stereotype in der Weimarer Republik dar, die auch vor dem linken Parteienspektrum nicht Halt machte. 

Das Kapitel zum Antisemitismus in der Zeit des Nationalsozialismus beginnt mit einem Beitrag von Sascha Howind über die erzwungene Herstellung von Gleichheit in der „Volksgemeinschaft“. Entgegen der materialistischen These von Götz Alys „Volksstaat“ und anderer Historiker wie z.B. Norbert Frei, die im Nationalsozialismus eine „soziale Revolution“ ausmachten, konstatiert Howind vielmehr eine den gesellschaftlichen Wandel begleitende illusionäre NS‑Sozial­propaganda. Die Entrechtung der Arbeiterschaft bei gleichzeitiger symbolhafter Verkörperung des NS-Volkswohls durch Gründung der Organisation »Kraft durch Freude« der DAF im Jahre 1933 sind Teile dieser Politik. Explizit wird dabei den Juden die Schuld an den sozialen Problemen gegeben, die erst ein deutscher Fürsorgesozialismus beheben könne. 

Weitere Beiträge behandeln den Antisemitismus in NS-Schulbüchern, die „Entjudung“ der evangelischen Kirche in Lübeck oder die sowjetische Bericht­erstattung über die Reichspogromnacht und setzen sich kenntnisreich mit den Anschlägen auf Pariser Synagogen von 1941 und der Errichtung eines völkischen Denkmals für den Antisemiten Theodor Fritsch auseinander.  

Eingeleitet wird der Themenblock zum Rechtsextremismus nach 1945 mit einem sprachlich und analytisch gelungenen Beitrag von Christian Mentel über die revisionistische Publizistik zum Protokoll der Wannsee-Konferenz, dem wichtigsten überlieferten Dokument über die Planung des Holocaust. Fachkundig und mit vielen Beispielen widerlegt er die apologetischen Thesen der rechts­extremen Publikationen und dekuvriert ihre Intentionen und Techniken, das Wannsee-Protokoll als Produkt einer „jüdischen Weltverschwörung“ erscheinen zu lassen. 

In den zwei folgenden Aufsätzen werden anhand empirischer Erhebungen neue Erkenntnisse zum latenten Antisemitismus und zu den sozioökonomischen Determinanten für rechtsextreme Einstellungen präsentiert. Die Studien kommen zu dem Ergebnis, dass der bisher angenommene Bevölkerungsanteil von 20% Antisemiten zu gering ausfällt. Darüber hinaus fänden sich rechtsextreme Einstellungen stärker bei Personen, die sich im Lebensstandard relativ benach­teiligt fühlen oder die ökonomische Situation ihres Landes als schlecht bewerten würden. Die vielfach in den Medien und der Politik formulierte Kohärenz von Arbeits­losigkeit und Rechtsextremismus bestätigte sich indessen nicht. Das Kapitel abschließend, verwirft Julia Stegmann nach ihrer Analyse über populäre Spielfilme wie »Kombat Sechzehn« (2005) und »Führer Ex« (2002), in denen neofaschistische Gewalt behandelt wird, die Annahme, diese Filme beförderten die öffentliche Auseinandersetzung mit neofaschistischen Ideologien. Demnach dürfte auch die Bewerbung des Films »Kombat Sechzehn« mit Unterrichts­materialien durch die Bundeszentrale für Politische Bildung, wie die Autorin selbst bemerkt, nicht zur sinnvollen Aufklärung beitragen.

Das Schlusskapitel eröffnet ein Text von Christoph Busch über die transnationale Vernetzung der radikalen Rechten. Ausgehend von der Unter­suchung und Darstellung der für eine Vernetzung infrage kommenden Ideologeme und der Bewegungsstrukturen attestiert Busch, dass unter anderem der Ultranationalismus der Rechten eine stärkere Vernetzung verhindert und sich damit auf absehbare Zeit keine transnationale rechtsextreme Bewegung organisiert. 

Nach Beiträgen über die intellektuellen Netzwerke des außer­parla­mentarischen Rechtsextremismus im postsowjetischen Russland und dem in Ungarn aktuell grassierenden Rechtsextremismus behandeln die letzten Aufsätze den Antisemitismus im islamischen Raum. Malte Gebert thematisiert die im europäischen Kontext undenkbare Verwendung der antisemitischen »Protokolle der Weisen von Zion« als Vorlage für die ägyptische Historiensoap »Knight without a Horse« und die Rezeption der Protokolle in Ägypten. Welche Schnittstellen zwischen der europäischen extremen Linken und dem sunnitischen Islamismus, zu dem auch die al-Quaida zählt, bestehen, lotet Timo-Christian Heger am Ende des Sammelbands aus. Insbesondere im Antiamerikanismus und im Anti­semitismus, der bei der extremen Linken unter dem Deckmantel des Antiimperialismus verschwindet, finden sich aus Sicht des Autors Gemeinsamkeiten. 

Die im Sammelband präsentierten Artikel der Studierenden, Doktoranden und etablierten Wissenschaftler zeichnen ein facettenreiches Bild des Antisemitismus und Rechtsextremismus der letzten 150 Jahre. Die vielen Anregungen und mitunter provozierenden Thesen bilden eine substantiierte Grundlage für weiterführende Forschungen auf diesem Gebiet. Sie leisten damit einen Beitrag zur Sichtbarmachung der in Deutschland gegenüber dem steigenden Forschungs­bedarf im akademischen Bereich noch gering verankerten Forschungen, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung eindringlich schildern. Aufgrund der in die Tiefe gehenden Inhalte der Beiträge eignet sich der Sammel­band nicht für einen umfassenden Überblick, der auch für Laien interessant wäre, sondern empfiehlt sich vielmehr für Wissenschaftler und Studierende aus dem Forschungsdiskurs zu Antisemitismus und Rechtsextremismus. 

Anmerkungen

  • [1]

    Adolf Hitler: Gutachten über den Antisemitismus. 1919 erstellt im Auftrag seiner militärischen Vor­gesetzten. In: Werner Maser: Hitlers Briefe und Notizen. Sein Weltbild in handschriftlichen Dokumenten. Düsseldorf u.a. 1973, S. 223–226, hier: S. 226, Online: NS-Archiv. Dokumente zum Nationalsozialismus, http://www.ns-archiv.de/verfolgung/antisemitismus/hitler/gutachten.php (17.08.2010).

Empfohlene Zitierweise

Grumblies, Florian: Rezension Gideon Botsch u.a. (Hrsg.): Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa (=Haskala – Wissenschaftliche Abhandlungen Bd. 44). Georg Olms Verlag: Hildesheim, 2010. 348 Seiten. ISBN: 978-3-487-14438-2. 29,90 Euro. aventinus recensio Nr. 22 [13.01.2011] / PerspektivRäume Jg. 1 (2010) H.2, S. 168-172, in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/8379/

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Erstellt: 13.01.2011

Zuletzt geändert: 13.01.2011

ISSN 2194-2137