Zeitalter des Absolutismus (1648/59-1789)

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aventinus nova Nr. 21 [20.07.2010] 

Verena Nitsche 

„Aufklärung und Sicherheit machen Fürsten und Staaten entbehrlich. Oder wozu braucht man sie sodann?“ Der Illuminatenorden als Aufklärungsinstanz? 


Besonders in jüngster Vergangenheit war das mediale Interesse am Illuminatenorden groß – ob in Form von Dan Browns Bestseller „Illuminati“ oder der gleichnamigen Verfilmung des Buches von Tom Hanks. Außerdem sind die Illuminaten bis in die heutige Zeit stets Gegenstand von Verschwörungstheorien, die unter anderem für das Fortbestehen des Ordens und dessen systematische Planung von historischen Ereignissen wie z.B. der Französischen Revolution plädieren. Im Gegensatz zu den mehr oder weniger populären Verschwörungstheorien kann der Illuminatenorden auch in einem rein wissenschaftlichen Kontext betrachtet werden: als Geheimbund am Ende des 18. Jahrhunderts mit zahlreichen Mitgliedern und einem über die Grenzen Bayerns hinausgehenden Einflussbereich.

1) Von der Gründung bis zum Verbot 

„Perfectibilisten“ – unter diesem Namen wurde der Geheimbund der Illuminaten 1776 vom jungen Universitätsprofessor Adam Weishaupt in Ingolstadt gegründet. [1] Weishaupt, als Professor für Kirchenrecht nach Ingolstadt berufen, versammelte Studenten um sich und gründete in Abgrenzung zur Freimaurerei einen geheimen Zirkel. [2] Perfectibilisten schien bald nicht mehr der ideale Name zu sein, aus den Perfectibilisten wurden die Illuminaten. [3]

In der Anfangszeit seines Bestehens in den späten 70er Jahren des 18. Jahrhunderts zählte der Geheimbund neben Weishaupt nur wenige Mitglieder, erst ab 1780 begann der Illuminatenbund zu wachsen, [4] was unmittelbar mit der langsamen Auflösung der Freimaurer-Logen in München zu dieser Zeit zusammenhing. Bald konnte man Illuminaten in Staatspositionen und kirchlichen Gremien finden, so z.B. in Schulbehörden, Regierungen, Landgerichten und auch in Domkapiteln, etwa in Freising oder Passau. Die Mitglieder kamen fast ausschließlich aus dem Adel und dem oft beamteten Bildungsbürgertum. [5]

Was die Ausbreitung des Geheimbundes über Bayerns Grenzen hinaus betrifft, war der ehemalige Freimaurer der „Strikten Observanz“, Adolf Freiherr von Knigge, von Wichtigkeit. Der motivierte Knigge warb ab 1780 in Norddeutschland zahlreiche neue Männer für den Geheimbund, merkte aber schnell, dass die straffe Organisation des Ordens zwar in der Mund-Propaganda, mit der Mitglieder geworben wurden, existierte, in der Realität aber oft Organisationsschwächen des Ordens auftraten. [6] Knigge übernahm, nachdem er die Ordensstatuten überarbeitet hatte, ab Mitte der 1780er Jahre die Organisation des Ordens, während Weishaupt den Orden ideell führte. Nicht immer erhielt er das Einverständnis Weishaupts, der um seine Stellung an der Spitze des Ordens fürchtete. Diese Differenzen zwischen Weishaupt und Knigge können als erster Markstein der Selbstauflösung des Illuminatenbundes gesehen werden, denn mit dem endgültigen Austritt Knigges aus dem Orden 1784 fehlte die wichtigste Organisations- und Planungsfigur. Zum Zeitpunkt von Knigges Austritt reichten die Mitglieder bereits über Deutschland hinaus bis Italien, Skandinavien und die Schweiz. [7] Wichtigste Stützpunkte blieben aber die bayerischen Städte München, Ingolstadt und Regensburg, außerhalb Bayerns Mainz und Bonn. [8] Als das Maximum an Ausbreitung erreicht worden war, begann der Orden, der seit Knigges Ausscheiden von inneren Auflösungstendenzen gezeichnet war, langsam zu zerfallen. Die auf verschiedene Weise bekanntgewordenen Absichten des Ordens, den Staat zu unterwandern um dadurch eine bessere Weltordnung zu erreichen, beunruhigten auch den bayerischen Kurfürsten Karl-Theodor, dessen Akzeptanz bei der Bevölkerung Anfang der 80er Jahre ohnehin litt. [9] 1784 wurde von der Regierung ein erstes Edikt gegen geheime Gesellschaften erlassen, zwei weitere traten 1785 in Kraft. [10] Auf diese offiziellen Verbote folgten repressive Maßnahmen gegen alle Mitglieder, Unterstützer oder Sympathisanten der Illuminaten, die von Amtsenthebungen über Strafversetzungen bis Gefängnisstrafen reichten. [11] Adam Weishaupt, über dessen Rolle als Führungsperson im Illuminatenorden nur sehr wenige Mitglieder wussten, [12] floh zunächst nach Regensburg und dann nach Gotha, wurde aber weder verhaftet noch zur Rechenschaft gezogen. [13] Ob der Orden nach seinem Verbot weiterexistierte, ist bis heute anhand von Quellen nicht eindeutig zu belegen.

2) Hierarchischer Aufbau und Geheimnis 

Mit den Jahren 1779/80 begann die stetige Ausbreitung des Ordens, eine innere Ordnung jedoch, eine Satzung oder Gliederung gab es bis dato nicht. Weishaupt schrieb zwar 1778, dass er bereits ein System im Kopf hätte und dieses ständig überarbeite, [14] endgültig veröffentlicht wurde ein Aufbau erst im „Rezeß unter den Areopagiten“  im Jahr 1781. Diese Schrift vollendete bereits unter Mitwirkung Knigges den vorher schon fragmentarisch existierenden, nur von Weishaupt erdachten Aufbau des Ordens. Eine grobe Einteilung erfolgte in drei Klassen, die jeweils zwei oder drei Grade enthielten: erste Klasse Minervale, zweite Klasse Freimaurer, dritte Klasse Mysterien. Letztere wurden von Knigge zwar ausgearbeitet, aufgrund seines Austritts aus dem Orden aber erst 1794 veröffentlicht. [15] In der Minervalklasse fand man aufsteigend die Grade Novize, Minervale und Illuminatus Minor; in der Freimaurerklasse aufsteigend Lehrling, Geselle und Meister. [16] Zur nächsten Stufe konnte ein Illuminat nur aufsteigen, wenn er alle Anweisungen seines „Obern“ [17] befolgte und sich der (Um-)Erziehung beugte. Betrachtet man die Einteilung der Mitglieder des Illuminatenordens in Klassen und vor allem die Vorstellung der (schrift-)führenden Illuminaten näher, so stößt man auf einen streng hierarchischen, durchorganisierten Aufbau. Die Hierarchie im Orden gründete vorrangig auf dem Anspruch Weishaupts, alleiniges Oberhaupt im Orden zu sein und möglichst wenige an seiner Führung partizipieren zu lassen. [18] Damit die strenge Hierarchie im Orden funktionieren konnte, wurde ein strenges Erziehungssystem, dem alle Ordensmitglieder unterlagen, installiert. Die legitime Grundlage für dieses Erziehungssystem sah Weishaupt in folgender Feststellung: „Die Gesellschaft kann die Leute nicht brauchen wie sie sind…“. [19] Um die Mitglieder so „umzuschaffen“, [20] damit sie der Gesellschaft und ihren Zwecken dienlich sind, bedurfte es einer genau festgelegten Bildung und Erziehung. Bei dem sehr vielschichtigen und undurchsichtigen Erziehungssystem ist auffällig, dass die ganze Erziehung des Menschen nicht um seiner selbst willen passiert, sondern der Mensch perfektioniert wird für die Absichten des Ordens. [21] Auch waren die neu hinzugekommenen Mitglieder im Orden dazu gezwungen, ihre Identität aufzugeben; sie bekamen Decknamen zum Schutz der Gesellschaft. [22] Der Mensch musste vollkommen im Orden aufgehen. [23] Die gesamte Organisation des Ordens berief sich auf das Geheimnis: Keiner  kannte die Identität der anderen Mitglieder, auch die Identität des Ordensführers Weishaupt war nur wenigen Illuminaten bekannt. Das Geheimnis war eines der grundlegendsten Ordensprinzipien, das vor allem auch zur Durchsetzung der Ordensziele von Bedeutung war. [24] Beim Eintritt in den Orden gelobte der zukünftige Illuminat in Form eines „Eides“ [25] gehorsam zu sein und verzichtete auf eigene Meinung und Urteilskraft. Mit dem Versprechen von Gehorsam und dem Verzicht auf „Eigensinn“ wurde jeglicher Versuch eines Mitglieds, im Orden Macht zu konzentrieren oder andere Mitglieder unter Kontrolle zu bringen, im Keim erstickt, denn eine potentielle Kontrolle über andere endete immer am jeweils übergeordneten „Obern“. Durch Bespitzelungsinstrumente wie „Quibus-Licet-Berichte“ [26], die zum Ordensalltag gehörten, und mangelnde Transparenz schützte sich die Ordensspitze vor möglichen Aufrührern und schaffte gleichzeitig eine Atmosphäre von Distanz, Fremdheit und Leistungsdruck unter den Mitgliedern. [27] Ob die straffe Organisation des Ordens mit allen Repressionsinstrumenten in der Realität auch so aussah wie von Weishaupt und Knigge niedergeschrieben, ist allerdings fraglich. Es war zwar das Ziel des Ordensführers, eine straffe Organisation und ein hierarchisches System zu schaffen, eine 100-prozentige Umsetzung des Ordensaufbaus wie in den Schriften der Illuminaten wäre aber organisatorisch aufgrund der großen Mitgliederzahl wohl kaum möglich gewesen.

3) Selbstverständnis und Ziele 

Die Ziele, die der Orden mit seiner Politik verfolgte, sind schwer zu fassen, da die Illuminaten als Geheimbund diese nicht offenlegten. Überlieferte Dokumente der Illuminaten, wie z.B. Briefwechsel zwischen Adam Weishaupt und anderen führenden Mitgliedern, lassen Rückschlüsse auf die Zielvorstellungen und das Selbstverständnis des Ordens zu. Grundsätzlich ist bei der Betrachtung der vom Illuminatenorden überlieferten Schriftstücke festzustellen, dass der Informationsfluss einseitig war; [28] es gelangten kaum konkrete Vorhaben oder Ziele des Ordens von der Ordensspitze an die Mitglieder. Dies geschah nicht nur aus taktischen Gründen, sondern auch mangels einer konkreten Ausformulierung der Reformpläne und Alternativen des Ordens zum jetzigen Staatssystem. [29]

Hinweise auf das Selbstverständnis des Bundes scheinen jedoch die 1781 erschienenen „Allgemeinen Ordens-Statuten“ zu geben: „Zur Beruhigung und Sicherheit (…) erkläret der Orden vor allem, dass er keine für den Staat, die Religion und gute Sitten nachtheilige Gesinnung oder Handlung zum Zweck habe (…)“. [30] Tatsächlich sah sich der Illuminatenbund keinesfalls als revolutionäre oder gar gewaltsame Bewegung. [31] Weishaupt definierte den Orden als Institution, die die „Uneigennützigkeit“ [32] der Menschen durch gute Erziehung fördere um dadurch „reine Wahrheit auszubreiten, Tugend siegend zu machen“. [33] Der elitäre, auf wenige, meist adlige oder beamtete Bevölkerungsschichten beschränkte Charakter [34] gehörte ebenso zum Selbstverständnis wie die Annahme, dass ein Geheimbund wie die Illuminaten in der Lage wäre, ein sog. „Sittenregiment, eine Regierungsform, die allgemein über die ganze Welt sich erstreckt“ [35] herbeizuführen. Viele Einzelheiten, bezogen auf das Selbstverständnis des Ordens und dessen Ziele, gab Weishaupt erst nach dem Verbot des Illuminatenordens in den Jahren 1787 und 1790 bekannt.

Die vagen Absichten, die der Gründer Weishaupt für seinen Geheimbund bestimmte, könnten folgendermaßen aufeinander aufbauend geordnet werden: 1. Eine reformierte Erziehung des Menschen; [36] 2. Eine Unterwanderung des Staates; [37] 3. Den Katholizismus in seinem hohen gesellschaftlichen Stellenwert beschneiden. Neben den Punkten 1. und 2. rangierte mit mindestens genauso großer Wichtigkeit die Verbreitung der Aufklärung. [38] Der Teilbereich dieses stufenweise auszuführenden Plans, der am konkretesten ausgearbeitet war, war die Erziehung der Ordensmitglieder „zu edlen, großen, würdigen Menschen. In der „Allgemeinen Uebersicht über das ganze Ordenssystem“ war man fest von dem Vorhaben überzeugt, „gute Menschen ans Ruder zu sezzen“ um dadurch „Einfluss auf die Regierung“ [39] auszuüben. Weishaupt legte außerdem viel Wert auf die Zurückdrängung des religiösen Einflusses und die damit verbundene Verbreitung der Aufklärung. Keinesfalls lehnten die Illuminaten Religion als solche ab, vielmehr bezogen sich die illuminatischen Autoren in vielen Schriften auf die Lehre Jesu und das Christentum: [40] „…Wenn diese Verbreitung der Moral, die Lehre Jesu allgemeyn sein wird, so entsteht auf Erden das Reich der Frommen…“ [41] Allerdings würde eine Nicht-Beachtung der Lehren Jesu durch die Geistlichen laut Weishaupt zum „geistlichen Despotismus“ führen und die Menschen würden von den Vertretern dessen geknechtet. [42] Als Inbegriff des „geistlichen Despotismus“ sah Weishaupt die Jesuiten, deren Bekämpfung sich an oberster Stelle der Ordensziele befand. Ein demokratischer Staat mit einer Verfassung für alle Bürger war definitiv nicht Ziel der illuminatischen Ordenspolitik. [43] Ein autoritäres System mit einer Person an der Spitze kommt den Äußerungen Weishaupts wohl am nächsten. Diese Exklusivität des Ordens und die fehlende Verbindung zum einfachen Volk dürfte wiederum als Beleg dafür gesehen werden, dass die Illuminaten keinen Volksaufstand oder wie oben bereits erwähnt eine Revolution beabsichtigten. [44]

Abschließend zusammenfassen lassen sich das Selbstverständnis, die Ziele oder die Programmatik des Illuminatenordens nicht, denn Weishaupt, als nahezu alleiniger Konstrukteur dieser, gestaltete die Ordensziele als Mischung aus vielen verschiedenen Denkrichtungen.  

4) Die Illuminaten – Förderer der bayerischen Aufklärung? 

Waren die Illuminaten eine Aufklärungsinstanz, förderten sie die Aufklärung in Bayern? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage wird sich schwer finden lassen, schon allein aufgrund des höchst komplexen Arbeitsfeldes der Aufklärung. Eine Instanz, abgeleitet von dem lateinischen Wort instantia, welches mit Ausdauer, Beharrlichkeit oder auch Denkrichtung zu übersetzen ist? Eine Instanz als „zuständige Stelle“, zuständig für die Verbreitung der Aufklärung in Bayern, trifft das auf den Illuminatenorden zu? Führt man sich einen von vielen Definitionsversuchen von Aufklärung vor Augen, jene rufe den Menschen zur selbstbewussten, kritischen Prüfung aller Abhängigkeiten von Autoritäten jeglicher Art auf, [45] erscheint der Illuminatenorden in vielen Aspekten nicht der Aufklärung verschrieben. Ohne Frage war die Eindämmung des jesuitischen Einflusses besonders im Bildungsbereich eines der wichtigsten Ziele des Ordens. Weishaupt, genau wie viele andere Aufklärer, bekämpfte die Jesuiten, die durch starke Zensur und Ablehnung aufklärerischer Schriften in den Universitätslehrplänen der Verbreitung der Aufklärung kritisch gegenüberstanden. [46] Die Illuminaten wollten den Staat unterwandern, um ihrer Staatskritik Ausdruck zu verleihen und durch Besetzung einflussreicher Staatspositionen die Aufklärung zu verbreiten. Diese gezielte Personalpolitik, auch wenn sie kein typisch illuminatisches Phänomen war, [47] setzt eine aufklärerische Überzeugung voraus. Auch findet sich in den Schriften der Illuminaten die Förderung der Aufklärung oft als vorrangiges Ordensziel. [48]

Dennoch finden sich beim Illuminatenbund unübersehbare Hinweise auf anti-aufklärerische Elemente. Das hierarchische System, nach dem der Orden aufgebaut ist, erinnert paradoxerweise genau an den immer abgelehnten Jesuitenorden. Weishaupt gab sogar zu, dass er seinen Orden absichtlich nach dem Vorbild der Jesuiten konstituierte, um diese mit „ihren eigenen Waffen“ zu schlagen. [49] Zudem wollte die Ordensspitze mit dem hierarchischen Aufbau nach jesuitischem Beispiel exakt das erreichen, was den Jesuiten schon Jahre zuvor gelungen war: das Monopol für Bildung und Erziehung zu besitzen. Der Aufklärer Friedrich Nicolai beispielsweise sah große Gefahren darin, den Jesuiten ähnlich sein zu wollen. [50] Und genau diese Ähnlichkeit zum Jesuitenorden wurde dem Illuminatenorden schließlich zum Verhängnis, denn jesuitische Strukturen lehnten viele Illuminaten auch beim eigenen Orden ab und verließen deshalb den Geheimbund.

Die Stützen des illuminatischen Erziehungssystems waren gegenseitige Bespitzelung und absoluter Gehorsam gegenüber allen Mitgliedern, die gradmäßig übergeordnet waren, was ebenfalls nicht dem Grundgedanken der Aufklärung, sich von bevormundenden Obrigkeiten zu befreien, entspricht. Die eigene Urteilskraft und Vernunft einzusetzen, wie in der Aufklärung gefordert, wird den Mitgliedern des Illuminatenbundes untersagt, denn beim Eintritt in den Orden müssen sie per Eid Gehorsam und Unterordnung schwören. Die Disziplinierung, die in der Societas Jesu vorherrschte und zahlreiche Illuminaten in ihrer eigenen Schul- und Universitätszeit zu spüren bekamen, beanspruchten die führenden Illuminatenorden ebenfalls für ihren Geheimbund. [51] Auch dieses Charakteristikum wertete Nicolai als Vertreter der Aufklärung anti-aufklärerisch [52] und stützt somit die Behauptung, dass sowohl der hierarchische Aufbau als auch das illuminatische Subordinationsprinzip in Verbindung mit dem Erziehungssystem keinesfalls den Vorstellungen der Aufklärung entsprachen.

Das Geheimnis, das ganz entscheidend für die gesamte Organisation und Arbeitsweise des Ordens war, lässt sich ebenfalls schwer mit den Ideen der Aufklärung in Einklang bringen. Fast in jedem einzelnen Ordensdokument, das heute zur Einsicht vorliegt, wird auf die wichtige Funktion des Geheimnisses verwiesen. [53] Im Unterschied zu den Freimaurern, die nur ihre Rituale geheim hielten, existierten bei Weishaupts Geheimbund zwei verschiedene, parallel angeordnete Arten von Geheimnis: zum einen das Geheimnis, das nach außen hin gewahrt blieb, um in der Öffentlichkeit bewusst unentdeckt zu bleiben, zum anderen das ordensimmanente Geheimnis, das Geheimnis innerhalb des Ordens, welches die Beziehung der Mitglieder untereinander betraf. Natürlich diente das Geheimnis zunächst als Schutz vor Verfolgung und staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen, „einer also verborgenen Gesellschaft kann man nicht entgegen arbeiten“, [54] steht in den „Instructionen für den ganzen Regentengrad“. Ebenfalls kommt bei den Schriften der Illuminaten zum Ausdruck, dass das Geheimnis als Gegenstück zur (staatlichen) Öffentlichkeit fungiert und somit Ausdruck für Kritik an dieser und dies wiederum ein Plädoyer für die Aufklärung ist. Allerdings entspricht das Geheimnis per se nicht den Forderungen der Aufklärung: Gewichtig in diesem Zusammenhang ist sicher die Meinung Immanuel Kants zum geheimen Element bei Sozietäten. Für ihn sind Aufklärung und Geheimhaltung unvereinbar, denn was die Vernunft hervorgebracht hat, darf  nicht versteckt werden. [55] Etwas Verborgenes kann nicht der Kritik durch die Vernunft unterworfen werden, deshalb stellt Kant in „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ abermals die Forderung auf, von seiner „Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen“. [56] Ausschlaggebend ist bei den Illuminaten die umfassende Durchdringung des Ordens durch das Geheime: ein innerhalb des Ordens unter den Mitgliedern existierender Geheimniszwang widerstrebte den Zielen und Vorstellungen der Aufklärung insofern, als dass Mitglieder durch Geheimhaltung untereinander daran gehindert werden, ihre Vernunft öffentlich zu gebrauchen.

5) Schlussbetrachtungen 

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob der Illuminatenorden eine Aufklärungsinstanz war, wird sich schwer finden lassen. Fest steht, dass die Ziele und Errungenschaften der Aufklärung nicht mit der Tatsache, dass der Mensch seiner eigenen Persönlichkeit beraubt wird, in Einklang stehen. Laut der Aussage Immanuel Kants, „so verhindert ein Verbot der Publicität den Fortschritt eines Volks zum Besseren…“ [57] ist der Illuminatenorden, zumindest im Bezug auf das Geheimnis, kontra-aufklärerisch einzuschätzen. Fest steht auch, dass die Aufklärung in all ihren Facetten staatstragend ist. [58] Die Illuminaten jedoch strebten durch Unterwanderung ein zwar nie genau definiertes, aber sehr wohl fragmentarisch existentes, neues Herrschaftsmodell nicht auf Grundlage des ordnungsschaffenden Staates an. Auch verlangt die Ähnlichkeit zum Jesuitenorden im Ordensaufbau kein Plädoyer auf den Charakter einer Aufklärungsinstanz. Natürlich wäre es zu einfach, den Illuminatenorden ausschließlich anti-aufklärerisch einzuschätzen. Definitiv lässt sich nach gründlicher Lektüre der Originalschriften des Illuminatenordens feststellen, dass die Illuminaten einen Beitrag zur Aufklärung geleistet haben. Ohne ein grundsätzliches Bekenntnis zu den Ideen der Aufklärung hätte eine Gründung des Illuminatenordens schon gar nicht möglich gemacht. Ein Geheimbund mit über 1300 gesicherten Mitgliedern, [59] der durch eine gezielte Rekrutierung und Reformversuche im Bildungsbereich die Kritik an Staat und Kirche salonfähig gemacht hat, hat zur Aufklärung beigetragen. Zur Aufklärung beitragen entspricht aber nicht die Aufklärung vorantreiben, sie ausführen, was hier mit dem Wort „Instanz“ gemeint ist. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim Illuminatenbund lässt eine eindeutige Einordnung als Aufklärungsinstanz nicht zu. Der Illuminatenorden hatte den Anspruch, im Dienst der Aufklärung zu handeln und diese zu fördern, wies aber ordensintern anti-aufklärerische Strukturen und Denkrichtungen auf.

Anmerkungen

  • [1]

     Hammermayer, Ludwig: Entwicklungen, Ergebnisse und Perspektiven Neuerer Illuminatenforschung. In: Ackermann, Konrad / Alois, Schmid (Hrsg.): Staat und Verwaltung in Bayern. Festschrift für Wilhelm Volkert zum 75. Geburtstag. München 2003, S. 420ff.

  • [2]

    Vgl. Markner, Reinhard u.a. (Hrsg.): Die Korrespondenz des Illuminatenordens. Band I: 1776-1781. Tübingen 2005, S. XIV und S. 3. 

  • [3]

    Vgl. Hammermayer, Ludwig: Illuminaten in Bayern. Zur Geschichte, Fortwirken und Legende des Geheimbundes. In: Reinalter, Helmut (Hrsg.): Der Illuminatenorden (1776-1785/87). Ein politischer Geheimbund in der Aufklärungszeit (= Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle Demokratischer Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850, Bd. 24). Frankfurt/Main 1997, S. 47. 

  • [4]

    Vgl. Van Dülmen, Richard: Der Geheimbund der Illuminaten. Darstellung, Analyse, Dokumentation. Stuttgart 1975. S. 28f. 

  • [5]

     Zur Sozialstruktur des Illuminatenordens vgl. Wilson, W. Daniel: Politik und Sozialstruktur des Illuminatenordens. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 19 (1994) 1, S. 141- 175.

  • [6]

     Vgl. “Aus Knigges endlicher Erklärung“. In: Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 44f.

  • [7]

     Vgl. Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 53.

  • [8]

     Vgl. Hammermayer, Illuminaten in Bayern, S. 25.

  • [9]

     Hippchen, Christoph: Zwischen Verschwörung und Verbot. Der Illuminatenorden im Spiegel deutscher Publizistik (1776-1800). Köln u.a. 1998, S. 14f.

  • [10]

     Vgl. Agethen, Manfred. Geheimbund und Utopie. Illuminaten, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung. München 1987, S. 78ff.

  • [11]

     Ebd., S. 81. Die angedrohte Todesstrafe wurde nicht verhängt

  • [12]

     Vgl. Weis, Eberhard: Der Illuminatenorden (1776-1786). Unter besonderer Berücksichtigung der Fragen seiner sozialen Zusammensetzung, seiner politischen Ziele und seiner Fortexistenz nach 1786. In: Reinalter, Helmut (Hrsg.): Der Illuminatenorden (1776-1785/87), S. 238.

  • [13]

     Ebd., S. 88.

  • [14]

     Vgl. Brief Weishaupt an Zwackh, Ingolstadt, 10.3.1778. In: Markner, Korrespondenz des Illuminatenordens, S. 36f.

  • [15]

     Vgl. „Die neuesten Arbeiten des Spartacus und Philo in dem Illuminaten-Orden. 1794“. In: Rachold, Jan (Hrsg.): Die Illuminaten. Quellen und Texte zur Aufklärungsideologie (1776-1785). Berlin 1984. S. 233. Mit Knigges Ausarbeitung des Mysteriengrades war Weishaupt alles andere als zufrieden. Dieser Konflikt war ein Grund für Knigges späteren Austritt

  • [16]

     Vgl. „Rezeß unter den Areopagiten (v. Knigge, Hertel, Zwack, Baader). München, 20.12.1781.“ In: Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 552-555.

  • [17]

    Vgl. „Instructionen für den ganzen Regentengrad. 1782. In: Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 194-213. 

  • [18]

    „Es ist wahr, ich herrsche, aber weil es so seyn muss.“ Vgl. Brief Weishaupt an Zwackh, Ingolstadt 13.11.1778: In: Markner, Die Korrespondenz des Illuminatenordens, S. 101-104.  

  • [19]

     Vgl. „Reform der Statuten der 1. Klasse“. In: Rachold, Die Illuminaten. Quellen und Texte zur Aufklärungsideologie, S. 43.

  • [20]

     Vgl. „Instructionen für den ganzen Regentengrad. 1782. In: Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 203.

  • [21]

     „Wenn sie empfinden, dass ihr eigenes Interesse mit dem des Ordens unzertrennlich verbunden ist…“ Vgl. „Instructionen für den ganzen Regentengrad“. 1782. In: Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 205.

  • [22]

     Ebd., S. 157.

  • [23]

     „Ich verpflichte mich, das Beste des Ordens als mein eigenes anzusehen…“ Vgl. „Der Eid“. In: Ebd. S. 159.

  • [24]

     Hippchen, Zwischen Verschwörung und Verbot, S. 11.

  • [25]

     Vgl. „Der Eid“. In: Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 159. Der Eid beinhaltet einen Verzicht auf den sog. „Eigensinn“

  • [26]

    Ebd., S. 223. Quibus-Licet-Berichte: Berichte, die alle Mitglieder über ihren jeweiligen „Obern“ jedes Monat an die Ordensspitze abgeben müssen – angeblich zum Schutz vor Machtmissbrauch der „Obern“ 

  • [27]

     Ebd., S. 223.

  • [28]

     Vgl. Weis, Der Illuminatenorden (1776-1786), S. 236.

  • [29]

     Ebd.

  • [30]

     Vgl. „Allgemeine Ordens- Statuten“. In: van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 152.

  • [31]

     Vgl. Hammermeyer, Illuminaten in Bayern, S. 22f.

  • [32]

     Vgl. Adam Weishaupt: „Pythagoras oder Betrachtungen über die geheime Welt- und Regierungskunst. Erster Band 1790“. In: Rachold, Die Illuminaten. Quellen und Texte zur Aufklärungsideologie, S. 319.

  • [33]

     Vgl. „Allgemeine Uebersicht des ganzen Ordenssystems“ (1782). In: van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 211.

  • [34]

     Vgl. Agethen, Geheimbund und Utopie, S. 244.

  • [35]

     Vgl. „Allgemeine Uebersicht des ganzen Ordenssystems“ (1782) In: van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten S. 212.

  • [36]

     „Die Gesellschaft kann die Leute nicht brauchen wie sie sind, sondern sie sollen erst werden, wozu man sie nöthig hat. Dazu gehört Prüfung, Proben, der Treue, Stillschweigen, Anhänglichkeit, Arbeitsamkeit, die Erweiterung nützlicher Kenntnisse.“ Vgl. „Reform der Statuten der 1. Klasse“. In: Rachold, Die Illuminaten. Quellen und Texte zur Aufklärungsideologie, S. 43.

  • [37]

     „Sie (die Gesellschaft) kann, darf und braucht gar nichts weiter zu tun als soviel möglich edlere, uneigennützige und bessere Menschen zu bilden…sie (die Gesellschaft) braucht zu diesem Ende keine Pläne zu entwerfen… wie die öffentlichen Stellen von zweckmäßig mit ihren besseren Mitgliedern besetzt werden können…Es werden einige ihrer Mitglieder von selbst… zu öffentlichen Ämtern und Stellen gelangen (…)“: Vgl.: Adam Weishaupt: „Pythagoras oder Betrachtungen über die geheime Welt- und Regierungskunst. Erster Band“ 1790. In: Rachold, Die Illuminaten. Quellen und Texte zur Aufklärungsideologie, S. 319.

  • [38]

     „Wer also allgemeine Aufklärung verbreitet, verschaft zugleich eben dadurch allgemeine wechselseitige Sicherheit, und allgemeine Aufklärung und Sicherheit machen Fürsten und Staaten entbehrlich. Oder wozu braucht man sie sodann?“: Vgl. Adam Weishaupt: „Anrede an die neu aufzunehmenden Illuminatos dirigentes von A. Weishaupt“ (1782). In: van Dülmen: Geheimbund der Illuminaten, S. 184.

  • [39]

     Beides Vgl. „Allgemeine Uebersicht des ganzen Ordenssystems“ (1782) In: van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten S. 211f.

  • [40]

     Besonders aufschlussreich ist hier die „Anrede an die neuaufzunehmenden Illuminatos dirigentes von A. Weishaupt.“ Hier wird vor allem die christliche Konzeption des illuminatischen Grandsystems deutlich.

  • [41]

     Vgl. „Anrede an die neu aufzunehmenden Illuminatos dirigentes von A. Weishaupt“. In: Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 190.

  • [42]

     Ebd., S. 190f.

  • [43]

     Vgl. Weis, Der Illuminatenorden (1776-1786), S. 238.

  • [44]

     Vgl. Wilson, Zur Politik und Sozialstruktur des Illuminatenordens, S. 152.

  • [45]

     Stuke, Horst: Aufklärung, S. 245.

  • [46]

     Sehr ausführlich analysiert Winfried Müller die Aspekte des Antijesuitismus: Müller, Winfried: Die Aufhebung des Jesuitenordens in Bayern. Vorgeschichte, Durchführung, administrative Bewältigung. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 48 (1985). S. 287ff.

  • [47]

     Vgl. Agethen, Geheimbund und Utopie, S. 235.

  • [48]

     Vgl. Adam Weishaupt: „Anrede an die neu aufzunehmenden Illuminatos dirigentes von A. Weishaupt“ (1782). In: van Dülmen: Geheimbund der Illuminaten, S. 184.

  • [49]

     Vgl. Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 127.

  • [50]

     Vgl. Möller, Horst: Aufklärung in Preußen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai. Berlin 1974. S. 240.

  • [51]

     Vgl. Agethen, Geheimbund und Utopie, S. 191.

  • [52]

     Vgl. Möller, Aufklärung in Preussen, S. 241.

  • [53]

     Weishaupt, Adam: „Pythagoras oder Betrachtungen über die geheime Welt- und Regierungs- Kunst. Erster Band“. 1790. In: Rachold, Die Illuminaten. Quellen und Texte, S. 277: „… dass es gute und gemeinnützige Zwecke geben, welche durch den Weg der Verborgenheit am sichersten erreicht werden.“

  • [54]

     Vgl. „Instructionen für den ganzen Regentengrad“. 1782. In: Van Dülmen, Geheimbund der Illuminaten, S. 207.

  • [55]

    Vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Vorrede zur ersten Auflage. In: Toman, Rolf (Hrsg.): Immanuel Kant: Werke in sechs Bänden. Köln 1995. Bd. 2. S. 22.  

  • [56]

    Vgl. Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Toman, Rolf (Hrsg.): Immanuel Kant: Werke in sechs Bänden, Köln 1995. Bd. 6. S. 164. 

  • [57]

     Vgl. Immanuel Kant: Streit der Fakultäten. 2. Abschnitt. In: Toman, Rolf (Hrsg.): Immanuel Kant: Werke in sechs Bänden, Köln 1995. Bd. 6. S. 108.

  • [58]

     „Volksaufklärung ist die öffentliche Belehrung des Volks von seinen Pflichten und Rechten in Ansehung des Staats, dem es angehört“. Vgl. Immanuel Kant: Der Streit der Fakultäten. 2. Abschnitt. In: Toman, Rolf (Hrsg.): Immanuel Kant: Werke in sechs Bänden, Köln 1995. Bd. 6. S. 108.

  • [59]

     Wilson, Zur Politik und Sozialstruktur des Illuminatenordens, S. 144.

Empfohlene Zitierweise

Nitsche, Verena: „Aufklärung und Sicherheit machen Fürsten und Staaten entbehrlich. Oder wozu braucht man sie sodann?“ Der Illuminatenorden als Aufklärungsinstanz?. aventinus nova Nr. 21 [20.07.2010], in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7880/

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Erstellt: 11.07.2010

Zuletzt geändert: 20.07.2010

ISSN 2194-1963