Außereuropäische Geschichte

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aventinus varia Nr. 27 [27.05.2011] / PerspektivRäume Jg. 1 (2010), H. 2, S. 52-77 

 

Mario Peters 

Formen des Sklavenwiderstandes 

Die Region Bahia in Brasilien 1790–1850 

 

Das Bild der modernen Sklaverei ist geprägt von scheinbar klaren und unverrückbaren Mächteverhältnissen. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass die Machtverhältnisse nicht immer so eindeutig waren, wie es auf den ersten Blick scheint. Sklaven ergaben sich keineswegs widerstandslos in ihr Schicksal. Sklavenwiderstand entstand praktisch mit der Institution der Sklaverei. Es hat ihn auch in den Amerikas zu allen Zeiten und an allen Orten gegeben, wo Sklavenarbeit erzwungen wurde. [1] Widerstand wiederum wird oft mit Gewalt, Flucht und Rebellion assoziiert, aber nicht allen Sklaven war die Möglichkeit dazu gegeben. Sklavenwiderstand erschöpfte sich keineswegs in diesen beiden Formen, sondern nahm auch komplexere Gestalten an. Dabei äußerte sich der Widerstand auf alltäglicher, kultureller oder religiös-spiritueller Ebene.

Welche Verhaltensformen von Sklaven als Widerstand gewertet werden können, ist Gegenstand des vorliegenden Beitrags. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Region Bahia im Nordosten Brasiliens im Zeitraum zwischen 1790 und 1850. Brasilien war mit ca. 3,5 Mio. importierten Sklaven das Land, welches 1888 als letztes die Sklaverei abschaffte. Bahia entwickelte sich bereits zu Kolonialzeiten, vor allem durch die Kultivierung von Zucker, zu einem wirtschaftlichen Zentrum Brasiliens. Analog zum Wirtschaftsaufstieg entstand in Bahia das Herzstück der brasilianischen Sklaverei. Welche geographischen, politischen, sozialen und historischen Voraussetzungen sich für Sklaverei und Sklavenwiderstand in Bahia ergaben und welche Formen von Sklavenwiderstand es dort gegeben hat, ist Teil der Analyse. Gleiches gilt für die Einschätzung der in einem theoretischen Teil vorgestellten Überlegungen zum Sklavenwiderstand. Schnell werden vor allem zwei Probleme deutlich, die das Themenfeld mit sich bringt. Zum einen ist die Quellenlage sehr einseitig. Sklaven, deren Intentionen gerade in Bezug auf subtilere Formen von Widerstand für eine realistische Beurteilung des Widerstandscharakters von Bedeutung sind, haben kaum schriftliche Zeugnisse hinterlassen. [2] Informationen sind vor allem von Seiten der Herrschenden erhalten, deren Sicht oftmals voreingenommen ist, woraus das zweite Problem resultiert: Welche Perspektive kann bzw. muss für eine Beurteilung von Handlungen als Widerstand berücksichtigt werden?

Das Ziel des Beitrags soll und kann dabei nicht sein, eine widerspruchslose Definition von Widerstand zu finden. Vielmehr dient die Untersuchung Bahias zur Einschätzung der vorgestellten Deutungen und der möglichen Tragweite des Begriffes Widerstand. Es sollen bestehende Problemfelder bei der Erforschung des Sklavenwiderstandes aufgezeigt werden und, soweit es der Rahmen der Arbeit zulässt, auf Wege, sich diesem äußerst interpretativen Begriffsfeld zu nähern, hingewiesen werden. 

Quellen zu Flucht und Rebellion, die sich auch auf Bahia beziehen und im Folgenden die Grundlage der Analyse bilden, hat Robert E. Conrad in seinem zentralen Werk zur brasilianischen Sklaverei »Children of God´s fire« zusammengefasst und veröffentlicht. [3]

Formen des Widerstandes 

Welche Verhaltensweisen seitens der Sklaven werden in der sozialhistorischen Forschung als Widerstand gewertet? Bereits früh erkannten Aptheker (1943) und Genovese, dass die Reduzierung von Widerstand auf Flucht und Rebellion zu kurz greift, um die ganze Bandbreite von Widerstandsformen zu erfassen. [4] Es existieren viele komplexe Verhaltensformen, für die eine Intention des Widerstandes nachgewiesen ist oder zumindest vermutet wird. Seitdem ist eine Anzahl von Überlegungen zum Begriffsfeld Widerstand entwickelt worden, die nicht selten ideologisch beeinflusst sind und sich mitunter konträr gegenüberstehen.

Es stellt sich zunächst die bereits angesprochene Frage, aus welcher Perspektive man Widerstand definieren sollte bzw. aus welcher Sicht Aktionen als Widerstand beurteilt werden können. Fraglich ist, ob der Grund für das Fehlen von Quellen aus Sklavenperspektive primär in der mangelnden Schreibfähigkeit der Sklaven, der vorenthaltenen Bildung, dem schlechten Zugang zu entsprechenden Ressourcen oder der Repression und der Unterdrückung des Transkribierens eigener Empfindungen der Sklaven durch die Halter liegt. Eine dementsprechende Untersuchung kann im Rahmen dieser Arbeit indessen nicht erfolgen. Tagebücher, Briefe etc., die von Besitzern und Sklavenhaltern geschrieben wurden, enthalten meist die einzigen Informationen. Zwar verraten diese Zeugnisse, auf welche Art und Weise von Herrscherseite auf Widerstand reagiert wurde, allerdings sind auch die in dieser Arbeit verwendeten Quellen zu Bahia mehrheitlich voreingenommen, nicht selten rassistisch geprägt und daher nicht objektiv. Ein konkreter historischer Beleg, der die entsprechende Intention der Sklaven wiedergibt, fehlt zumeist. Daher bewegt sich die Forschung vermutlich in vielen Fällen auf der Interpretationsebene. Dies ist ein entscheidender Grund für die teils divergierenden soziologischen Theorien zum Umfang des Begriffes Widerstand. Von zentraler Bedeutung ist die Frage, wogegen sich Widerstand überhaupt richtete. Erhoben Sklaven sich gegen das System der Sklaverei an sich, gegen die eigenen Besitzer oder gegen lokale Umstände? Diese Diversität verkompliziert eine definitorische Bestimmung von Widerstand zusätzlich. 

Ideen und Theorien zum Begriff „Sklavenwiderstand“ 

Alf Lüdtkes Überlegungen, die er im Zusammenhang mit einer Analyse von Herrschaft als sozialer Praxis entwickelte, können eine theoretische Grundlage für das Verständnis der Überlegungen zur soziologischen Bestimmung von Widerstand liefern. Im Wesentlichen stellt Lüdtke, der sich unter anderem auf Foucault bezieht, [5] fest, dass Herrschaft kein bipolares Gegenüber von Herrschenden und Beherrschten ist. Er spricht von Dunkelzonen, in die Handlungsformen der Beherrschten einzuordnen sind, die zwischen gewalttätigem Widerstand und Selbstaufgabe liegen. [6]

In diese Zonen fallen viele Verhaltensformen, die von der sozialhistorischen Forschung als Sklavenwiderstand beurteilt werden. Wenn Webers Herrschaftsdefinition, wie Lüdtke es darstellt, eine von den Beherrschten hingenommene Übermacht beschreibt, [7] müsste Widerstand eine Negation dieser Hinnahme bedeuten.

Bipolarität im Herrschaftsverhältnis wird als theoretisches Konzept keineswegs das gesamte Feld der ungleichen Beziehungen zwischen Herr und Knecht erfassen. [8] Außerdem übergeht die Vorstellung einer Bipolarität viele Verhaltensformen, bei denen sich ein Widerstandswille zeigt oder zumindest stark vermuten lässt wie z.B. bei Sabotage, Arbeitsverweigerung und religiösen Ritualen.

Genovese bezeichnet Aufstand und Flucht als Formen, die der Anpassung entgegenstehen. Zum alltäglichen Widerstand zählen Diebstahl, Lüge, Selbstmord, Brandstiftung und Arbeitsverweigerung. Er betrachtet die Trennung von politischem und apolitischem Widerstand allerdings nicht als sinnvoll, da die Grenzen hier schnell verschwimmen. [9] Alltäglicher Widerstand ist demnach eine Vorform des politischen Widerstandes. Zu Widerstand kommt es, wenn aus Sicht der Sklaven die von ihnen akzeptierten Normen von der herrschenden Klasse verletzt werden. [10] Gewalt stellt dabei eine neue Qualität des Widerstandes dar, die nur aus anderen Formen des Widerstandes erwachsen kann. [11] Genoveses Theorien mussten später harter Kritik Stand halten. Aus Sicht von Assunção berücksichtigt Genovese, der seine Forschungen auf die USA konzentrierte, die ethnische Zusammensetzung der Sklaven in seinen Ausführungen nicht. [12] Er verallgemeinere Fakten aus Britisch-Westindien und den Südstaaten, wo Afrikaner in der Minderheit waren und es eine Segregation zwischen den ethnischen Gruppen gab. [13] Daher müsse seine Analyse unter Berücksichtigung der Verhältnisse in Spanischamerika und Brasilien umdefiniert werden. Assunção widerspricht zudem der Verbindung von Sklavenwiderstand und Klassenkampf. Es habe keine kohärent handelnde Sklavenklasse gegeben. Fakten, die dies belegen, seien in der sozialhistorischen Forschung allerdings lange Zeit ignoriert worden. [14] So würden auch andere an Sklavenrevolten beteiligte Gruppen (pardos, livres, brancos) meist vergessen, da diese eher der Repression entkommen konnten. [15]

James C. Scott plädiert für eine sehr weite Auslegung des Begriffes Widerstand. [16] Offener und verdeckter Widerstand müssten voneinander getrennt werden. Wer offenen Widerstand exklusiv betrachte, könne dessen Zustandekommen nicht nachvollziehen. [17] Scott schreibt, dass offener Widerstand nur selten möglich gewesen sei und es ein weites Feld zwischen Anpassung und Widerstand gegeben habe. Für jede Form von offenem Widerstand gebe es einen „verdeckten Partner“ [18]. Scott entwickelt demnach die Idee der »Infrapolitics«: Dies sei der Widerstand der Menschen ohne Rechte, der anonym, verborgen im Freundes- oder Familienkreis organisiert würde. In Form von Volkskultur, als Form der mündlichen Kommunikation konnte diese Art von Widerstand leichter der Überwachung entgehen. [19] Tatsächlich handele es sich hierbei um eine Elementarpolitik und das Fundament für offene politische Aktionen. [20]

Beispiele für Infrapolitik sind nach Scott u.a. die illegale Jagd von Tieren, Diebstahl, das Transkribieren von Wut und Aggression, religiöse Rituale und das Streuen von Gerüchten. [21] Um das Verständnis von Sklavenwiderstand vertiefen zu können, ist es nötig, entsprechende Quellen, sogenannte »hidden transcripts«, zu suchen und sich mit dem entsprechenden kulturellen Hintergrund der Sklaven auseinander zu setzen. Dabei entsteht allerdings die Schwierigkeit, diesen kulturellen Kontext zu dechiffrieren, weil entsprechende Quellen aus Sklavenperspektive fehlen. [22] Die Berichte der oft nicht an Nuancen des Widerstandes interessierten Besitzer geben keine objektiven Informationen und nur schwerlich die wahren Intentionen von Widerstand wieder. Eine minutiöse Analyse der wenigen vorhandenen »hidden transcripts« scheint von Nöten. [23] Paquette übt schwere Kritik an den Überlegungen Scotts. Er sieht darin eine Auslegung des Widerstandsbegriffs, der eine völlige Überschätzung des Alltagswiderstandes zu Grunde läge. [24] Bei entsprechender Repression könne Alltagswiderstand sogar zur Systemstütze werden, nämlich dann, wenn den Betroffenen die Sklaverei als minderes Übel gegenüber der möglichen Bestrafung erscheint. [25]

Nach Sidney Mintz bedingt Widerstand auch die Bereitschaft zu Anpassung und Kompromiss. Wer zum Beispiel seinen Herren vergiften wollte, musste sich erst Zugang zu Küche und Lebensmitteln verschaffen. [26] Zeuske fordert einen Neudiskurs des Sklavenwiderstandes, da in der Vergangenheit entsprechende Forschungen durch die US-Historiographie dominiert worden seien. Es müssten Strukturen, Gründe und Ziele des Widerstandes erneut analysiert werden. [27]

Einflussfaktoren auf die Diversifikation der Formen von Widerstand 

Welche Faktoren wirken sich auf das Zustandekommen von Widerstand, auf dessen Ausformung und schließlich auf die Beurteilung einer Verhaltensform als Widerstand aus? 

Sklavenwiderstand hat es, wie Mintz schreibt, überall, von Feuerland bis Kanada, gegeben und zwar zu allen Zeiten von 1500 bis 1888. [28] Trotzdem bilden Zeitepoche und Raum zwei entscheidende Faktoren, die das Divergieren der Widerstandsformen beeinflussen konnten. Sie schufen unterschiedliche Voraussetzungen für die Sklaverei und wirkten sich nicht zuletzt auf die Form, Intensität und Zielsetzung von Widerstand aus.

Je nachdem in welcher Epoche sich ein Sklave gegen seine Versklavung und manchmal im Verbund mit anderen auch gegen das System erhob, tat er dies vor dem Hintergrund eines spezifischen Erschließungsgrades der Kolonie/des jeweiligen Staates und eines bestimmten Grades von Zentralität, Urbanität der unmittelbaren Umgebung und der politischen Stabilität. Der Raum als Faktor kann auf zwei Ebenen aufgefasst werden, zum einen auf der staatlich-juristischen, zum anderen auf der geographischen Ebene. 

Sklaverei war in allen Staaten gesetzlich geregelt. Wie unterschiedlich Staaten mit der Sklaverei umgingen, zeigt ein Vergleich Brasiliens und Großbritanniens nach 1807. Allerdings beweist dieser Vergleich für beide Seiten auch, wie wirkungslos formale Gesetze gegenüber lokalen Realitäten sein konnten. [29] Auf der geographischen Ebene nahm vor allem die Beschaffenheit des jeweiligen Terrains und die Urbanität Einfluss auf Formen des Sklavenwiderstands. [30] Die Sklavenbevölkerung selbst war ein weiterer Faktor, der auf die Ausformung von Widerstand Einfluss nehmen konnte. Besonders die ethnische Zusammensetzung, die Herkunft sowie die Fähigkeiten und die religiöse Beeinflussung der Sklaven konnten entscheidend sein, wie das Beispiel der muslimischen Aufstände in Bahia 1835 zeigt, das weiter unten ausführlicher beschrieben wird. Sklaven waren nur selten eine homogene Gruppe. Neben der Permanenz der Aufenthaltsdauer ist das demographische Verhältnis zwischen Farbigen, Weißen, Sklaven und freien Schwarzen von entscheidender Bedeutung. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Chancen einer erfolgreichen Rebellion umso höher waren, je größer der Anteil der schwarzen Sklaven im Mikrokosmos (Plantage) und Makrokosmos (Staat, Kolonie) war. [31] Für das Vorkommen von Widerstand an sich war eine Mehrheit der Sklaven keine zwingende Voraussetzung, aber auch keine Garantie. [32]

Faktoren, die ebenfalls auf das Vorkommen von Sklavenwiderstand und die gewählten Protestformen Einfluss nahmen, waren das persönliche Verhältnis zwischen Sklave und Besitzer sowie die Repressionsmethoden, die gegen Widerstand angewandt wurden. [33] Sklaven besaßen nur selten die Kapazität, sich im Verbund gegen das System an sich zu erheben. Viel öfter kämpften sie gegen lokale Umstände, die Verletzung von akzeptierten Normen, um die persönliche Freiheit, die Verbesserung der eigenen Situation oder die der peer group. [34] Auch weltpolitische Ereignisse und ihre Auswirkungen auf die jeweiligen Kolonien bzw. Staaten haben Einfluss auf die Formen von Sklavenwiderstand genommen. Lokale Umstände gelten gegenüber dem Einfluss fremder Ideologien mittlerweile für Sklavenwiderstand als ein entscheidenderer Faktor. [35]

Formen von Sklavenwiderstand 

Fast alle größeren Sklavenrebellionen bildeten Netzwerke komplexer sozialer Allianzen. [36] Formen gewaltsamen Sklavenwiderstandes sind allerdings keineswegs mit größeren Rebellionen erschöpft. Wo die Möglichkeiten zu solchen Aufständen nicht gegeben waren, bedienten sich Sklaven individuell, in kleineren aber auch größeren Gruppen diverser Formen von Gewalt. Gewalt stellte dabei eine Qualität des Widerstandes dar, die das Kontinuum zwischen Anpassung und Widerstand durchbrach und viele Verhaltensformen umfasste: [37] Mord, Selbstmord, Attacken, Brandstiftungen, Überfälle, Raub und Entführungen. [38] Dieses Verhalten konnte Aufsehen erregen, wurde in Polizeiberichten festgehalten und zog oftmals harte Repressionen nach sich. [39]

Diebstahl war eine Form des Widerstandes, die den Schwarzafrikanern bald in den rassistischen Ansichten vieler Halter als Stereotyp anhaftete. Gestohlen wurden vor allem Kleidung, Nahrung, Tiere, Wertgegenstände und Statussymbole. [40] Motive für Diebstahl konnten Widerstandswille, Rache, aber auch Not und Verzweiflung auf Grund schlechter Versorgung sein. Besonders gefürchtet waren auch Vandalismus und Brandstiftung durch Sklaven. Diesen konnten Plantagen, Herrenhäuser aber auch Sklavenhütten zum Opfer fallen. [41]

Die Gewalt der Sklaven richtete sich allerdings auch häufig gegen sich selbst, was vor allem den beschränkten Mitteln und der harten Repression zuzurechnen sein dürfte. Sklaven begingen Selbstmord, verstümmelten sich selbst und trieben ab. [42] Hier wird der Nachweis eines Widerstandswillens für den Historiker besonders schwierig. Ohne die schon erwähnten »hidden transcripts« oder Quellen, die von den betroffenen Sklaven vor ihrem Tod verfasst wurden, ist die tatsächliche Intention nicht zu erforschen.

Ein ähnliches Deutungsproblem in Bezug auf tatsächlich intendierten Widerstand stellt sich bei einer Verhaltensform, die oft als die am häufigsten gewählte Form des Widerstandes bezeichnet worden ist, der Flucht. Bedeutete Flucht Verzweiflung und den unbedingten Freiheitswillen, oder war sie gleichzeitig auch Widerstand, der gegen die Unterdrückung gerichtet sein sollte? 

Fluchten von Sklaven konnten vorübergehender oder dauerhafter Natur sein und individuell, in kleinen und großen Gruppen erfolgen. Sie konnten sich mit Rebellionen ergänzen. Im Falle einer Flucht fürchteten die Sklavenhalter die oftmals gesteigerte Revolutionsbereitschaft der Sklaven. [43]

Getragen wurde die Flucht vor allem durch die Sehnsucht nach Heimat und Familie, was die primäre Widerstandsintention fragwürdig erscheinen lässt. [44] Für eine Beurteilung der Flucht als Widerstand spricht allerdings die Tatsache, dass den Sklaven bewusst sein musste, dass sie ihren Besitzern auf diese Weise finanziell schaden konnten. Für Fluchtgemeinschaften, sogenannte Quilombos oder Mocambos (Marronage, Cimarronaje), spielte der geographische Faktor eine wichtige Rolle, da diese sich meist weit in das unerschlossene Hinterland zurückzogen und dort Schutz vor Sklavenjägern suchten. Im Gegensatz zu der wohl berühmtesten brasilianischen Quilombo »Palmares«, die in Pernambuco im 17. Jahrhundert über 80 Jahre Bestand hatte und ein eigenes Staatssystem darstellte, besaßen die meisten Quilombos nur eine kurze Lebensdauer, brachen in sich zusammen oder wurden vernichtet. [45] Oft wiesen die Quilombos in Kultur und Sozialstruktur afrikanischen Charakter auf, wenn auch Indios und Deserteure hier Unterschlupf fanden. [46] Die Versorgung gelang einigen durch Subsistenzwirtschaft, andere Quilombos unternahmen Raubzüge und Überfälle auf nahe gelegene Plantagen und Reisende.

Einige Quilombos wiederum trieben Handel mit Sklaven oder Kleinhändlern aus nahegelegenen Siedlungen. [47] Dieses ambivalente Verhalten wirkt sich auch auf die Beurteilung des Widerstandscharakters der Quilombos aus. Friedliche Koexistenz mit der dominanten Gesellschaft scheint möglich gewesen zu sein. Verträge, die manche Quilombolas mit staatlicher Seite schlossen, sicherten ihre Existenz, beinhalteten aber auch eine Verpflichtung zum Fang von Sklaven. [48] Dies lässt die ideologisch-moralische Opposition zur Sklaverei fragwürdig werden.

Sklaven fanden zudem Wege, ihren Unmut gegen ihre Versklavung auszudrücken, ohne sich der Gewalt bedienen zu müssen. Dazu zählten illegale Jagd, Sabotage, Arbeitsverweigerung, Beleidigungen und die heimliche Äußerung von Wut und Aggression. [49] Im Alltag finden sich offene und verdeckte Widerstandsformen. Nach Vallejos fallen unter die Kategorie „sozialer Widerstand“ Tanzen, Trinken, Glücksspiel, das unerlaubte Entfernen von der Plantage sowie das Tragen feiner Kleidung. [50] Kommerzieller Widerstand drückt sich demnach in Schmuggel und eigenem Erwerb gegen den Willen des Besitzers aus. [51] Außerdem kam es vor, dass Sklaven Arbeit bewusst schlecht ausführten oder verschleppten, was allerdings oftmals nur durch wütende Berichte von Haltern belegt ist, die darin eine Provokation sahen. [52] Auch der Konsum von Alkohol und Drogen wird als Widerstand definiert. Hier stellt sich allerdings die Frage, wann Widerstand tatsächlich intendiert war und wann es sich um Selbstbetäubung handelte, um die widrigen Lebensbedingungen leichter zu gestalten. Diese Normenverletzungen standen oft in Zusammenhang mit kulturellen Verhaltensformen, in denen Widerstand seinen Ausdruck finden konnte: Musik, Tanz, Gesänge sowie religiöse Rituale. Dabei war die Nacht die Stunde der Sklaven, in der es zur symbolischen Überwindung der Herren kam. [53]

Inwiefern sind diese soziokulturellen Verhaltensformen als Widerstand zu beurteilen? Für den symbolischen Widerstand ist allgemein zu vermuten, dass sich die bewusste Intention des Widerstandes schwerer nachweisen lässt als bei offenen Gewaltaktionen und Alltagsformen wie Verweigerung oder Sabotage. Ob sich diese Vermutung bestätigt, soll im Abschnitt zu Bahia genauer betrachtet werden.

Bahia um 1800 - Voraussetzungen und Einflussfaktoren auf den Sklavenwiderstand 

Geographisch kann Bahia grob in drei verschiedene Regionen unterteilt werden, die historisch gesehen eine entscheidende Rolle einnahmen und voneinander abhängig waren: Die Stadt Salvador, deren Umland, der Reconcavo, und das weite Hinterland im Westen, der Sertão. Die zentrale Stellung des kolonialen Bahia in Brasilien lässt sich daran erkennen, dass Salvador bis 1763 brasilianische Hauptstadt war. Sie galt als metropolitanes Bildungszentrum, dessen Wachstum auf der Lage an der sicheren Bucht und der Versorgung aus dem Reconcavo beruhte. [54] Reisenden fiel vor allem der große Anteil an Farbigen in der Bevölkerung Salvadors auf, der auch als »Capital of Africa« bezeichnet wurde:

„Wenn man nicht wüsste, dass diese Stadt in Brasilien läge, so möchte man… schwören, sie wäre die Hauptstadt von Afrika und Residenz eines mächtigen Negerfürsten…Alles scheint Neger zu sein“ [55].

Der Reconcavo, der Salvador mit Nahrung versorgte, umfasste kleine Städte im Umland und galt gegenüber Salvador als kulturell rückständig. [56] An den hiesigen Flüssen lag ein Großteil der bahianischen Zuckermühlen, wodurch dieses Gebiet zum wirtschaftlichen Rückgrat der Region wurde. [57] Der hohe Anteil (70 %) von Sklaven an der Bevölkerung in diesen Gebieten zeigt den engen Zusammenhang zwischen Zucker und Sklaverei. [58] Bahia blieb trotz der ökonomischen Krisen seit dem 16. Jahrhundert unentwegt Lieferant von Zucker und Tabak. Das Erscheinungsbild der Region war geprägt von Zuckerrohr, Engenhos und Sklaven. Ab 1790 erlebte Bahia einen Bevölkerungsanstieg auf 247.000 Menschen im Jahre 1807 und produzierte zweieinhalb mal soviel Zucker wie in den Jahren zuvor. Damit war auch die enorme Einfuhr von Sklaven aus dem Benin verbunden, die allerdings nur noch von Portugiesen und Brasilianern nach Bahia gebracht wurden, da ausgehend von England der Kampf gegen den transatlantischen Sklavenhandel begonnen hatte. [59] Die Prosperität hielt bis ca. 1822 an, ehe es mit der Unabhängigkeit von Portugal zu einer schweren Wirtschaftskrise kam. Diese traf besonders Bahia, da Europa nun mit Zucker aus anderen Gebieten Amerikas versorgt wurde, die Baumwollproduzenten mit Transportschwierigkeiten zu kämpfen hatten und sich der wirtschaftliche Schwerpunkt Brasiliens nach Süden auf die Kaffeeplantagen verschob, womit das Sklavenangebot in Bahia sank. [60] Für die Sklaven ging die Wirtschaftsdepression einher mit einer Verschlechterung ihrer Situation. Weniger Sklaven mussten mehr Arbeit leisten, wurden nur mangelhaft mit Nahrung und Kleidung versorgt und erfuhren eine repressivere Behandlung als zuvor. [61] Demographisch ist für Bahia stets das Zusammentreffen brasilianischer, afrikanischer und europäischer Elemente prägend gewesen. Entscheidende Kategorien für die gesellschaftliche Stellung waren Herkunft, Hautfarbe und sozialer Status. Um 1835 bestätigte sich in Salvador der schon beschriebene Eindruck der Reisenden von einer Überlegenheit der Farbigen auch in offiziellen Zahlen. Rund 70 % der Bevölkerung waren Farbige oder Crioullos, nur 30 % Weiße, 42 % der Bevölkerung waren Sklaven. [62] Die farbige Bevölkerung war unterdessen in sich keineswegs homogen. Sie wurde in Sklaven, ehemalige Sklaven (forros), Libertos und frei Geborene (livres) unterteilt. [63] Untereinander waren vor allem die Gruppen afrikanischer und afrobrasilianischer Sklaven oftmals verfeindet, was die Bildung eines Klassenbewusstseins erschwerte, wenn nicht sogar verhinderte. [64] Im Reconcavo arbeiteten die meisten Sklaven auf den Engenhos, wo die männlichen Sklaven in der Überzahl waren. [65] In Salvador, wo das Geschlechterverhältnis ausgeglichen war, übten Sklaven je nach Bedarf der Halter verschiedenste Berufe aus: Sie waren Schneider, Schmiede, Händler, Köche, Maler, Gärtner usw. In der häuslichen Sklaverei war der Anteil der Frauen größer, aber auch Männer versahen hier Dienste. [66] Ab den 1830er Jahren wandelte sich die Gesellschaft Bahias von einer Sklaven- zu einer Sklavenhaltergesellschaft, in der viele Halter auf Sklavenarbeit vertrauten, in der allerdings keine grundsätzliche Abhängigkeit von dieser Arbeitsform mehr bestand. [67] Mit Ende des transatlantischen Sklavenhandels 1851 nahm der Anteil der Sklaven an der Gesamtbevölkerung ab (1855 lag er bei 26 %). [68] Freie Arbeit begann Sklavenarbeit zu ersetzen. Jedoch dürfen diese Entwicklungen nicht mit dem Ende der Sklaverei gleichgesetzt werden. Zur Abolition kam es auch in Bahia erst 1888.

Formen von Sklavenwiderstand in Bahia zwischen 1790 und 1850 

Signifikanterweise ist die Region Bahia im Nordosten Brasiliens, in der es zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Welle von Sklavenaufständen gab, in Bezug auf Sklavenwiderstand in Brasilien bisher am besten erforscht worden. Im Folgenden sollen diese Aufstände in Bahia ebenso betrachtet werden wie subtilere Formen von Widerstand und deren Vorkommen in Bahia um 1800. Anhand des Falles Bahia soll auch die Argumentation der Forschungstheorien zum Begriff Widerstand überprüft werden. 

Gewalt und Rebellion von Sklaven in Bahia 

Warum kam es ausgerechnet in Bahia, nachdem die Sklaverei bereits über 200 Jahre existierte, ab 1790 zu Aufständen von Sklaven? Genannt werden in der Literatur interne Faktoren wie der erhöhte Import afrikanischer Sklaven, die gesteigerte Ausbeutung derselben bei einsetzender wirtschaftlicher Prosperität und die politische Instabilität in den Jahren vor 1822. Der Einfluss externer Ereignisse (Revolution in Haiti 1791) wird dabei für Bahia eher als begrenzt angesehen. Wichtigere Faktoren scheinen hier die unausgeglichenen Geschlechterverhältnisse im Reconcavo und die soziale Instabilität gewesen zu sein. [69]

Zudem brachten die um 1800 in großer Zahl importierten Sklaven aus dem von Revolten erschütterten Westafrika Kriegserfahrungen mit nach Bahia. Ihre Ankunft veränderte zudem die soziokulturelle Zusammensetzung der (Sklaven)- Bevölkerung, was ebenfalls Einfluss auf den Verlauf der Rebellionen nahm. [70] Auch wirkten sich örtliche Gegebenheiten vor allem in Salvador aus. Hier lebten die Sklaven auf engstem Raum mit ihren Beherrschern zusammen, was viele persönliche Feindschaften schürte. Ebenso wurde die Organisation von Aufständen durch städtische Kommunikationsstrukturen gestützt. [71]

Der Aufstand von Sklaven auf der Engenho de Santana nahe Ilheus im südlichen Bahia, der ungewöhnlicherweise von einem Crioullo angeführt wurde, bildete einen Vorläufer der Welle der Revolten ab 1807. [72] Aus diesem Aufstand ist eines der wenigen Dokumente hervorgegangen, das einen Aufstand aus Sicht der Sklaven schildert. In einem von ihnen aufgesetzten Vertrag stellten die geflohenen Sklaven, die ihren Aufseher ermordet hatten, Bedingungen, unter denen sie bereit waren, an die Arbeit zurückzukehren. Das Dokument gibt ungewöhnliche Einsicht in das Sklavenleben und verrät, was die Sklaven forderten: Mittel zur Subsistenzwirtschaft, bessere Kleidung und die Verringerung der Arbeitsanforderungen. [73] Das revolutionäre Potential sieht Schwartz aber vor allem in der Forderung, einen neuen Aufseher bestimmen zu dürfen: „The present overseers, we do not want, choose others with our approval.“ [74] Ebenso wenig hinnehmbar muss den Sklavenhaltern die Forderung nach Kontrolle über die Arbeitsinstrumente erschienen sein: „allowing us to remain always in possession of the hardware, we are ready to serve you as before“. [75] Dieses hätte eine Kontrolle über die Bewirtschaftung jener Plantage bedeutet.

Die Quelle lässt den Schluss zu, dass die Absicht hier nicht in einem Umsturz des Systems lag, sondern primär in einer Verbesserung der lokalen Umstände. Letztlich wurden die Sklaven mit falschen Versprechungen ihres Besitzers betrogen und einige von ihnen wurden nach Maranhão verkauft. [76] Nach der Tailor`s Rebellion 1798, dem einzigen größeren Aufstand, in dem sich Crioullos und afrikanische Sklaven gemeinsam beteiligten, begann 1807 die Welle der großen Sklavenaufstände. Ab 1813 bildete der Reconcavo das Zentrum mehrerer Aufstände. So auch bei der bis dahin größten Erhebung in Itapoam im März 1814, als der Schlachtruf „Death to all Whites and Mulattoes“ erklang, der die Feindschaft zwischen afrobrasilianischen und afrikanischen Sklaven offenbarte. [77] Während der Unabhängigkeitskämpfe in den Jahren vor 1822, die sich in Bahia intensiver gestalteten als in anderen brasilianischen Provinzen, sahen sich drei größere Aufstände der Sklaven einem hohen Militarisierungsgrad der Halter gegenüber, der alle Versuche, die politische Instabilität für sich zu nutzen, aussichtslos werden ließ. [78] Ein erster Aufstand von Sklaven in Salvador im April 1830 zeigte, dass die Herrscher gerade in ihrem Zentrum verwundbar waren, hier aber ebenso schnell zur Konterattacke bereit waren. [79] In der Nacht vom 24. auf den 25. Januar 1835 erhoben sich ca. 600 Sklaven zu einem Aufstand in Salvador. An diesem Höhepunkt der Revolten seit 1807 beteiligten sich trotz interner Differenzen verschiedene Gruppen westafrikanischer Sklaven. [80] Letztlich wurde auch dieser Aufstand niedergeschlagen. Der Aufstand kostete ca. 70 Sklaven das Leben. Wiederum waren keine brasilianischen Sklaven beteiligt, vielmehr war dies ein Aufstand afrikanischer Sklaven und freier Farbiger, die Weiße und Crioullos als ihre Feinde ansahen. [81] Ein Polizeibericht unterrichtet über die folgende Repression. Er verrät dabei die voreingenommene Sicht der Halter, denen die repressive Massakrierung und selbst die Ermordung der Afrikaner gerechtfertigt schien:

After such events, it is quite natural that there should be abuses, and these have taken place to such an extent that they completely justify the many well- founded complaints. Soldiers are beating, wounding and even killing slaves who, under their masters´ orders, are going in the streets.” [82]

Hier offenbart sich einmal mehr das Problem, dass Dokumente, die die Ereignisse aus Sicht der Sklaven schildern könnten, nicht vorhanden sind. Auch der Reisende Ave-Lallement beschreibt später die harsche Repression, die ihm durch Augenzeugen berichtet wurde: 

„Man schlug die Neger wie die Hunde auf den Straßen todt. Besonders sollen die gemischten Einwohner arg gegen ihre Vettern gewüthet haben.“ [83]

Nach den Ereignissen von 1835 kam es zu Razzien, Folterungen, Exekutionen und dem Verbot öffentlicher Zusammenkünfte von Sklaven, auch Religionsausübung wurde teils untersagt. [84] Typische Charakterzüge der bahianischen Sklavenrevolten zeigen sich nach Schwartz schon in der ersten Verschwörung von Haussa-Sklaven in Salvador 1807:

Die Wahl des christlichen Feiertages, um die Ablenkung der Besitzer durch die Festivitäten auszunutzen, die Organisation innerhalb der ethnischen Gruppe und der Versuch, andere Gruppen mit einzubeziehen und den Aufstand von Salvador durch eine Verschwörung auf die Sklavenmasse im Reconcavo zu übertragen. [85] Eine Petition von Bürgern und Kaufleuten nach einem Aufstand der Sklaven in Itapoam 1814 zeigt die typische Perzeption der bahianischen Bevölkerung, wenn es zu Sklavenaufständen kam. Kritisiert wurden vor allem die den Sklaven gewährten Freiheiten:

[…] and all this went entirely unpunished […] while we are treated with inhumanity, aside from many other trials that afflict us every day […] that the blacks be allowed to entertain themselves with their dances in two plazas named Barbahlo and Graca.” [86]

In Bezug auf den gewaltsamen Widerstand ist der Wertung Bergards als offensichtlichem Ausdruck einer Widerstandsintention beizustimmen, ohne damit subtilere Formen zu vernachlässigen. In Gewalt und Brandstiftung kommt Verzweiflung, aber auch der Widerspruch gegen das System und die eigene Versklavung zum Ausdruck. Dass Gewalt auch einen alltäglichen Charakter besaß, zeigen die Fälle von Selbstmord und Verstümmelung, auf die noch einzugehen ist. 

Quilombos und Widerstand in Bahia

Bis 1790 waren auch in Bahia nicht Rebellionen, sondern vielmehr Fluchten die häufigste Form, Widerstand gegen die Versklavung zu leisten. Bahias Geographie mit den unzugänglichen Sumpfgebieten, den Wäldern im Reconcavo und im südlichen Teil Bahias sowie die Berge und das Buschland im Sertão bot beste Voraussetzungen für Verstecke. [87]

In Salvador konnten Flüchtige in Gemeinden freier Schwarzer unterkommen. Alleine auf der Flucht zu überleben, gestaltete sich aber auch in Brasilien schwer, weswegen es oft zu Gruppenbildungen und der Entstehung von Fluchtgemeinschaften, den sogenannten Quilombos, kam.

In Brasilien traten Quilombos, die bis ins 18. Jahrhundert als Mocambos bezeichnet wurden, als Phänomen während der gesamten Periode der Sklaverei auf. [88] Faktoren, die in Bahia Rebellionen begünstigten, unterstützen auch die Bildung von Quilombos: die große Anzahl der Afrikaner, die Verschlechterung der Lebensbedingungen um 1800 und die Zerstrittenheit der herrschenden Schichten. [89] Seit dem 17. Jahrhundert existierten in den Bergen, Wäldern und Sümpfen, zunächst vor allem im Süden Bahias nahe den Städten Cairu, Camamu und Ilheus Siedlungen flüchtiger Sklaven. Mit der erhöhten Einfuhr afrikanischer Sklaven Ende des 18. Jahrhunderts erhöhte sich die Zahl der Flüchtigen und die Bildung von Quilombos nahm zu. Gleichzeitig mehrten sich die Versuche, selbige zu zerstören, sobald sie zu einer Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder für Reisende wurden, oder wenn man Land benötigte, das von den Quilombos okkupiert wurde. [90] Von Seiten der Sklaven wurde die Möglichkeit, durch Flucht Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen, der Rebellion vorgezogen, solange die Chance dazu bestand. Seit dem 17. Jahrhundert wurden Capitaes do Mato, meist indigene Buschläufer, eingesetzt, um Flüchtige und Quilombos aufzufinden. 1796 fand eine Expedition gegen die Quilombos in der Umgebung Salvadors statt. Daran beteiligt waren über 200 Personen: lokale Milizen, Soldaten und Indios. Der Befehl für diese Expeditionen war immer derselbe. Die Quilombo sollte zerstört, die Schwarzen gefangen genommen, Widerständler getötet und schließlich alle Hütten niedergebrannt werden. [91] Salvador war indessen von mobilen Quilombos umgeben, die nach ihrer Zerstörung nicht selten an anderen Orten wieder auftauchten. Solche Quilombos hatten nur wenige permanente Bewohner, da
viele Sklaven hier auch nur ein paar Tage Erholung von der repressiven Arbeit suchten. [92]

Was machte diese Quilombos aus, so dass bei den Haltern kaum Bereitschaft zur Koexistenz bestand? Im Gegensatz zu der legendären Quilombo Palmares aus dem 17. Jahrhundert war die typische bahianische Quilombo eher klein. Meistens bestand sie aus nicht mehr als 200 Personen und war nur kurzlebigen Charakters. Die Quilombolas wählten meist die Nähe von Siedlungen, um sich dort Nahrung und Waffen zu sichern sowie neue Mitglieder zu rekrutieren. Diese Nähe machte Gründungen, aber auch die Zerstörung von Quilombos leicht. [93] Sie wurden als Gefahr für Reisende, aber auch als Bedrohung für die Siedlungen angesehen, da eine Fluchtgemeinschaft für andere Sklaven attraktiv erscheinen konnte. Nicht selten wurden Quilombos auch zu Zentren religiöser Traditionswahrung. [94] Es gibt nur wenige Dokumente, die Einblicke in innere Strukturen und die Organisation von Quilombos bieten. Eine Ausnahme bilden hier die Dokumente zur Zerstörung der Quilombo »Buraco de Tatu« aus dem Jahre 1763. [95] Diese Quilombo bestand bereits seit 1744 in der Nähe Salvadors. Die Zerstörung erfolgte durch portugiesische Militärs und Indios im Verbund, wobei den Angreifern der Überraschungsmoment zu Hilfe kam. [96] Die »Buraco de Tatu« war eine typisch bahianische Quilombo in ihren Ausmaßen, der Nähe zu Salvador sowie der Versorgung durch Diebstahl und Handel. [97]

Schwartz schreibt, dass Quilombos bekämpft, aber auch notgedrungen akzeptiert wurden, da sie ebenso wie Fluchten der Sklaven keine zu hohe Bedrohung für das System im globalen Rahmen bedeuteten. [98] Lavina und Ruiz-Peinado betonen die Symbiose, die zwischen Quilombo und Rebellion möglich war. [99] Oft unterstützen Quilombolas Sklaven mittels Waffen, Verstecken und bei der Gegenwehr. Somit trugen sie ebenso zur Destabilisierung des Systems bei wie die Rebellionen. [100]

Bergard beschreibt die Flucht als häufigste Form des Widerstandes, die, gemessen an der Gesamtzahl der Sklaven, trotzdem gering blieb. [101] Mattoso sieht in den Quilombos die Hoffnung auf Freiheit, eine Rückkehr zu afrikanischen Traditionen, den Versuch, die persönliche Situation zu verbessern, einen Widerstand gegen die eigene Versklavung und gleichzeitig eine Antwort auf das System. [102] Schwartz bezeichnet die Mocambo als einen Angriff auf die soziale Ordnung und als Vorläufer des Cangaço (soziales Banditentum). [103] Den Sklaven gelang ein Leben abseits der Kontrolle durch die Halter, wenn auch die Quilombo keinen Generalangriff auf das System darstellte. [104]

Schwartz spricht die in Bezug auf die Beurteilung des Widerstandscharakters von Flucht und Quilombo zentrale Frage an. Inwieweit war hier tatsächlicher Widerstand intendiert und inwiefern stand die Suche nach persönlicher Freiheit im Vordergrund? [105] Stellte diese Suche an sich einen Widerstand dar? Schwartz liefert einen interessanten Ansatz, das Quellenproblem in Bezug auf die Deutung der Widerstandsintention durch eine etymologische Analyse zu lösen. Bis ins 18. Jahrhundert wurden Fluchtgemeinschaften mit dem Begriff Mocambo bezeichnet, was aus dem afrikanischen Mbundu stammt und soviel wie „Versteck“ bedeutet. Quilombo, die ab dem 18. Jahrhundert gängige Bezeichnung, leitet sich hingegen von ki-lombo ab, was übersetzt „Kriegslager“ bedeutet. Eventuell wäre hier aus dem Sprachgebrauch eine Widerstandsintention zu deuten. [106] Die ki-lombo war nach Schwartz sowohl bei den angolanischen Imbangala als auch bei den Quilombolas in Bahia das verbindende Element für eine Gemeinschaft ohne gemeinsame ethnische Wurzeln. Der linguistische Terminus sei nicht zufällig gewechselt worden, sondern impliziere eventuell den Gebrauch afrikanischer Institutionen, um eine Gemeinschaft im Widerstand zu schaffen. So kommt Schwartz zu dem Urteil, dass die Quilombos seit dem berüchtigten Palmares (1605-1694) eine ständige Verneinung des brasilianischen Sklavereisystems darstellten. [107] Meiner Meinung nach zeigten Quilombolas ein ambivalentes Verhalten, das sich auf die Beurteilung des Widerstandscharakters der Quilombos auswirkt. Friedliche Koexistenz scheint möglich gewesen, während es aber oftmals Gewaltausübung von und gegen Quilombos gab. Des Weiteren konnte eine Flucht in eine Quilombo natürlich auch in erster Linie dem Freiheitswillen und Überlebensdrang folgen. Allerdings plädiere ich im Fall der Quilombos doch dafür, von aktivem Sklavenwiderstand zu sprechen, wofür vor allem die häufigen Überfälle, die Wahrung afrikanischer Strukturen und Traditionen, der Entzug der Arbeitskraft und die Negation des Sklavereisystems durch das bewusste Vorziehen einer Alternative sprechen.

Alltagswiderstand in Bahia 

Alltagswiderstand, der auch gewaltsame Formen umfassen konnte, war gewöhnlicher als größere Aufstände. Die individuelle Ausübung von Gewalt, Attacken, die individuelle Flucht, aber auch subtilere Formen stellten für die Besitzer ein ständiges Problem dar. Auf Grund fehlender Quellen ist Selbstmord besonders schwer als eine Form von Widerstand zu beurteilen. Die Rekonstruktion eines Widerstandsgedankens scheint allerdings nur aus der Deutung der Summe der Handlungen und aus der Kontextdeutung heraus möglich. Im Falle von Selbstmord ist immer zu fragen, ob der Sklave mit dem Freitod Widerstand leisten wollte, indem er dem Besitzer das Arbeitskapital entzog und ihm durch diese letzte Tat die Macht über sich entzog, oder ob der Selbstmord primär als letzter Weg in die Freiheit betrachtet wurde. 

Alltagswiderstand gab es auch abseits von Flucht und Gewalt. So kam es auf den Engenhos im Reconcavo zu Diebstählen, zu Arbeitsverschleppung oder Verweigerung und zur Sabotage. Für Salvador analysiert Reis die Rolle der Arbeitsstruktur für alltägliche Formen von Sklavenwiderstand. [108] Für die escravos de ganho, die in den Straßen Salvadors den Kleinhandel kontrollierten oder als Stuhlträger arbeiteten, eröffnete sich Raum für Solidarität und ethnische Identität.

Reis vermutet in der Entwicklung einer eigenen Arbeitsethik ein Mittel zur Überwindung der Demütigung durch den Sklavenstatus. [109] Der afrikanische Gesang der Stuhlträger gab den Arbeitsrhythmus vor, war gleichzeitig Reduzierung des Leidens, Begrenzung der Ausbeutung und Präsentation von Identität. [110] Wenn Sklaven sich nicht den Marktgesetzen unterwarfen, war dies nach Reis eine Negation frühkapitalistischer Ausbeutung. Es konnten einige Aspekte der brutalen Dominanz ausgesetzt und jene der Selbstbestimmung eingebracht werden. [111] Dazu zählte ebenfalls die Fortführung der afrikanischen Tradition bei der Organisation kollektiver Arbeitsformen. Die Arbeitsorganisation verschaffte den Sklaven somit ein Stück Autonomie, das allerdings gegenüber dem brutalen Alltag der Sklaverei, der auch in Salvador herrschte, nicht romantisiert werden sollte. Nach Mattoso unterliefen Verhaltensformen wie Verschleppung, Streik und Sabotage ebenso die Autorität der Herrschenden, wie dies auch die Entwicklung eigener Dynamiken tun konnte und sind somit als Widerstand zu werten. [112]

Wenn der eigene Verdienst nicht erlaubt war und Sklaven trotzdem dem Erwerb nachgingen, so bedeutete dies nicht nur eine Notwendigkeit für den Lebensunterhalt, sondern auch ein bewusstes Durchbrechen der auferlegten Regeln. 

Kultureller, spiritueller und religiöser Widerstand in Bahia 

Zu subtileren Formen von Widerstand, die nach Schwartz in der Historiographie oftmals zu oberflächlich behandelt worden sind, [113] gehört auch die Identitätswahrung der Sklaven, die ebenfalls unter dem Aspekt des Widerstandscharakters betrachtet werden kann. Zur Bildung und Repräsentation von Identität kam es in Zusammenkünften von Sklaven, bei Ritualen, in der Rebellion, bei Flucht und Gruppenbildung. [114]

Solidarität fanden Sklaven in ihrer Arbeitsgruppe, in religiösen Vereinigungen, den schon beschriebenen Fluchtgemeinschaften und seltener in der Familie. Die afrikanischen Familienbande waren in den meisten Fällen durch die Versklavung zerstört. Nicht selten wurden Sklaven in die patriarchische Familie des Halters integriert. [115] Die soziale Realität wurde somit nicht von der Familie, sondern meistens von der peer-group bei der Arbeit bestimmt. Das galt auch für Kinder ab dem siebten Lebensjahr, wobei die gemeinsame ethnische Herkunft an die Stelle familiärer Verwandtschaft trat. [116]

Auf den Engenhos im Reconcavo sorgte die immense Größe mancher Sklavengruppen für die Bewahrung afrikanischer Traditionen. In Salvador organisierten die Sklaven, nach ethnischen Gruppen getrennt, ihre Arbeit selber und negierten die Fremdherrschaft bis zu einem gewissen Grade durch die Wahl eigener Anführer. [117] Weitere Gruppen, in denen sich Sklaven auch mit freien Farbigen trafen, waren die Juntas de alforria: Kreditgemeinschaften, die durch Beiträge ihrer Mitglieder den Freikauf einzelner Sklaven finanzierten. [118]

Gruppenbildung war entscheidend für die Erhaltung von Identität, für Solidarität, für eine graduelle Negation von Ausbeutung und Fremdherrschaft und somit auch von Vorteil für Überlebenswillen und Widerstandsbereitschaft. Sie bekam ebenfalls zentrale Bedeutung für Formen des symbolisch-kulturellen und religiös-spirituellen Widerstandes. So kam es zur synkretistischen Vermischung des Katholizismus mit afrikanischen religiösen Elementen. [119] Candomble, das verschiedene afrikanische spirituelle Riten beinhaltete, wurde an eigens dafür vorgesehenen Stätten (Casas de Candomble) praktiziert. [120] Feste, die solche Riten beinhalteten, sieht Reis als eine Vermischung von Profanem und Heiligem. [121] Sobald die Herrschenden darin eine Negation der bestehenden Verhältnisse erkannten, bekämpften sie die Rituale. Die „Afrikanisierung“ des Christentums durch Synkretismus war stets mit viel Musik, Tanz und Pomp verbunden.

Reis nennt diese Aktivitäten eine Karnevalisierung der sozialen Ordnung. Es kam zu fiktiven Krönungen und zur symbolischen Umkehr der sozialen Hierarchie, einer Form des Widerstandes innerhalb des bestehenden Systems. [122] Diese Feste der schwarzen Bruderschaften und der Synkretismus sind in ihrem Widerstandscharakter aber noch von dem Praktizieren rein afrikanischer Kulte zu trennen.

Die Batuques waren afrikanische Trommeltänze, denen in der Nacht oder am Tag nach der Arbeit nachgegangen wurde. Auf die Halter wirkten diese Tänze auch deshalb befremdlich, weil die Afrikaner in ihren eigenen Sprachen sangen. [123] Wieder einmal fehlen Quellen, denn die Afrikaner haben auch hier keine entsprechenden Dokumente hinterlassen (können). Die Gesänge können in ihrem Inhalt allerdings als Stimme der Sklaven gewertet werden: „Branco diz o preto furta, Preto furta com razão. Sinho branco tambem furta, quando faz a escravidão [124]. Wenn man die Empfindung der Sklavenhalter als Beurteilung dieser Handlungen zu Grunde legt, spricht dieses auch für den Widerstandscharakter der kulturellen Handlungen: Batuques und Candomble verursachten nicht selten Nervosität.

Die Forderung präventiver Maßnahmen verrät die typische Sicht der Halter auf die Batuques. Reis sieht hier einen Widerstand in Form der symbolischen Umkehrung der Ordnung und der Schaffung von Identität, Solidarität und Humanität. [125] Der symbolisch-spirituelle Widerstand erschöpfte sich aber keineswegs in den Batuques und den Festen. Reis untersucht die Rolle von Begräbnissen, die durch Candomble einen afrikanischen Charakter annahmen und in denen sich vor allem in Rio de Janeiro, vermutlich aber auch in Bahia, afrikanische soziale, religiöse und politische Gebräuche widerspiegelten. [126] Bestandteile konnten Musik, Trommeln, Tanzen, Gesang und Feuerwerk sein. [127] Auch hier kam es zur Präsentation von Stolz, Identität und Würde, zu einer Negation der Unterdrückung. Die Halter unterdessen fürchteten auch diese Riten. Sie stellten in ihren Augen eine tatsächliche Bedrohung der bestehenden Ordnung dar. [128]

Eine weitere Form spirituellen Widerstands, deren Inhalt schwer zugänglich ist und wofür Dokumente fehlen, ist Voodoo. Hier sind Intention und Widerstandscharakter besonders schwierig zu beurteilen. Auch für Brasilien scheint sich die Annahme von Wirz zu bestätigen, dass Voodoo und okkultistische Magie auch für Sklavenhalter zum handlungskonstituierenden Element werden konnten. Oftmals verkauften Besitzer ihre Sklaven aus Angst vor Vergiftung oder der Verhexung und Magie. [129] Eine Beurteilung der symbolischen, religiösen oder spirituellen Formen von Widerstand fällt auf Grund der mangelnden Quellenlage besonders schwer. Die „Stimme aus der Summe der Aktionen“ zu deuten, gestaltet sich im Falle von religiösen Ritualen, oder im Falle von Gruppenbildungen und Identitätswahrung sehr viel komplexer als bei Rebellionen. Es stellt sich die Frage, ob es sich um intendierten Widerstand oder die Realisierung menschlicher Bedürfnisse handelte und wie weit der Begriff Widerstand unter Berücksichtigung der in der Sklaverei gegebenen Verhältnisse zu fassen ist. Mattoso sieht in jeder Vereinigung von Sklaven, egal ob diese autorisiert war oder nicht, eine Schaffung von Autonomie und damit einen Protest gegen das Sklavereisystem. [130] Nicht zu rebellieren, bedeutete nicht zwangsläufig, sich widerstandslos in die Sklaverei zu ergeben. [131] Daher kommt Reis zu dem Schluss, dass religiöse und symbolische Formen des Widerstandes gleichwertig mit Rebellion und Flucht sind. Keine der beiden Formen hatte in der Regel längerfristigen Erfolg und doch konnten sie zur Erhaltung sozialer Freiräume und zur Begrenzung der Ausbeutung beitragen. [132] Das Bewahren der eigenen Tradition in Form von Tanz, Musik oder Religion bedeutete nicht nur die Wahrung der eigenen Identität. Es handelt sich hier vielmehr um die Ablehnung einer ideologisch-kulturellen Übermächtigung. Arbeit und oberflächliche Unterwerfung kann erzwungen werden. Das Innere, die Seele des Sklaven, kann der Besitzer jedoch nicht beherrschen. Allerdings gerät man hier erneut auf die Deutungsebene, in dem man diese Sichtweise allzu leicht in das Verhalten der Sklaven hinein interpretiert. Diese sozial-kulturellen Verhaltensformen sind oftmals eine Humanisierung des Leidens. Es kann ebenso intendierter symbolischer Widerstand dahinter vermutet werden. Allerdings gestaltet sich der historische Beleg für den intendierten Widerstand speziell bei diesen Formen schwierig. Dies betrifft besonders verdeckten Widerstand gegen ideologische Dominanz. So sind dissidentische Subkulturen, Mythenbildung und Träume von einer umgekehrten Weltordnung, die Scott als Widerstand beschreibt, [133] selten schriftlich festgehalten worden.

Fazit 

Die diversen theoretischen Überlegungen zum Begriff Sklavenwiderstand fassen diesen unterschiedlich weit. Einflussfaktoren für Widerstand waren geografischer, wirtschaftlicher, politischer, sozialer und demografischer Natur. Verhaltensweisen, die in der Forschung unter Sklavenwiderstand erfasst werden, beinhalten Rebellion, Flucht, Quilombobildung, Sabotage, Verweigerung, aber auch komplexere Formen wie Identitätswahrung, Traditionentransfer, Selbstorganisation, die Schaffung eines Arbeitsrhythmus, Tänze, Gesänge, Musik, religiösen Synkretismus, das Praktizieren eigener Kulte und Voodoo. Vor allem subtilere Formen werfen die Frage auf, ob es sich jeweils primär um Widerstand handelt oder eher um Freiheitswillen bzw. die Realisierung menschlicher Bedürfnisse und ob diese mit Widerstand gleichzusetzen sind. Hier stößt man auf das Problem der fehlenden Quellen, die Intentionen der Sklaven offenbaren könnten. Damit verbindet sich auch die Frage nach den möglichen Perspektiven für eine Beurteilung von Sklavenwiderstand. Zumeist bewegt sich die Forschung auf der Deutungsebene und muss die Stimme der Sklaven aus deren Handlungen interpretieren.

Bahia entwickelte sich auf den Zuckerplantagen des Reconcavo und in der Hauptstadt Salvador zu einem Zentrum der brasilianischen Sklaverei. Wichtig für den Widerstand war vor allem die Verbindung der Sklaven aus diesen zwei Gebieten. Auf Grund der Welle von Sklavenaufständen ab 1807 ist gewaltsamer Widerstand in Bahia gut erforscht. Flucht und Quilombobildung waren gerade in Brasilien die häufigste Form von Sklavenwiderstand. In der Umgebung von Salvador gab es Anfang des 19. Jahrhunderts eine große Anzahl von mobilen Quilombos, die Bedeutung für Aufstände besaßen und zu Zentren der religiösen Traditionswahrung wurden. In Bahia kam es durch religiösen Synkretismus zur Karnevalisierung des Christentums. Der große afrikanische Anteil unter den Sklaven (60%) ermöglichte das Überleben afrikanischer Kulte. Davon wurden vor allem Batuques und Candomble als Widerstand gefürchtet.

Eine Theorie zu verschiedenen Formen von Sklavenwiderstand sollte meiner Meinung nach die Komplexität des Begriffs erfassen. Gleichzeitig aber muss bei einem umfassenden Verständnis von Widerstand akribisch nach historischen Belegen gesucht werden, die Verhaltensformen als intendierten Widerstand ausweisen. In Bezug auf die eingangs erwähnte Frage nach den möglichen Perspektiven auf Widerstandshandlungen könnte folgende Ausführung ein Argument dafür sein, die Sicht der Herrschenden zu berücksichtigen: In der ständigen Angst der Herrscher vor einem möglichen Aufstand der Sklaven und der damit verbundenen Praxis der ständigen Erneuerung der Herrschaft, sei es durch Statussymbole oder durch Repression, spiegelt sich wieder, was als Widerstand empfunden wurde. 

Es bleibt aber das bereits angesprochene Problem der oftmals von Angst vor Umstürzen und rassistischer Voreingenommenheit geprägten Perspektive der Herrschenden und das häufige Fehlen von Gegendarstellungen seitens der Sklaven. Angesichts des Quellenmangels für die Sklavenperspektive muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass sich eine Forschung zur konkreten Falluntersuchung von Sklavenwiderstand oft auf der Interpretationsebene bewegt und dass bei der Bewertung von Verhaltensweisen als Widerstand nicht selten von Einzelfällen ausgehend verallgemeinert wird. 

Ich spreche mich nach der Analyse der Theorie und dem Beispiel Bahias schließlich für ein Verständnis von Sklavenwiderstand aus, das die Komplexität des Widerstandsbegriffes erfasst und gleichzeitig bei einer weiten Auslegung berücksichtigt, dass subtilere Formen von Widerstand auf Grund fehlender Quellen schwierig als solcher zu belegen sind. Daher muss diese weite Auslegung unter Vorbehalt geschehen und im Einzelfall vor allem im Hinblick auf die möglichen Intentionen der Handelnden überprüft werden. Zu bedenken ist aber, dass eine Verallgemeinerung des Einzelfalles die Gefahr in sich birgt, Strukturen der Sklaverei zu verwischen und Möglichkeiten der Sklaven, Widerstand auszuüben, falsch einzuschätzen. Vor allem im Falle der subtileren Widerstandsformen sollte daher die Frage primär lauten, welche Aktionen Widerstand sein können, nicht aber in jedem Einzelfall als solche intendiert sein müssen. Dann erscheint auch eine weitere Auslegung des Begriffs, die nicht zuletzt unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse in der Sklaverei notwendig scheint, gerechtfertigt. 

Anmerkungen

  • [1]

     Sidney W. Mintz: Toward an Afro- American History. In: Journal of World History Jg. 13 (1971). Abgedruckt in: Stanley Engerman, Seymour Drescher, Robert Paquette (Hrsg.): Slavery. Oxford 2001, S. 345.

  • [2]

     Stuart B. Schwartz: Sugar Plantations in the Formation of the Brazilian Society. Bahia 1550-1835. Cambridge u.a. 1985, S. 469.

  • [3]

     Robert Edgar Conrad: Children of God´s Fire. A documentary History of Black Slavery in Brazil. Princeton/New Jersey 1983, S. 359-413.

  • [4]

     Eugene D. Genovese: Roll, Jordan, roll. The World, the Slaves Made. New York 1974, S. 587f. Abgedruckt in: Engerman, Stanley L., Drescher, Seymour, Paquette, Robert L. (Hrsg.): Slavery. Oxford 2001, S. 346ff.

  • [5]

     Alf Lüdtke: Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis. In: Ders. (Hrsg.): Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien. Göttingen 1991, S. 9-66, hier: S. 11.

  • [6]

     Ebenda, S. 21.

  • [7]

     Ebenda, S.10.

  • [8]

     Ebenda.

  • [9]

     Genovese, Roll [s. Anmerkung 4], S. 348.

  • [10]

     Ebenda.

  • [11]

     Ebenda.

  • [12]

     Matthias Röhrig Assuncao: A resistencia escrava nas Americas: Algumas consideracoes comparativas: In: Libby Cole Douglas, Junia Ferreira Furtado (Hrsg.): Trabalho livre, trabalho escravo. Brasil e Europa, seculos XVIII e XIX. Sao Paulo 2006, S. 346.

  • [13]

     Ebenda, S. 347.

  • [14]

     Ebenda, S. 352.

  • [15]

     Ebenda, S. 353f.

  • [16]

     James C. Scott: Domination and the Arts of Resistance: Hidden Transcripts. New Haven 1990. Abgedruckt in: Stanley Engerman, Seymour Drescher, Robert Paquette (Hrsg.): Slavery. Oxford 2001, S. 366ff.

  • [17]

     Ebenda, S. 368.

  • [18]

     Ebenda.

  • [19]

     Ebenda, S. 369.

  • [20]

     Ebenda, S. 369f.

  • [21]

     Ebenda, S. 367.

  • [22]

     Assuncao, Resistencia [s. Anmerkung 12], S. 343.

  • [23]

     Ebenda, S. 344.

  • [24]

     Robert Paquette: Slave Resistance and Social History. Abgedruckt in: Stanley Engerman, Seymour Drescher, Robert Paquette (Hrsg.): Slavery. Oxford 2001, S. 359.

  • [25]

     Ebenda.

  • [26]

     Mintz, Afro-American [s. Anmerkung 1], S. 345.

  • [27]

     Michael Zeuske: Sklaven und Sklaverei in den Welten des Atlantiks 1400-1940. Umrisse, Anfänge, Akteure, Vergleichsfelder und Bibliographien. Berlin 2006, S. 88f.

  • [28]

     Mintz, Afro-American [s. Anmerkung 1], S. 342.

  • [29]

     Boris Fausto: A concise History of Brazil. Cambridge 1999, S. 108f. Man denke hier einerseits an die Sklavenaufstände in Britisch-Westindien, die trotz des Kampfes der Engländer gegen die Sklaverei vorkamen, andererseits an das, mittelfristig gesehen wirkungslose Schutzgesetz in Brasilien 1831 („para ingles ver“).

  • [30]

     Stanley Engerman, Seymour Drescher, Robert Paquette: Resistance. Introduction. In: Dies. (Hrsg.): Slavery. Oxford 2001, S. 295-296, hier: S. 296.

  • [31]

     Assuncao, Resistencia [s. Anmerkung 12], S. 345f.

  • [32]

     Ebenda, S. 346.

  • [33]

     Javier Lavina, Jose Luis Ruiz-Peinado: Resistencias esclavas en las Americas. Aranjuez/Madrid 2006, S. 146.

  • [34]

     Engerman/Drescher/Paquette, Resistance [s. Anmerkung 30], S. 295.

  • [35]

     Albert Wirz: Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem. Frankfurt am Main 1984, S. 180.

  • [36]

     Engerman/Drescher/Paquette, Resistance (s. Anmerkung 30), S. 296.

  • [37]

     Assuncao, Resistencia [s. Anmerkung 12], S. 354.

  • [38]

     Genovese, Roll [s. Anmerkung 4], S. 348.

  • [39]

     Mary C. Karasch: Slave Life in Rio de Janeiro 1808-1850. Princeton 1987, S. 320ff.

  • [40]

     Ebenda, S. 330.

  • [41]

     Ebenda, S. 331.

  • [42]

     Wirz, Sklaverei [s. Anmerkung 35], S. 163f.

  • [43]

     Ebenda, S. 175.

  • [44]

     Ebenda, S. 173.

  • [45]

     Ebenda, S. 169ff.

  • [46]

     Conrad, Children [s. Anmerkung 3], S. 366ff.

  • [47]

     Ebenda, S. 368.

  • [48]

     Wirz, Sklaverei [s. Anmerkung 35], S. 173.

  • [49]

     Scott, Domination [s. Anmerkung 16], S. 367.

  • [50]

     Julio Pinto Vallejos: Slave Control and Slave Resistance in Colonial Minas Gerais, 1700-1750. In: Journal of Latin American Studies Jg. 17 (1985), S. 20-34, hier: S. 20.

  • [51]

     Ebenda.

  • [52]

     Karasch, Slave [s. Anmerkung 39], S. 331.

  • [53]

     Lavina/Peindao, Resistencias [s. Anmerkung 33], S. 36f.

  • [54]

     Mieko Nishida: Slavery and Identity. Ethnicity, Gender and Race in Salvador, Brazil, 1808-1888. Bloomington, Indianapolis 2003, S.11ff.

  • [55]

     Robert Ave-Lallement: Reise durch Nord- Brasilien im Jahre 1859. Band 1. Leipzig 1860, S. 10.

  • [56]

     Nishida, Slavery [s. Anmerkung 54], S. 13.

  • [57]

     Schwartz, Sugar [s. Anmerkung 2], S. 77.

  • [58]

     Ebenda, S. 87.

  • [59]

     Nishida, Slavery [s. Anmerkung 54], S. 16.

  • [60]

     Maria Jose de Souza Andrade: A mao de obra escrava em Salvador 1811-1860. Sao Paulo 1988, S. 46f.

  • [61]

     Joao Jose Reis: Slave Resistance in Brazil: Bahia 1807-1835. In: Luso-Brazilian Review Jg. 25 (1988), S. 111-144, hier: S. 113f.

  • [62]

     De Andrade, mao [s. Anmerkung 60], S. 29.

  • [63]

     Nishida, Slavery [s. Anmerkung 54], S. 25f.

  • [64]

     Reis, Slave [s. Anmerkung 61], S. 118.

  • [65]

     Nishida, Slavery [s. Anmerkung 54], S. 17f.

  • [66]

     De Andrade, mao [s. Anmerkung 60], S. 33ff.

  • [67]

     Nishida, Slavery (s. Anmerkung 54), S. 21f.

  • [68]

     Ebenda, S. 21.

  • [69]

     Schwartz, Sugar [s. Anmerkung 2], S. 474.

  • [70]

     Joao Jose Reis: Slave Rebellion in Brazil. The Muslim Uprising of 1835 in Bahia. Baltimore 1994, S. 139ff.

  • [71]

     Ebenda, S. 185f.

  • [72]

     Conrad, Children [s. Anmerkung 3], S. 397ff.

  • [73]

     Treaty Proposed to M. Da Silva Ferreira by his Slaves during the Time that They Stayed in Revolt. Abgedruckt in: Conrad, Children [s. Anmerkung 3], S. 400.

  • [74]

     Ebenda.

  • [75]

     Ebenda.

  • [76]

     Stuart B. Schwartz: Resistance and Accommodation in Eighteenth-Century Brazil. The Slaves View of Slavery. In: The Spanish American Historical Review Jg. 57 (1977), S. 72.

  • [77]

     Reis, Slave [s. Anmerkung 70], S. 47.

  • [78]

     Schwartz, Sugar [s. Anmerkung 2], S. 486.

  • [79]

     Reis, Slave [s. Anmerkung 70], S. 67.

  • [80]

     Schwartz, Sugar [s. Anmerkung 2], S. 487f.

  • [81]

     Laird W. Bergard: The Comparative History of Slavery in Brazil, Cuba and the United States. New York 2007, S. 231.

  • [82]

     Report from Chief of the Police to the Governor of Bahia. Abgedruckt in: Conrad, Children [s. Anmerkung 3], S. 411.

  • [83]

     Ave-Lallement, Reise [s. Anmerkung 55], S. 47.

  • [84]

     Bergard, Histories [s. Anmerkung 81], S. 233.

  • [85]

     Schwartz, Sugar [s. Anmerkung 2], S. 480.

  • [86]

     Petition from Merchants and Citizens of Bahia sent to Dom Joao 1814. Abgedruckt in: Conrad, Children [s. Anmerkung 3], S. 403.

  • [87]

     Schwartz, Sugar [s. Anmerkung 2], S. 470.

  • [88]

     Stuart B. Schwartz: Slaves, Peasants and Rebels. Reconsidering Brazilian Slavery. 5. Auflage. Chicago 1996, S. 104ff.

  • [89]

     Lavina/Ruiz-Peinado, Resistencias esclavas [s. Anmerkung 33], S. 148.

  • [90]

     Bergard, Histories [s. Anmerkung 81], S. 220f.

  • [91]

     Jose Alipio Goulart: Da fuga ao suicido. Aspectos de rebeldia dos escravos no Brasil. Rio de Janeiro 1972, S. 259.

  • [92]

     Reis, Slave [s. Anmerkung 70], S. 41.

  • [93]

     Ebenda.

  • [94]

     Ebenda, S. 42.

  • [95]

     Schwartz, Slaves [s. Anmerkung 88], S. 112ff.

  • [96]

     Ebenda, S. 117.

  • [97]

     Ebenda, S. 117f.

  • [98]

     Schwartz, Sugar [s. Anmerkung 2], S. 472.

  • [99]

     Lavina/Ruiz-Peinado, Resistencias [s. Anmerkung 33], S. 148.

  • [100]

     Ebenda, S. 148.

  • [101]

     Bergard, Histories [s. Anmerkung 81], S. 202ff.

  • [102]

     Katia M. De Queiros Mattoso: To Be a Slave in Brazil: 1550-1888. New Brunswick 1986, S. 138.

  • [103]

     Schwartz: Slaves [s. Anmerkung 88], S. 109.

  • [104]

     Ebenda, S. 113f.

  • [105]

     Ebenda, S. 104.

  • [106]

     Ebenda, S. 125ff.

  • [107]

     Ebenda, S. 128.

  • [108]

     Reis, Slave [s. Anmerkung 70], S. 160ff.

  • [109]

     Ebenda, S. 163f.

  • [110]

     Ebenda. S. 163.

  • [111]

     Ebenda, S. 164ff.

  • [112]

     Mattoso, Slave [s. Anmerkung 102], S. 137.

  • [113]

     Schwartz, Slaves [s. Anmerkung 88], S. 104.

  • [114]

     Nishida, Slavery [s. Anmerkung 54], S. 70.

  • [115]

     Mattoso, Slave [s. Anmerkung 102], S. 107ff.

  • [116]

     Reis, Slave [s. Anmerkung 70], S. 185.

  • [117]

     Ebenda, S. 164f.

  • [118]

     Nishida, Slavery [s. Anmerkung 54], S. 55.

  • [119]

     Ebenda, S. 60ff.

  • [120]

     Ebenda, S. 51f.

  • [121]

     Joao Jose Reis: Death Is a Festival. Funeral Rites and Rebellion in Nineteenth-Century Brazil. London/Chapel Hill 2003, S. 56.

  • [122]

     Nishida, Slavery [s. Anmerkung 54], S. 59f.

  • [123]

     Ebenda, S. 50.

  • [124]

     Zitiert nach Wirz, Sklaverei [s. Anmerkung 35], S. 160.

  • [125]

     Joao Jose Reis: Reconcavo rebelde: revoltas escravas nos engenhos baianos. In: Afro-Asia Jg. 15 (1992), S. 100-126, hier: S. 125.

  • [126]

     Reis, Death [s. Anmerkung 121], S. 144ff.

  • [127]

     Ebenda, S. 146.

  • [128]

     Ebenda, S. 148.

  • [129]

     Mattoso, Slave [s. Anmerkung 102], S. 136.

  • [130]

     Ebenda, S. 125.

  • [131]

     Reis, Reconcavo [s. Anmerkung 125], S. 124.

  • [132]

     Reis, Slave [s. Anmerkung 70], S. 153.

  • [133]

     Scott, Domination [s. Anmerkung 16], S. 367.

Empfohlene Zitierweise

Peters, Mario: Formen des Sklavenwiderstandes. Die Region Bahia in Brasilien 1790–1850. aventinus varia Nr. 27 [27.05.2011] / PerspektivRäume Jg. 1 (2010), H. 2, S. 52-77, in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/8598/

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Erstellt: 27.05.2011

Zuletzt geändert: 27.05.2011

ISSN 2194-1971