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aventinus recensio Nr. 39 [30.09.2013] / Skriptum 1 (2011) Nr. 2 Unveränd. Nachdruck

Yves V. Grossmann 

Vom Scheitern der Demokratie Die Pfalz am Ende der Weimarer Republik

herausgegeben von Gerhard Nestler, Stefan Schaupp und Hannes Ziegler


Nach knapp 80 Jahren beschäftigt das Ende der ersten deutschen Republik die Historikerzunft noch immer. Einer der neuesten Beiträge des letzten Jahres ist ein Sammelband über das Scheitern der Republik in der bayerischen Pfalz. Die landeskundliche Erforschung der pfälzischen Zeitgeschichte hat im letzten Jahrzehnt wesentliche Impulse erhalten. Es wurden wichtige Monographien und Zeitschriftenaufsätze veröffentlicht: Die Geschichtslandschaft Pfalz hat ihren festen Platz in der Forschung. Es kamen darüber hinaus auch vier qualitätsvolle Sammelbände zur pfälzischen Geschichte von der französischen Besetzung 1918/19 bis hin zum Kriegsende und dem demokratischen Neubeginn in Rheinland-Pfalz heraus. [1] Der neueste Band „Vom Scheitern der Demokratie – Die Pfalz am Ende der Weimarer Republik“ wurde 2010 veröffentlicht und schließt eine letzte thematische Lücke. Um diesen Band soll es hier gehen. Soviel vorneweg: Der Sammelband ist gelungen und darf in keiner Bibliothek fehlen.

Den Anfang vom Ende der Republik setzt das Buch mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929; das Ende bildet die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Beide Zeitpunkte sind geschickt gewählt. Der Beginn der Weltwirtschaftskrise und die NS-„Machtergreifung“ sind jeweils genau zu datierende Ereignisse, die jedoch einen tiefen Einschnitt und tiefgreifende Veränderungen für die Zeitgenossen bedeuteten. Die ganze Epoche der Weimarer Republik war für die Pfalz, als französisch-besetztes Grenzland und linksrheinischer bayerischer Rheinkreis, eine Zeit voller wirtschaftlicher Niedergänge und politischer Unsicherheiten. Wenig überraschend war daher, dass die NSDAP in der Pfalz schon sehr früh keine rechtsradikale Splitterpartei mehr, sondern, spätestens ab Ende der 1920er Jahre, eine Massenpartei war. Den Sammelband beginnt Hannes Ziegler mit einem gelungenen Überblick zur Situation der Pfalz zwischen den Jahren 1929 und 1933. Hauptquelle sind die Berichte des pfälzischen Regierungspräsidenten nach München. Die Pfalz war ein Notstandsgebiet, denn schon bevor die Weltwirtschaftskrise Deutschland erfassen konnte, war die Not der Pfälzer sehr groß. Der konjunkturelle Einbruch im Oktober 1929 traf die Region doppelt hart. [2] Die Berichte des Regierungspräsidenten sind gezeichnet von den wirtschaftlichen Nöten der Bevölkerung und der schleichenden politischen Radikalisierung, trotz des Abzugs der französischen Besatzungsmacht 1930 und des Jubiläums des Hambacher Festes 1932. Ziegler gelingt es mit seinem Überblicksbeitrag in überzeugender Weise den roten Faden aufzuzeichnen, an dem sich alle thematischen Aufsätze nach ihm orientieren.

Der Beitrag von Wilhelm Kreutz widmet sich der ganzen französischen Besetzung des linksrheinischen Gebietes nach 1919. [3] Gut zusammengefasst und sinnvoll dargestellt werden die nationalen und internationalen Bedeutungen der Besetzung sowie die Politik der einzelnen Akteure. Die „Befreiungsfeiern“ in der Pfalz nach dem Abzug 1930 bilden einen der Kerne der Untersuchung. Im Vergleich mit Rheinhessen macht der Autor hier deutlich, was die Reaktionen, Wünsche und Erwartungen in der pfälzischen Bevölkerung waren und wie die „Befreiungsfeiern“ teilweise in erste Vergeltungsversuche gegen ehemalige Separatisten ausarteten. Ein anderes Phänomen, nämlich die Pfalz in der Wirtschaftskrise, thematisiert die Ludwigshafener Archivarin Susan Becker. Becker widerlegt überzeugend die zeitgenössische These, dass die wirtschaftliche Not der Pfalz im Besonderen durch den Abschnitt der benachbarten Absatzmärkte – Saarland und Elsaß-Lothringen – und durch die neue Zollgrenze, welche den pfälzischen Export über den Rhein erschwerte, verursacht worden war. Vielmehr hebt sie deutlich die ebenfalls bereits zu dieser Zeit diskutierte These hervor, dass „die pfälzische Sonderkrise im Rahmen der weltweiten Wirtschaftskrise zumindest teilweise auch der strukturellen Schwäche der eignen Wirtschaft bzw. internen Faktoren geschuldet sein könnte.“ [4] Anhand von sechs ausgewählten pfälzischen Unternehmen, u.a. Pfaff und der BASF, erläutert sie ihre These sehr überzeugend. Es gelingt Becker aufzuzeigen, dass im Bereich der pfälzischen Wirtschaftsgeschichte noch größere Lücken zu füllen sind.

Stefan Schaupps Beitrag handelt von „Politische[r] Radikalisierung und politische[r] Gewalt“, jedoch nur im Bezirksamt Frankenthal. Dieser Aufsatz zur politischen Gewalt zwischen 1929 und 1933 erschöpft sich in zahlreichen, gut recherchierten Einzelbeispielen. Sein Beitrag ist für die Geschichte von Frankenthal und Umgebung wichtig, eine weiterreichende Darstellung über die Geschehnisse in der Pfalz erhält man hingegen weniger. Nur die Bilder – losgelöst vom Text – orientieren sich an der gesamten Pfalz. 

Erich Schunk stellt die pfälzische Presselandschaft vor. Zuerst erläutert er die gesamte Presselandschaft nach parteipolitischen und konfessionellen Gesichtspunkten. [5] Danach werden, recht raffiniert, die einzelnen Reaktionen der Presse erarbeitet: Zuerst anhand der aufkommenden Weltwirtschaftskrise und dann in ihrer Entwicklung zur sich anbahnenden „Regierungs- und Staatskrise“ der Republik. Schunk gelingt eine gute Einordnung der pfälzischen Regionalpresse anhand beider Krisen.

„Die politischen Lager der Pfalz, ihre Parteien und ihre Wähler“ werden in dem Beitrag von Ernst Otto Bräunche thematisiert [6]. Die politische Vorgeschichte – darzustellen von der Kaiserzeit bis zum Jahr 1933 – ist das Anliegen des Autors. Bräunche trägt sinnvoll alle Daten und Fakten zu den politischen Akteuren in der Pfalz zusammen. Auf diese Weise entsteht ein Überblick, der die Jahre der Weimarer Republik auf der regionalen, politischen Ebene gut zusammenfasst. Einen übersichtlichen Beitrag hat Hans Fenske zur Entwicklung der pfälzischen NSDAP verfasst. Allzu viel Neues aus der Forschung kommt nicht, dafür ist diese Thematik schon zu ausführlich untersucht worden. [7] Aber als „Schnelleinstieg“ in die Thematik der pfälzischen NSDAP ist dieser Aufsatz ideal.

„Gespalten in den gemeinsamen Untergang“ wählt Klaus J. Becker als Überschrift für seinen Beitrag zu den pfälzischen Arbeiterparteien zwischen 1930 und 1933. Der Beitrag gliedert sich in drei Aspekte. Wie zu erwarten bemüht sich Becker um die pfälzische Sozialdemokratie und die Kommunistische Partei Deutschlands. Er liefert viele Erkenntnisse zum Selbstverständnis beider Parteien am Ende der Weimarer Republik. Während sich Becker bei der Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sehr an deren Publikationsorgan, der Pfälzischen Post orientiert, gelingt es ihm hingegen die kommunistische Politik und die Organisationsansätze der KPD in der Pfalz anschaulich darzustellen. Wesentlich interessanter ist jedoch das Bindeglied zwischen beiden Lagern: Die sozialistischen „Zwischenparteien“, die jeweils zwischen SPD und KPD hin- und herschwankten.

Das politische Spektrum wird von Gerhard Nestler mit einem Beitrag über die Bayerische Volkspartei und deren Zentrum in der Pfalz abgerundet. Entscheidend für den politischen Katholizismus in der Pfalz war zuerst die parteipolitische Spaltung in BVP und Zentrum, die trotz vieler Bemühungen bis 1933 nicht überwunden werden konnte. [8] Mindestens ebenso wichtig für die Zeitgenossen war die Politik des Kabinetts Brüning und das Verhältnis zur Sozialdemokratie, mit der man zeitweilig in einer großen Koalition stand.

Einen anderen Aspekt bearbeitet Thomas Fandel, nämlich des Verhältnisses zwischen den Kirchen und dem Nationalsozialismus von 1929 bis 1933. [9]

Paul Warmbrunn fasst in seinem Beitrag die pfälzische Rechtsprechung seit Mitte der 1920er zusammen. [10] Die wesentlichen Charakteristika des pfälzischen Rechtswesens erläutert er in einem ersten Teil konsequent und anschaulich. In einem zweiten Teil zeigt Warmbrunn einige wichtige Prozesse der Zeit auf. Besonders herausstechend sind beispielsweise die Separatistenprozesse nach 1930 oder die publizistischen Auseinandersetzungen zwischen den Nationalsozialisten und der Justiz.

Den Sammelband abschließen kann Wolfgang Diehl mit einem Überblick zum kulturellen Leben in der Pfalz zwischen 1929 und 1933. [11] Wichtig ist besonders die Einordnung aller Künste in die Zeit der Not und dass sich dennoch ein reichhaltiges kulturelles Leben in der Pfalz entwickeln konnte. Diehl erläutert die institutionelle Kunstförderung wie auch das fördernde Vereinswesen. Besonders interessant sind Analysen der Jubiläumsfeier zum Hambacher Fest 1932 und seine Einschätzung des literarischen Lebens in der besetzen Pfalz, mit der sogenannten „Heimatliteratur“. Glücklicherweise haben sich die Autoren des Sammelbandes die Mühe gemacht, ein gutes Namensund Ortsregister zu erstellen. Mindestens ebenso überzeugt der hochwertige Druck des Taschenbuches, die Lesbarkeit aller Beiträge und das Lektorat. Vielleicht wäre es aber sinnvoll gewesen, eine Gesamtbibliographie für den ersten Einstieg zu erstellen. Irritiert wird der Leser hingegen durch die Bebilderung einzelner Aufsätze. Mitunter lässt sich der Zusammenhang zwischen Text und Bild kaum erahnen. Die Themen Wissenschaft und Forschung sowie Sozialpolitik und Demographie kommen zu kurz bzw. werden nicht ausreichend angesprochen. Susan Beckers Beitrag endet passend mit dem Zitat: „[D]ie öffentliche Meinung Deutschlands ist geneigt, alle unliebsamen Wandlungen der deutschen Volkswirtschaft und ihre veränderte Stellung in Europa auf den Versailler Vertrag zurückzuführen. Daß dies nicht angängig ist, weil die heutigen Zustände in Deutschland eine Folge des Zusammenwirkens der verschiedenartigsten Ursachen sind.“ [12] Dies mag vielleicht schon einigen Zeitgenossen wie Historikern klar gewesen sein.

Yves V. Grossmann ist Student der Mittlere und Neueren Geschichte, Kunstgeschichte und Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz im Studiengang Magister Artium. 


Lizenz für den Text und die Anmerkungen: Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland (CC BY-ND 3.0)


Unveränd. Zweitpubl. v. Yves V. Grossmann: Vom Scheitern der Demokratie — Die Pfalz am Ende der Weimarer Republik, herausgegeben von Gerhard Nestler, Stefan Schaupp und Hannes Ziegler, in: Skriptum. studentische onlinezeitschrift für geschichte und geschichtsdidaktik Ausg. 2/2011, URN:
urn:nbn:de:0289-2011110274

Anmerkungen

  • [1]

    Kreutz, Wilhelm / Scherer, Karl (Hrsg.): Die Pfalz unter französischer Besetzung 1918/19-1930. Kaiserslautern 1999 (= Beiträge zur pfälzischen Geschichte 15); Nestler, Gerhard / Schaupp, Stefan / Ziegler, Hannes (Hrsg.): Vom Scheitern der Demokratie - die Pfalz am Ende der Weimarer Republik. Karlsruhe 2010; Nestler, Gerhard / Ziegler, Hannes (Hrsg.): Die Pfalz unterm Hakenkreuz – Eine deutsche Provinz während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Landau, 2. Auflage 1997; Nestler, Gerhard / Ziegler, Hannes (Hrsg.): Die Pfalz in der Nachkriegszeit – Wiederaufbau und demokratischer Neubeginn 1945-1954. Kaiserslautern 2004 (= Beiträge zur pfälzischen Geschichte 22).

  • [2]

    Ziegler, Börsenkrach, S. 16. 

  • [3]

    Viel umfassender ist hingegen der erste erwähnte Sammelband: Kreutz, Wilhelm / Scherer, Karl (Hrsg.): Die Pfalz unter französischer Besetzung 1918/19-1930. Kaiserslautern 1999 (= Beiträge zur pfälzischen Geschichte 15).

  • [4]

    Becker, Weltwirtschaftskrise, S. 72.

  • [5]

    Vgl. Ziegler, Hannes: Presse und Druck - Die pfälzische Tagespresse unter dem Nationalsozialismus. In: Die Pfalz unterm Hakenkreuz, S. 197-226.

  • [6]

    Vgl. Bräunche, Ernst Otto: Die Reichstagswahlen 1919-1930: Die politischen Parteien der Pfalz und ihre Wähler. In: Die Pfalz unter französischer Besetzung, S. 77-104. 

  • [7]

    Als Überblick für dieses schon sehr erforschte Gebiet genügen die weiteren Veröffentlichungen von ihm, u.a. Fenske, Hans: Die pfälzische NSDAP 1921 - 1932. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 85 (1987), S. 347-381 und Fenske, Hans: Bürokratie am braunen Gängelband - Zur Entwicklung der pfälzischen Verwaltung in den Jahren der NS-Diktatur. In: Die Pfalz unterm Hakenkreuz, S. 119-140; unverzichtbar für weiterführende Forschungen zum pfälzischen Nationalsozialismus ist Maier, Franz; Biographisches Organisationshandbuch der NSDAP und ihrer Gliederungen im Gebiet des heutigen Landes Rheinland-Pfalz. Mainz 2007 (= Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 28). 

  • [8]

    Vgl. weiterführend Nestler, Gerhard: „In einem Namen nur ist Heil" Der Widerstand ehemaliger Zentrums- und BVP-Politiker gegen die nationalsozialistische Diktatur in der Pfalz. In: Die Pfalz unterm Hakenkreuz, S. 293-324. 

  • [9]

    Vgl. weiterführend Debus, Karl Heinz: Die großen Kirchen unter dem Hakenkreuz - Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Pfalz 1933-1945. In: Die Pfalz unterm Hakenkreuz, S. 227-272. 

  • [10]

    Vgl. besonders Warmbrunn, Paul: Personalprofil der Richter und Staatsanwälte in der Pfalz und in Rheinhessen im Dritten Reich, In: Justiz im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1995 (= Schriftenreihe des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz 3), S. 81-194 und Warmbrunn, Paul: Strafgerichtsbarkeit in der Pfalz und in Rheinhessen im Dritten Reich, ebd., S. 337-500 und Warmbrunn, Paul: "Die schreckliche, die rechtlose Zeit ist zu Ende!" Zum Wiederaufbau der Justiz in der Pfalz nach der NS-Zeit. In: Die Pfalz in der Nachkriegszeit, S. 149-175. Vgl. aber auch Christmann, Daniela: Die Moderne in der Pfalz - Künstlerische Beiträge, Künstlervereinigungen und Kunstförderung in den zwanziger Jahren. Heidelberg 1999 und Fellbach-Stein, Ariane: Kunstpolitik in der Pfalz

  • [11]

    1920-1945. Kaiserslautern 2001 (= Beiträge zur pfälzischen Geschichte 11), zugl. Diss. München 1996. Bernhard Harms, zitiert nach Hess, Hermann O.: Strukturwandlungen der Pfälzischen Industrie unter der Einwirkung der südwestlichen Gebietsverluste des Deutschen Reiches. Speyer 1933, S. 210, zitiert nach Becker, 

  • [12]

    Susan: Eine pfälzische „Sonderkrise" aufgrund struktureller Schwächen oder exogener Faktoren? Die Pfalz in der Wirtschaftskrise. In: Vom Scheitern der Demokratie S. 95. 

Empfohlene Zitierweise

Grossmann, Yves V.: Vom Scheitern der Demokratie — Die Pfalz am Ende der Weimarer Republik, herausgegeben von Gerhard Nestler, Stefan Schaupp und Hannes Ziegler. aventinus recensio Nr. 39 [30.09.2013] / Skriptum 1 (2011) Nr. 2, in: aventinus, URL: https://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9828/

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Erstellt: 30.09.2013

Zuletzt geändert: 30.09.2013

ISSN 2194-2137