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aventinus archivalia Nr. 13 [11.07.2012] / aventinus varia Nr. 11 (Winter 2006) 

Weber, Albert  

Ein zeitgeschichtlicher Blick auf Nordkorea  

 

Seit der Auflösung des bipolaren Mächtesystems ist die Weltpolitik spannungsärmer geworden. Russland kann die asiatischen Regionalmächte nicht mehr wie zuvor schützen oder bedrohen, um sie in ein effektives Bündnissystem einzubauen. Es sind jetzt die Amerikaner, die auf diesem Kontinent ihre Landgewinne erweitern und versuchen, politische und wirtschaftliche Satellitenstaaten zu schaffen. Als Reaktion darauf und wegen regionaler Rivalitäten mit ihren Nachbarn, bemühen sich einige Staaten um den Status einer Atommacht: von einem Aufstieg zu regional- und weltpolitischer Bedeutung [1] wird die Lösung innen- wie außenpolitischer Probleme erwartet.

Muße der Westen nordkoreanische Atomwaffen fürchten? Ihre Existenz scheint gesichert; inwiefern Qualität und Quantität dieser Waffen eine ernsthafte Gefahr darstellen und welche politischen Entwicklungen zu erwarten sind, soll kurz behandelt werden. 

Kim Jong Il droht dem Westen mit einem Atomkrieg, den er nach eigenen Worten durchaus gewinnbar sieht. 

Zu einem siegreichen Atomkrieg gehört die Fähigkeit, den Feind überraschend auszuschalten, bevor er irgendwie reagieren kann. Sollte es ihm gelingen, muss man selbst befähigt sein, einen Angriff zu überleben: Kommandostrukturen und Nukleararsenale müssen durch spezielle Härtungen in der Konstruktion unmittelbaren Atomexplosionen standhalten. Ziel des Gegen- oder Erstschlags ist die Vernichtung eben dieser feindlichen Anlagen, der sogenannte ,Enthauptungsschlag’, der Grund für das Wettrüsten des Kalten Kriegs: baut eine Seite ihr Atomarsenal massiv aus, muss die andere gleichziehen, um einem Erstschlag standzuhalten, zurückzuschlagen und einen Dritt-, Viert- oder Fünftschlag folgen zu lassen. Hohe Zielgenauigkeit und enorme Sprengkraft ermöglichen es, Ziele wie Raketensilos zu vernichten. Theoretisch wäre es ausreichend, alle feindlichen militärischen Ressourcen auszuschalten. Da es aber keine absolut gesicherten Aufklärungsinformationen geben kann, werden auch zivile Strukturen vernichtet, und zwar restlos. 

Der Atomkrieg blieb aus, weil keine Seite die andere in einem gezielten Erstschlag vernichten konnte. Im Fall Nordkorea-USA wird er gleichfalls ausbleiben, weil eine Seite aus Gründen der Selbsterhaltung keinen nuklearen Konflikt suchen wird: eine regionale Atommacht kann eine Supermacht nicht besiegen. 

Die Stärke der Hiroshima-Bombe betrug etwa 15 Kilotonnen TNT (=15000 Tonnen), amerikanische und sowjetische/russische H-Bomben liegen bei über 50 Megatonnen (=50 Millionen Tonnen TNT); es wurden tausende produziert.

Die nordkoreanische Bomben (angeblich weniger als zehn Stück) erreichen nur einige Kilotonnen Sprengkraft und sind mit einiger Treffsicherheit nur gegen Nachbarländer wie Japan oder Südkorea einsetzbar. Es ist unwahrscheinlich (aber nicht unmöglich!), dass eine nordkoreanische Interkontinentalrakete wirklich die USA erreichen würde: die weite Distanz und das niedrige technische Niveau machen einen Ausfall wahrscheinlich, ebenso ein Verfehlen der angepeilten (zivilen) Ziele; militärische Ziele wie etwa Raketensilos sind mit nordkoreanischen Mitteln kaum zu treffen. Zudem besitzen die USA ein pazifisches Raketenabwehrsystem. Ein amerikanischer Gegenschlag würde Nordkorea vernichten, das nicht über dutzende Atom-U-Boote, Stealth-Bomber und loyale Verbündete verfügt. [2]

Nordkorea kann somit die USA nicht ausschalten, sondern sie lediglich von einem konventionellen ‚Präventivschlag’ abhalten; das nordkoreanische Atomarsenal kann nur defensiv gebraucht werden. 

Die Aufrüstung erfüllt den innenpolitischen Zweck einer Regimestärkung gegen die innere Opposition, allerdings um den Preis einer überbeanspruchten Wirtschaft; nicht zufällig fallen die drohende Hungersnot und das Atomprogramm zusammen. Durch die verhängten Sanktionen wird dies noch sichtbarer: Nordkorea hat Südkorea mit Krieg gedroht, falls es sich den Sanktionen anschließt (was es nun auch getan hat). Kim Jong Il gesteht somit seine verfehlte Wirtschaftspolitik ein (Autarkie als großes Ziel!) und entwertet seine eigene Drohung, denn mit einer solchen Wirtschaft ist sein Land kriegsunfähig. 

Außenpolitisch wurden also keineswegs die vorgesetzten Ziele erreicht: das Wirtschaftsembargo wirkt destabilisierend auf das Regime. Eine Front der Amerika-Gegner hat sich keineswegs gebildet, wie Kim Jong Il vielleicht gehofft hatte: China und auch der Iran haben Nordkorea verurteilt. 

Unter diesen Umständen werden die USA nicht eingreifen, sondern auf eine Implosion des stalinistischen Staates warten. 

Überhaupt sind die Amerikaner die Gewinner der nordkoreanischen Aufrüstung: sie können ihre asiatische Präsenz erhöhen und weltpolitisch von anderen Schauplätzen ablenken. Zudem kann das lange Zeit kritisierte Raketenabwehrsystem ausgebaut werden – ein Erfolg für die Bush-Regierung; Russland kann dagegen nur wenig effizient opponieren. 

Zu den Verlierern gehört neben Nordkorea auch China, das über die atomare Emanzipation seines kleinen und traditionell abhängigen Verbündeten brüskiert ist. Es muss jetzt die widersprüchliche Politik verfolgen, das nordkoreanische Regime innenpolitisch zu stützen, es außenpolitisch aber zu schwächen, damit es in der chinesischen Machtsphäre verbleibt. 

Die Frage, ob die USA militärisch eingreifen könnten, sollte dennoch näher betrachtet werden: es ist scheinbar möglich, durch einen massiven Luftschlag (unterstützt von Spezialeinheiten am Boden) die nuklearen Ressourcen Nordkoreas zu vernichten. Eine solche Operation wurde allerdings noch niemals unternommen: 1981 haben zwar israelische Kampfflugzeuge den irakischen Atomreaktor zerstört [3], allerdings war dieser Angriff durch Geheimdienste und Aufklärung fast perfekt vorbereitet; zudem war der Reaktor noch nicht hochgefahren, anders als die nordkoreanischen Atomanlagen. Von den zivilen Opfern dieser potentiellen Umweltkatastrophe abgesehen, kann ein verseuchtes Land nicht besetzt werden. Ein nordkoreanischer Atomschlag gegen amerikanische Verbündete wie Japan [4] stellt ein enormes Risiko dar und spricht eindeutig gegen einen Präventivangriff.

Die amerikanische Strategie läuft demnach auf einen Regimewechsel hinaus; stärkstes Druckmittel sind Sanktionen. Im Irak ist diese Strategie missglückt, allerdings war auch die Präventivschlag-Doktrin, die Saddam Hussein gestürzt hat, kein Erfolg. Auf die künftige Entwicklung darf man gespannt sein.  

Aktuelle Literatur 

Michael Breen: Kim Jong-il: Nordkoreas "Geliebter Führer". 2004.  

Hyondok Choe, Du-Yul Song, Rainer Werning (Hg.He): Wohin steuert Nordkorea? Soziale Verhältnisse - Entwicklungstendenzen - Perspektiven. Köln 2004. 

Bruce Cumings: Korea's Place in the Sun. A Modern History.1998. 

John Feffer: Nordkorea und die USA, die amerikanischen Interessen auf der koreanischen Halbinsel. München 2004. 

Paul French: North Korea. The Paranoid Peninsula. A Modern History. London/New York 2005. 

Martin Fritz: Schauplatz Nordkorea. Das Pulverfass im Fernen Osten. Freiburg 2004. 

Xing-hu Kuo: Nordkorea. Ein fernöstlicher Gulag. Stuttgart 1983. 

Hanns W. Maull, Ivo M. Maull: Im Brennpunkt: Korea. München 2004 

Pierre Rigoulot: Nordkorea: Steinzeitkommunismus und Atomwaffen, Anatomie einer Krise. Köln 2003. 

Anmerkungen

  • [1]

     Man betrachte die regionalpolitische Situation aufgestiegener Atommächte: Pakistan steht gegen Indien, Iran gegen Israel, Nordkorea gegen Südkorea/USA. Deutschland hingegen, das zur atomaren Rüstung fähig wäre, führt keinerlei regionale Konflikte; für eine weltpolitische Konfrontation kann es sich auf europäische Verbündete und auf die USA verlassen. Wie viel anders aber Iran oder Pakistan, die keine solchen Alliierten, wohl aber nuklear ausgerüstete Feinde besitzen. Nordkorea wird immerhin von China unterstützt.

  • [2]

     Die amerikanische Regierung forciert nun wieder die militärische Nutzung des Weltalls. Offiziell wurde während des Kalten Krieges auf (nuklear) bewaffnete Satelliten verzichtet. Russland ist jetzt aber nicht mehr bedroht und wird eine solche amerikanische Entwicklung vielleicht gutheißen, um seine eigene vorantreiben zu können.

  • [3]

     Die vielleicht beste Quelle hierzu: Victor Ostrovsky: Der Mossad.

  • [4]

     Ein Vergleich wäre der irakische Raketenangriff 1991 auf Israel.

Empfohlene Zitierweise

Weber, Albert: Ein zeitgeschichtlicher Blick auf Nordkorea. aventinus archivalia Nr. 13 [11.07.2012] / aventinus varia Nr. 11 (Winter 2006), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7562/

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Erstellt: 15.05.2010

Zuletzt geändert: 11.07.2012