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aventinus visio Nr. 7 [28.11.2013]

 

Manuel Kuck 

Werner Herzogs Südamerika 

Kulturelle Betrachtungen aus der Sicht von ›Fitzcarraldo‹  und ›Aguirre, der Zorn Gottes‹

 

I – Einleitung 

Der deutsche Regisseur Werner Herzog hat zwei Filme gedreht, deren Schwerpunkt Südamerika ist. 

Aguirre, der Zorn Gottes (1972) erzählt die Geschichte eines spanischen Konquistadors, der auf der Suche nach dem sagenumwobenen El Dorado seinen Kommandanten absetzt, gegen die Krone rebelliert und letztlich scheitern er und sein Gefolge im Kampf gegen Dschungel und Eingeborene.

Fitzcarraldo (1982) dreht sich um einen Opernenthusiasten, der mit einem Schiff in den Dschungel auszieht, um mit Kautschuk reich genug zu werden, um sein Opernhaus bauen zu können und dabei die Indios zu überreden vermag, das Schiff gar über einen Berg zu schleppen. Schlussendlich scheitert auch er am Widerstand der Natur und Umwelt.

Beiden Filmen ist neben einer Vermengung von Reellem und Fiktionalem [1] und den überaus schwierigen Drehbedingungen [2] auch die reichhaltige Interpretationsmöglichkeit gemein. Gerade im Falle Aguirre’s ist dies aber meist recht begrenzt und im Rahmen des Gegenwartkontexts, von fragwürdigen Vergleichen zu Riefenstahls Triumph des Willens (1935) und Adolf Hitler/Aguirre sowie der Einpassung des Films in die Diskussion um Neokolonialismus und New German Cinema erfolgt. [3]

Dagegen wird nur selten auf die im Film verwendeten Motive und Topoi eingegangen und ihre Genese. Dies soll nun im Rahmen dieser Arbeit versucht werden. Zunächst wird ein Blick auf die Darstellung des Dschungels geworfen und der Versuch unternommen zu erklären, woher die allgegenwärtige Furcht und Überwältigung kommen mag. Kapitel III beschäftigt sich mit dem Bild der Ureinwohner als Wilde und Teil der Natur. Kapitel IV setzt sich mit El Dorado auseinander und der Herkunft paradiesischer Vorstellungen. In Kapitel V wird auf die Rolle und Darstellung der Protagonisten eingegangen. 

Rogers setzt sich mit dem Wald als Mythos auseinander [4], Koepnick geht zudem auf die europäische Vorstellung von Wald und dem Charakter des Protagonisten ein [5]. Kaiser zieht Parallelen zwischen Fitzcarraldo und Goethes Faust. [6] Francis hingegen sieht in Fitzcarraldo eher „the very embodiment (…) of the Scottish hero“. [7]

Auf folgende Fragen soll im Laufe dieser Arbeit versucht werden, eine Antwort zu finden: Wie wird der Wald dargestellt? Welche Eigenschaften werden von den Eingeborenen vermittelt? Sind die Protagonisten nur Menschen oder gibt es neben der humanen auch eine göttliche Komponente? Welches Gesamtbild für Südamerika lässt sich aus den vorherigen Betrachtungen konstruieren? 

II – Der Wald als Mythos und Vorstellung 

Aguirre und Fitzcarraldo bieten beide ein ähnliches Bild vom Wald, als eine schier undurchdringliche Wildnis, die alles und jeden zu verschlucken droht. [8]

Der Dschungel ist gespickt mit Gefahren, in ihm lauern blutrünstige Indianer und es ist unmöglich, etwas Verlorenes in ihm wieder zu finden. [9] Aguirre benutzt dieses Motiv mehrfach: Als ein Soldat im Wald in eine Falle tritt und nach oben gezogen wird, kann sein Mitstreiter weder ihn noch die direkt vor seinen Füßen liegende Armbrust sehen. Später im Film entscheidet sich die Geliebte von Ursúa Selbstmord zu begehen, indem sie zielstrebig in den Wald hineingeht und spurlos verschwindet. Fitzcarraldo geht dafür stärker auf die Idee ein, den Wald als Grenze und Hindernis zu betrachten. Koepnick geht auf das Motiv „Urwald“ ein, wie es vor allem von Alexander von Humboldt definiert wurde, als eine starke Unordnung und Unberührtheit. [10]

Darüber hinaus besitzt diese Vegetation aber auch eine mythische oder magische Komponente, in der nahezu Alles möglich erscheint. Rogers führt dies auf die Tradition der Waldsagen zurück. [11]

Diese Furcht vor dem Wald hat jedoch einen reellen Kern und ist tief im europäischen Gedankengut verankert. Über das ganze Mittelalter hinweg existiert eine Dichotomie zwischen Stadt und Wald. Die Stadt ist einziger Ort der Sicherheit und Bequemlichkeit, mit Mauern umgeben um vor der Außenwelt zu schützen. [12] Ihr gegenüber steht die Gefahr der Wildnis. Sie ist ein Ort, in dem der Mensch sich seines Lebens nie sicher sein kann, er stets in Gefahr ist und meist nur durch göttlichen Eingriff vor den wilden Tieren geschützt wird. [13] Dies hat zum einen damit zu tun, dass weite Gegenden äußerst dünn besiedelt sind und somit große unberührte Landstriche zwischen menschlichen Behausungen liegen können. Dies ändert sich im Spätmittelalter mit zunehmender Bevölkerungsdichte langsam. [14] Natur ist für die Menschen in jener Zeit nicht Schönheit und Genuss, wenn „die Natur einen Sinn hat, dann die Bereitstellung von Lebensmitteln für Menschen“. [15] Gleichzeitig ist diese Wildnis ewig und scheinbar unüber-windbar, was der Mensch von ihr haben möchte, muss er ihr mühsam abringen. [16]

Mit diesen Bildern im Kopf treten die Europäer der unbekannten Welt gegenüber, noch tief in der mittelalterlichen Geisteshaltung verankert. Herzog ist sich dieser Faszination und Irritation sehr bewusst, weswegen in Aguirre die Umwelt mit Fortschreiten des Filmes immer stärker als surreal auf die Betrachter zu wirken beginnt. [17] Je länger die Spanier dem Urwald und ihrer Furcht vor diesem ausgesetzt sind, desto weniger sind sie in der Lage, zwischen Halluzination und tatsächlichem Geschehen zu unterscheiden. Am stärksten wird dies im letzten Angriff deutlich, als der schwarze Sklave Okello scheinbar unbeteiligt aufzählt, was alles um ihn herum nicht real sei und dabei jenen Pfeil inkludiert, der sich in diesem Moment in sein Bein bohrt:

Das ist kein Schiff… das ist kein Wald… das ist kein Pfeil… wir bilden uns die Pfeile nur ein, weil wir Angst davor haben. 

In Burden of Dreams setzt sich Herzog zudem mit der von Kinski dieser Natur attestierten Erotik auseinander und erklärt, dass dies seiner Ansicht nach mehr entfesselte Gewalt, Wachstum und Ersticken sei. Gleichzeitig sagt er später, dass er eine hohe Affinität für den Wald aus seiner bayrischen Heimat mitgenommen hätte. [18]

Desweiteren dient dieser Dschungel auch als künstliche Grenze, den es zu erobern und überwinden gilt. Dieses Konzept von „Wildnis“ ist laut Ortiz ein zutiefst europäisches Phänomen und einer der Hauptunterschiede in der Geisteshaltung zu den Ureinwohnern. [19]

In Fitzcarraldo wird diese Eroberung in zwei Szenen gegenübergesetzt, haben wir auf der einen Seite den mächtigen Dschungel, der sich die menschlichen Errungenschaften zurück holt, dargestellt in Form des mittlerweile wieder völlig im Urwald verschwundenen gescheiterten Eisenbahnprojekts, nur noch durch die mühsam in Stand gehaltene Lokomotive symbolisiert, jetzt ohne Schienen, da diese für das folgende Projekt benötigt werden. Auf der anderen Seite die Überquerung des Berges mit dem Schiff und der Kampf gegen sowie schlussendlich scheinbar der Sieg über die Natur in dieser Sequenz.

III – Die Indios [20]: Teil der Natur, Wilde und Menschenfresser

Besonders interessant in diesem Kontext von Naturbetrachtung ist die Rolle, welche die Eingeborenen in beiden Filmen spielen. 

In Aguirre dauert es eine geraume Weile, bevor der erste Indio von den Spaniern gesichtet wird. Trotzdem werden sie als allgegenwärtige Bedrohung gesehen, gerade auch weil sie nicht in Erscheinung treten. Dies wird bereits früh im Film deutlich, als die Truppen sich weigern, ihren Kameraden auf dem im Strudel gefangenen Floß zu helfen, da sie hierfür durch den Dschungel marschieren müssten, der in ihren Augen voller Indianer ist. [21] Selbst später sind sie stellenweise zwar sichtbar, aber wirken doch teilweise geisterhaft. Richtig sichtbar werden sie eigentlich nur, wenn sie dies selbst wollen, am eindringlichsten durch die beiden Indios gezeigt, die gezielt das Floß mit ihrem Kanu ansteuern und in Interaktion mit Aguirre und seinen Männern treten.

Auch in Fitzcarraldo wird mehrfach auf die Fähigkeit angespielt, unsichtbar zu werden. Am Deutlichsten wird dies in einer Nachtszene auf dem Schiff. Einer der Indios lauscht dem Gespräch zweier Männer an Bord, noch sichtbar. Dann gleitet er langsam und lautlos in den Schatten zurück, er verschmilzt quasi mit der Nacht.

Es gibt mehrere Ansätze, um zu versuchen zu verstehen, wieso den Indios diese übermenschlichen (oder unmenschlichen) Eigenschaften zugesprochen wurden. Erneut blicken wir auf das Mittelalter zurück, wo sich uns ein Fundus an wundersamen Lebewesen in Fabeln und Bestiarien eröffnet, die einem Großteil der Bevölkerung mehr oder minder vertraut waren. [22] Darunter befanden sich auch Mischwesen aus Mensch und Tier. [23] Einer der prominentesten ist sicherlich der Wilde Mann, ein halbmenschliches Waldwesen aus dem deutschsprachigen Raum, dessen latinische Bezeichnung sylvaticus (Waldmensch) mit großer Wahrscheinlichkeit die etymologische Basis der Wörter savage und sauvage darstellt. [24]

Diese Klassifizierung wurde im 16. Jahrhundert erweitert und ausgearbeitet. Der Seigneur Pierre d’Avity (1573-1635) entwickelte ein Modell aus fünf Graden der Animalität, wobei der Mangel an Vernunft am schwersten wog. [25] Für den Spanier Antonio de Herrera (1549-1625) war die Animalität der kubanischen Indios auch darin begründet, dass sie für Europäer unziemliche Sachen wie Spinnen oder halbrohen Fisch aßen. [26] Am Spanischen Hof herrschte um die Mitte des 16. Jahrhunderts eine rege (religiöse) Debatte um die Menschlichkeit der Indios und ihrer daraus möglicherweise illegalen Versklavung, deren bekanntesten Redner Bartolomé de Las Casas (1484-1566) und Juan Ginés de Sepúlveda (1490-1573) waren. [27] Ein wichtiges Detail der Wildheit der Indios war zudem ihre Gottlosigkeit [28], weswegen ihnen oft durch Missionare versucht wurde, den christlichen Glauben näher zu bringen. Auch die Expedition von Aguirre hat einen Priester dabei (Fray Carvajal), und während des Besuches der beiden „sichtbaren“ Indios versucht er sie zu bekehren, reicht ihnen die Bibel, die der Mann jedoch achtlos wegwirft, nachdem er feststellt „das Buch spricht nicht zu mir“. Dies ist eindeutig auch eine Anspielung auf eine nahezu identische Situation zwischen Franzisco Pizarro und dem Inka Atahualpa, die bei der Eroberung des Inkareiches durch die Konquistadoren 1532 stattfand. [29]

Häufig wurde den Indianern auch Kannibalismus vorgeworfen. [30] In Aguirre taucht dies mehrfach auf, am Anschaulichsten auf dem Floß, als die Gemeinschaft an einem Dorf vorbeifährt und die kaum sichtbaren Eingeborenen die Spanier als auf dem Wasser vorbeischwimmendes Fleisch bezeichnen. [31] Auch in Fitzcarraldo wird mehrmals auf die Möglichkeit angespielt, nicht zuletzt als die im Film als Jivaro [32] bezeichneten Indianer Fitzcarraldo beim Essen beobachten und auch später, als sie ihm ein Getränk anbieten und er es nur widerwillig in sich hinein zwängen kann.

Das Motiv der Anthropophagie ist vor allem auch deshalb so interessant und wichtig in diesem Kontext, da es eine Brücke zwischen Neuer und Alter Welt schlägt, genauergesagt zwischen den Hexen beider Kontinente. Aus Reiseberichten erschließt sich der Eindruck, dass bestimmte Zeremonien mit Hexensabbaten in Europa verglichen wurden. [33] Zudem war in der europäischen Tradition das Verspeisen von Menschenfleisch ein klassisches Symptom der Hexerei. [34] Wie tief die Angst vor den Teufeln der Neuen Welt in den Menschen Europas verwurzelt war, zeigt eben auch jener Bericht des Gelehrten Jean de Léry (1536-1613), der in Brasilien Zeuge einer rituellen Festlichkeit der Tupinamba wurde und seinen Landsleuten entsetzte Kunde von diesem Hexensabbat lieferte. [35] Was den Schluss zulässt, das es nicht nur an der Unbildung jener Seefahrer [36] (und Abenteurer) gelegen haben kann, weswegen viele einerseits verzückte, oft aber auch schauerliche Berichte über ihre Erlebnisse schrieben.

Weitere Indizien, dass man es hier mit Teufelswerk zu tun haben müsse, lieferten zum einen Bericht über den Gebrauch von Gift für die Pfeile und Speere der Indianer, der sich im Wagnerbuch (1593) findet. [37] Zum anderen aber auch der von de Léry beschriebenen alten Frauen, die nicht nur gierig auf Menschenfleischen waren, sondern aus den Knochen der Getöteten auch Musikinstrumente fertigten. [38]

Dies alles sorgte nicht nur dafür, dass sich auch die Inquisition für die Neue Welt zu interessieren begann, sondern prägte auch stark das Bild von den Ureinwohnern im Geiste der Europäer. Auch die Neue Welt war scheinbar verseucht mit Teufeln und Dämonen. Es erscheint daher nicht mehr so fremd, wenn die Spanier in Aguirre an Blendwerk sowie Hexerei glauben und dementsprechend selbst Pfeile, die aus ihrem Körper ragen, nicht klar als Realität oder Halluzination auszumachen. [39] Auch die Matrosen, die an Bord des Schiffes in Fitzcarraldo misstrauisch in die Nacht hinaus starren und die Indios bei ihren Besuchen argwöhnisch mustern, scheinen dies aus gutem Grund zu tun.

Ein weiterer Aspekt, warum die Indios eine unmenschliche Komponente besitzen könnten, liegt im Diskurs jener Zeit verborgen. Abseits der Debatte am spanischen Hof, die stark von der Frage nach dem territorialen Status sowie der Ausbeutbarkeit der Indios beeinflusst wurde, [40] bestand zudem auch die Schwierigkeit, wie die Bewohner der Neuen Welt in die Schöpfungslehre aufzunehmen seien. [41] Im späten 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich daraus unter den europäischen Gelehrten ein hitziger Diskurs mit zwei diametralen Lagern: die Monogenisten gingen von einer einheitlichen Abstammung der menschlichen Gattung aus [42], die Polygenisten hingegen vertraten die Idee, dass vor allem die Schwarzen, aber auch die Indianer, einem anderen Stamm entsprangen als die Weißen, sich also nicht von Adam und Eva ableiteten. [43] Doch selbst die Monogenisten sahen in den Indianern nicht unbedingt ebenbürtige Individuen, es blieb noch die Frage ihre geistigen Fakultäten offen. [44]

Gerade unter den einfachen Leuten wurde die Abstammung der Indianer und Schwarzen im Rahmen eines Bibeldiskurses gehalten. Einmal stammten die Schwarzen vom Teufel ab, ein Überbleibsel der mittelalterlichen Furcht vor Dunkelhäutigkeit und möglicherweise auch vergrabene Erinnerungsfragmente an die Kreuzzugszeit. Auch wurde überlegt, ob sie möglicherweise Abkömmlinge Kains oder aber des verstoßenen Noahsohnes Cham waren. [45] [46]

IV – El Dorado und paradiesische Vorstellungen 

Das mythische El Dorado spielt besonders in Aguirre eine dominante Rolle, ist es doch Dreh- und Angelpunkt der Mission. Gonzalo Pizarros Expedition befindet sich auf der Suche nach dem sagenumwobenen Ort, auch wenn bereits im Vorspann klar gestellt wird, dass er nicht wirklich existiert. [47] Fitzcarraldo verwendet zwar nicht den Ausdruck El Dorado, wohl aber das Motiv. Die Suche nach dem Reichtum der ihn zu seinem eigentlichen Paradies, dem Opernhaus zu führen vermag, sein „inneres“ El Dorado. [48]

Die Vorstellung von einem verheißungsvollen Ort ist eine überaus alte. Ausgehend von antiken Paradiesideen von Eden und Akadien bei Römern und Griechen, [49] verband sich dieses Gedankengut in der Renaissance mit der auf Hesiod (ca. 700 v. Chr.) zurück gehenden Idee des Goldenen Zeitalters. [50] Hieraus

 entwickelte sich im Mittelalter die Idee der Insel der Seligen, beruhend auf einer Legende von Brendan dem Seefahrer (ca. 484-577), auch wieder stark durchsetzt mit dem Idealtypus der Antike. [51] Diese Idee blieb auch über Jahrhunderte hinweg im Fundus der Europäer bestehen, selbst Kolumbus zog die Brendanlegende vor seinem Aufbruch noch zu Rate. [52]

Immer wieder finden sich in der neuen Welt Berichte, die auf die üppige Schönheit dieser Welt hinweisen und in ihr schwelgen. [53] Also Kontrapunkt zu der oben so ausführlich besprochenen Angst vor Wald und Wilden, kann sich in diesem Land der Fülle auch jeder Wunsch scheinbar erobert werden. Selbst in Aguirre gibt es jene Momente, wenn zum Beispiel Guzman an seinem Tisch sitzt und schlemmt. Oder die Szene, in der Aguirre seiner Tochter das Faultierjunges zeigt. Diese Szenen sind in Fitzcarraldo häufiger, Stadt und Wald sind voller Tiere und Pflanzen, es ist bereits mehr Mysterium als Schrecken. Ob nun die kleine Schildkröte in seinem Haus, der Papagei oder der Ozelot im Zimmer seiner Geliebten, Fitzcarraldo wird mit dem überquellenden Leben dieser Natur genauso dauerhaft konfrontiert wie später mit der unbeugsamen Gier des Waldes.

Die Gier ist es auch, welche die Spanier antreibt, die Gier nach Gold. Dies hat zudem neben der rein finanziellen auch eine metaphysische Komponente, steht Gold als höchstes der Elemente doch auch für die Göttlichkeit und Vollkommenheit. [54]

V – Der Protagonist als Archetyp der Moderne? 

Nach Motivbetrachtungen in der Welt des Waldes, der Indianer und des vermeintlichen Paradieses, kann es nicht ausbleiben, auch einen Blick in den Geist der Protagonisten Lope de Aguirre und Brian Sweeney Fitzgerald zu werfen.  

Beide sind prometheische Figuren, die sich als Rebellen gegen die Welt und Zivilisation stemmen. [55] Sie sind Menschen ihrer jeweiligen Moderne. Darin genau liegt aber auch ihr Scheitern begründet, denn sie sind gefangen in ihrer Vorstellungswelt. Aguirre und seinen Männern fehlt die Möglichkeit, sich auf die neue Umgebung einzustellen, und ihrer Unfähigkeit zu „sehen“ schlagen sie Don Quixote gleich blind auf alles ein, nur um dabei noch mehr zu verlieren. [56] Fitzcarraldo hingegen geht mit der Skrupellosigkeit der Aufklärung und der modernen Forstwirtschaft gegen den Urwald vor, erklimmt dabei technologische Höhen und schafft sich den Raum, den er für sein Projekt braucht. [57] Doch letztlich scheitert das Schiffsprojekt, wie zuvor seine Eisenbahnunternehmung, auch an seiner Blindheit gegenüber der Umwelt, in diesem Falle durch den Betrug der Indios und die Gewalt des Flusses. [58]

Beiden Protagonisten kann man einen gewissen Wahnsinn nachsagen, wobei der Begriff der Besessenheit es eigentlich weitaus besser trifft. Genau diese Besessenheit, jenes ungebremste Streben, veranlasste Kaiser zu dem Vergleich von Fitzcarraldo und Faust. Jedoch fällt seine Bilanz insgesamt wenig positiv aus. Im Gegensatz zum Goetheschen Originalgenie ist Fitzcarraldo eben kein „Sozial- und Wirtschaftsutopist“ [59], dessen Endziel eine „Universalidylle“ [60] ist:

Nichts ist Fitzcarraldo fremder als eine menschheitliche Fortschritts-programmatik. Faust ist ein blinder, immer unbefriedigter Demiurg; Fitzcarraldo ein rasanter und amüsanter Spinner mit einer grandiosen fixen Idee, die ihn über die Windigkeit seiner merkantilen Unternehmungen und die Bankrottphasen seiner Glücksritterexistenz hinwegträgt. [61]

So vorkommt dann auch das Trauerspiel zur Groteske, aus Tragödie macht Fitzcarraldo das „postmoderne Satyrspiel“ [62] und Fitzcarraldo zu einer Art Anti-Faust. Trotz dieser fatalen Einstufung ist gar nichts anderes möglich, Fitzcarraldo ist postmodern, ein Nachruf auf die bereits untergegangene Welt des Faust, der dem Kino auch nicht gewachsen wäre. [63]

Einen etwas anderen Betrachtungsweg für Fitzcarraldo schlägt Francis ein. Auch eine Prise Don Quixote, aber vor allem ein mediocre hero [64] in der Tradition eines Walter Scott. [65] Der Protagonist wird zu einem Jedermann, ist eine prosaische Fläche in einem lyrischen Geflecht, ein Punkt der Stille an der sich die Spannung bricht und durch den der Kontrast viel stärker in Erscheinung tritt. [66] Dies sei der Zauber von Fitzcarraldo, der als Person immer fehl am Platze ist. Hintergrund für Scotts Heldenbild ist der Gedanke, in einer Welt zu existieren, in der das Individuum als Heldenmotiv ausgedient hat. Die Personen sind nunmehr Spielball der größeren Geschehnisse, [67] und ungleich dem Faust nicht mehr Meister des eigenen Schicksals. Die Überspitzung dieser Fehlsituation ist die Aufführung der Bellini-Oper I Puritani an Bord des Schiffes am Ende des Films. [68]

Dieser Gedankengang ist nicht gänzlich abwegig, wird doch durch Fitzcarraldos seltsames Wesen alles um ihn herum deutlicher in Auge genommen, erscheinen die Ureinwohner realer, die Spanischen Kautschukbarone als jene raffgierigen Blutsauger, die sie darstellen sollen und der Dschungel noch größer und unüberwindbarer. 

VI – Fazit: Herzogs Südamerika 

Herzogs Wald ist durchaus Mythos und (Wahn-)Vorstellung. Eine bedrohliche, undurchdringliche Fläche, in der Leib und Leben nicht sicher sein können. Aus der Tradition der europäischen Vorzeit geboren, als Wälder Grenzen und Unüberwindbarkeit darstellten, denen der Mensch mühsam seine Welt abtrotzen musste. Gleichzeitig ist er magisch, er raubt dem unbedarften die Sinne, bis er nicht mehr zwischen Realität und Halluzination zu unterscheiden vermag. 

Das Motiv der Eingeborenen ist komplizierter. Sie sind Teil der Natur, wirken über- oder unmenschlich, werden nur sichtbar wenn sie es wollen und sind nicht zu unterschätzen. Im Geist der Eroberer vermengen sie sich mit alten Sagen von Halbmenschen und Fabelwesen, gottlose Wilde, deren Verkommenheit nur die Kirche richten kann. Ihr Menschenfressertum erscheint nur allzu vertraut, sind ihre Gebräuche und Unsitten doch auch aus dem heimatlichen Hexensabbat jedem bekannt. Vom einfachen Matrosen bis zum Gelehrten wurde jedem klar, dass auch die Neue Welt nicht vom Teufel unberührt geblieben war. Mühsam suchte man sich, sie in die biblische Geschichte der Welt einzupassen, auch wenn man uneins war, ob sie nun Nachkömmlinge eines Verstoßenen waren, oder womöglich ganz anderem Geschlecht entsprangen. 

Dem entgegen stand die Hoffnung auf unermesslichen Reichtum und die Verheißung eines Paradieses. El Dorado als lokale Ausprägung des Akadientopos, von der Insel der Seligen zu den Gestaden Amerikas, wo neben üppigem Nahrungsangebot auch die Chance wartet, in einer besseren Welt auch die Vollkommenheit des Goldes kosten zu können. 

Die Protagonisten dieser Geschichten sind vielleicht prometheisch, aber auch blind und uneinsichtig, was ihnen zum Verhängnis wird. Fitzcarraldos Charakter ist ein Abgesang auf das große Drama, das Satyrspiel im Übergang zum Nachruf der verlorenen Welt. Oder aber der Held des Mittelmaßes, der eher als Spiegelfläche denn als Originalgenie oder Akteur taugt. Doch in einer Welt, deren Individuum nicht mehr aktiv sein kann da eher Partizipient der Weltgeschichte als formender Kraftmensch. 

Abschließend sei angemerkt, dass Herzogs Südamerika durchaus ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Es überwältigt die Sinne, führt viele in ihr Verderben und ist eine Macht für sich, zugleich reich an Gefahr und Schönheit. 

Interessanterweise wurde bisher in der Forschung noch gänzlich der Aspekt außer Acht gelassen, dass sowohl Aguirre als auch Fitzcarraldo von den Indios stellenweise mit göttlichen Ehren ausgestattet wurden. Dieser Umstand ließe sich gut in einer folgenden Arbeit einzeln oder im Rahmen einer größeren Ausarbeitung dieses Themas einflechten. 

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Waller, Gregory. “Aguirre, The Wrath of God: History, Theater, and the Camera.” South Atlantic Review 46, no. 2 (1981), 55-69.

Anmerkungen

  • [1]

    John Davidson, „ As Others Put Plays upon the Stage: Aguirre, Neocolonialism, and the New German Cinema“, New German Critique 60 (1993), 104. Paul Cronin, ed., Herzog on Herzog (London: Faber and Faber, 2002), 77-79, 170-171. Für Herzog stand in beiden Fällen jeweils mehr eine möglichst gute Geschichte als ein hohes Maß an Historizität im Vordergrund.

  • [2]

    Cronin, Herzog on Herzog, 83-86. Herzog gab sich unter anderem als Tierarzt aus, um die für die Schlussszene benötigten Affen in Aguirre vom Flughafen zu stehlen (86). In der von Les Blank gedrehten Dokumentation Burden of Dreams (1982) spricht Herzog zudem über die immensen Schwierigkeiten, die Fitzcarraldo umgaben. Neben Drehproblemen und Ausfällen kam es unter anderem zu Spannungen zwischen verfeindeten Indio-Stämmen, außerdem schrieben mehrere (deutsche) Zeitschriften Artikel, wie er die Eingeboren ausbeuten und den Dschungel zerstören würde, was letztlich widerlegt wurde (siehe auch Cronin, Herzog on Herzog, 179-185). In seiner Dokumentation Mein liebster Feind (1999) besucht Herzog auch jene Stellen, an denen Fitzcarraldo gedreht wurde und zeigt, dass selbst von der Szene in der das Boot über den Berg geschleppt wurde, keine Spuren mehr zu finden sind. Er berichtet auch später davon im Epilog des Drehtagebuches von Fitzcarraldo über die wiederhergestellte Unberührtheit der Gegend. Vgl. Werner Herzog, Eroberung des Nutzlosen, 2nd. Ed. (Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2010), 328-329.

  • [3]

    Cynthia Stone, “Aguirre Goes to the Movies: Twentieth-Century Visions of Colonial-Era "Relaciones",” Chasqui 34, no. 2 (2005), 30. Brian Godfrey, „Regional Depiction in Contemporary Film,“ Geographical Review 83, no. 4 (1993), 433. Gregory Waller, “Aguirre, The Wrath of God: History, Theater, and the Camera,” South Atlantic Review 46, no. 2 (1981), 56. Davidson, “As Others Put Plays upon the Stage”, 119-127. Gerade der Bezug auf Hitler ist aus zwei Gründen extrem fragwürdig, da erstens Herzog selbst diese Interpretation strikt ablehnt (siehe Cronin, Herzog on Herzog, 93) und zweitens auch die Persönlichkeit Aguirres nicht passt, da dieser ein intriganter, berechnender Charakter ist, aber eben nicht direkt als „Führer“ in Erscheinung tritt, sondern den Adligen Guzman als Kaiser einsetzt und aus zweiter Reihe dirigiert (bis zum Tode Guzmans, dann übernimmt er das Ruder selbst).

  • [4]

    Holly Rogers, „Fitzcarraldo's Search for Aguirre: Music and Text in the Amazonian Films of Werner Herzog,“ Journal of the Royal Musical Association 129, no. 1 (2004), 77-99. Rogers geht zudem ausführlich auf die Verwendung von Musik in den Filmen ein.

  • [5]

    Lutz Koepnick, „Colonial Forestry: Sylvan Politics in Werner Herzog’s Aguirre and Fitzcarraldo,New German Critique 60 (1993), 133-159.

  • [6]

    Gerhard Kaiser, Fitzcarraldo Faust – Werner Herzogs Film als postmoderne Variation eines Leitthemas der Moderne (München: Carl Friedrich von Siemens Stiftung, 1993).

  • [7]

    Richard Francis, “Beyond Narrative: Filmmaking in the Eighties Recent Cinematic Developments,“ Pacific Coast Philology 19 (1984), 108-115 (Zitat 114).

     

  • [8]

    Den Aspekt der Unüberwindbarkeit dieser Natur musste Herzog selbst bei den Dreharbeiten zu Fitzcarraldo erleben, da selbst modernste Baumaschinen dem Dschungel kaum gewachsen waren, was die Vorbereitung für die Bootsszene stark verzögerte, da der Bulldozer entweder kaputt ging oder im Schlamm stecken blieb.

  • [9]

    Lutz Koepnick, „Colonial Forestry: Sylvan Politics in Werner Herzog’s Aguirre and Fitzcarraldo,New German Critique 60 (1993), 142.

  • [10]

    Ebd. 138-139. 

  • [11]

    Rogers, „Fitzcarraldo’s Search for Aguirre,“ 80-81. 

  • [12]

    Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, (Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft mbH, 2004), 179-181.

  • [13]

    Ebd. 210-221. Borst spricht mehrere Legenden an, unter anderem das Topos des „Bär als Hirte“, nach der besonders heilige Männer zum Teil Hilfe von wilden Bären erhalten haben, der ihnen ob ihres wohlgefälligen Lebenswandels bei der Arbeit halfen (211-213). 

  • [14]

    Ebd. 172-174. 

  • [15]

    Ebd. 220 

  • [16]

    Ebd. 219-220. 

  • [17]

    Cronin, Herzog on Herzog, 79-81.

  • [18]

    Cronin, Herzog on Herzog, 86. Er beschreibt hier auch die relative Gefahrlosigkeit des Dschungels entgegen der vorherrschenden Mythen. Insofern sind seine früheren Bemerkungen in Burden of Dreams wohl als Kontrapunkt zu Kinski anzusehen und weniger als seine tatsächliche Meinung zu jenem Zeitpunkt.

  • [19]

    Ortiz, Alfonso. “Indian/White Relations: A View from the Other Side of the ‘Frontier’,” in Indians in American History: An Introduction, ed. Frederick Hoxie and Peter Iverson, (Wheeling: Harlan Davidson, 1998), 4.

  • [20]

    Im Zusammenhang mit diesem Begriff sind einige Vorbemerkungen zu machen. Dem Namen Indianer liegt bekanntermaßen Kolumbus Irrglaube zu Grunde, in Indien an Land gegangen zu sein. Siehe Robert Berkhofer, The White Man’s Indian – Images of the American Indian from Columbus to the Present (New York: Vintage Books. 1979), 4.

    Gleichzeitig ging mit diesem Begriff auch eine unglaubliche Verallgemeinerung einher, da nach modernen Schätzungen insgesamt an die 2000 Völkerschaften und Stämme in Nord- und Südamerika nonchalant zusammengeworfen wurden (Berkhofer, The White Man’s Indian, 3).

    Darüber hinaus herrscht bis heute große Uneinigkeit, sich auf eine gemeinsame Bezeichnung zu einigen, und diese sind zudem selbst in einer Sprache nicht zwingend einheitlich verwendet. Siehe Berkhofer, The White Man’s Indian, 5, und Olive Dickason, Canada’s First Nations – A History of Founding Peoples from Earliest Times, (3rd ed. New York: Oxford University Press, 2002), XIV-XV.

    Als Folge versuchte man die Einteilung in Stämme und Sprachfamilien, die Folge waren Begriffe wie Cree, Huron oder Mi’kmaq. Diese sind jedoch genauso trügerisch, handelt es sich hier doch um eine grobe Zuordnung nach Sprachfamilie und kann damit auch wieder Dutzende von Einzelgruppen meinen, die über riesige Areale verteilt leben und somit nur ‚lingualontologisch‘ Gemeinsamkeiten aufweisen müssen (Dickason, Canada’s First Nations, XIV, 14). Es drängt sich der Vergleich zur indogermanischen Sprachfamilie auf und damit die Frage, wie sinnvoll es wäre, Spanier und Polen aufgrund dessen als dasselbe Volk zu definieren.

    Diese Bemerkungen gelten auch für viele der kleineren Stämme in Südamerika, die nicht in den Reichen der Azteken oder Inka eingegliedert waren. 

    Da dieser Konflikt bis heute das Thema begleitet, und in Anbetracht der Tatsache, dass die spanischen Konquistadoren den Begriff „Indio“ einführten und benutzten, soll er auch hier im weiteren aus Traditionsgründen Verwendung finden, so keine spezifischen Eigenbezeichnungen vorhanden sind. 

  • [21]

    Auch zu Beginn des Filmes, als Gonzalo Pizarro seine Streitmacht aufteilt, wird bereits gemurrt und diese Bedrohung angesprochen. 

  • [22]

    James Axtell, Beyond 1492 – Encounters in Colonial North America (New York: Oxford University Press, 1992), 30-33. Es ist allerdings auch nicht schwer, viele dieser Fabelwesen in die Antike zurück zu verfolgen. Plinius der Ältere (ca. 23-79) als Beispiel hat in seiner Naturalis Historiae mehrere Kapitel über Drachen, Basilisken oder Mantikore. Siehe John Bostock, ed., The Natural History: Pliny the Elder (London: Taylor and Francis, 1855), 8.15, 8.33, 8.45.

  • [23]

    Axtell, Beyond 1492, 32. Auch bei Gerhild Scholz Williams, “Der Zauber der Neuen Welt: Reise und Magie im 16. Jahrhundert,” The German Quarterly 65, no. 3 (1992), 294.

  • [24]

    Berkhofer, The White Man’s Indian, 13. Diese Vermutung wird noch dadurch bestärkt, dass alte Schreibweisen der Wörter saulvage beziehungsweise salvage sind.

  • [25]

    Olive Dickason, The Myth of the Savage – And the Beginnings of French Colonialism in the Americas (Edmonton: University of Alberta Press, 1984), 67-70. Oft wurde auch Nacktheit als ein Kriterium der Rohheit angesehen (Dickason, The Myth of the Savage, 50, 64. Genauso zu finden bei Bruce Trigger and Wilcomb Washburn, „Native peoples in Euro-American historiography,“ in The Cambridge History of the Native Peoples of the Americas, ed. Bruce Trigger and Wilcomb Washburn, Vol. 1: North America, Part I, (Cambridge: Cambridge University Press, 1996), 66-67). In Fitzcarraldo warden sie unter anderem auch als “wilde Nacktärsche” tituliert.

  • [26]

    Dickason, The Myth of the Savage, 66.

  • [27]

    Trigger and Wilcomb, „The History of the Native Peoples”, 65-68. 

  • [28]

    Berkhofer, The White Man’s Indian, 13-14.

  • [29]

    Urs Bitterli, Die Entdeckung Amerikas – Von Kolumbus bis Alexander von Humboldt, 4th ed., (München: Verlag C.H. Beck oHG, 2006), 244-246. Godfrey, „Regional Depiction“, 433. Eine ausführlichere und überaus schlüssige Diskussion um die Hintergründe, die den Inka bewegt haben mögen, findet sich bei Patricia Seed, “Failing to Marvel: Atahualpa’s Encounter with the Word,” Latin American Research Review 26 (1991), 7-32.

  • [30]

    Trigger and Wilcomb, „The History of the Native Peoples”, 66. Axtell, Beyond 1492, 31.

  • [31]

    Davidson, „Aguirre“, 125. Koepnick, „Colonial Forrestry“, 150. Auch entdecken Aguirre und seine Männer einige Zeit zuvor ein verlassenes Dorf, in welchen sie die Überreste von Menschen und spanische Kleidung finden.

  • [32]

    Davidson, „Aguirre“, 125. Die Eingeborenen gehören in Wirklichkeit zum Stamm der Aguaruna. 

  • [33]

    Scholz Williams, „Zauber der neuen Welt“, 298-299, 301-303. Scheinbar verglichen einige Calvinisten die Rituale allerdings auch mit dem katholischen Gottesdiensten, als satanisches Blendwerk (298).

  • [34]

    Ebd. 296-297. Dies wird auch im Maleus Malificarum, dem offiziellem Standardwerk der Inquisition, aufgeführt (297)

  • [35]

    Ebd. 299. 

  • [36]

    Urs Bitterli, Die “Wilden” und die “Zivilisierten” – Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, 3rd ed., (München: Verlag C.H. Beck oHG, 2004), 24.

  • [37]

    Scholz Williams, „Zauber der neuen Welt“, 301. Der Reisebericht Wagners selbst ist zwar Fiktion, das Buch stützt sich aber unter anderem auf die lateinische Übersetzung von Giralamo Benzonis Historia del Mondo Nuovo (1565).

  • [38]

    Ebd. 301. 

  • [39]

    Hier bietet sich zum einen die Schlusssequenz mit Aguirre an, einen der sich an Bord tummelnden kleinen Affen fängt und ihn ungläubig in der Hand hält und anstarrt, nicht sicher ob selbst der Akt des „mit den Händen anfassen“ genügt um ihm Klarheit zu verschaffen. Zum anderen neben dem bereits erwähnten Okello, der den Pfeil nicht für real hält, ihm ähnlich reagiert der Priester Carvajal, der auf einen in seiner Schulter steckenden Pfeil sieht mit den Worten „Dieser Pfeil kann mich nicht verletzten.“ Danach blickt er ungläubig auf seine blutverschmierten Finger und spricht, deutlich gebrochener „Das ist kein Regen!“ als ihm langsam klar zu werden scheint, was um ihn herum und mit ihm geschieht. 

  • [40]

    Trigger and Wilcomb, „The History of the Native Peoples”, 66-68. 

  • [41]

    Berkhofer, The White Man’s Indian, 33-37.

  • [42]

    Bitterli, Die “Wilden” und die “Zivilisierten”, 325-328.

  • [43]

    Ebd. 329-330. Besonders die Andersartigkeit der Schwarzen war relevant, da man glaubte, bei einem fremden Stamm eher die Versklavung rechtfertigen zu können, als wenn alle von gleicher Art wären. Diese Ideen würden später in den „wissenschaftlichen“ Rassismus des 19. Jahrhunderts münden (Berkhofer, The White Man’s Indian, 55-61). Einer der Vorreiter jener „Rassentheorie“ war Carl von Linné, der den Homo Sapiens in wilde Männer (Ferus), Indianer (Americanus), Europäer (Europäus), Mongolen (Asiaticus) und Neger (Afer) unterteilte (Bitterli, Die “Wilden” und die “Zivilisierten”, 332). Zu den Wilden Männern zählte Linné auch die kanadischen Indianer (333).

  • [44]

    Bitterli, Die “Wilden” und die “Zivilisierten”, 332

  • [45]

    Ebd. 340-343. Die Nichteuropäer hatten aber genauso ein Erklärungsproblem, woher die verschiedenen Rassen kamen, was zu interessanten Schöpfungsmythen führte (343-344), so zum Beispiel derer der Cherokee, wo der Schöpfer drei Tonfiguren brennt und die mittlere braune ihm am Besten gefällt, während die bleiche und die angebrannte Figur minderwertiger sind (344).

  • [46]

    Eine interessante Sonderform bildet die Glaubensgemeinschaft der Church of Latter-Day Saints (auch Mormonen genannt), die in den Indianern Abkömmlinge eines der verschollenen Stämme Israels sehen. Siehe z.B. Thomas Murphy, „From Racist Stereotype to Ethnic Identity: Instrumental Uses of Mormon Racial Doctrine,“ Ethnohistory 46, no.3 (1999), 451-480. Da die Mormonen aber ebenfalls dunkle Hautfarbe als Fluch Gottes betrachten, bleiben in ihren Augen sowohl Indianer als auch gerade Schwarze minderwertig.

  • [47]

    Entgegen dem Film fand die Pizarro-Expedition bereits 1541 statt. Pedro de Ursúa hatte eine eigene Gruppe, die 1559 auf der Suche nach El Dorado war. Vgl. John Silver, “The Myth of El Dorado,” History Workshop 34 (1992), 1.

  • [48]

    Dies ist in der Tat auch weniger abwegig als vermutet, fanden doch bis Ende des 18. Jahrhunderts hin immer wieder Expeditionen statt, die nach El Dorado suchten. Erst im 19. Jahrhundert wurde es durch die Arbeit von Forschern wie Alexander von Humboldt als Mythos ad acta gelegt. (Silver, „The Myth of El Dorado“, 2-5).

    Ironischerweise haben jüngste archäologische Tätigkeiten im Amazonas dazu geführt, dass der Begriff El Dorado eine Renaissance erlebt. Der Siedlungsbefund aus hunderten von Grabungen zeigt eindeutig, dass am oberen Xingu und in Zentralbrasilien eine große Zahl an Dorfgemeinschaften lebte. Diese weisen nicht nur teilweise andauernden Fortbestand, sondern sogar Neu-, respektive Übersiedlungstätigkeit (sprich verlassene Gebiete wurden von anderen Gruppen übernommen und neu aufgebaut), und aus der sich jahrhundertelange Gemeinschaftssysteme entwickelt haben müssen. (Vgl. Betty Meggers, “The Continuing Quest for El Dorado: Round Two,” Latin American Antiquity 12, no. 3 (2001), 304-325).

  • [49]

    Berkhofer, The White Man’s Indian, 72.

  • [50]

    Bitterli, Die “Wilden” und die “Zivilisierten”, 377. Allerdings ist Hesiods ursprüngliche Beschreibung stark dystopischer Natur, da das Goldene Zeitalter in der Vergangenheit liegt, die Menschheit sich immer weiter davon entfernt und die Welt sich im Niedergang befindet.

  • [51]

    Borst, Lebensformen im Mittelalter, 138-143. Die Sage wurde erst im 10. Jahrhundert niedergeschrieben.

    In wieweit diese Sage einer herrlichen Insel des Überflusses und Glückes beeinflusst wurde durch die Insel Avalon aus der Artussage und vom antiken Thule, jener nördlichsten Insel, die der griechische Seefahrer Pytheas um 325 v. Chr. entdeckt haben will, soll an dieser Stelle offen gelassen werden. 

  • [52]

    Ebd. 143. Der Chronik von Hartmann Schedel wurde auch ein Holzschnitt beigefügt, auf dem die Insel der Seligen verzeichnet war. 

  • [53]

    Bitterli, Die “Wilden” und die “Zivilisierten”, 378-381. Trigger and Wilcomb, „The History of the Native Peoples”, 63-64. Berkhofer, The White Man’s Indian, 73.

    In der Tat ist die Faszination und Sehnsucht nach diesem Paradies für einige der Ankömmlinge so groß, dass sie „zum Feind“ überlaufen. (Bitterli, Die “Wilden” und die “Zivilisierten”, 86-87). Bis heute weist der umgangssprachliche Ausdruck im Englischen „going native“ für Desertion auf diesen Tatbestand hin.

  • [54]

    Bitterli, Die “Wilden” und die “Zivilisierten”, 378.

  • [55]

    Koepnick, „Colonial Forrestry“, 134-135. 

  • [56]

    Ebd. 140-142. Er beschreibt die Spanier auch als Gefangene ihrer Ängste, die, wie oben erläutert, von ihnen aus der Vergangenheit der europäischen Mythen, mitgebracht wurden. 

  • [57]

    Ebd. 150-155. 

  • [58]

    Während die Besatzung noch schläft, kappen die Jivaro die Taue und schicken das Schiff in die Stromschnellen, um es den Flussgöttern zu opfern. 

  • [59]

    Kaiser, Fitzcarraldo Faust, 33.

  • [60]

    Ebd. 34. 

  • [61]

    Ebd. 37. 

  • [62]

    Ebd. 36. 

  • [63]

    Ebd. 51-55. 

    In abgeschwächter Form gelten die vorherigen Betrachtungen auch für Aguirre, wenngleich dieser nicht Betrachtungsgegenstand Kaisers war. Der Konquistador ist mehr blind, mehr strebend, dadurch aber vielleicht auch mehr Originalgenie. Seine Durchtriebenheit und Berechnung als Zeugnis seines unbändigen Willens zeigt sich durch den gesamten Film.

    Fraglich bleibt aber, ob Aguirre auch Erlösung findet, wie es Faust und Fitzcarraldo gelingt, da die Gottheit immerwährendes Streben belohnt. (28). 

  • [64]

    Francis, „Beyond Narrative“, 114. 

  • [65]

    Sir Walter Scott (1771-1832) war ein schottischer Schriftsteller, der durch seine Gedichte und historischen Romane bekannt wurde. 

  • [66]

    Francis, „Beyond Narrative“, 114. 

  • [67]

    Ebd. 115. 

  • [68]

    Ebd. 113-115. Die Oper handelt vom Kulturkonflikt im England des 18. Jahrhunderts, ist daher in Kombination mit der Thematik, der Kostümierung und dem Pomp die Krönung einer Fehlsituation.

Empfohlene Zitierweise

Kuck, Manuel: Herzogs Südamerika. Kulturelle Betrachtungen aus der Sicht von Fitzcarraldo und Aguirre, der Zorn Gottes. aventinus visio Nr. 7 [24.11.2013], in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9833/

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Erstellt: 24.11.2013

Zuletzt geändert: 28.11.2013

ISSN 2194-3427