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aventinus visio Nr. 3 [26.06.2012] 

Luciano M. Santino 

The War of the Worlds (1953)

Science Fiction und Religion in den USA der fünfziger Jahre 

The War of the Worlds ist seit langem medial präsent: Bereits 1898 schrieb H. G. Wells einen Roman gleichen Titels, der von seinen Lesern begeistert aufgenommen wurde. Als die Geschichte 1938 im Radio gesendet wurde, dachten viele Amerikaner, das Hörspiel sei eine aktuelle Nachrichtensendung, und flohen aus ihren Häusern – bis heute ist der Vorfall in den USA bekannt. Regisseur Byron Haskin entschied sich schließlich dafür, ein Drehbuch von Barré Lyndon zu verfilmen. 1953 kam der Film in die Kinos, [1] und war ein Kassenschlager. Aber warum war der Film so beliebt, ist er doch, anders als das Buch und die Radio-Sendung, ziemlich religiös imprägniert? Meine These lautet, dass sich in diesem amerikanischen Science Fiction-Film der frühen fünfziger Jahre ein religiöser Einfluss bemerkbar macht, den ich als „puritanisch“ bezeichnen möchte.

Puritanische Wertvorstellungen und Normen waren in den USA gesellschaftlich weit mehr akzeptiert als in einem europäischen Land wie etwa Deutschland, was man durch einen einfachen Vergleich des Endes der amerikanischen Originalfassung mit der deutschen Synchronisation belegen kann. In den letzten fünf Minuten von The War of the Worlds, als die Menschheit kurz vor ihrer sicheren Vernichtung durch die technisch überlegenen Marsmenschen zu stehen scheint, wird sie plötzlich indirekt durch Bakterien gerettet, gegen welche die Marsbewohner nicht immun sind. Die Hauptfigur Dr. Forrester beschreibt dies in beiden Versionen als „Wunder“. Die Erzählstimme aus dem Off, die am Ende des Films den überraschenden Tod der Invasoren expliziert, gibt im amerikanischen Original eine eindeutig religiöse Erklärung:

The Martians had no resistance to the bacteria in our atmosphere, to which we have long since become immune. Once they had breathed our air, germs, which no longer affect us, began to kill them. The end came swiftly. All over the world their machines began to stop and fall. After all that men could do had failed, the Martians were destroyed, and humanity was saved by the littlest things which God in his wisdom had put upon this Earth.” (01:24:30)

Aufgrund ihrer exponierten Stellung am Ende des Films, vorgetragen durch einen allwissenden Sprecher, erhält diese Erklärung ein besonderes Gewicht. Nimmt man sie beim Wort, so handelt der Film von einem fundamentalen Irrtum der ungläubigen oder an Gott zweifelnden Menschen: Sie nahmen an, dass ihre stärksten Waffen wie Flugzeuge, Raketen oder Atombomben sie vor der Invasion vom Mars retten würden. Aber sie hätten an Gott glauben sollen, der in seiner Allmacht auch für solche Fälle Vorsorge getroffen hat. Erst am Schluss, als die verängstigten Menschen in der Kirche zusammenkommen und beten, erfassen sie Gottes Wunder. Das Vertrauen in Gott ist stärker als die Atombombe, denn seine Weitsicht hat ihn kleine, scheinbar unwichtige Bakterien erschaffen lassen, die nun die Menschheit vor der sicheren Vernichtung retten. Dies ist die puritanische Idee der „Divine Providence“, der göttlichen Vorsehung. 

Im Gegensatz zur göttlichen Vorsehung im amerikanischen Original kommt die Rettung der Menschheit in der deutschen Synchronfassung von der Natur, nicht von Gott: 

„Die Marsmenschen gingen an Bakterien zugrunde, die in der Atmosphäre unserer Erde vorhanden sind, die es aber auf ihrem Planeten nicht gibt. Ihre Widerstandskraft gegen diese tödlichen Keime war zu gering, während wir seit Jahrtausenden dagegen immun sind. Überall stürzten die Raumschiffe ab. Die Menschen standen vor einem Rätsel. Ihre Armeen, ihre Tanks [Panzer], ja sogar der Einsatz der Atombombe waren erfolglos gewesen. Wissenschaft und Technik haben versagt. Die Natur hat das Wunder vollbracht und die Menschheit vor dem Untergang gerettet.“ (01:24:30, deutsche Synchronisierung) 

Man muss sich fragen, warum Paramount Pictures, die den Film in Deutschland herausgaben, sich entschieden, den Text in dieser zentralen Passage zu ändern, denn sonst entsprechen sich Original und deutsche Synchronfassung weitestgehend. Es scheint, als könne dem deutschen Kinobesucher eine auf die Bibel rekurrierende, „puritanisch“ argumentierende Erklärung der Filmerzählung kaum zugemutet werden – deshalb ließ man sie weg bzw. deutete das Ende signifikant um, indem man die Natur an die Stelle Gottes setzte. Paramount wollte den Film schließlich auch auf dem deutschen Markt verkaufen. 

Die puritanisch-christliche Kultur in den USA geht auf die ersten Pilgrim Fathers zurück, die aus England einwanderten und vorwiegend Mitglieder einer kleinen Religionsgemeinschaft innerhalb der größeren puritanischen Glaubensbewegung waren. Sie selbst bezeichneten sich keineswegs als Puritaner, sondern als „die Göttlichen“, die nach Nordamerika auswanderten, weil sie die Church of England ‚unrein’ fanden. Während die meisten Angehörigen der Unterschichten für eine radikale Trennung von der englischen Kirche eintraten, strebten andere, meist Mitglieder der Oberschichten, nur eine Reform innerhalb der Kirche an. Sie segelten jedoch gemeinsam an die Ostküste Nordamerikas und landeten 1620 in Plymouth, Massachusetts, wo sie eine englische Kolonie gründeten. Viele gerade der ersten Europäer, die New England besiedelten, waren Puritaner. Sie legten ihrem Leben in der Neuen Welt hohe moralische Prinzipien zugrunde und wussten Gott auf ihrer Seite. John Winthrop, Anführer der Pilgerväter und überzeugter Puritaner, sagte in einer berühmten Rede auf dem Schiff Arabella:

“… men shall say of succeeding plantations, ‘the Lord make it like that of New England.’ For we must consider that we shall be as a city upon a hill. The eyes of all people are upon us.” [2]

Winthrop zufolge sollte also New England als Musterkolonie einer christlichen Utopie ein Modellbeispiel abgeben, an dem sich alle Amerikaner orientieren konnten. Die Pilgerväter glaubten sich in der Verantwortung, Amerika unter Gottes Augen und durch seinen Willen zu erobern und zu besiedeln, woraus die bis heute fortwirkende Idee der „Manifest Destiny“ resultierte, der offenkundigen göttlichen Bestimmung der Amerikaner zur Expansion nach Westen. Aber auch in der Prohibitionsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg drückten sich puritanische Wertvorstellungen aus, deren Ideale bis heute tief in der US-amerikanischen Gesellschaft verankert sind, ob es nun um das Verbot nackter Körper im Fernsehen oder um das hohe Mindestalter für den Alkoholkonsum geht.  

Aber nicht erst am Ende, sondern schon am Anfang von The War of the Worlds schlagen puritanische Wertvorstellungen auf die zeitgenössische gesellschaftliche Gegenwart durch. Bezeichnend ist die ausführlich gezeigte Tanzveranstaltung in der Kleinstadt, in die es den Naturwissenschaftler Dr. Forrester, gespielt von Gene Barry, verschlägt. Wir sehen einen Squaredance, den traditionellen amerikanischen Volkstanz aus dem 17. Jahrhundert. Die Frauen tragen die hochgeschlossenen volkstümlichen Kleider des 19. Jahrhunderts. Getanzt wird nicht auf Tuchfühlung, sondern mit sittsamem Abstand, und getrunken wird Coca-Cola statt Alkohol. Als um Mitternacht plötzlich der Strom ausgeht, sagt der Pfarrer: “Well, we always say ‚good night ladies’ at 12 o'clock anyway. It must be nearly that now.” (00:18:49) - Frauen wurden um Mitternacht traditionell nach Hause geschickt.

Die tragende Figur des Pfarrers Matthew ist für einen Science Fiction-Film ohnehin eine Besonderheit. Er fühlt sich eng mit Gott verbunden, handelt in seinem Auftrag und weiß sich sicher aufgehoben in der göttlichen Vorsehung. So versucht er zunächst, Kontakt mit den angreifenden Marsmenschen aufzunehmen: “They are living creatures out there.” Auf Sylvias Entgegnung “But they're not human! Dr. Forester said they're some sort of advanced civilization!” antwortet er mit einem religiösen Argument: “If they're more advanced than us, they should be nearer the creator for that reason.” (00:33:40) Er weiß sich für den Fall seines Todes in Gottes Vorsehung. Aber auch andere Protagonisten greifen immer wieder auf die Bibel zurück, um die welterschütternden Vorgänge zu erklären, so beispielsweise Sylvia: Als sie hört, dass die Marsmenschen die Welt in sechs Tagen besiegen werden, wenn die Atombombe nichts ausrichtet, zitiert sie die ersten Zeilen der Genesis: „… the same number of days it took to create it“ (01:04:25).

Auffällig ist schließlich, dass der Film, immerhin ein Science Fiction-Film, den puritanischen Idealen entsprechende Geschlechterrollen und Familienstrukturen einfordert. William Gouge, ein englischer Puritaner, schrieb 1622 in seinem Buch „Of Domesticall Duties“: 

“… a family is a little Church, and a little Commonwealth, at least a lively representation thereof, whereby trial may be made of such as are fit for any place of authority, or of subjection in Church or Commonwealth. Or rather it is as a school wherein the first principles and grounds of government and subjection are learned: whereby men are fitted to greater matters in Church or Commonwealth.”[6]

Der Mann also dominiert und herrscht in seiner Familie, die Frau soll häuslich sein und sich um die Kinder kümmern. So wird auch die sich anbahnende Beziehung zwischen Dr. Forrester und Sylvia dargestellt: Kaum haben sie sich kennen gelernt, kocht sie für ihn, und Dr. Forrester muss Sylvia wiederholt retten und beschützen, wenn sie beispielsweise in einem hysterischen Anfall von Panik angesichts des tropfenden Marsmenschenblutes zusammenbricht und zu weinen beginnt (00:53:05). Der Film propagiert schließlich überdeutlich die Großfamilie als gesellschaftliches Ideal: Der fast emotionslose Naturwissenschaftler, der selbst keine Eltern und keine Familie mehr hat, trifft auf Sylvia, die aus einer großen Familie stammt. Dr. Forrester daraufhin: „A big family must be fun. I'd imagine it makes you feel like you belong to something” (00:44:30).

Am Ende des Filmes spielen schließlich Kirchen eine wichtige Rolle als Oasen der Sicherheit in einer Stadt voller Zerstörung und Verbrechen. Die in der Kirche versammelten Menschen fangen im Angesicht des sicheren Todes an, zu Gott zu beten. Erst als sie sich im Gebet vereinigen, sterben die Marsmenschen. Die letzte Szene zeigt Dr. Forrester, den Naturwissenschaftler, der keine physikalischen Gesetze mehr zur Erklärung der Vorgänge finden kann, sondern an ein Wunder glaubt, wobei er nach oben blickt, zum Himmel und zur Kirche – ein bemerkenswertes Ende für einen Sci-Fi Kriegsfilm, der in dieser Form nur in den USA der fünfziger Jahre gedreht werden konnte. 

Internetressourcen: 

Renaissance Household, aus: [Kelley Akhiemokhali / Lisa Kopitsky / Brandon Julius Hudson]: Performing Life. Gender and Sexuality in Renaissance Popular Culture. Duke University s.d., http://www.duke.edu/web/rpc/performance/household.html.

Claire Hopley: The Puritan Migration. Albion's Seed Sets Sail, in: British Heritage (Sept. 2005), dgt. http://www.historynet.com/the-puritan-migration-albions-seed-sets-sail.htm.

[Perry Miller / Thomas H. Johnson]: Introduction, in: Dies.: The Puritans. A Sourcebook of Their Writings Bd. 1, dgt. http://academic.brooklyn.cuny.edu/english/melani/english2/puritans_intro.html.

William Gouge: Domestical Duties. s.l. 1622, dgt. http://www.chapellibrary.org/files/archive/pdf-other/otddu1.pdf, hier S. 9.

 

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Zeitgeschichte des Historischen Seminars der LMU München.

 

Anmerkungen

Empfohlene Zitierweise

Santino, Luciano M.: The War of the Worlds (1953). Science Fiction und Religion in den USA der fünfziger Jahre. aventinus visio Nr. 3 [26.06.2012], in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9563/

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Erstellt: 23.06.2012

Zuletzt geändert: 22.08.2013

ISSN 2194-3427