Kunstgeschichte

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aventinus varia Nr. 9 (Winter 2006) 

Stefan Schnupp 

Fotografien von der Schlacht von Gettysburg 

Die Problematik mit Gardners Bildern eines gefallenen konföderierten Soldaten 

 

Der Amerikanische Bürgerkrieg wurde in den Jahren 1861 und 1865 zwischen den Nordstaaten und den abgespaltenen Südstaaten ausgetragen und endete mit der Kapitulation der Südstaaten. In diesem Krieg wurden viele technische Neuerungen [1] eingesetzt. Man kann vom „ersten wirklich industrialisierten Krieg der Geschichte“ [2] sprechen.

Eine der größten Schlachten des Krieges war jene von Gettyburg [3], die vom 1. Juli bis zum 5. Juli 1863 dauerte. Die eine Armee wurde vom Konföderiertengeneral Robert E. Lee befehligt und  die Unionstruppen von Georg G. Meade. Die Truppen trafen sich bei Gettysburg, in Pennsylvania, auf dem Gebiet der Nordstaaten. Dorthin hatte Lee seine Truppen als Offensivmaßnahme nach der Schlacht von Chancellorsville geführt.  Die Schlacht begann am 1. Juli nördlich der Stadt und verlagerte sich in den nächsten zwei Tagen auf das Stadtgebiet und die südliche Umgebung. Doch am Ende siegten die Unionstruppen und Lee musste sich ab dem 5. Juli wieder nach Süden zurückziehen.

Am gleichen Tag traf das Fotografenteam unter Alexander Gardner, als die ersten Fotografen vor Ort, ein. [4] Er war ein emigrierter Schotte, der unter Matthew Brady gearbeitet und sich schließlich selbstständig gemacht hatte. [5] Berühmt waren vor allem seine Fotografien der Schlacht von Antietam im September 1862. Mit diesen Fotos dokumentierte er die Beerdigung der Leichen nach der Schlacht. In der Zeit vom 6. bis zum 9. Juli [6] erstellte das Team 60 Fotos. Dreiviertel davon beschäftigten sich mit dem Thema Tod. Dafür musste er möglichst schnell vor Ort sein, um die gefallenen Soldaten fotografieren zu können, bevor sie beerdigt wurden. [7] Mit seinen Bildern wollte er der Öffentlichkeit das ganze schreckliche Ausmaß des Krieges vor Augen führen, da dies von den meisten nicht wahrgenommen wurde. Mit solchen Darstellungen versuchten sich die Fotografen auch von den Malern und Zeichnern zu unterscheiden, die den Schlachten eher einen heroischen Ausdruck verliehen. [8]

Als Beispiele Gardners sollen nun sechs Bilder [9] genauer betrachtet werden.  Sie stellen alle jeweils einen jungen, gefallenen konföderierten Soldaten dar, neben dem sich ein Gewehr befindet. Die ersten drei Bilder (V-23 bis V-25) sind als Serie konzipiert und zeigen die gleiche Leiche aus unterschiedlichen Kamerapositionen, wodurch verschiedene Landschaftselemente sichtbar werden. Bei diesen Bildern liegt der Leichnam auf dem Rücken und das Gewehr oberhalb seines Kopfes auf dem Boden. Die Leiche ist schon im Gesicht angeschwollen, aber sonst sind keine Verletzungsspuren zu erkennen.  Die beiden anderen Bilder (V-26 a und b) stellen die Leiche eines „Scharfschützen“ [10] dar, der vor einer aufgeschichteten Steinmauer, zwischen zwei Felsen, liegt. Seine Waffe lehnt noch an der Mauer und er liegt mit dem Kopf auf einem Beutel. Im Hintergrund ist bei V-26 a  ein  ansteigender Hügel zu sehen.

Wichtige Fragen bei der Identifizierung der Bilder sind der Zeitpunkt der Aufnahme und der genaue Aufnahmeort. Durch die vorhandenen Landschaftselemente konnte  William Frassanito die Bilder bei Devil’s Den, einem Hügel südlich der Stadt [11] lokalisieren. Die dargestellten Orte liegen ungefähr 72 yards [12] auseinander. Bei der Datierung geht er vom Nachmittag des 6. Juli aus, da anhand der Schatten die Tageszeit bestimmt werden konnte. Die Leichen in diesem Gebiet wurden bis zum 7. Juli beerdigt und deshalb konnte Gardners Team sie nur am 6. Juli fotografieren. [13]

Bei allen Fotos handelt es sich um denselben toten Soldaten und dasselbe Gewehr. Die Leiche trägt auf den Bildern die gleiche Kleidung, den gleichen Haarschnitt und die gleichen Gesichtszüge. Man  muss davon ausgehen, dass es sich um dieselbe Person handelt. [14]

Es entstehen natürlich Zweifel an der Authentizität und der Beschriftung der Bilder. 

Der Ablauf der Aufnahmen wird durch Frassanito folgendermaßen rekonstruiert: zuerst fotografierten Gardner und O’Sullivan, sein Assistent, die drei Bilder des jugendlichen und nicht blutenden Soldaten. Bei einer weiteren Erkundung des Geländes, fanden sie die Stelle mit der Mauer zwischen den Felsen. Der Blick auf den Hügel des Little Round Top im Hintergrund ergab ein eindrucksvolles Bild, da aber eine Leiche fehlte, transportierten sie die vorherige dorthin. Einen umgekehrten Transport dagegen schließt Frassanito aus. [15] Das zeigt, dass es sich bei den ersten drei Bildern (V-23 bis V-25) um die authentischen handelt, da sie den Leichnam in einer, für die Umstände des Todes, natürlichen Haltung zeigen. Die anderen beiden Bilder (V-26 a und b) sind demnach gestellt. Sie dienen mehr der Verdeutlichung des Todes, als einer Dokumentation der Schlacht. Durch eine Identifizierung der Waffe in V-26 a wird deutlich, dass Gardner auch eine falsche Beschriftung des Fotos beifügte, da es sich bei dem Gewehr keinesfalls um das eines Scharfschützen handelt. [16]

 Aber es bleibt die Frage, ob die Bilder als Quelle unbrauchbar geworden sind. Dies trifft für den Fall zu, dass man durch sie Aussagen über die Schlacht an sich und vor allem über die Kämpfe in diesem Gebiet treffen will. Hierzu kann man die drei anderen Bilder (V-23 bis V-25) verwenden. Auch hier  wird aber vermutet, dass die Waffe später dazugelegt wurde. [17] Die anderen beiden Bilder (V-26 a und b) dienen dennoch noch als Quelle für die Intention seines Werkes. So ist vor allem V-26 a, von der Schlacht von Gettysburg, eines der berühmtesten Bilder Gardeners. [18] An der Aufnahme ist zu erkennen, dass es ihm mehr um den künstlerischen Aspekt und die Ästhetik seines Werkes ging, als um eine genaue Einzeldokumentation der Schlacht. Dies zeigt auch die Beschriftung, die er dem Bild in seinem  Sketch Book [19] gibt. So wird der Soldat als Scharfschütze beschrieben, der von einem Granatsplitter verwundet wurde und sich stoisch niederlegte um sein Ende abzuwarten. [20] So hat selbst die mittlerweile als Manipulation entlarvte Fotografie noch einen Quellenwert.

Die besprochenen Fotografien zeigen, dass die Frage nach der Echtheit für die Bilder sehr wichtig ist, wenn man feststellen möchte, ob das jeweilige Bild als Quelle für eine Arbeit nutzbar ist. Sie sagt aber nichts über den allgemeinen Quellenwert einer Fotografie aus, zumal es im 19. und auch im 20. Jahrhundert viele Fälle gibt, bei denen Bilder gestellt wurden, da es  die Technik damals noch nicht erlaubte, Bewegungen abzubilden. Eine allgemeine Aussage über die Nützlichkeit von Fotografien als Quelle ist nicht zu treffen, da nur eine genaue Untersuchung von Fall zu Fall herausbringen kann, wie es genutzt werden kann. Die große Schwierigkeit bei Fotografien ist leider, dass man sie meist vorbehaltlos als Abbildung der Wirklichkeit ansieht, ohne sie zu hinterfragen. Doch gerade dies muss hier noch stärker der Fall sein, als bei einer Textquelle, denn nur so lässt sie sich als Quelle sinnvoll nutzen.

Literatur- und Quellenverzeichnis 

1. Quellen: 

V-23 Dead Confederate Soldier, Devil’s Den, Gardner stereo #244, July 6, 1863 (LC), abgebildet in: Frassanito, William A.: Gettysburg. A journey in time. New York 1975. S. 188.

V-24 Dead Confederate Soldier, Devil’s Den, O’Sullivan stereo #263, July 6, 1863 (LC), abgebildet in: Frassanito, William A.: Gettysburg. A journey in time. New York 1975. S. 188.

Abbildung im Netz: 

http://images.military.com/pics/cvw_g_img14.jpg

V-25 Dead Confederate Soldier, Devil’s Den, Gardner stereo #277, July 6, 1863 (LC), abgebildet in: Frassanito, William A.: Gettysburg. A journey in time. New York 1975. S. 189.

Abbildung im Netz: 

http://712educators.about.com/library/graphics/cas3.jpg

V -26 a und b Dead Confederate soldier at sharpshooter’s position in Devil’s Den, O’Sullivan, (a) Plate (b) stereo # 251, July 6, 1863 (LC), abgebildet in: Frassanito, William A.: Gettysburg. A journey in time. New York 1975. S. 190. 

Abbildungen im Netz: 

http://www.archives.gov/research/civil-war/photos/images/civil-war-098.jpg

http://en.wikiquote.org/wiki/Image:Confederate_Dead_at_Devil%27s_Den_Gettysburg.jpg

2. Literatur:

Frassanito, William A.: Gettysburg. A journey in time. New York 1975. 

Ders.: Early Photography at Gettysburg. Gettyburg 1995. 

Hodgson, Pat: Early war photography. Osprey 1974.

Gerhard, Paul: Bilder des Krieges - Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn 2004.

Anmerkungen

  • [1]

     Gerhard, Paul: Bilder des Krieges - Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn 2004. S. 65-69.

  • [2]

     Gerhard Bilder, S. 66.

  • [3]

     Frassanito, William A.: Gettysburg. A journey in time. New York 1975. S. 54-55.

  • [4]

     Ebd. S. 27. und Ders.: Early Photography at Gettysburg. Gettysburg 1995. S. 21.

  • [5]

     Hodgson, Pat: Early war photography. Osprey 1974. S. 17-19.

  • [6]

     Datierung bei Frassanito Photography, S. 22-23.

  • [7]

     Ders Gettysburg, S. 27.

  • [8]

     Hodgson Early War, S. 12.

  • [9]

     Abgebildet bei Frassanito Gettysburg, S. 188-191 und dort mit den Nummern V-23, V-24,V-25, V-26 a und V-26 b versehen.

  • [10]

     So durch Gardner selbst bezeichnet.

  • [11]

     Frassanito Gettysburg, S. 187.

  • [12]

     Neue Ausmessung in Early Photography, gegenüber den geschätzten 40 yards in seinem Buch Gettysburg.

  • [13]

     Ders. Gettysburg, S. 31.

  • [14]

     Ebd., S. 191-192.

  • [15]

     Frassanito Early Photography, S. 271.

  • [16]

     Ders. Gettysburg, S. 192.

  • [17]

     Ders. Early Photography, S. 272-273.

  • [18]

     Ebd., S. 273.

  • [19]

     Er veröffentlichte seine Bilder in seinem Photographic Sketch Book of the Civil War (Hodgson Early War, S. 13).

  • [20]

     Frassanito Gettyburg, S. 192.

Empfohlene Zitierweise

Schnupp, Stefan: Fotografien von der Schlacht von Gettysburg. Die Problematik mit Gardners Bildern eines gefallenen konföderierten Soldaten. aventinus varia Nr. 9 (Winter 2006), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7565/

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Erstellt: 15.05.2010

Zuletzt geändert: 25.05.2010

ISSN 2194-1971