Osteuropäische Geschichte

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aventinus varia Nr. 3 (Winter 2005/06) 

Fischer, Richard 

Die Entstehung des Kosakentumes 

 

Wenn man heute in der westlichen Welt das Stichwort des "Kosaken" nennt, so denkt der Gesprächspartner unweigerlich an Chöre schwarzbärtiger Männer mittleren Alters, die unter ihren Pelzmützen tiefe, melancholische Lieder schmettern. Es scheint, als fülle der Kosak im Russlandbild des Auslandes die Rolle aus, die in Bayern den Schuhplattlern vorbehalten ist; erst recht, wenn man den bekannten Kasachock in die Betrachtung einbezieht. Diese reine Reduzierung des Kosakentums auf den klassischen Interpreten russischer Volkslieder, ist die Nische, in der eine alte Tradition versucht weiter zu existieren. Denn selbst im Zweiten Weltkrieg spielten noch reguläre Kosakendivisionen als Kavallerieeinheiten eine nicht unwichtige militärische Rolle - sowohl auf deutscher, als auch auf sowjetischer Seite. Es sollte das letzte Mal sein, dass diese jahrhundertelang bewährten Männer eingesetzt wurden. Doch wie entstand das Kosakentum? Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst der Begriff "Kosak" geklärt werden. Das Wort tritt erstmals im ausklingenden 15. Jahrhundert auf. [1] Der Ursprung dieser Bezeichnung ist in der Turksprache der Tartaren zu finden, in der diese ursprünglich einen freien, unabhängigen Mann bezeichnet, ebenso wie einen Banditen. [2] Mit den Tartaren, die den Kosaken ihren Namen gaben, ist auch die Entstehung dieses besonderen Lebensstils eng verknüpft. Im ausklingenden Mittelalter war das Gebiet des heutigen Russland sowie der europäischen GUS-Staaten von großen politischen Umbrüchen betroffen. Die mongolisch-tartarische Alleinherrschaft über den Osten Europas, die seit 1240 bestand [3], war am Bröckeln. Die Steppenreiter befehdeten sich gegenseitig; das Reich der einigen Goldenen Horde zerfiel in mehrere kleine Khanate. Auf der Seite der Slaven fällt in diesen Zeitraum der unaufhaltsame Aufstieg Moskaus. Im Jahre 1380 zeigten die Moskowiter deutlich ihre Stärke in der Schlacht auf dem Schnepfenfeld, bei der das mongolisch-tartarische Heer unter dem mächtigen Emir Mamai eine vernichtende Niederlage hinnehmen musste. [4] Die Vorherrschaft der Steppenkrieger war zu diesem Zeitpunkt also gebrochen. Nichts desto trotz blieben marodierende Tartarenhorden bis in die Neuzeit hinein der Schrecken der slavischen Zivilbevölkerung. [5] Immer wieder fielen größere und kleinere tartarische Kriegergruppen in das slavische Gebiet ein. Ihr primäres Ziel war dabei die Erbeutung von Sklaven, die auf den Märkten des Osmanischen Reiches hohe Preise erzielten, sei es für starke Jünglinge, die zu Janitscharen ausgebildet werden konnten oder für blonde Slavinnen, die in türkischen, syrischen und ägyptischen Harems verschwanden. [6] Da die Ausgangsbasis für diese Einfälle vorwiegend das Khanat der Krimtartaren bildete, war das Ziel dieser Angriffe vorwiegend das Gebiet der heutigen Ukraine.

Durch den jährlichen Aderlass an Menschen verödete das Land und eine Wildnis entstand im Süden der slavischen Reiche Polen, Litauen und dem Moskauer Reich: das Wilde Feld. [7] Dieses Wilde Feld wurde nun zum Geburtsort einer Menschengruppe, die jahrhundertelang eine wichtige Rolle in der slavischen Welt spielen sollte, nämlich der Kosaken. Die ersten Kosaken waren wahrscheinlich Tartaren, die sich als Grenzwächter von russischen Potentaten hatten anwerben lassen. [8] Ihre Aufgabe sollte es sein, im Grenzgebiet Vorposten zu errichten und nach einfallenden Tartarenhorden Ausschau zu halten. Doch nicht nur diese Söldner wurden als Kosaken bezeichnet. Das Wilde Feld wurde zum Sammelpunkt von Abenteurern und gescheiterten Existenzen, von entflohenen Leibeigenen und Kriminellen ebenso wie von enteigneten Grundeigentümern oder Stadtarmen, die zu Geld kommen wollten. [9] Der ständige Zustrom aus den slavischen Reichen, der seit der Mitte des 16. Jahrhunderts immer größer wurde, ließ den Anteil der Tartaren unter den Kosaken bald zusammenschrumpfen, bis die Kosaken eine vorwiegend slavische Gruppe waren. Doch war diese Gruppe keineswegs homogen, denn auch andere Abenteurer lockte das Wilde Feld, vereinzelt waren Deutsche, Franzosen und Italiener unter ihnen zu finden. Das Wildnis in der heutigen Ukraine war wegen der beinahen Entvölkerung durch die Tartaren reich an natürlichen Ressourcen und da noch kein Herrscher darauf Anspruch erhob, frei von Beschränkungen. Die Kosaken lebten in erster Linie von der Jagd und vom Fischfang; der Pelzhandel ermöglichte ihnen den Kauf von Landwirtschafts- und Handwerksgütern. Zu ihrer eigenen Sicherheit schlossen sie sich zu losen Banden zusammen. Philip Longwoth schildert den typischen Kosaken der Anfangszeit so:

Man stelle sich einen solchen Kosaken der Jahrhundertwende vor - einen Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren mit grauen Augen, einem struppigen Bart und langem Schnurrbart. Zwar trägt er einen Ohrring am linken Ohr, weist aber sonst die Spuren seines rauhen Lebens auf, so fehlen ihm zum Beispiel die meisten oberen Schneidezähne, und auch vom kleinen Finger der linken Hand fehlt ihm die obere Hälfte. Als Bauer geboren, kann er sich seiner Eltern doch schon nicht mehr erinnern, denn seit seiner Kindheit ist er mit den Kosaken herumgezogen, bald dem einen , bald dem anderen Führer gefolgt. [10]

Diese Bild steht nun schon im krassen Gegensatz zum Normalbild eines Kosaken unserer Tage. Doch die Kosaken zur damaligen Zeit hatten andere Probleme als das Singen schwermütiger Lieder, wobei man aber dennoch davon ausgehen kann, dass sicher einige Lieder des heutigen Repertoires damals am Lagerfeuer ihren Ursprung haben. Die Hauptfeinde der Kosaken blieben die Tartaren, doch wechselte nun allmählich die Initiative. Marodierende Kosakenbanden waren der Schrecken der Tartaren der Grenzdörfer, doch nahmen es diese Banden bei ihren Raubzügen nicht so genau, auch russische und litauische Kaufleute vermieden es, durch das Wilde Feld zu ziehen. Doch obwohl, oder gerade weil, die Kosaken andauernd mit den Tartaren im Krieg lagen, übernahmen sie von diesen viele Wörter und auch Teile der Tracht. So wurde der Anführer der Kosakengruppen tartarisch als ataman, seine Stellvertreter als essaul bezeichnet. Auch die tartarische Pferdeschwanzstandarte wurde von den Kosakenbanden übernommen. [11] Wie war nun eine solche Kosakengruppe organisiert? Viele von ihnen waren den Feudalstaaten entflohen, weshalb eine solche Organisation für sie nicht in Frage kam. So formte eine Mischung aus der Ablehnung des Feudalismus und den Notwendigkeiten der Wildnis bei den Kosaken eine demokratische Herrschaftsstruktur, der Ataman wurde von der ganzen Gruppe gewählt. [12] Die immer größer werdenden Gruppen wurden nun auch im Grenzland sesshaft. Sie errichteten große hölzerne Wehrdörfer, die sogenannten Stanizen. Die Ausdehnung dieser erfolgte entlang der natürlichen Wasserstraßen, den großen Flüssen entlang des Don, des Terek und des Jajk wurden erschlossen. Jedoch blieben die Kosaken mit ihren Siedlungen noch immer im Wald, weil sie in der Steppe zur leichten Beute für die Tartaren geworden wären, die noch immer eine große Bedrohung darstellten. [13]

Jedoch läutete die Sesshaftigkeit auch das Ende des ursprünglichen Kosakentums ein. Die polnischen und litauischen Herrscher versuchten die Kosakensiedlungen unter ihre Kontrolle zu bekommen, die russischen Potentaten waren den Kosaken gegenüber sehr skeptisch geworden, da sich in ihren Reihen viele befanden, die den Repressionen des Feudalsystems entflohen waren. [14] Die wohl mächtigste Kosakensiedlung war die Saporoger Sitsch in der Ukraine, die zwischen Litauen, Polen, Russland und den Tartaren einen neuen politischen Faktor darstellte, die sich nun immer mehr als Vorposten des Osmanischen Reiches verstanden. [15] Auch die Kosaken an der russischen Südgrenze waren nun zu einem Machtfaktor geworden, als Söldner von den Russen geschützt, als unberechenbare Aufrührer aber auch von ihrer Oberschicht gefürchtet. So ist es durchaus berechtigt, zu diesem Zeitpunkt im frühen 17. Jahrhundert einen Schnitt zu machen und die Entstehung des Kosakentums als beendet zu betrachten, da sie sich als eigenständige Gruppe etabliert hatten.

Eine eigenständige Gruppe blieben die Kosaken über lange Zeit, Zaren wie Bolschewiken sollten mit diesen Freigeistern ihre liebe Not bekommen. Doch in ihrer Entstehungszeit waren die Kosaken nichts als der Versuch der slavischen Welt, den Einfällen der Mongolen und später der Tartaren Herr zu werden. Nach dem Prinzip, dass man Feuer am besten mit Feuer bekämpft, haben diese Waldläufer von ihren Feinden gelernt und das Gelernte mit den Eigenarten ihrer Herkunft kombiniert. So konnten sie nicht nur der Bedrohung durch die Steppenreiter wirkungsvoll begegnen, sondern ihre Reiche um Jahrhunderte überleben. So bleibt am Schluss als Ergebnis stehen: Das Kosakentum wurde als Antwort auf die Bedrohung durch die mongolisch-tartarischen Horden begründet, entwickelte sich jedoch weiter und wurde im Laufe der Zeit zu einer eigenständigen Lebensform mit eigenständiger Verfassung an den Grenzen der slavischen Reiche. 

Anmerkungen

  • [1]

     Erster Nachweis 1492 in einem Briefwechsel zwischen dem Khan der Krimtartaren und dem litauischen Großherzog. Vgl. Serhii Plokhy: The Cossacks and Religion in Early Modern Ukraine. Oxford 2001, S. 18.

  • [2]

     Ebd.

  • [3]

     Am 6. Dezember 1240 fiel das mächtige Kiew, wodurch die Steppenreiter zur alleinigen militärischen Macht des Ostens wurden. Vgl. Paul Harrison Silfen: The Influence of the Mongols on Russia. A Dimensional History. New York 1974, S. 14.

  • [4]

     Michael Weiers: Die Geschichte der Mongolen. Stuttgart 2004, S. 122.

  • [5]

     Ebd., S. 125.

  • [6]

     Klaus Gröper: Die Geschichte der Kosaken. Wilder Osten 1500-1700. München 1976, S. 39f.

  • [7]

     Ebd., S. 38.

  • [8]

     Philip Longworth: Die Kosaken. Legende und Geschichte. Übers. von Maximilian von Meng. Wiesbaden 1971, S. 25.

  • [9]

     Ebd., S. 27.

  • [10]

     Philip Longworth: Die Kosaken. Legende und Geschichte. Übers. von Maximilian von Meng. Wiesbaden 1971, S. 30.

  • [11]

     Ebd., S. 30.

  • [12]

     Ebd., S. 42.

  • [13]

     Gröper: Kosaken, S. 78.

  • [14]

     Longworth: Kosaken, S. 31f.

  • [15]

     Gröper: Kosaken, S. 79.

Empfohlene Zitierweise

Fischer, Richard: Die Entstehung des Kosakentumes. aventinus varia Nr. 3 (Winter 2005/06), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7591/

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Erstellt: 16.05.2010

Zuletzt geändert: 24.05.2010

ISSN 2194-1971

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