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aventinus recensio Nr. 34 [28.09.2012] 

Tobias Jakobi 

Susan Kingsley Kent: Gender and History, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2012. 160 Seiten. 17,99£. ISBN 9780230292246. 

 

Susan Kent ist Vorsitzende der Geschichtsfakultät der University of Colorado (USA) und lehrt sowie forscht dort über die Zusammenhänge von gender, Kultur, Kolonialismus und Imperialismus in der neueren und neuesten Geschichte Großbritanniens. [1] Ihre Monographie ist in der Reihe „Theory and History“ erschienen und soll als grundlegende Einführung die Bedeutung der Gender-Theorien für die Geschichtsschreibung dienen. Das Werk ist in eine Einleitung, drei Oberkapitel, einen Ausblick, einem kurzen Glossar, ein Register und eine äußerst hilfreiche Liste mit weiterführender Literatur gegliedert. Während die ersten vier Kapitel einen allgemeinen, darstellenden Überblick über die Geschichte der Geschlechtertheorien und des Feminismus geben, nutzt Kent das letzte Kapitel, um anhand ihrer eigenen Forschung ein Beispiel für gender history zu liefern.

Die Einleitung liefert einen kurzen, konzisen Überblick über den Begriff gender („the cultural or social qualities attached to a sexed body“) (S: 2). Die ersten beiden Kapitel bilden den Teil „Theorizing Gender“: Kent beginnt hier mit einer Zusammenfassung der Ideen über die Geschlechtlichkeit des menschlichen Körpers. Nach einer Besprechung des konfuzianischen Geschlechterbildes geht sie in die westliche Diskurswelt und beschreibt die Modelle von Aristoteles und Galen, welche sie als „one-sex-model“ (S. 9) beschreibt. [2] Sie unterscheidet zwischen dem vorchristlichen (positiven) und christlichen (negativen) Bild der Sexualität, welche beide dennoch das Ein-Geschlechts-Modell beibehalten hätten. Von dort beginnt nach ihrer Darstellung die Entdeckung, dass Frauen den Männern anatomisch so ungleich seien, dass sie fast wie eine andere Spezies schienen. Dies bewirkte, dass Frauen in der Gesellschaft weiterhin als das sich vom Manne durch Unvollkommenheit unterscheidendes Wesen gesehen wurden. ‚Der Frau‘ wurde besonders in viktorianischer Zeit ein interner dualer Widerspruch unterstellt: Einerseits sei sie zu höchster Güte und einem idealen Familienleben fähig, andererseits zu abscheulicher Korruption. Die Freudsche Theorie zur Sexualisierung des Menschen bewertet Kent anhand zweier Gesichtspunkte: Einerseits sei hiermit erstmals eine große Theorie vorgestellt worden, die gender als sexuelle Identität vom sex als Geschlecht des Körpers löst und ihm eine soziale Komponente bei der Entwicklung zuspricht. Andererseits ist die Theorie auf die bürgerliche Familie beschränkt, welche Freud nicht als konstruiert, sondern als natürliche Basis der Gesellschaft sah.

Im zweiten Kapitel beschreibt Kent die Ziele und Theorien der ersten zwei Wellen des Feminismus. Die erste Welle begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts, endete nach dem Ersten Weltkrieg und forderte erstmals die umfassende Gleichberechtigung von Frauen. Während für diese Periode oftmals der Kampf um das Wahlrecht im Fokus steht, so konzentriert sich Kent hier auf den Kampf der Frauen um sexuelle Selbstbestimmung. Die zweite Welle begann in den späten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts und forderte eine umfassende gesellschaftliche Neudefinition der Rolle der Frauen. Die Autorin stellt die Dekonstruktion der Frauen als das ‚Andere‘ durch Simone de Beauvoir dar und zeigt mit Bezug auf die Studien von Claude Lévi-Strauss, wie oftmals biologisch begründete, gesellschaftliche Unterschiede zwischen den zwei Geschlechtern kulturell produziert und tradiert wurden. Anhand der feministischen Kritik an der Freudschen Psychoanalyse zeichnet sie anschließend nach, wie die Forderung aufkam, dass ein dediziert weibliches Wesen konstruiert werden müsse, das aber dem männlichen Wesen gleich ist. Kent schließt die Darstellung mit der Kritik von afroamerikanischen Frauen am Feminismus, der als „white, middle-class feminism“ (S. 45) aufgefasst wurde. Diese postkoloniale Kritik an der zweiten Welle wurde oftmals als dritte Welle des Feminismus bezeichnet.

Das dritte und vierte Kapitel bilden den zweiten Teil und zeigen, wie gender history aus der women history entstand, welche die weiblichen Akteure der Geschichte sichtbar(er) machen wollte. Kent bespricht den Einfluss, den Joan Scott auf die Entwicklung dieses Feldes hatte [3], indem diese anregte, Geschlechterrollen und besonders die diskursiven Machtgefälle zwischen den Geschlechtern im historischen Rahmen zu untersuchen. Im vierten Kapitel zeigt Kent, wie Maskulinität ein Fokus der gender history wurde, da Männlichkeit genau wie Weiblichkeit in der Geschichte verschiedenen Konstruktionen unterlag. Dazu beschreibt sie, wie sich Geschlechteridentität im historischen Kontext wandelte und auch dies ein Fokus der Gender-Geschichtsschreibung wurde. Mit Bezug auf Foucaults Diskursbezug zeigt Kent, wie Judith Butler auf diesen theoretischen Grundlagen das Prinzip des gendered subjects erarbeitet. Nach einer Besprechung der Kritik dieser Theorien schlägt sie einen Bogen zu Althussers Ideologietheorien und von dort zu den postkolonialen Theorien, welche die Strukturkategorien gender und race verbinden. Im fünften Kapitel, welches alleine den dritten Teil des Buches bildet, bietet Kent einen Teil ihrer Forschung als Beispiel für gender history dar. Anhand der Rollen und Identitäten von und dem Machtdiskurs über Frauen in Großbritannien während des ersten Weltkrieges zeigt sie, wie die zuvor gezeigten, theoretischen Ausführungen und Geschichtsschreibung zusammenhängen. Zunächst – so Kent – wurden Frauen zunehmend sexualisiert und als potentielle Opfer eines verlorenen Krieges gesehen, welche es zu schützen galt. Im Verlaufe des Krieges wandelte sich das Bild, da durch den Einsatz von Frauen in Fabriken etablierte Geschlechterrollen ins Wanken gerieten und neue, feministische Ansätze entstanden. Diese neuen Ideen und Identitäten wurden nach dem Krieg allerdings, so zeigt Kent, weitgehend zurückgedrängt; auch wenn sich im Laufe der Zwischenkriegszeit durch die Wahlberechtigung eine politisch-rechtliche Gleichstellung ergab, so standen Frauen gesellschaftlich immer noch als das andere, fremde Geschlecht da, was die früheren Rollenbilder und Identitäten rekonstruierte.

Das Urteil über dieses Buch ist zwiespältig. Während die ersten beiden Kapitel einen trotz der Kürze sehr guten Überblick über die historischen Frauenbilder und die Ideen der feministischen Theorien geben, so stützen sich die weiteren beiden Kapitel zu sehr auf den Aufsatz von Joan Scott. Den Debatten der Strukturalisten und Poststrukturalisten wird meiner Ansicht nach für ein Einführungswerk zu viel Raum zugestanden, was dazu führt, dass dieser Teil im Vergleich mit dem vorherigen zu plötzlich Tiefe entwickelt, anstelle weiter Überblick zu verschaffen. Der dritte Teil ist allerdings ein wunderbares Beispiel, wie die von Kent herausgearbeiteten Theorien zur Geschichtsschreibung genutzt werden können. Das Glossar sowie und insbesondere die weiterführenden Literaturhinweise sind ein Schatz an Informationen, welche dieses Buch weiter auszeichnen. Zusammenfassend ist daher zu sagen, dass mit Gender and History ein kurzer, aber lesenswerter Überblick über die Bedeutung des Geschlechts in der Geschichtsschreibung gelungen ist. Als Einführungswerk ist es allerdings nicht ganz zu empfehlen, da dieses Buch für einen ersten Überblick doch zu sehr in die Tiefe statt in die Breite geht, dadurch einige Aspekte – zum Beispiel das christliche Frauenbild im Mittelalter – sehr glossierend beschreibt und außer bei der Besprechung des konfuzianischen Frauenbildes recht eurozentrisch bleibt. Zusammen mit einem anderen Werk, etwa der relativ aktuellen Monographie von Claudia Opitz-Belakhal [4], ist Susan Kingsley Kents Werk allerdings gerade wegen des Fokus auf Psychoanalyse, Diskurs und dem erwähnten Fallbeispiel eine gute Grundlage für die Beschäftigung mit Geschlechtergeschichte.

Anmerkungen

  • [1]

     http://history.colorado.edu/faculty/faculty-short-biographies-department-history#kent, 28.09.2012.

  • [2]

     Siehe dazu auch: Heinz-Jürgen Voß: Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive. Bielefeld: transcript, 3. unveränd. Aufl. 2011. Voß diskutiert die insbesondere von Thomas Laqueur vertretende Auffassung, dass sich die Geschichte der Konstruktion von Körpergeschlechtlichkeit in ein voraufgeklärtes „Ein-Geschlecht-Modell“ und ein aufgeklärtes „Zwei-Geschlechts-Modell“ einteilen lässt (S. 37-87).

  • [3]

     Vgl. dazu Joan W. Scott: Gender: A Useful Category of Historical Analysis. In: American Historical Review 91 (1986), S. 1053-1075.

  • [4]

     Claudia Opitz-Belakhal: Geschlechtergeschichte, Campus: Frankfurt a.M., 2010.

Empfohlene Zitierweise

Jakobi, Tobias: Rezension Susan Kingsley Kent: Gender and History, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2012. 160 Seiten. 17,99£. ISBN 9780230292246.. aventinus recensio Nr. 34 [28.09.2012], in: aventinus, URL: https://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9734/

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Erstellt: 28.09.2012

Zuletzt geändert: 28.09.2012

ISSN 2194-2137

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