Literaturgeschichte

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aventinus varia Nr. 13 (Winter 2007) 

Fabian Bross  

ars volandi - Der Hexenflug im Hexenhammer 

 

1. Einleitende Darlegungen 

1.1 These und Ziel dieser Arbeit 

Ende der 1470er Jahre kam es aufgrund der sogenannten Kleinen Eiszeit zu einer Klimaverschlechterung, welche zu Unwettern und Missernten und - laut Wolfgang Behringer - infolge dessen sogar zu Krankheiten und vielleicht auch zu einer Verminderung der Fruchtbarkeit bei Tier und Mensch führte. [1]

Dem ohnehin in der Bevölkerung weit verbreiteten Hexenglauben schuf diese Entwicklung einen nur umso größeren Nährboden. Da aus theologischer Sicht aber Hexerei nicht real sein konnte, fehlte dem, der gerechtfertigter Weise Hexerei verfolgen wollte, eine entsprechende Handhabe. Diese schuf  Heinricus Institoris mit seinem Malleus maleficarum. Institoris musste, wenn er gegen Hexerei vorgehen wollte, darlegen, dass Hexerei nicht nur in der Phantasie, sondern auch in der Realität möglich war.

Ein wichtiger Punkt - so wichtig, dass Institoris ihm einen ganzen Abschnitt seines Werkes widmete - in Institoris [2] Argumentation bildet das Kapitel De modo quo localiter transferuntur de loco ad locum. [3] Bei einer Betrachtung dieses Kapitels drängt sich dem kritischen Leser die Frage auf, warum sich Institoris soviel Mühe gegeben hat, die Realität des Hexenfluges zu untermauern und zu propagieren. Diese Arbeit soll (1.2) einen kurzen Überblick über Hexenflugvorstellungen bis zum Erscheinungsjahr des Malleus maleficarum und über die Einordnung des Kapitels in den Gesamtkontext des Malleus maleficarum geben, (1.4) durch eine Analyse des Kapitels zeigen wie und vor allem warum die Realität des Hexenfluges eine Vorraussetzung für eine Verfolgung der Hexerei war (2).

1.2 Abriss der Entwicklung der Vorstellungen vom Hexenflug bis zum Erscheinen des Malleus Maleficarum 

Als Vorbild für die Entwicklung von Hexenflugvorstellungen in Europa verweist Wolfgang Behringer auf die antiken Strigen. [4] Diese dämonischen Wesen verwandelten sich - nach damaliger Vorstellung - in eulenartige Wesen, welche, auf der Suche nach Kindern, welchen sie das Blut aussaugen könnten, durch die Lüfte flogen.

Brian Levack grenzt davon noch einen zweiten Ursprung ab, indem er anführt, dass neben dem im Mittelalter in Europa verbreiteten Glauben an Frauen, welche sich in Tiere oder tierähnlich Wesen verwandeln konnten (wie nach antikem Vorbild), noch ein Glaube an einen nächtlichen Flug von Frauen, welche der Göttin Holda oder Perchta folgen sollten, existierte. Levack geht davon aus, dass diese beiden Vorstellungen sich etwa im 12. Jahrhundert zu vermischen begannen. [5] Im 10. Jahrhundert vertrat Regino von Prüm in seinem Canon Episcopi die Auffassung, dass die Ausfahrten der Seelen mit heidnischen Gottheiten (Fortuna oder Holda) als heidnischen Irrtum angesehen werden muss. [6]

Entstehungsgeschichte des Malleus maleficarum 

Der seit Mai 1487 in gedruckter Fassung vorliegende Malleus maleficarum des Schlettstädter Dominikaners Heinricus Institoris [7] erschien noch zu Lebzeiten des Verfassers in zehn Auflagen. [8] Zwischen 1486 und 1669 erschienen fast 30 Auflagen. [9] Als Motiv für das Verfassen des Buches sieht Behringer eine vorausgegangene, gescheiterte Hexenverfolgung in Innsbruck. Institoris unternahm dort den Versuch, Prozesse gegen angebliche Hexen zu führen, was jedoch durch den zuständigen Bischof unterbrochen wurde. [10]

Schon im 18. Jahrhundert setze sich der Begriff "Hexenhammer" durch. Eine wörtliche Übersetzung wäre etwa "Hammer der Schadensstifterinnen". [11] Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Autorenfrage noch nicht ganz geklärt ist. Inwieweit der Dominikaner Jakob Sprenger (1437 - 1495) an der Entstehung des Malleus maleficarum mitgewirkt hat, ist immer noch nicht ganz geklärt. [12]

Inhalt 

Der Malleus maleficarum besteht aus drei Teilen. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Provenienz der Hexerei. Institoris begründet die Hexerei "aus dem Willen des Teufels, aus der Mitwirkung der Hexen und aus der 'Zulassung' Gottes". [13]

Der zweite Teil befasst sich damit, wie es der Teufel vollbringt, Menschen zu verführen und mit der Frage nach dem Zustandekommen von Schadzaubern. Des Weiteren versucht Institoris zu klären, wie gegen die Hexerei vorgegangen werden kann, wobei betont wird, dass hierzu nur kirchliche Mittel und keine magischen zugelassen seien. Im zweiten Teil befindet sich auch die Abhandlung über den Hexenflug, von welcher Wolfgang Behringer behauptet, sie stehe dort "[j]enseits jeder Systematik […]". [14] Jedoch ließe sich auch sagen, dass Institoris hier geschickt, zwischen den zwei, jeden Leser interessierenden Fragen, (i) wie man sich gegen Hexerei schützt und (ii) wie man Schäden der Hexerei wiedergutmacht, die Realität des Hexenflugs zu beweisen sucht. Für den Leser ist dieses Kapitel kaum zu umgehen.

Sinn und Zweck der ersten beiden Teile ist es, die Realität der Hexerei darzulegen und sogar den Zweifel an dieser selbst zur Ketzerei zu machen. [15] Der dritte Teil behandelt den gerichtlichen Modus Procedendi gegen die maleficae. Institoris tritt hier dafür ein, das schon im Ketzerprozess probate Mittel "Kläger zu bloßen Denunzianten oder Zeugen herabzustufen, auch im Hexenprozess anzuwenden." [16] Die dadurch entstandene Reduktion des Klägerrisikos führte zu einem drastischen Anstieg der Anzeigen gegen Hexerei.

Inhaltlich neu ist im Malleus maleficarum im Vergleich zu älterer Hexenliteratur kaum etwas. [17] Die eigentlichen Nova sind die radikale Einstellung Institoris gegenüber dem weiblichen Geschlecht (schon der Titel bezeichnet nur die weiblichen maleficae) und seine Lehre des crimen mixtum. Das crimen mixtum meint das doppelte Verbrechen, der Häresie einerseits und des Schadenszaubers andererseits. Darauf begründet Institoris die Zuständigkeit sowohl geistlicher, als auch weltlicher Gerichte. Institoris Argumentation läuft darauf hinaus, dass die Hexen (er benutzt dieses damals noch ungebräuchliche Wort, damals schon im Briefverkehr: hegksen) [18], die Schäden, die sie angeblich anrichteten, auch tatsächlich anrichteten. Damit trat er der Meinung der Theologie entgegen, sprach aber gleichzeitig aus, was große Teile der Bevölkerung glaubten. Die Kirche vertrat die Vorstellung, die sich auf Aurelius Augustinus begründete, dass Magie nicht tatsächlich wirksam sei. Damit widersprach Institoris dem Canon Episcopi. [19] Institoris Argumentation stützt sich ebenfalls auf die Lehren von Aurelius Augustinus (354 - 430) und von Thomas von Aquin (ca. 1224 - 1274) [20], jedoch entwickelt er auf deren Basis drei Hauptvoraussetzungen für die Realität und Wirksamkeit der Hexerei, welche die Grundlage für die Hexenverfolgung bildeten. Diese sind: (i) die Zulassung Gottes (Permissio Dei), (ii) der Wille des Menschen und (iii) die Mitwirkung des Teufels


Abbildung 1: Voraussetzungstrigon der Wirksamkeit von Hexerei und die gegenseitige Beeinflussung der Voraussetzungen nach Institoris. 

 

Rezeptionsgeschichte 

Um eine Aussage über ein Werk zu treffen, ist es unerlässlich, sich mit der Verbreitung und Rezeption desselben auseinanderzusetzen. Das der "Hexenhammer" weite Verbreitung fand, wird nicht nur durch seine hohe Auflage deutlich, sondern auch durch die Tatsache, dass der Malleus maleficarum nicht nur in klösterlichen, städtischen und universitären Bibliotheken, in Bibliotheken von gelehrten Juristen und Bischöfen seinen Platz fand, sondern auch in den Besitz von einfachen Geistlichen und Humanisten gelangte. [21] Wolfgang Behringer geht davon aus, dass allein bis zum Jahr 1523 10.000 Exemplare gedruckt wurden ("großzügig gerechnet"). [22] Dass der Malleus maleficarum stark rezipiert wurde, zeigt sich nicht nur daran, dass das kostspielige und schwer zu erschließende Werk so weite Verbreitung fand, sondern vielmehr daran, dass die erhaltenen Exemplare, neben starken Benutzungsspuren, unzählige Randnotizen aufweisen.

Hervorgehoben werden muss allerdings, dass der Malleus maleficarum nicht die Basis für den Hexenwahn bildete, sondern dieser "bereits zwei bis drei Generationen vorher im Prinzip möglich" [23] gewesen wäre. Dennoch darf die Tatsache nicht aus den Augen verloren werden, dass seine Veröffentlichung eine Zäsur darstellte, die einen Anstieg der Verfolgung nach sich zog. [24]

Durch die Wahl der Sprache Latein konnte der Malleus maleficarum in ganz Europa gelesen werden. Auch wenn das Werk weite Verbreitung fand, wurde es nicht überall wohlwollend betrachtet, es gab im Gegenteil eine große Anzahl an Kritikern. Auch Institoris Ansichten über die Realität des Hexenflugs wurden Ziel der Kritik. [25]

2. Der Hexenflug im Malleus maleficarum 

2.1 Argumentationsgang und Beschreibung des Fluges 

Nur wenn der Hexenflug wirklich stattfinden konnte, war es den Hexen möglich, auf Versammlungen zu fliegen und mit dem Teufel zu paktieren. Der Pakt mit dem Teufel konnte also nur stattfinden, wenn die Hexe sich auch tatsächlich durch die Lüfte bewegen konnte. Institoris musste auf diese Argumentation ausweichen, da die Vorstellung des Hexensabbats und vom dort stattfindenden Teufelspakt fest verankert war, sonst hätte angenommen werden können, dass der Teufel auch zur Hexe und nicht die Hexe zum Teufel fliege. So basiert sein Argumentationsgebäude auf der Zulassung Gottes, welche dem Teufel seine Macht zuspricht und dem Menschen seinen Willen lässt, sich für Gut oder Böse zu entscheiden. Auf diesen drei Säulen lässt Institoris den Hexenflug und seine Realität fußen. Der Hexenflug ermöglicht den Hexen die Teilnahme an Versammlungen, auf welchen sie mit dem Teufel paktieren können. Durch diese Argumentationskette soll die Realität der Hexerei und die Realität von Schadzaubern "bewiesen" werden 

 


Abbildung 2: Institoris Argumentationsgebäude 

 

Institoris leitet das Kapitel II/1,3 De modo quo localiter transferuntur de loco ad locum mit dem Problem der Realität des Hexenfluges ein, das ihn zum Canon Episcopi führt, in welchem behauptet wird, dass eine körperliche Ausfahrt nur in der Fantasie stattfände. Institoris führt weiter aus, dass diese Meinung durch andere, in der Weise ausgeweitet würde, dass ebenfalls die Schadzauber der Hexen, keinen wirklichen Schaden anrichten würden. Diese Behauptungen weist Institoris zurück. [26] Das Argument mit dem er arbeitet ist die Zulassung Gottes, welche (wie in Abbildung 1 dargestellt) nicht nur dem Teufel seine Macht ausspricht, sondern ebenfalls den Menschen ihren freien Willen zuspricht. Somit stellt Institoris klar, dass eine Leugnung der Realität des Hexenfluges dem Tatbestand der Häresie gleichkäme, da dem Sinn der Bibel widersprochen werde. In Institoris Dreiecksverhältnis erlaubt

Gott […] dem Teufel, den freien Willen der Menschen, Gutes oder Böses zu tun, zu testen, und stattet ihn dafür mit gewissen Vollmachten aus. Der Teufel macht von diesen Freiräumen Gebrauch und führt die Menschen in Versuchung. Leichtfertige und schwache Menschen fallen diesen Verlockungen [27] zum Opfer - in diese Kategorie gehörte nach einer verbreiteten Anthropologie beinahe das ganze weibliche Geschlecht - und böse Menschen suchen von sich aus den Kontakt mit dem Teufel. [28]

Institoris unterscheidet Dämonen verschiedenster Rangordnungen. Er führt solche an, welche aus niederen Engelschören verdammt worden seien und nicht imstande seien, dem Menschen ernsthaft zu schaden [29], und höhere (Inkubi und Sukkubi), welche dazu in der Lage seien, Menschen zu quälen. [30] Er baut eine Argumentation auf, welche vom Kleineren zum Größeren führt. Wenn es also durch die Permissio Dei - laut Institoris - Dämonen gibt, welche mit Menschen "Schabernack" treiben können und solche, welche auf Menschen direkt schädlich einwirken, so muss es auch Dämonen geben, welche Levitationen bei Menschen hervorrufen können.

Institoris versteht es, sich an verschiedenen Stellen im Text Urängsten zu bedienen. [31] So behauptet er, dass die Annahme, Hexen seien nicht in der Realität in der Lage, Menschen Schaden zuzufügen, dazu geführt habe, sie nicht gerichtlich belangen zu können und dies zu einer drastischen Vermehrung der Hexen geführt habe, welcher nicht mehr entgegengewirkt werden könne. So versucht er, im Leser eine Angst hervorzurufen, welche ihn von der Position des Autors überzeugen soll. Ein weiteres Argumentum ad metum ist in der Beschreibung der Hexensalbe enthalten, welche angeblich aus den Gliedmaßen von Kindern hergestellt werde. [32]

Institoris beschreibt den Ablauf eines Hexenfluges in mehreren Schritten und unterschiedlichen Variationen.  Er behauptet, dass Hexen eine, nach Anleitung eines Dämons hergestellte, Salbe aus Extremitäten von Kindern auf Holzstücke oder Sessel strichen. Danach erhüben sie sich in die Lüfte. Dass der Autor hervorhebt, dass die Hexen dabei besonders ungetaufte Kinder präferierten, mag ebenfalls als Argumentum ad metum gedeutet werden. Es lässt sich nicht behaupten, dass so beim Leser Ängste geschürt werden sollen. Vielmehr sollten wohl die Rezipienten diesen Gedanken unter das Volk tragen. Institoris schildert, dass Ausfahrten sowohl bei Tage, als auch bei Nacht, sichtbar, als auch unsichtbar, mittels einer Salbe, oder ohne diese, auf Holzstücken, auf Sesseln, auf tiergestaltigen Dämonen, mit oder ohne deren "[…] äußere Beihilfe, nur durch die unsichtbar wirkende Kraft des Dämons […]" möglich seien. [33]

2.2 Biblische Bezüge 

Um seine Argumente zu untermauern, verweist Institoris in seinem Werk immer wieder auf die Bibel. So versucht er mit Matthäus 8,16; 8,28 - 34, Lukas 4,5 und Hiob 41,25 die Argumente, dass (i) Gott den Hexenflug nicht zuließe und (ii) der Teufel nicht die Macht besäße, den Hexen den Flug zu ermöglichen, zu entkräften. 

Er argumentiert, dass wenn Gott zuließe, dass unschuldige Menschen von Dämonen besessen sein könnten und diese quälen könnten (wie im Matthäusevangelium), er auch eine Beeinflussung von Dämonen oder des Teufels von Hexen ebenfalls möglich sein müsse. Weiter schließt er, "wie das Evangelium bezeugt" [34], dass, wenn es dem Teufel möglich gewesen sei, Jesus hochzuheben, es dem Teufel auch möglich sein müsse, andere hochzuheben. Hier bezieht er sich auf Lukas 4,5: "Und der Teufel führte ihn hoch hinauf und zeigte ihm alle Reiche der Welt in einem Augenblick". [35] Um die Macht des Teufels zu untermauern, greift Institoris auf die - v.a. durch Thomas Hobbes' Leviathan - bekannte Stelle aus Hiob 41,25 zurück: "Auf Erden ist nicht seinesgleichen; er ist ein Geschöpf ohne Furcht" [36] und fährt weiter fort damit, dass der Teufel sogar größere Macht besitze, als alle anderen Engel, und er seine Macht auch nach dem Höllensturz behalten habe.

Im Weiteren will Institoris in einem verschachtelten Argumentationsgang den Einwand, die Bibel spreche die Fähigkeit, Menschen durch die Luft zu tragen, nur dem Teufel und keinem anderen Wesen zu, entkräften, indem er (i) behauptet, dass die Macht des niedrigstehendsten Engels die menschliche bei Weitem übertreffe und (ii) es zwar einer Seele nicht erlaubt sei, ihren Körper in die Höhe zu heben, dies aber mit Zulassung Gottes möglich sei. Und dies sei sowohl den bösen, als auch den guten Engeln möglich. Als fundierendes Beispiel zieht er Stücke zu Daniel 2,35 heran: "Da faßte ihn der Engel des Herrn beim Schopf, trug ihn im Windesbrausen an den Haaren nach Babel und setze ihn oben am Graben nieder." [37]

2.3 Die Fallbeispiele 

Institoris versucht, seine Behauptungen durch eine induktive Argumentation anhand von zahlreichen Fallbeispielen zu untermauern. Institoris erste Beispiele von Hexenflügen sollen sich in der Diözese Freising und in der Stadt Obersdorf ereignet haben. [38] Der Freisinger Fall handelt von einem Pfarrer, der durch die Luft getragen worden sein soll. Interessanter ist jedoch der Obersdorfer Fall. Dieser handelt von einer Schülergruppe, welche ein Gelage veranstalten wollte. Bevor das bacchantische Treiben jedoch beginnen sollte, beschlossen sie, dass derjenige, welcher sich um die Herbeischaffung des Bieres kümmern sollte, seines nicht zu bezahlen hätte. Als der Freiwillige die Tür öffnete, um hinauszugehen, sah er Nebel vor der Türe. Erschrocken berichtete er seinen Kameraden von dem Gesehenen, woraufhin einer rief, dass er das Bier selbst holen wolle, auch wenn der Teufel persönlich vor der Tür stehe. Nach diesem Ausspruch wurden seine Mitschüler Zeugen seiner Levitation. [39]

Es ist aus heutiger Sicht verwunderlich, dass Institoris derlei Beispiele anführt. Die Geschichte eines Priesters, der "[…] jetzt noch […] in der Diözese Freising leben soll […]" [40] und die Erzählung einiger Schüler, die im Begriff sind, sich zu berauschen und  welchen dann eine Nebelwand begegnet und deren einer dann durch die Lüfte fliegt, erscheinen aus heutiger Sicht nicht nur kurios, sondern auch stark unglaubwürdig. Jedoch sind Naturereignisse wie Nebel oder Blitze als Ausdruck höherer Mächte für diese Zeit nicht ungewöhnlich. Man denke nur an Martin Luther, der sich am 2. Juli 1505 angeblich durch einen Blitz bei Stotternheim dazu veranlasst sah, Mönch zu werden. [41]

Zu den interessantesten Beispielen, welche Institoris liefert, zählt unbedingt die "Erzählung einer sichtbaren Überfahrt am Tage" [42] aus der Diözese Konstanz. Wie Julio Baroja richtig anmerkt, enthält der Malleus maleficarum an dieser Stelle "[…] typischen Kennzeichen einer Sage […]". [43] In dieser Episode wird von einer Hexe berichtet, welche bei den Einwohner der Stadt Waldshut in der Diözese Konstanz kein gutes Ansehen genoss und deshalb nicht zu einer Hochzeit eingeladen wurde. Darüber erbost, rief diese einen Dämon herbei und teilte diesem mit, dass sie nicht eingeladen sei und bat ihn darum, Hagel zu erzeugen, um sich an der Hochzeitsgesellschaft zu rächen. Institoris schildert, dass der Dämon die Frau durch die Luft auf einen Berg geführt habe, wo sie ein Loch grub, in welches sie urinierte. Den angesammelten Urin rührte sie mit dem Finger um und der Dämon entfachte ein Unwetter, indem er den Urin in die Luft warf. Die Hochzeitsgäste wurden vom Hagel überrascht und die Gesellschaft löste sich auf. Da einige Hirten die Frau bei ihrem Flug beobachtet hatten, wurde ihr der Prozess gemacht und sie wurde als Hexe verbrannt. [44]

Die Aussage Barojas über den Sagencharakter wird durch Betrachtung des Erisstoffes der griechischen Mythologie untermauert. [Eris] war die Göttin des Zanks. Damit sie dergleichen nicht erregen sollte, so wurde sie nicht mit zu des Peleus und der Thetis Beylager eingeladen. Sie nahm aber, um sich wegen dieses Schimpfes zu rächen, einen goldgelbnen Apfel […]  und warf ihn in das Zimmer, wo die Götter und Göttinen beysammen saßen. [45]

Auch die "Schadensstifterin" der griechischen Sage Eris wird nicht zur Hochzeit eingeladen und rächt sich an der Gesellschaft, indem sie ihr Unheil schickt, deren bekannte Folge der Ausbruch des Trojanischen Krieges war. Wenn sich diese Geschichten auch nur im Groben ähneln, so zeigt sich doch aus dem Vergleich der legendenhafte Charakter der Geschichte. Zwar hatte Institoris durch den Besuch der renommierten Schlettstätdter Lateinschule und durch sein philosophisches Studium im - ebenfalls in Schlettstadt gelegenen - Dominikanerkloster, eine humanistische Grundbildung. [46] Jedoch ist es - betrachtet man die Autorenbestände in Bibliotheken von Lateinschulen und Dominikanerklostern im 15. und 16. Jahrhundert [47] - unwahrscheinlich, dass Institoris mit griechischer Mythologie vertraut war, auch wenn es nicht unmöglich ist und Griechisch als Unterrichtsfach an Lateinschulen nichts ungewöhnliches war. [48] Wohl um die Autorität des Canon Episcopi nicht ganz zu untergraben, wird der Fall einer Hexe aus Breisach angeführt. Diese habe auf die Frage, ob sie körperlich, oder in der Fantasie ausgefahren sei geantwortet, dass sie sowohl in der Vorstellung, als auch in der Realität Levitationen erlebt habe. [49]

3. Conclusio 

Institoris musste den Hexenflug untermauern, da "[…] ohne die Möglichkeit des Hexenfluges […] auch die Hexentanzvorstellung unsinnig" [50] gewesen wäre. Ohne diesen jedoch wäre auch der Teufelspakt hinfällig gewesen. Zwar gab es auch - wie z.B. in Schottland - durchaus Gegenden, in welchen die Vorstellung eines Hexensabbats unabhängig vom Hexenflug existierte [51], jedoch musste Institoris seine Argumente gut durchdenken und von der Basis her stringent aufbauen. Hätte er nicht Taten der Hexen für real befunden und hätte er keinen Teufelspakt angenommen, wäre eine Hexenverfolgung unmöglich gewesen. Institoris beschreibt den Vorgang des Teufelspakt so, dass die Hexe sich an einem festgesetzten Termin an einem Sammelplatz ein Gelübde ablegt. [52] Und diese Sammelplätze zu erreichen wäre ohne eine Levitation unmöglich gewesen. Werner Tschacher fasst zusammen, dass

[…] aus der Apostasie im Traum […] der explizite Teufelspakt, aus dem Feenglauben die Vorstellung von Stringen und Hexen als Teufelsdiener, aus Dämonen in Menschengestalt leibhaftige Menschen im Pakt mit Teufeln und Dämonen [wurden]. [53]

Quellen 

Kramer, Heinrich (Institoris): Der Hexenhammer - Malleus maleficarum. Behringer, Wolfgang; Jerouschek, Gerhard und Tschacher, Werner (Hrsg.). München 2000. 

Lutherbibel Standartausgabe. Revidierte Fassung von 1984. Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1985. 

Lutherbibel für dich. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1996. 

Literatur 

Andermann, Ulrich: Lateinschulen und Bildungswanderung im Zeitalter des Humanismus. In: Ulrich Andermann und Kurt Andermann (Hrsg.). Regionale Aspekte des Frühen Schulwesens. Tübingen 2000. S. 29 - 62. 

Baroja, Julio Caro: Die Hexen und ihre Welt. Übersetzung der Spanischen Originalausgabe "Las brujas y su mundo" von 1961. Stuttgart 1967. 

Behringer, Wolfgang: Heinrich Kramers "Hexenhammer": Text und Kontext. In: Frühe Hexenverfolgung in Ravensburg und am Bodensee. Andreas Schmauder (Hrsg.). Konstanz 2001. S. 83 - 115. 

Behringer, Wolfgang: Hexenflug. In: Inga Hagen (Hg.). Abheben! 1000 Träume vom Fliegen. Begleitbuch zur Ausstellung im art kite museum Detmold vom 30. April bis 19. September 2004. Detmold 2004. 164 -179. 

Behringer Wolfgang: Meinungsbildende Befürworter und Gegner der Hexenverfolgung (15. -18. Jahrhundert). In: Helfried Valentinitsch (Hg.). Hexen und Zauberer [Ausstellungskatalog Riegersburg, Landesausstellung Steiermark]. Leykam Graz 1987. 219 - 237. 

Hasebrink Burkhard: Latinität als Bildungsfundament. Spuren subsidiärer Grammatikunterweisung im Dominikanerorden. In Klaus Grubmüller (Hrsg.). Schulliteratur im späten Mittelalter. S. 49 - 76. 

Hederich, Benjamin: Gründliches Mythologisches Lexikon. Reprograph. Nachdruck der Ausgabe Leipzig, Gleditsch, 1770. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1996.

Leppin, Volker: Martin Luther: Darmstadt 2006. 

Levack Brian: The witch-hunt in early modern Europe. Longman London und New York. 1995. 

Segl, Peter (Hrsg.): Der Hexenhammer - Entstehung und Umfeld des Malleus maleficarum von 1487. Köln und Wien 1988. 

Tschacher, Werner: Der Flug durch die Luft zwischen Illusionstheorie und Realitätsbeweis. Studien zum sogenannten Kanon Episcopi und zum Hexenflug. In: R. Knütel, D. Nörr, G. Thür u.a. (Hrsg.). Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Kanonistische Abteilung. Band 116. Wien, Köln und Weimar 1999. 

Anmerkungen

  • [1]

     Wolfgang Behringer: Heinrich Kramers "Hexenhammer": Text und Kontext. In: Frühe Hexenverfolgung in Ravensburg und am Bodensee. Andreas Schmauder (Hrsg.). Konstanz 2001. S. 87.

  • [2]

     Auf eine Gentivapostrophierung wird in dieser Arbeit verzichtet, da Institoris an sich schon einen Genitiv darstellt.

  • [3]

     Über die Weise, wie sie von Ort zu Ort befördert werden.

  • [4]

     Wolfgang Behringer: Hexenflug. In: Abheben! 1000 Träume vom Fliegen. Begleitbuch zur Ausstellung im art kite museum Detmold vom 30. April bis 19. September 2004. Inga Hagen (Hrsg.). Detmold 2004. S. 167.

  • [5]

     Brian Levack: The witch-hunt in early modern Europe. London und New York. 1995. S. 41 und 42.

  • [6]

     Behringer: Hexenflug. S 164.

  • [7]

     Bei Heinricus Institoris handelt es sich um die lateinisierte Namensform (im Genitiv) von Heinrich Kramer. Da es sich beim Malleus maleficarum um ein in lateinischer Sprache verfasstes Werk handelt, wird in dieser Arbeit auch die - von Institoris selbst seit 1479 gebrauchte - lateinisierte Form des Namens verwendet.

  • [8]

     Peter Segl (Hrsg.): Der Hexenhammer - Entstehung und Umfeld des Malleus maleficarum von 1487. Köln und Wien 1988. S. 3.

  • [9]

     Behringer: Text und Kontext. S. 83.

  • [10]

     Behringer: Hexenflug. S. 172 und Behringer: Text und Kontext. S. 104 - 106.

  • [11]

     Segl: Der Hexenhammer. S. 1.

  • [12]

     Behringer: Text und Kontext. S 93 - 97.

  • [13]

     Segl: Der Hexenhammer. S. 3.

  • [14]

     Behringer: Text und Kontext. S. 109.

  • [15]

     Ebd. S. 108.

  • [16]

     Ebd. S. 111.

  • [17]

     Segl: Der Hexenhammer. S. 3.

  • [18]

     Ebd.

  • [19]

     Behringer: Text und Kontext. S. 86f. Beim Canon Episcopi von Regino von Prüm handelt es sich um eine Rechtssammlung aus dem 10. Jahrhundert

  • [20]

     Behringer: Text und Kontext. S. 83.

  • [21]

     Segl: Der Hexenhammer. S. 2.

  • [22]

     Behringer: Text und Kontext. S. 84.

  • [23]

     Ebd. S. 83.

  • [24]

     Ebd. S. 84.

  • [25]

     Ebd. S. 112.

  • [26]

     Heinrich Kramer (Institoris): Der Hexenhammer - Malleus maleficarum. Behringer, Wolfgang; Jerouschek, Günter und Tschacher, Werner (Hrsg.). München 2000. S 385/386.

  • [27]

     Die Verlockungen sind laut Institoris z.B.: "[…] irdische[r] Wohlstand und langes Leben […]". siehe: Kramer: Malleus maleficarum. S. 373.

  • [28]

     Behringer: Hexenflug.

  • [29]

     Kramer: Malleus maleficarum. S. 388.

  • [30]

     Ebd. S. 389.

  • [31]

     Interessant ist auch, wie Institoris an anderen Stellen des Werks mit Angst umgeht. Behringer bemerkt, dass "in Teil I des Buches […] fünf von 18 Kapiteln, in Teil II sieben von 24" von "Impotenz, Pollution, weggehexten männlichen Gliedern oder dem Geschlechtsverkehr zwischen Menschen und Dämonen […]" handeln (Behringer: Text und Kontext. S. 112).

  • [32]

     Kramer: Malleus maleficarum. S. 392.

  • [33]

     Ebd.

  • [34]

     Ebd. S. 390.

  • [35]

     Lutherbibel Standartausgabe. Revidierte Fassung von 1984. Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1985. S. 74.

  • [36]

     Ebd. S. 550.

  • [37]

     Lutherbibel für dich. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1996. S. 173.

  • [38]

     Kramer: Malleus maleficarum. S. 388.

  • [39]

     Ebd.

  • [40]

     Ebd.

  • [41]

     Volker Leppin: Martin Luther: Darmstadt 2006. S. 28f.

  • [42]

     Kramer: Malleus maleficarum. S. 392.

  • [43]

     Julio Caro Baroja: Die Hexen und ihre Welt. Übersetzung der Spanischen Originalausgabe "Las brujas y su mundo" von 1961. Stuttgart 1967. S.122.

  • [44]

     Kramer: Malleus maleficarum. S. 392f.

  • [45]

     Benjamin Hederich: Gründliches Mythologisches Lexikon. Reprograph. Nachdruck der Ausgabe Leipzig, Gleditsch, 1770. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1996. S. 1039.

  • [46]

     Behringer: Text und Kontext. S. 98.

  • [47]

     Burkhard Hasebrink: Latinität als Bildungsfundament. Spuren subsidiärer Grammatikunterweisung im Dominikanerorden. In Klaus Grubmüller (Hrsg.). Schulliteratur im späten Mittelalter. S. 69/70.

  • [48]

     Ulrich Andermann: Lateinschulen und Bildungswanderung im Zeitalter des Humanismus. In: Ulrich Andermann und Kurt Andermann (Hrsg.). Regionale Aspekte des Frühen Schulwesens. Tübingen 2000. S. 112f.

  • [49]

     Kramer: Malleus maleficarum. S. 374, 394f.

  • [50]

     Wolfgang Behringer: Meinungsbildende Befürworter und Gegner der Hexenverfolgung (15. - 18. Jahrhundert). In: Helfried Valentinitsch (Hg.). Hexen und Zauberer [Ausstellungskatalog Riegersburg, Landesausstellung Steiermark]. Leykam Graz 1987. S. 222.

  • [51]

     Levack: The witch-hunt. S. 40.

  • [52]

     Kramer: Malleus maleficarum. S. 373.

  • [53]

     Werner Tschacher: Der Flug durch die Luft zwischen Illusionstheorie und Realitätsbeweis. Studien zum sogenannten Kanon Episcopi und zum Hexenflug. In: R. Knütel, D. Nörr, G. Thür u.a. (Hrsg.). Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung. Band 116. Wien, Köln und Weimar 1999. S. 275.

Empfohlene Zitierweise

Bross, Fabian: ars volandi - Der Hexenflug im Hexenhammer. aventinus varia Nr. 13 (Winter 2007), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7647/

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Erstellt: 18.05.2010

Zuletzt geändert: 25.05.2010

ISSN 2194-1971