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aventinus recensio Nr. 42 [31.05.2014] 

Andreas Eder 

Werner Telesko: Das 19. Jahrhundert. Eine Epoche und ihre Medien, Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 2010. 336 Seiten. 24,90 €. ISBN 978-3-205-78537-8. 

 

Allgemeine Überblickswerke zum 19. Jahrhunderten liegen in großer Fülle und unterschiedlicher Qualität vor. Diese Monographie jedoch ist anders: Es geht zwar um das 19. Jahrhundert, aber nicht hauptsächlich um Kriege, Revolutionen und Industrialisierung, sondern um „eine Epoche und ihre Medien“. Der österreichische Kunsthistoriker Werner Telesko möchte „die wichtigsten Erscheinungen dieses Jahrhunderts vor dem Hintergrund und im Spiegel der ‚Medienrevolutionen‘ beleuchten“ (S. 7). Nicht die „faktischen historischen Veränderungen“ (ebd.), sondern die Reziprozitäten der alten und neuen Medien mit den gesellschaftlichen Veränderungen bilden den Schwerpunkt der Darstellung.

Das Buch umfasst 16 Kapitel, die in die Bereiche „Politische und soziale Grundlagen“, „Visuelle Strategien“, „Wissenskulturen“ und „Mensch und Wahrnehmung“ gegliedert sind. Es gibt keine Gesamtbibliographie, sondern am Ende eines jeden Kapitels eine Literaturliste, die allerdings etwas übersichtlicher hätte gestaltet werden können (worauf wohl aus Platzgründen verzichtet wurde). Fuß- oder Endnoten finden sich keine; die Literaturverweise sind direkt im Text platziert. Am Ende des Buches findet sich ein Personenregister.

Nach den gewohnten Typisierungen des Jahrhunderts (zeitliche Kategorisierung, Bürgertum als neue gesellschaftliche Kraft, Beschleunigung usw.) betont Telesko die Ambivalenzen des Jahrhunderts und verweist auf die neu entstandene Selbstreflexivität der Zeitgenossen, die mit einer „zunehmenden Bedeutung der Massenpresse“ (S. 23) und der Herausbildung einer Öffentlichkeit einherging.

Im ersten Bereich („Politische und soziale Grundlagen“) behandelt Telesko die Konstituierung der Nation als entscheidendes politisches Charakteristikum des Jahrhunderts. Interessant sind hier vor allem die Verweise auf die Mythisierungen zur Herausbildung nationaler Identitäten. Die europäischen Monarchen und ihre politischen Legitimationen mithilfe neuer künstlerischerer Verbesserungen bilden einen weiteren Teil dieses Abschnitts, ebenso wie das Verhältnis christlicher Kirchen zur Kunst als Repräsentations- und Legitimationsmittel. Schließlich identifiziert Telesko das Bürgertum als neue gesellschaftliche Kraft, die die Instrumentalisierung von Geschichte vorantreibe.

Als „visuelle Strategien“ beschreibt Telesko den Historismus (aus kunsthistorischer Perspektive) und den Denkmal- und Künstlerkult als Verfestigung historischer Erinnerung. Außerdem untersucht er, wie sich Kunst in ihrer Produktion und Rezeption gewandelt hat. Als Ursache dieser „grundlegenden Neupositionierung der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft“ nennt er die „Ablöse bzw. Infragestellung überkommener Gesellschafts- und Medienkonzepte“ (S. 157). Wie so oft in seinem Werk, greift er auch hier in das 18. Jahrhundert als Entstehungsraum gesellschaftlicher und mediengeschichtlicher Entwicklungen zurück. Als die entscheidende kulturgeschichtliche Veränderung im 19. Jahrhundert sieht Telesko die „Ästhetisierung“ des Lebens an (S. 179).

Der größte Abschnitt („Wissenskulturen“) erläutert, wie Wissen geteilt und verbreitet wurde: Systematisierung in Erforschung und Präsentation einer breiten Öffentlichkeit, der Aufstieg der Philologie und der Massenpresse. Die neuen „Orte des Wissens“ (S. 240) in Städten in Form von Bibliotheken, Archiven oder Vereinen trugen ebenso zum Wissenstransfer bei wie das Museum als „wichtigster kultureller Katalysator bürgerlicher Wertvorstellungen“ (S. 253). Abschließend bemerkt der Autor, dass die Weltausstellungen nicht nur als nationale Inszenierungen gebraucht worden seien, sondern den Besuchenden neue Erfahrungswelten eröffnet hätten.

Der kürzeste Abschnitt „Mensch und Wahrnehmung“ (etwa halb so lang wie die anderen Teile) erläutert die Effekte der vorher erklärten Veränderungen auf die Menschen und inwiefern sich die Perzeptionen von Natur, Zeit und Raum modifizierten.

Telesko ist eine schlüssige Darstellung der Effekte der alten und neuen Medien auf gesellschaftliche Veränderungen und deren Rückwirkungen auf diese Medien gelungen. Er ergänzt die bekannten Charakterisierungen des Jahrhunderts als eines des Bürgertums, der industriellen Entwicklungen oder der sozialen Veränderungen durch die „fundamentalen Umwälzungen im Medienbereich [...] als eigentliche Signatur“ (S. 7). Besonders lesenswert ist seine Darstellung bei der Analyse der Dynamisierungen der Medien und der Wechselwirkungen mit gesellschaftlichen Gruppen. Innovativ ist zudem sein Ansatz, Medien nicht nur in einem klassischen Sinne (etwa Printmedien, Fotografie) zu definieren, sondern auch kulturgeschichtliche Institutionen wie Ateliers, Denkmäler und Museen als solche zu begreifen. Die regelmäßige Einbindung zeitgenössischer Meinungen erhöht die Plausibilität der Darstellung. Intention, Aussage und Inhalt des Buches sind durchgängig gut verständlich. Vereinzelt hätten etwas kürzere Sätze oder ein angepasstes Layout die Lesefreundlichkeit noch mehr erhöht (so zieht sich etwa wegen zwei Bildern ein Satz über vier Seiten, S. 159-162). Die zahlreichen Zwischenüberschriften sind jedoch sehr hilfreiche Strukturierungsmittel. Besonders der Einsatz der 46 Abbildungen veranschaulicht die Aussagen, so zum Beispiel wenn es um die Apotheose Napoleons (S. 60-63) oder um die Bildtafeln des Brockhaus-Lexikons geht (S. 223). Hier kommt die besondere Stärke des Buches zum Ausdruck, da schließlich Medien im Zentrum der Untersuchung stehen. Aktuelle Forschung wird durch die umfassenden Bibliographien am Ende der Kapitel eingebunden und teilweise im Fließtext erörtert, steht aber nicht im Vordergrund.

Ein abschließendes Fazit hätte dem Werk hingegen nicht geschadet. Die einzelnen Kapitel wirken durch das Fehlen eines solchen teilweise etwas unverbunden, insbesondere da die einzelnen Abschnitte kein Fazit aufweisen. Zentrale Aspekte, wie die Analyse der Ausdifferenzierungen der Medien, hätten stärker in den Vordergrund gestellt werden können; schließlich bedingte die Medienvielfalt entscheidend die gesellschaftlichen Wahrnehmungsmuster. So kann die große Detailfülle bei einigen Kapiteln (zum Beispiel über die Kirchen) die Gesamtaussage etwas verschleiern. Obwohl Telesko generell Begriffe problematisiert, hält er dies nicht konsequent durch. So sind Termini wie „Aufgeklärter Absolutismus“ (S. 255) längst nicht unumstritten und sollten, wenn schon nicht umfassend erklärt, so doch zumindest besonders hervorgehoben werden. Vereinzelt hätte Telesko einen deutlicheren Bezug zu den „faktischen historischen Veränderungen“ (S. 7) suchen können, auch wenn er diese explizit nicht abhandeln will.

Diese Aspekte tun dem Werk insgesamt jedoch keinen Abbruch. Telesko ist eine gute Überblicksdarstellung gelungen, die das 19. Jahrhundert aus der interessanten Perspektive der Medienwirkungen und kunsthistorischen Entwicklungen betrachtet. Zahlreiche Beispiele und detaillierte Zeitzeugenaussagen komplementieren das große Bild dieses Medienjahrhunderts. Besonders Studierende mit einem gesicherten Vorwissen dürften von der Lektüre profitieren. Ein beigelegter Datenträger zur visuellen Unterstützung und mit einer thematischen Bibliographie hätte das ohnehin schon ausführliche Anschauungsmaterial eventuell noch sinnvoll ergänzt und das Preis-Leistungs-Verhältnis etwas günstiger gestaltet.

Empfohlene Zitierweise

Eder, Andreas: Rezension Werner Telesko: Das 19. Jahrhundert. Eine Epoche und ihre Medien, Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 2010. 336 Seiten. 24,90 €. ISBN 978-3-205-78537-8.. aventinus recensio Nr. 42 [31.05.2014], in: aventinus, URL: https://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9860/

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Erstellt: 01.06.2014

Zuletzt geändert: 01.06.2014

ISSN 2194-2137

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