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aventinus archivalia Nr. 5 (Sommer 2008)
Fabian Bross
Die Expansion des Einzelhandels mit besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Stadtentwicklung in Deutschland, Bayern und München in den 60er, 70er und 80er Jahren
0. Prolegomena
Einzelhandel
Der Einzelhandel ist Teil des tertiären Sektors. Versucht man den Begriff Einzelhandel zu erfassen, so lassen sich eine funktionelle und eine institutionelle Dimension unterscheiden. Im funktionellen Sinne versteht man unter Einzelhandel die wirtschaftliche Aktivität des Umsatzes von Waren und Leistungen an Endverbraucher. [1] Im institutionellen Sinne sind unter Einzelhandel Institutionen zu verstehen, deren Tätigkeiten zur Gänze oder zumindest überwiegend im funktionellen Sinne liegen. Einzelhandelsbetriebe kommen in unterschiedlichen Formen vor, die sich nach Standort, Warenkreis, Umsatzverfahren und Betriebsgröße unterscheiden. Zur genaueren Differenzierung lassen sich Einzelhandelsbetriebe nach zwei Bedarfsstufen des Warenkreises einstufen: Unter Einzelhandelsbetrieben der kurzfristigen Bedarfsstufe wären alle jene zu verstehen, deren Warensortiment sich durch hohe Konsumhäufigkeit und eine geringe Konsumwertigkeit auszeichnet, es handelt sich hierbei also um Waren des Massenbedarfs, wie z.B. Lebensmittel. Zur langfristigen Bedarfsstufe gehören Einzelhandelsbetriebe, welche Waren für den seltenen oder einmaligen Gebrauch anbieten, also eine geringe Konsumhäufigkeit und eine hohe Wertigkeit aufweisen, wie etwa teurer Schmuck. [2] Des Weiteren lassen sich Einzelhandelsbetriebe nach zahlreichen und unterschiedlichen Kriterien unterscheiden. Im Gegensatz zu Ludwig Bieberstein unterscheidet Heinz Heineberg etwa nicht zwei, sondern drei Bedarfsstufen. Außerdem führt er weitere Differenzierungen wie beispielsweise Sortimentbreite vs. Sortimenttiefe, primäre vs. sekundäre Merkmale oder Fremdbedienung vs. Selbstbedienung an. [3] Dies ist aber für den kleinen Rahmen dieser Arbeit nicht vonnöten. Zur volkswirtschaftlichen Stellung des Einzelhandels siehe auch im Anhang.
Stadtentwicklung
So wie bis heute keine umfassende, klar abgegrenzte Definition des Begriffes Stadt vorhanden ist, so gilt dies auch für die Stadtentwicklung, für die zwar eine Vielzahl an Stadtstrukturmodellen vorgeschlagen wurde, es jedoch weiterhin an einer geschlossenen Stadtentwicklungstheorie fehlt. Stadtentwicklung kann aber als wirtschaftliche Entwicklung verstanden werden und ist somit auch – teilweise – Einzelhandelsentwicklung. [4] Stadtentwicklung ist räumliche, soziale und/oder bauliche Veränderung von Stadtstrukturen in der Zeit. [5]
Expansion
Unter Expansion versteht man im Allgemeinen die physische Ausdehnung und das Wachstum einer Entität, beispielsweise einer Stadt [6], die Expansion des Einzelhandels lässt sich unter den Begriff des Strukturwandels subsumieren, worunter man „eine Vielzahl heterogener, meist eng miteinander verzahnter Umwälzungsprozesse“ [7] versteht.
Ziel dieser Arbeit
Um die Auswirkungen expansiver Einzelhandelsentwicklungen und speziell ihre Auswirkungen auf die Stadtentwicklung zu betrachten, soll am Anfang dieser Arbeit zunächst die Geschichte des deutschen Einzelhandels von den 50er bis in die 80er Jahre nachgezeichnet werden und seine wichtigsten Ausprägungsformen dargestellt werden. Im zweiten und dritten Teil der Arbeit soll untersucht werden, ob sich diese allgemeinen Entwicklungen am Beispiel des bayrischen und des Münchner Einzelhandels in den 60er, 70er und 80er Jahren ad ungue leonem nachzeichnen lassen.
1. Der bundesrepublikanische Einzelhandel bis in die 1980er Jahre
„Es ist immer etwas höchst Bedenkliches, das Bestehende ohne Kenntnis seiner Vergangenheit erklären zu wollen.“ [8]
Aus Platzgründen wird auf eine Darstellung der Entwicklungen in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR verzichtet. Dieses Kapitel beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die verschiedenen, für diese Arbeit wichtigen, Ausprägungsformen des bundesrepublikanischen Einzelhandels darzustellen.
Die Innenstadt war seit jeher – meist mit einem Marktplatz als Mittelpunkt – der zentrale Ort des öffentlichen Lebens. Der Handel war konstitutiv für die Stadtbildung. Von der griechischen Agora und dem lateinischen Forum bis zum Marktplatz im mittelalterlichen Europa blieb dies so, bis ins 20. Jahrhundert hinein. [9]
1.1 Der Einzelhandel in den 50er Jahren
In den 50er Jahren begann in der Bundesrepublik eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, bekannt als das so genannte „Wirtschaftswunder mit durchschnittlichen Wachstumsraten des realen Sozialprodukts von 7,8 % jährlich“. [10] Die 50er Jahre standen im Zeichen des Wiederaufbaus, der in rasantem Tempo voranschritt. Bereits Ende der 50er hatten die Warenhauskonzerne ihre Verkaufsflächen wieder auf Vorkriegsniveau. [11] Schnell begannen sich die Regale zu füllen und der Hunger der von jahrelanger Entbehrung gezeichneten Bevölkerung nach Neuem wurde mit einer enormen Sortimentsausweitung – besonders in den Lebensmittelabteilungen – begegnet. Die sich schon jetzt abzeichnenden Parkplatznot wurde mit Parkhäusern und Parkdächern beantwortet. [12]
Eine der größten Neuerungen dieser Zeit war das Konzept der Selbstbedienung. An sich war diese Idee nichts neues, jedoch setzte sie sich bis Ende der 50er Jahre nur vereinzelt durch. Einer der Wegbereiter dieses Konzepts, Herbert Ecklöh, eröffnete 1957 in Köln einen der ersten Supermärkte mit Selbstbedienung mit 2000 m² Einkaufsfläche. „[B]ereits Ende der fünfziger Jahre […] [wurde] ein knappes Drittel aller Lebensmittel […] in Selbstbedienungsgeschäften verkauft“. [13] Dieses Konzept machten sich auch die neu entstandenen Cash-and-Carry-Großhändler – neben den Grundgedanken Barzahlung und Selbstabholung – zu Eigen, wodurch sie in der Lage waren, ihre Produkte deutlich billiger anbieten zu können. [14]
1.2 Einzelhandel und Stadtentwicklung in den 60er Jahren
In den 60er begann ein Prozess der Suburbanisierung in Deutschland, der in den USA bereits in den 20er Jahren eingesetzt hatte. [15] Die 60er Jahre waren durch eine Ausweitung des Warenangebots, der Expansion der Warenhäuser und dem Entstehen der ersten Discounter gekennzeichnet. Diese entstanden aus dem immer schneller immer intensiver werdenden Preiswettbewerb. So eröffnete 1962 der erste strikt nach dem Discounter-Prinzip ausgerichtete Aldi. Mit der Gründung des Ratio-Verbrauchermarktes 1963 in Münster begann die Zeit der Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser. [16] Unter Verbrauchermärkten versteht man Betriebe mit einer Verkaufsfläche von über 1500 m² und unter SB-Warenhäuser solche mit einer Fläche von über 5000 m². Beide weisen ein tiefes und breites Sortiment mit einem vorherrschenden Lebensmittelangebot auf. [17] Dies resultierte aus der zunehmenden Motorisierung, der dadurch folgenden Verstopfung der Innenstädte [18] und aus der Tatsache, dass seit den 60er Jahren der Einzelhandel in den inneren Citys – also den Innenstadtbereichen, einschließlich der Citys – kaum mehr expandieren konnte, da er selbst schon allen Platz in Anspruch nahm und die Wohnbevölkerung verdrängt hatte oder wo dies noch nicht zur Gänze der Fall war, versuchte er sie weiter zu verdrängen. [19] Um den zunehmenden Verkehrsströmen Herr zu werden, wandelte man – wie beispielsweise in Ulm – viele Einkaufsstraßen in Fußgängerzonen um und umrandete sie mit Tiefgaragen und Parkhäusern. [20]
Eines der größten Nova der 60er waren die Einkaufzentren, die größtenteils auf der grünen Wiese [21], teils in Stadtrandzentren errichtet wurden. 1964 wurde das erste deutsche Einkaufszentrum, das Main-Taunus-Einkaufszentrum eröffnet, bis Ende des Jahrzehnts waren es über 200. [22] Die 60er standen mit ihrer enormen Erweiterung der Einzelhandelsflächen ganz im Zeichen der Expansion des Einzelhandels – zunächst in Stadtrandzentren, dann auf der grünen Wiese.
1.3 Einzelhandel und Stadtentwicklung in den 70er Jahren
In den 70ern begann die Einzelhandelsdichte zurückzugehen und die Einzelhandelsumsätze zu sinken. Bereits 1974 waren sie im Minus. [23] 1976 war die Besucherzahl je Quadratmeter Verkaufsfläche in der Innenstadt zum ersten Mal rückläufig. [24] Die Expansion von Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern wurde nun nicht mehr nur durch die zunehmende Motorisierung, der damit einhergehenden Möglichkeit zum Transport größerer Mengen befördert, sondern auch durch kleinere Gemeinden, die die Ansiedelung dieser Betriebsformen auf der grünen Wiese förderten, da sie in ihnen die Chance auf höhere Gewerbesteuereinnahmen sahen. [25] Eine Übersicht über die zahlreichen Gründe, warum große Einzelhandelsbetriebe auf die grüne Wiese expandierten und somit eine Verödung der Innenstädte einzusetzen begann, lässt sich aus im Anhang gewinnen. [26]
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, kam es zu einer Nivellierung der Baunutzungsverordnung, mit Wirkung ab dem 1. Oktober 1977. Großflächige Einzelhandelsbetriebe (mit mehr als 1500 m² Bruttogeschossfläche) durften von diesem Zeitpunkt an außerhalb von Kern- oder Sondergebieten nur noch mit einer Genehmigung der Raumordnungsbehörde errichtet werden. Die Zahl der Genehmigung ging so stark zurück. [27] In diesem Jahrzehnt erkannte man, dass es – um die Stadtentwicklung in die richtigen Bahnen zu lenken – notwendig ist, steuernd einzugreifen. [28] Allgemein waren die 70er Jahre durch einen Konzentrationsprozess (Aufkäufe, Zukäufe und Fusionen) und der Expansion des Einzelhandels geprägt.
1.4 Einzelhandel und Stadtentwicklung in den 80er Jahren
Diese Entwicklungen, insbesondere die Expansion des Einzelhandels nahmen in den 80er Jahren weiter zu. Die Gesamtverkaufsflächen des Einzelhandels in Deutschland stiegen zwischen 1965 und 1984 um über 100% an. [29] Deutlich erkennbar war nun ein verändertes Konsumentenverhalten, begünstigt durch die schon angesprochene gestiegene Mobilität und die durch die zugenommene „Technisierung der Haushalte“ verlangte der Kunde nach guten Parkmöglichkeiten um seinen Versorgungseinkauf, der immer mehr auch zum Erlebniseinkauf wurde, tätigen zu können. [30] Nach einem schwachen Umsatzwachstum Anfang der 80er Jahre erholte sich der Einzelhandel zwischen 1986 und 1991 mit einem starken Umsatzwachstum wieder. [31] Immer stärker wirkte sich in diesem Jahrzehnt die zunehmende Filialisierung auf das Gesicht vieler deutscher Städte aus. Die „innere Struktur und [das] äußere Erscheinungsbild der älteren, gewachsenen Subzentren [begann sich] allmählich zu verändern […]“. [32]
Um der Verödung der Innenstädte beizukommen suchte man – auch im Rahmen stadtentwicklungsplanerischer Programme – nach neuen Konzepten und fand diese in Anlehnung an die „Passagen des 19. Jahrhunderts“ […] die […] unter dem Begriff „City-Center“ (cityintegriertes Shopping Center) zusammengefasst werden können. Diese […] Center schließen in der Regel an bestehende Einkaufsstraßen an […]“. [33] Beispielhaft hierfür ist Hamburg, das seine „Innenblockflächen zu einem weitverzweigten Netz von überdachten Galerien und Passagen ausgestaltet[e]“. [34] Die Expansion des Einzelhandels und die ihr nachfolgende Abwertung der Innenstädte brachte in den 80ern als weiteres neues Konzept die „Verkehrsberuhigung von Geschäftsstraßen“ mit sich. Die Erscheinung der Innenstadt sollte für die Bevölkerung attraktiver gemacht werden und so veränderten sich viele Städte. Die Ziele dieser Veränderungen waren „eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, eine Reduktion der Umweltbelastung, die Erhaltung des historischen Stadtbildes, eine Aufwertung der Standortqualitäten für Einzelhandelsunternehmen, die Förderung der Freizeitfunktion, die Schaffung eines sozialen Begegnungsraumes“. [35] Dies hatte aber auch seine Schattenseiten, nachdem viele Innenstädte durch die Fußgängerzonen attraktiver geworden waren, nahmen die PKW-Ströme aus dem Umland zu, die Mieten stiegen enorm, was zu Aufgabe vieler Fachgeschäfte führte. Nun mieteten sich die Geschäfte ein, die sich die gestiegenen Mieten leisten konnte, was zu Filialisierung und Angleichung vieler Innenstädte führte. [36]
Vergleicht man die Verkaufsflächen des Einzelhandels in Deutschland zwischen 1960 (22 Millionen m²) und Anfang der 90er (87 Millionen m²) kann man nicht nur von einer Expansion, sondern getrost von einer Explosion der Verkaufsflächen sprechen. [37] Zur Verkaufsflächenexpansion siehe auch im Anhang.
2. Der Einzelhandel in Bayern in den 60er, 70er und 80er Jahren
In den 60er Jahren bekam Bayern die so genannte „Anschaffungswelle“ zu spüren, durch die es durch „Massenproduktion von Konsumgütern sowie die erhöhte Vielfalt des Warenangebots“ zu einer Explosion der Sortimente kam. [38] Der Raumbedarf erhöhte sich noch, als man sich nach stetig steigenden Kosten gezwungen sah, Personal durch Fläche zu ersetzen, indem man immer mehr auf Selbstbedienungs-Konzepte zurückgriff. Die Gesamtverkaufsfläche erhöhte sich von 1962 bis 1968 um 4 Millionen m², von 1968 bis 1977 um 14,5 Millionen m². [39]
Zwar folgte Bayern dem gesamtdeutschen Entwicklungsprozess der Konzentration des Einzelhandels, aber nicht im selben Maße. Die Zahl der Einzelhandelsunternehmen nahm zwischen 1960 und 1976 nur um etwa ein Fünftel ab. Somit blieb der Einzelhandel verstärkt in der Hand des Mittelstands. [40] Zwar etablierten sich auch in Bayern Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser, jedoch verdoppelten die traditionellen Warenhäuser zwischen 1959 und 1975 ihren Marktanteil. Der Strukturwandel in Bayern verlief insgesamt moderater als in den anderen Bundesländern. Jedoch nur bis Ende der 70 Jahre, dann kam es dann zu einer verstärken Expansion von Einzelhandelsgroßprojekten. Um der „Verödung der Innenstädte“ entgegenzuwirken, griff man in Bayern – noch vor der Novellierung der Baunutzungsverordnung – zu Steuerungsinstrumenten und so wurden zwischen 1975 und 1978 von 130 landesplanerisch überprüften Bauvorhaben etwa 40 % negativ bewertet. [41]
3. Der Einzelhandel in München in den 60er, 70er und 80er Jahren
Die ansteigende Motorisierung des Individualverkehrs machte auch vor München nicht halt, so kamen 1950 auf 1000 Einwohner 77 Kraftfahrzeuge, 1960 waren es bereits mehr als doppelt so viele. Da der städtische Straßenraum kaum zu erweitern war, veränderte die Stadt ihre Verkehrspolitik und setze auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. [42] Was dazu führte, dass der ÖPNV in München mehr genutzt wurde und wird als in anderen Städten. [43] München wuchs seit den 60er Jahren enorm und neue Trabantenstädte wie Neu-Perlach entstanden. Es begann, stärker als in anderen deutschen Städten der Prozess der Suburbanisierung, die Verdrängung der Wohnbevölkerung aus der Stadt und ein Anstieg der Bodenpreise, wie es ihn in Deutschland kaum ein zweites Mal gegeben hat. [44] Diese Wachstumsphase endete 1972 mit der Vollendung der Olympia-Anlagen. [45]
1975 wurde in München nach zahlreichen Versuchen ein neuer Stadtentwicklungsplan vorgestellt. Der Plan setzte sich zum Ziel „die Innenstadt durch eine größere Zahl attraktiver dezentraler Standorte“ [46] zu entlasten und die wertvollen Freiflächen in den Stadtrandlagen für die Naherholung zu erhalten und die Bautätigkeit mehr auf schon erschlossene Flächen zu konzentrieren. [47]
Mitte der 80er Jahre änderte sich die Situation drastisch. Aus der Knappheit der Bauflächen wurde im Zuge der Modernisierung der Betriebe eine Vielzahl an Gewerbeflächen frei. So verlegte etwa die Deutsche Bahn ihren Standort außerhalb der Stadt. [48] Zu dieser Zeit bekam auch München verstärkt die allgemein um sich greifende Filialisierung zu spüren, 1986 waren bereits 68 % der Verkaufsflächen in der Hand von Filialisten. [49]
Zwischen 1977 und 1982 wuchsen die Verkaufsflächen des Einzelhandels in Münchens Zentren um 86500 m², bei einem gleichzeitigen Trend zu größeren Betrieben. Kleine Einzelhandelsbetrieben in den Innenstadtgebieten wurden in diesem Zeitraum verdrängt und außerhalb dieser Gebiete kam es zum Bau großflächiger Betriebe. [50] Die Expansion des Einzelhandels und die „Verlagerung der Kaufkraftwirksamkeit von innen nach außen“ entwickelten sich wie im Rest der Republik. [51]
4. Conclusio
„Stadtentwicklung kann […] von Einzelhandelsentwicklung nicht getrennt werden.“ [52]
Die Expansion des Einzelhandels entstand im Rahmen des so genannten Strukturwandels des Einzelhandels und veränderte die Stadt dahingehend, dass u.a. durch die zunehmende Motorisierung und durch den stärker werdenden Preiskampf und den steigenden Bodenpreisen der Einzelhandel sein traditionelles Gebiet in den Innenstadtlagen verließ und sich in Stadtrandzentren und auf der grünen Wiese anzusiedeln begann. So kam es zu einer betrieblichen und räumlichen Konzentration bei einer gleichzeitigen „Ausdehnung der Verkaufsflächen […] außerhalb der Zentren“. [53] Dies führte zu einer „Verödung der Innenstädte“ und einer „Zersiedelung der Landschaft“ [54] , der seit den 60ern von staatlicher Seite steuernd entgegenzuwirken versucht wird. Die Gründe für die Standortwahl im Umland sind zusammengefasst in . Die „Verödung der Innenstädte“ und die „Zersiedelung der Landschaft“ sind jedoch Erscheinungen, die nicht nur von der Entwicklung des Einzelhandels abhängig sind und nicht erst mit der seit den 70er Jahren auftretenden „Stadtflucht“ eingetreten sind. Der deutsche Stadtplaner Rudolf Eberstadt sprach schon 1919 davon, dass die „uns überlieferte Stadt […] einen zentripetalen, die neuzeitliche einen […] zentrifugalen Charakter“ [55] hat. In Bayern war der Strukturwandel und seine Auswirkungen nicht so stark zu spüren wie im Rest der Republik, ebenfalls nicht ganz typisch für diese Entwicklung ist München aufgrund der starken Nutzung des ÖPNV und der daraus folgenden geringeren Mobilität seiner Bewohner.
Der Einzelhandel, seine Konzentrationsprozesse und seine Expansion hat das Gesicht vieler deutscher Städte mittelbar und unmittelbar verändert. Wer hier lenkend eingreifen will, um Verödung und Filialisierung entgegenzuwirken, muss die komplizierten Verflechtungen zwischen Wirtschaft, Politik und Bevölkerung im Auge behalten. Nur so lässt sich verstehen, warum sich eine Stadt verändert. Im Anhang in ist ein vereinfachtes Verflechtungsmodell skizziert, das einen kleinen Überblick geben soll. Diese Verflechtungen – und betrachtet man die Pfeile zwischen dem Akteur Wirtschaft und dem Faktor (technische) Innovation auch ihre Folgen für die Stadtentwicklung – sind in den folgenden Abbildungen 5, 6 und 7 für die 60er, 70er und 80er Jahre dargestellt.
Literaturverzeichnis
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Thomi, Walter (1998): Zur Entwicklung des Einzelhandels in Deutschland. Interne und externe Ursachen des Strukturwandels und dessen Rückwirkungen auf das Standortsystem des Einzelhandels. In: Gans, Paul und Lukhaupt, Rainer (Hrsg.): Einzelhandelsentwicklung – Innenstadt versus periphere Standorte. Mannheim. S. 5-26.
Tietz, Bruno und Rothaar, Peter (1991): City-Studie. Marktbearbeitung und Management für die City. Die Zukunft des Einzelhandels in der Stadt. Landsberg/Lech.
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Zehner, Klaus (2001): Stadtgeographie. Gotha und Stuttgart.
Anhang
Abbildung 1: Volkswirtschaftliche Stellung des Handels (leicht verändert nach Brandt 1996 aus Thomi 1998)
Abbildung 2: Gründe für die Verödung der Innenstädte und die Expansion von Einzelhandelsbetrieben auf die grüne Wiese (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 3: Gründe für die Standortwahl im Umland (Quelle: eigene Darstellung; extrahiert aus Gaebe 2004: 111)
Abbildung 4: Vereinfachtes Verflechtungsmodell (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 5: Verflechtungsmodell 60er Jahre (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 6: Verflechtungsmodell: 70er Jahre (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 7: Verflechtungsmodell 80er Jahre (Quelle: eigene Darstellung)
Jahr | Verkaufsfläche in Mill. qm | Geschäftsfläche in Mill qm |
1950 | 9 | 17 |
1960 | 23 | 45 |
1970 | 35 | 70 |
1980 | 58 | 105 |
1989 | 70 | 130 |
Tabelle 1: Die Entwicklung der Verkaufsflächen und der Geschäftsflächen im Ladeneinzelhandel in der Bundesrepublik Deutschand von 1950 bis 1989 (Tietz und Bruno 1991: 125)
Anmerkungen
-
[1]
Eva-Maria Depenbrok-Naumann: Einzelhandel und Stadtentwicklung. Eine Marketing-Konzeption für den City-Einzelhandel zur Förderung der Urbanität. Diss. München 1982. S. 4.
-
[2]
Vgl. Ludwig Bieberstein: Die City als Standort für Einzelhandelsbetriebe. Dargestellt am Beispiel der City von Köln. Göttingen 1989. S. 2f.
-
[3]
Heinz Heineberg: Stadtgeographie. 3., aktual. und erw. Aufl. Paderborn u.a. 2006. S. 177-181.
-
[4]
Heineberg: Stadtgeographie. S. 101
-
[5]
Depenbrok-Naumann: Einzelhandel und Stadtentwicklung. S. 11.
-
[6]
Jürgen, Friedrichs: Stadtanalyse. Soziale und räumliche Organisation der Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg 1977. S. 101 und Heineberg: Stadtgeographie. S. 115.
-
[7]
Anja Schäfer: Cityentwicklung und Einzelhandel. Hintergründe und Ansatzpunke eines kommunalen Citymarketings zur Steigerung der Urbanität des „Einkaufszentrums City“. Hamburg 1999. S. 53.
-
[8]
Lazarus Geiger: Der Ursprung der Sprache. Stuttgart 1869. S. 111.
-
[9]
Vgl. Walter Thomi: Zur Entwicklung des Einzelhandels in Deutschland. Interne und externe Ursachen des Strukturwandels und dessen Rückwirkungen auf das Standortsystem des Einzelhandels. In: Paul Gans und Rainer Lukhaupt (Hrsg.): Einzelhandelsentwicklung – Innenstadt versus periphere Standorte. Mannheim 1998. S. 5.
-
[10]
Ludwig Berenkoven: Geschichte des deutschen Einzelhandels. Frankfurt am Main. S. 82.
-
[11]
Vgl. ibidem. S. 84.
-
[12]
Vgl. ibidem. S. 85.
-
[13]
Ibidem. S. 92.
-
[14]
Ibidem. S. 94.
-
[15]
Vgl. Jürgen Bähr: Bevölkerungsgeographie. 4., aktual. u. überar. Aufl. Stuttgart 2004. S. 79.
-
[16]
Ibidem. S. 97-102.
-
[17]
Schäfer: Cityentwicklung und Einzelhandel. S. 57.
-
[18]
Berenkoven: Geschichte des deutschen Einzelhandels. S. 102.
-
[19]
Bruno Tietz und Peter Rothaar: City-Studie. Marktbearbeitung und Management für die City. Die Zukunft des Einzelhandels in der Stadt. Landsberg/Lech 1991. S. 3.
-
[20]
Klaus Zehner: Stadtgeographie. Gotha und Stuttgart 2001. S. 72.
-
[21]
Unter der grünen Wiese versteht man noch nicht erschlossene Flächen außerhalb eines Siedlungsgebietes.
-
[22]
Berenkoven: Geschichte des deutschen Einzelhandels. S. 110.
-
[23]
Vgl. ibidem. S. 116.
-
[24]
Depenbrok-Naumann: Einzelhandel und Stadtentwicklung. S. 1.
-
[25]
Berenkoven: Geschichte des deutschen Einzelhandels. S. 120.
-
[26]
Auch das Aufkommen des Do-it-yourself-Marktes (aufgrund der steigenden Handwerkerpreise und der zunehmenden Freizeit) führte zu einer Expansion des Einzelhandels und zwar der Baumärkte. Diese hatten aber kaum Auswirkungen auf die Verödung der Innenstädte.
-
[27]
Vgl. Berenkoven: Geschichte des deutschen Einzelhandels. S. 120.
-
[28]
Schäfer: Cityentwicklung und Einzelhandel. S. 23.
-
[29]
Vgl. ibidem. S. 55.
-
[30]
Vgl. ibidem. S. 65.
-
[31]
Vgl. ibidem. S. 72.
-
[32]
Klaus Zehner: Stadtgeographie. Gotha und Stuttgart 2001. S. 77.
-
[33]
Schäfer: Cityentwicklung und Einzelhandel. S. 83.
-
[34]
Irene Wiese-von Ofen: Konzentration im Einzelhandel – Forderungen und Empfehlungen an die Städte. In: Busso Grabow und Rolf-Peter Löhr (Hrsg.): Einzelhandel und Stadtentwicklung. Vorträge und Ergebnisse einer Fachtagung. S. 35.
-
[35]
Schäfer: Cityentwicklung und Einzelhandel. S. 94f.
-
[36]
Vgl. Hans P. Fischer: Erreichbarkeit der Innenstädte. In: Paul Gans und Rainer Lukhaupt (Hrsg.): Einzelhandelsentwicklung – Innenstadt versus periphere Standorte. Mannheim. S. 76.
-
[37]
Thomi: Zur Entwicklung des Einzelhandels in Deutschland. S. 9.
-
[38]
Bayrisches Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr. Bericht über Struktur und Entwicklung des Einzelhandels in Bayern. s.l. S. 15.
-
[39]
Vgl. ibidem.
-
[40]
Vgl. ibidem. S. 16.
-
[41]
Vgl. ibidem. S. 24.
-
[42]
Vgl. Lutz Hoffmann: Auf der Überholspur in die Moderne. 1960-1972. In: Landeshauptstadt München, et al.: München wie geplant. Die Entwicklung der Stadt von 1158 bis 2008. S. 220.
-
[43]
Vgl. Fischer: Erreichbarkeit der Innenstädte. S. 76f.
-
[44]
Auf dem Münchner Wohnungsmarkt werden im Extremfall bis zu 45000 Euro pro Quadratmeter bezahlt (vgl. Hoffmann: Auf der Überholspur in die Moderne. S. 232).
-
[45]
Vgl. Hoffmann: Auf der Überholspur in die Moderne. S. 128ff.
-
[46]
Lutz Hoffmann: Krisen und Konsolidierungen. 1973-2008. In: Landeshauptstadt München, et al.: München wie geplant. Die Entwicklung der Stadt von 1158 bis 2008. S. 136.
-
[47]
Vgl. ibidem. S. 137.
-
[48]
Vgl. ibidem. S. 140.
-
[49]
Vgl. Zehner: Stadtgeographie. S. 74.
-
[50]
Planungsreferat HAI/41 der Landeshauptstadt München (Hrsg.): Arbeitsberichte zur Stadtentwicklungsplanung. Entwicklung der Einzelhandels- und Dienstleistungsversorgung. 1977 bis 1982 in Zentralen Standorten nach Gliederungsbereichen. München 1984. S. 3.
-
[51]
Ibidem. S. 6.
-
[52]
Depenbrok-Naumann: Einzelhandel und Stadtentwicklung. S. 2.
-
[53]
Deutscher Städtetag: Die Innenstadt. Entwicklungen und Perspektiven. Köln 1986. S. 13.
-
[54]
Schäfer: Cityentwicklung und Einzelhandel. S. 68.
-
[55]
Zitiert nach: Deutscher Städtetag: Die Innenstadt. Entwicklungen und Perspektiven. Köln 1986. S. 3.
Empfohlene Zitierweise
Bross, Fabian: Die Expansion des Einzelhandels mit besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Stadtentwicklung in Deutschland, Bayern und München in den 60er, 70er und 80er Jahren. aventinus archivalia Nr. 5 (Sommer 2008), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7857/
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Erstellt: 13.06.2010
Zuletzt geändert: 13.06.2010