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aventinus recensio Nr. 11 (Winter 2007) 

Andreas Scherrer 

Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt a.M. 2006. 567 Seiten mit zahlreichen Karten und Abbildungen. ISBN 978-3-596-16718-0; 14,95 €. 

Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel, Jahrgang 1948, lehrt als Professor an Europauniversität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Nach mehreren Publikationen zur Geographie- und Stadtgeschichte, v.a. osteuropäischer Metropolen, stellt dieses Buch Schlögels gelungenen Versuch dar, sein Anliegen leicht verständlich nicht nur für das Fachpublikum darzustellen. Dieses Anliegen ist, kurz gesagt, Geschichte und Ort zusammen zu denken und die Aufmerksamkeit und das Verständnis für den ‚Raum’ als Größe in der Geschichtswissenschaft zu stärken.  

Das Taschenbuch ziert ein topographischer Plan der Stadt Brüssel, ein Kupferstich aus dem Jahr 1777. Im ganzen Buch finden sich weitere Abbildungen, meist Karten, Pläne oder Photographien. Es ist klar strukturiert und dadurch sehr übersichtlich. Eigentlich eine Sammlung von knapp 50 Essays, gliedert sich das Buch in vier Hauptkapitel – „Die Wiederkehr des Raumes“ (S. 17 – 78), „Kartenlesen“ (S. 79 – 265), „Augenarbeit“ (S. 267 – 408) und „Europa diaphan“ (S. 409 – 504).  

Im ersten Teil des Buches „Die Wiederkehr des Raumes“ beschäftigt sich Schlögel mit dem Verhältnis der Geschichte zu Ort und Raum. Mit einem Plädoyer für den „spacial turn“, also der Tendenz in der neueren Geschichtswissenschaft den Raum in historischen Abläufen mitzudenken, ihn mit einzubeziehen, beendet er den ersten Teil. In den folgenden drei Teilen finden sich Einzelstudien, die eben diese räumliche Komponente der Geschichte aufzeigen sollen. Verschiedenen Themenbereiche, vom Lesen eines Stadtplans über die Vermessung des britischen Kolonialreichs in Indien bis hin zur Beschreibung des Kessels von Sarajewo und der unterschiedlichen Vorstellungen von Raum bei Belagerten und Belagerern, werden hier als Versatzstücke des Räumlichen näher unter die Lupe genommen. 

Schlögel will in seinem Buch v.a. darauf aufmerksam machen, daß man ohne den Raum als Größe zu berücksichtigen keine umfassende, wissenschaftliche, historische Forschung betreiben kann. Dieses These, die in der Tradition der französischen Annales-Historiker steht, kann insoweit das Geschichtsstudium bereichern, als daß sie neue Sicht- und Denkweisen liefern und die Wahrnehmung von historischen Ereignissen erweitern kann.  

Das Buch liefert einen interessanten Einblick in die Geographiegeschichte und so auch Einblick in ein oft vernachlässigtes Teilgebiet der Geschichtswissenschaft. Diesen Aspekt – im wahrsten Sinne des Wortes – mehr in den ‚Blick’ zu nehmen und einen Denkanstoß zu geben, ist Schlögels Leistung.  

Der Erfolg dieses Buches – nach der Erstauflage von 2003 erschien 2006 die hier besprochene Taschenbuchauflage – ist sicher zum Teil auch im essayistischen Schreibstil von Schlögel begründet, der eben nicht nur das Fachpublikum anspricht. Macht dieser lockere Ton dem Leser den Einstieg sehr leicht, so wird er im Verlauf der Lektüre jedoch immer anstrengender und die ausschweifenden Detailschilderungen lassen die einzelnen Essays manchmal endlos erscheinen. Schlögels lesenswertes Buch bietet leider keine Deutung(en) des Raumes an, dies soll und muß sich der Leser offenbar selbst erarbeiten. Aber es gibt einen wichtigen Denkanstoß und – kann durchaus den Horizont erweitern.  

Empfohlene Zitierweise

Scherrer, Andreas: Rezension Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. Frankfurt a.M. 2006. 567 Seiten. ISBN 978-3-596-16718-0. 14,95 €. aventinus recensio Nr. 11 (Winter 2007), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7681/

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Erstellt: 19.05.2010

Zuletzt geändert: 16.12.2010

ISSN 2194-2137