Wissenschaftsgeschichte

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aventinus varia Nr. 5 (Winter 2005/06) 

Wallner, Michael 

Alexander von Humboldt 

 

Alexander von Humboldt ist mit Sicherheit einer der bemerkenswertesten Deutschen der Neuzeit. Geboren wird er 1769 in Berlin, in einer Zeit der Enge der deutschen Engbrüstigkeit und Kleinstaatlichkeit. Seine Kindheit mit seinem älteren Bruder Wilhelm musste er behütet mit Hausunterricht in Latein und Griechisch zubringen. Seine hervorragenden Hauslehrer können ihm diese Enge nicht nehmen, er beschreibt seine Kindheit als "trübe und öde". Wahre Intellektuelle sind in den jüdischen Salons, wie dem der Mendelsohns, zu finden. 

Humboldts Geist entzündet sich an den Reiseberichten von Georg Forster, der James Cook auf seinen Weltumsegelungen begleitet hatte. Mit 21 Jahren verbringt er mit ihm einige Zeit im nachrevolutionären Paris. Hier erlebt er den Befreiungstaumel, das aufgerissene Fenster zu einer neuen Zeit. Zusammen verteilen sie Flugblätter auf dem Marsfeld, wo heute der Eiffelturm steht. Bald darauf ertrinkt allerdings die Revolution im eigenen Blut. Er tritt in den preußischen Staatsdienst ein, überwacht als Oberbergmeister die Minen des Staates. Mit Modernisierungsvorschlägen anhand seiner Berechnungen kann er den Ertrag erheblich steigern. 

Als 1796 seine Mutter stirbt, hinterlässt sie ihm ein beträchtliches Vermögen. Gerade im rechten Augenblick - wie man hier zynischerweise bemerken könnte. Nun hat er die finanzielle Unabhängigkeit, um sich seinen Traum von der Erkundung der Welt zu erfüllen. Er quittiert den Staatsdienst und bereitet eine Expedition an den Nil vor. Doch als Napoléons Truppen den Weg versperren, entschließt er sich zur Erkundung der Neuen Welt. Diese Reise - sie soll fünf Jahre dauern - wird das Kernstück seines Lebens darstellen. Viele werden später von der zweiten Entdeckung Amerikas sprechen, wie dies die Marmorstatue vor der Berliner Humboldt-Universität tut - eine Stiftung Kubas. 

Von nun an lässt sich sein Geist nicht mehr zügeln. Beim spanischen König erreicht er durch höfischen Umgang, diplomatisches Geschick und blendende Sprachkenntnisse einen Freibrief für den Zugang in die spanischen Überseegebiete - absolut außergewöhnlich für einen Ausländer. Mit seinem Gefährten Aimé Bonpland gelangt er nach Teneriffa, im Gepäck alles an Messinstrumenten, was für teures Geld zu haben ist. Dort nimmt er die ersten geologischen Messungen vor, besteigt den Pico de Teide in 15 Stunden ohne nennenswerte Pause. Nach wenigen Tagen Aufenthalt setzten sie über den Atlantik über. 

Sie betreten zum ersten Mal amerikanischen Boden im heutigen Venezuela. Alexander schreibt voller Begeisterung an seinen Bruder Wilhelm: "Wunderbare Pflanzen, Zitteraale, Tiger, Armadölle, Affen, Papageien ? Welche Bäume! Kokospalmen, 50-60 Fuß hoch!" Er stößt vor in die gewaltigen Flussläufe des Regenwaldes, um die Verbindung der Systeme des Amazonas und des Orinocos zu beweisen, die damals nur den Indios bekannt war. Und der Nachweis gelingt ihm als ersten Europäer! Die Strapazen sind unerträglich, es regnet täglich, im Schlaf werden sie von Moskitos zerstochen. Diese sind in der Luft, beim Atmen, beim Essen und beim Schlafen. Die Mannschaft gräbt sich ein für die Nacht. Parasiten fressen sich unter die Haut, legen dort ihre Eier. Er lässt sich von geduldigen Indiofrauen freistechen. Humboldt muss lernen, sich im Dschungel zu ernähren von Maden, Alligatoren- und Affenfleisch. Trotz aller Strapazen genießt er diese Zeit sehr, in sein Tagebuch schreibt er: "Nie habe ich mich in meinem Leben gesünder gefühlt." Er ist fasziniert von der grandiosen Vielfalt der Umwelt, er katalogisiert alle Pflanzen, die er finden kann. Am Ende wird er allein 3500 neue Arten bestimmt haben. Humboldt trifft auch den Rousseauschen Wilden, aber er verklärt ihn nicht zum mystischen Urmenschen, sondern betrachtet die Indios als Stämme mit eigenen Riten und will alles verstehen, was sich dahinter verbirgt. Bei den Mayas bewundert er deren alte Tempelanlagen, studiert ihren Kalender. Diese Grundhaltung des Respekts ist es, die Humboldt in Lateinamerika so berühmt macht. Er erobert nichts oder unterdrückt Völker, er vermisst und erforscht alles. Auf Kuba schreibt er solch ein wütendes Pamphlet gegen die Sklaverei, dass es dort verboten wird.

In den Anden macht Humboldt sich daran, den damals höchsten bekannten Berg der Welt zu besteigen - den Chimborazo. Heute muss jeder Bergsteiger den Kopf schütteln angesichts der Naivität, mit der er zum Sturm auf den Sechstausender ansetzt. Gegen die Kälte hat er sich einen Poncho übergeworfen, die Stiefel haben sich mit Wasser voll gesogen, er leidet darüber noch an einer Fußverletzung. Der Aufstieg ist beschwerlich über einen schmalen Grat, bedeckt von vielen Felsen, oftmals muss man sich im Nebel auf allen vieren vorwärts bewegen. Die Hände sind aufgeschürft, die Augen sind blutunterlaufen. Seine Träger sind der Höhenkrankheit nicht gewachsen und kehren mit der Zeit um. Humboldt geht unbeirrt weiter, der Forschergeist drängt ihn nach vorne. Meter um Meter. Doch als mit einem Mal der Nebel aufreißt, wird Humboldt mit einem Schlag für alle Strapazen entschädigt. "Es war ein ernster, großartiger Anblick", wie er später notiert. Da der Grat unterhalb des Gipfels abgebrochen ist, muss dieser unerreicht bleiben. Nichtsdestotrotz stellt er damit den damaligen Höhenrekord auf und hält ihn für die folgenden dreißig Jahre. 

Am Pazifik kann Humboldt die kühle Wassertemperatur des nach ihm benannten Stromes nachweisen. Vor seiner Rückkehr nach Europa ist er beim amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson zu Gast, die beiden unterhalten sich ausführlich miteinander, auch über die Sklavenfrage und die Grenzziehung des jungen Staates zu Mexiko. Dieser bezeichnet Humboldt als den bedeutendsten Wissenschaftler, den er je getroffen habe. 

Noch heute ist Humboldt in Südamerika so bekannt wie die Pelés und Ronaldos, hunderte von Plätzen sind nach ihm benannt. Er gilt als wahrer Entdecker und Befreier Lateinamerikas - oftmals noch vor Simón Bolívar. 

Bei seiner Ankunft in Frankreich 1804 wird er bejubelt wie heutzutage ein Rockstar, mehrfach ist er bereits für Tod erklärt worden. Sein Wesen wird als "einnehmend" beschrieben, selbst in einem überfüllten Raum kann man ihn nicht übersehen. Er besitzt eine hohe Stirn, blaue Augen, ein offenes, klar geschnittenes Gesicht. Und stets ist ein gewisser Spott in seinem Antlitz zu sehen. Aber den Stimmen aus Berlin, die ihn nach Hause rufen, folgt er nicht. Geht in die Welthauptstadt Paris, wo in dieser Zeit das Zentrum der Wissenschaften liegt. Er kann mit den besten Köpfen der damaligen Zeit zusammenarbeiten. Viele nehmen ihm sein Fernbleiben während der Befreiungskriege übel, aber dort kann er in Ruhe die Ergebnisse seiner Amerikareise auswerten. Dies wird sein gesamtes Vermögen aufbrauchen. Als Humboldt 1827 auf den Ruf des Königs nach Berlin zurückkehrt, hat sich seine Heimat verändert. Nach dem Sieg über Napoléon hat sich das geistige Klima verengt zu einem spießbürgerlichen Spitzelstaat. Lange hält er es dort nicht aus: Auf Einladung des Zaren bereist er Russland, dieser will sich den Forschergeist Humboldts zu Nutzen machen zur Erforschung seiner Territorien; Humboldt spürt dabei prompt eine Diamantenmine auf.

Nach Berlin zurückgekehrt macht er sich in seinen letzten Lebensjahren daran, das gesamte Wissen der Welt in einem Werk zusammenzutragen. Dies nennt er schlicht "Kosmos". Als er 1859 im Alter von 90 Jahren stirbt, geht mit ihm der wohl letzte Universalgelehrte. 

"Das Große und das Gute zu erfüllen", das hat er sich in seiner Jugend als Maxime für sein Leben gesetzt. Dem ist er wahrlich sehr nahe gekommen. 

Empfohlene Zitierweise

Wallner, Mike: Alexander von Humboldt. aventinus varia Nr. 5 (Winter 2005/06), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7716/

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Erstellt: 21.05.2010

Zuletzt geändert: 24.05.2010

ISSN 2194-1971

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