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aventinus recensio Nr. 8 (Winter 2007) 

 

Nicolas Krocker 

Ward-Perkins, Bryan, Der Untergang des Römischen Reiches und das Ende der Zivilisation, Aus dem Englischen von Nina Valenzuela Montenegro, Konrad Theiss Verlag Stuttgart 2007, 240 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 978-3-8062-2083-4 

 

Der Fall Roms im 5. Jahrhundert und die Frage nach seinen Gründen üben seit Edward Gibbon eine Faszination auf Generationen von Gelehrten aus. „…[V]ielleicht das interessanteste und wichtigste Problem der Weltgeschichte“ [1] ist Thema der vom Oxforder Historiker Bryan Ward-Perkins vorgelegten Studie „Der Untergang des Römischen Reiches und das Ende der Zivilisation“.

Wie schon im Titel erkennbar, widerspricht der Autor den Peter Brown folgenden Spätantikeforschern, die unter Betonung der Kontinuitätslinien zwischen Spätantike und Frühmittelalter von einer Epoche der Transformation sowie friedlicher Integration und Assimilation ausgehen.  

Konträr dazu sieht Ward-Perkins den Niedergang Roms als außerordentlichen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Einschnitt an mit der Folge, dass eine hochentwickelte römisch-materielle Kultur verschwand.  

Im ersten Teil werden der Untergang des Weströmischen Reiches und die entsprechenden Gründe für diese Entwicklung in pointierter und knapper Art aufgezeigt. Eine Vielzahl an literarischen Überlieferungen dient als Quellengrundlage. Zu Beginn schildert Ward-Perkins drastisch die Gewalt der Völkerwanderungszeit: Die von den Vandalen vergewaltigten Nonnen stützen nicht gerade die Ansichten der neueren Forschung hinsichtlich der friedlichen Integration der Germanen.  

Anhand einer Vielzahl von Quellen werden dem Leser auf eindrückliche Weise die Gewaltexzesse der germanischen Völkerschaften vor Augen geführt, ohne die antiken Überlieferungen einer differenzierten Quellenkritik zu unterwerfen. Der Autor weist auf das Wechselspiel zwischen dem brutalen Verhalten der Germanen und dem der Römer gegenüber Barbaren in früherer Zeit hin. Darauf folgt die Darstellung der Reaktionen verschiedener Zeitgenossen auf die Katastrophen im 5. Jahrhundert. An diesen zeige sich deren defätistische Grundhaltung, die in der ungewöhnlich geringen Resonanz auf die Absetzung des letzten römischen Kaisers im Jahr 476 kulminierte.  

Als entscheidendes Faktum für den Niedergang des Weströmischen Reiches werden die Barbareninvasionen angeführt. Nach kurzer Schilderung der militärischen Situation Roms und des Verlustes seiner Superiorität im 4. Jahrhundert wird die Frage nach der Ausgangsbasis des Reiches vor den Angriffen von außen behandelt. Zwar könne man die Wirtschaftskraft und die damit verbundene militärische Leistungsfähigkeit des Weströmischen Reiches nicht in seiner Gesamtheit eruieren, jedoch ist von einem intakten Reich am Ende des 4. Jahrhunderts auszugehen.

Entscheidend für den Untergang sei die „Problem-Spirale“ (S. 51) des 5. Jahrhunderts. Die Angriffe der Alanen, Goten, Sueben und Vandalen auf das Reich hätten die Steuerbasis Westroms langfristig zu einem Zeitpunkt zerstört, an dem finanzielle Mittel für militärische Aktionen äußerst wichtig gewesen wären. Usurpationen und soziale Unruhen innerhalb des Reiches, hervorgerufen durch die Schwäche der kaiserlichen Regierung, hätten diesen negativen Trend verstärkt. Als Gründe für das Weiterbestehen Ostroms führt Ward-Perkins die geographische Lage Konstantinopels mit seiner Meerenge, das Fehlen von Bürgerkriegen und die Ruhe an der persischen Grenze an. Im Anschluss wird die Koexistenz und Zusammenarbeit zwischen Germanen und Römern behandelt. Es fand schließlich ein Prozess der gegenseitigen Anpassung statt: Die römischen Untertanen richteten sich nach der politischen Identität ihrer germanischen Herren aus und diese an die höher entwickelte römische Kultur.       

Der zweite Hauptteil beschäftigt sich mit der römischen Wirtschaft und deren Fortbestehen in den germanischen Nachfolgestaaten. Anhand von archäologischen Untersuchungen zur Keramikproduktion wird die römische Gesellschaft dadurch charakterisiert, dass sie qualitativ hochstehende Güter in gigantischem Ausmaß herstellen und über weite Strecken transportieren konnte. Staat und kommerzielle Unternehmen bildeten in römischer Zeit ein komplexes System an Netzwerken betreffend Produktion und Distribution. Im nachrömischen Westen ist ein „Ende der Komplexität“ (S. 113) zu konstatieren, wahrzunehmen an dem Ausfall von Märkten für einfachere und mittlere Produkte. Jedoch konnte sich ein gewisses Maß an Baufertigkeit im Westen halten.  

Nicht nur die Keramikproduktion, sondern auch der Umlauf an Kupfermünzen, der während des 5. und 6. Jahrhunderts immer seltener und während des 7. Jahrhunderts minimal war, zeigt einen deutlichen Niedergang des westlichen Wirtschaftssystems. Zwar variierte dessen Zeitpunkt zwischen den einzelnen Provinzen, aber der definitive Untergang der antiken Wirtschaft im Westen wurde durch zwei Entwicklungen verursacht: Infolge der Völkerwanderungen des 5. Jahrhunderts verschwand der römische Staat in seiner Funktion als wirtschaftlicher Impulsgeber und Garant der öffentlichen Sicherheit. Weitere Gründe, wie Pest oder Naturkatastrophen, spielen aus Sicht des Autors eine untergeordnete Rolle beim wirtschaftlichen Niedergang.  

Trotz schwieriger Quellenlage ist von einem Bevölkerungsrückgang im Westen zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert auszugehen. Dieser negative Trend wird durch die abnehmende Schriftlichkeit gestützt.  

Bei Berücksichtigung dieser Entwicklungslinien, kann vom Ende einer Zivilisation  

gesprochen werden. Dabei wird der Begriff Zivilisation jenseits von weltanschaulichen Konnotationen pragmatisch als Synonym für „komplexe Gesellschaften und was sie hervorbringen“ (S. 175) verwendet.  

Im Schlusskapitel setzt sich Ward-Perkins noch einmal kritisch mit der aktuellen Spätantike-Forschung auseinander. Eine kurze Erläuterung zur Keramik als Leitindikator wirtschaftlicher Prozesse sowie eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse runden das Buch ab. Zahlreiche Karten, Abbildungen und Graphiken stützen die Argumentationslinie des Buches. 

Hunderte von Erklärungsmustern zum Fall Roms im 5. Jahrhundert zeigen die Komplexität und das Multifaktorelle des Geschehens auf. [2] Ward-Perkins sieht hingegen etwas zu linear den entscheidenden Grund für das Ende des Römischen Reiches in den Barbareninvasionen. Unter starker Betonung der Diskontinuitäten schildert er auf überzeugende Weise den Niedergang der materiellen Kultur im römischen Westen des 5. und 6. Jahrhunderts. Hierbei werden die verschiedenen Entwicklungslinien zwischen den einzelnen Provinzen eindrücklich herausgearbeitet.   

Ward-Perkins beschränkt sich in seinem über weite Strecken flüssig geschriebenen Buch nicht auf die Deutung der letzten Phase der Spätantike, sondern weist dezidiert auf die Vor- und Nachteile einer im Vergleich zur heutigen Zeit geringeren, aber in Ansätzen bereits globalisierten Welt hin, indem er zu folgendem Schluss gelangt: „Da jedoch die antike Wirtschaft tatsächlich ein kompliziertes und ineinander verzahntes System war, machte gerade ihre Komplexität sie zerbrechlich und weniger anpassungsfähig an Veränderungen.“ (S. 143) 

Anmerkungen

  • [1]

     Meyer, Eduard, Kleine Schriften zur Geschichtstheorie und zur wirtschaftlichen und politischen Geschichte des Altertums, Halle 1910, S. 160.

  • [2]

     Demandt, Alexander, Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt, München 1984, S. 695.

Empfohlene Zitierweise

Krocker, Nicolas: Rezension Bryan Ward-Perkins: Der Untergang des Römischen Reiches und das Ende der Zivilisation. aventinus recensio Nr. 8 (Winter 2007), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7683/

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Erstellt: 19.05.2010

Zuletzt geändert: 25.05.2010

ISSN 2194-2137

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