Neueste Geschichte

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aventinus bavarica Nr. 5 (Sommer 2006) 

 

Alexa Thun 

"Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!" 

König Ludwig III. und die Novemberrevolution in den Augen seiner Zeitgenossen 

Arbeiter und Soldaten! Seid euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewußt. Unerhöhrtes ist geschehen. Große und unübersehbare Arbeit steht uns bevor. Alles für das Volk, alles durch das Volk! Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zu Unehre gereicht. 

Seid einig, treu und pflichtbewußt! 

Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue! Es lebe die Deutsche Republik! [1]

Während Philipp Scheidemann am 9. November spät mittags in Berlin die Republik ausrief, war in München bereits am Morgen des Vortages in den Münchener Neuesten Nachrichten die Proklamation der Republik in Bayern abgedruckt worden: 

An die Bevölkerung Münchens! 

Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen, hat zu einer elementaren Bewegung der Münchner Arbeiter und Soldaten geführt. Ein provisorischer Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat hat sich in der Nacht zum 8. November im Landtag konstituiert. 

Bayern ist fortan ein Freistaat. 

[...] 

Es lebe die bayerische Republik! 

Es lebe der Frieden! 

Es lebe die schaffende Arbeit aller Werktätigen! [2]

Im Laufe des Tages wurde darüberhinaus eine Proklamation öffentlich angeschlagen, die erklärte: "Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Es lebe die Republik!" [3]

Ausgerechnet in Bayern war der erste Monarch gestürzt worden. In eben jenem Land, dessen Bürger bis heute das Andenken an "ihre" Wittelsbacher in unzähligen Büchern, Filmen oder Ausstellungen wahren und im Sommer zu Hunderten zu den ehemaligen königlichen Residenzen pilgern. Jenes Bayern, über das Gustav Noske rückblickend schrieb: "Wenn die Frage der Republik oder Monarchie im Gespräch theoretisch erörtert wurde, habe ich vor 1918 gesagt, wie man sich vorstelle, Bayern republikanisch machen zu wollen." [4] Im Gegensatz zu Wilhelm II. herrschte in Bayern ein beliebter, volksnaher Monarch, von dem August Bebel zehn Jahre vor der Revolution, als Wilhelm II. bereits Kaiser, Ludwig hingegen noch Prinz war, sagte: "Wenn wir eine Reichsverfassung hätten, nach der der Kaiser vom Volk gewählt würde und in der die Vorschrift enthalten wäre, der Kaiser muß aus einem der regierenden Fürstenhäuser gewählt werden - ich gebe Ihnen mein Wort, Prinz Ludwig hätte die größte Aussicht, Deutscher Kaiser zu werden." [5]

Wie wurde nun dieser Monarch von seinen Zeitgenossen in Zusammenhang mit der Revolution gesehen? 

Arthur Achleitner, der selbst angibt, die Ereignisse von Ludwig persönlich berichtet bekommen zu haben, spricht der Regierung eine gewisse Schuld zu, da sie Ludwig nicht gewarnt hatte. Für ihn ist die Revolution offenbar nicht nachvollziehbar, er spricht vom "?wahnsinnig gewordene[n] München", die Revolutionäre sind für ihn "Narren und Raubgesellen", während der König ein "schlichter Held" und "Martyrerkönig" sei. Für Achleitner hatte eine Gruppe toll Gewordener den "alten armen König" gestürzt, und die Regierung dies zugelassen, da sie diesem nicht von den Entwicklungen im Inneren berichtet hatte. [6]

Auch Josef Sailer beschuldigt die Regierung, den König nicht hinreichend unterrichtet zu haben, obgleich er darin nicht den Grund für den Sturz der Monarchie sieht. Als Grund hierfür gibt Sailer einen Unmut des Volkes an, der vor allem mit dessen Friedenssehnsucht zusammengehangen habe. So kommt er zu dem Schluss: "Zwar steht außer allem Zweifel, daß der das veraltete System des Gottesgnadentums in einem Anprall hinwegfegende Revolutionssturm durch nichts aufzuhalten gewesen wäre, jedenfalls hätte man aber dem letzten Wittelsbacher einen anderen Abgang verschaffen können. Das wäre Pflicht seiner obersten Diener gewesen." [7]

Auch der Bayerische Kurier setzte sich mit dem Vorwurf auseinander, die Regierung habe es dem Monarchen nicht ermöglicht, auf den Unmut des Volkes rechtzeitig zu reagieren, indem sie Warnungen nicht weitergegeben habe. Dennoch druckt er auch Stellungnahmen der ehemaligen Minister ab, die diese Vorwürfe entschieden zurückweisen. [8]

Eine weitere Person stützt ebenfalls die These der zu Unrecht schweigenden Regierung: Der rechtsradikale Politiker und spätere NS-Reichsstatthalter Bayerns, Franz Ritter von Epp, ein entschiedener Gegner der revolutionären Bewegung in München. Die Hauptschuld am glatten Verlauf der Revolution gibt er allerdings der Münchener Garnison, die nicht für den Erhalt der Monarchie gekämpft habe. Seine Ausführungen zu Ludwig III. endet er mit der Bewertung: "König Ludwig schließt die Reihe der Wittelsbacher würdig und ehrenvoll ab; stets war er gewillt, wirklich volkstümlich zu regieren." [9]

Ob König Ludwig die Ereignisse tatsächlich in andere Bahnen hätte lenken können, wenn er über die Stimmung informiert worden wäre oder inwiefern er nicht ohnehin von den Entwicklungen etwas hätte mitbekommen können, wenn er die Augen dafür offen gehabt hätte, muss offen bleiben. Letztlich jedenfalls hatte er seinen Thron als erster Monarch im Deutschen Reich verloren. 

Dennoch unterzeichnete er keine Abdankung. Der von Ritter von Epp so bezeichnete Thronverzicht, den auch die Münchener Neuesten Nachrichten als solchen betitelten, war lediglich eine Entbindung der Beamten, Offiziere und Soldaten vom Treueeid: 

Zeit meines Lebens habe ich mit dem Volk und für das Volk gearbeitet. Die Sorge für das Wohl meines geliebten Bayern war stets mein höchstes Streben. Nachdem ich infolge der Ereignisse der letzten Tage nicht mehr in der Lage bin, die Regierung weiterzuführen, stelle ich allen Beamten, Offizieren und Soldaten die Weiterarbeit unter den gegebenen Verhältnissen frei und entbinde sie des mir geleisteten Treue-Eides. [10]

Bereits dieser Erklärung vom 13. November ist ein gewisses Unverständnis zu entnehmen, das auch Sailer schildert, wenn er einen Ausspruch des Königs wiedergibt: 

Ich weiß gar nicht, was die Leute gegen mich haben. Ich habe in meinem Leben Niemanden mit Absicht etwas Böses getan. Ich war auch kein Preußenknecht. Ich habe mein Land nicht verraten und verkauft an Preußen!  

Unser Volk hat die meisten Freiheiten gehabt, mehr als überall. [11]

Dieses Unverständnis des gestürzten Königs passt gut in das heutige Forschungsbild [12]: Gleich, ob die Revolution als Folge eines Autoritätsproblems, eines Problems des Systems oder als Folge der Friedenssehnsucht des Volkes gesehen wird, die Person oder Regentschaft Ludwigs III. war nicht der Grund für die Revolution 1918, die in der Folgezeit das ganze Deutsche Reich erfasste.

Doch sind die heute angenommenen Ursachen für den Umsturz  wohl erst aus einiger Distanz heraus zu sehen. Für die Zeitgenossen Ludwigs III. war dies schwer zu erkennen. Aber im Zusammenhang mit seiner Rolle in der Revolution sahen sie, dass der Monarch als Person nicht den Grund für den Untergang der Monarchie dargestellt hatte, denn es war schließlich wohl keine Phrase, wenn Ludwig seine Herrschaft mit den Worten beendete:

Zeit meines Lebens habe ich mit dem Volk und für das Volk gearbeitet. Die Sorge für das Wohl meines geliebten Bayern war stets mein höchstes Streben. [13]

Quellenverzeichnis 

Achleitner, Arthur: Von der Umsturznacht bis zur Totenbahre. Die letzte Leidenszeit König Ludwigs III. München 1922. 

Aufruf der Revolutionsregierung am 8. November 1918, veröffentlicht in den Münchener Neuesten Nachrichten Nr. 564 / 8.11.1918, Morgenausgabe. Abgedruckt in: Appelle einer Revolution. Hrsg. vom Süddeutschen Verlag München. München 1968, Anlage 6. 

Bayerischer Kurier (Hg.): König Ludwig III. und die Revolution. München 1921. 

Bebel, August. Zitiert nach: Alfons Beckenbauer: Ludwig III. von Bayern 1845-1921. Ein König auf der Suche nach seinem Volk. Regensburg 1987, S. 96f. 

Epp, Franz Ritter von: Ursachen, Verlauf und Lehren der Münchener Revolutionen. November 1918 bis Mai 1919. München 1919. 

Noske, Gustav: Aufstieg und Niedergang der deutschen Sozialdemokratie. Zürich 1947. 

Proklamation der Revolutionsregierung am 8. November 1918. Abgedruckt in: Franz August Schmitt: Die Neue Zeit in Bayern. München 1919, S. 10. 

Sailer, Josef Benno: Des Bayernkönigs Revolutionstage. Ein Beitrag zur Geschichte des Umsturzes in Bayern. München 1919. 

Scheidemann, Philipp: Ausrufung der Republik am 9. November 1918. Abgedruckt in: Udo Sautter: Deutsche Geschichte seit 1815: Daten, Fakten, Dokumente. Band 3: Historische Quellen. Tübingen / Basel 2004, S. 116. 

"Thronverzicht" König Ludwigs III., veröffentlicht in den Münchener Neuesten Nachrichten vom 14. November. Abgedruckt in: Appelle einer Revolution. Hrsg. vom Süddeutschen Verlag München. München 1968, Anlage 7. 

Literaturverzeichnis 

Beckenbauer, Alfons: Ludwig III. von Bayern 1845-1921. Ein König auf der Suche nach seinem Volk. Regensburg 1987. 

Bosl, Karl (Hg.): Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Vorraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen. München 1969. 

Fischer, Ernst / Kratzer, Hans (Hgg.): Unter der Krone. Das Königreich Bayern und sein Erbe. München 2006.

Grevelhörster, Ludger: Kleine Geschichte der Weimarer Republik 1918-1933. Ein problemgeschichtlicher Überblick. Münster 2000. 

Körner, Hans-Michael: Geschichte des Königreichs Bayern. München 2006. 

Roos, Walter: Die Rote Armee der Bayerischen Räterepublik in München 1919. Heidelberg 1998. 

Anmerkungen

  • [1]

     Philipp Scheidemanns Ausrufung der Republik am 9. November 1918. Abgedruckt in: Udo Sautter: Deutsche Geschichte seit 1815: Daten, Fakten, Dokumente. Band 3: Historische Quellen. Tübingen / Basel 2004, S. 116. Zum Verlauf der Revolution in Berlin vgl. zum Beispiel Ludger Grevelhörster: Kleine Geschichte der Weimarer Republik 1918-1933. Ein problemgeschichtlicher Überblick. Münster 2000, S. 9-34.

  • [2]

     Aufruf der Revolutionsregierung am 8. November 1918, veröffentlicht in den Münchener Neuesten Nachrichten Nr. 564 / 8.11.1918, Morgenausgabe. Abgedruckt in: Appelle einer Revolution. Hrsg. vom Süddeutschen Verlag München. München 1968, Anlage 6. Zum Verlauf der Revolution in Bayern vgl. zum Beispiel Walter Roos: Die Rote Armee der Bayerischen Räterepublik in München 1919. Heidelberg 1998, S. 30-37.

  • [3]

     Proklamation der Revolutionsregierung am 8. November 1918. Abgedruckt in: Franz August Schmitt: Die Neue Zeit in Bayern. München 1919, S. 10.

  • [4]

     Gustav Noske: Aufstieg und Niedergang der deutschen Sozialdemokratie. Zürich 1947, S. 95.

  • [5]

     August Bebel 1906. Zitiert nach: Alfons Beckenbauer: Ludwig III. von Bayern 1845-1921. Ein König auf der Suche nach seinem Volk. Regensburg 1987, S. 96f.

  • [6]

     Arthur Achleitner: Von der Umsturznacht bis zur Totenbahre. Die letzte Leidenszeit König Ludwigs III. München 1922, Zitate S. 17; 33; 9f; 34; 33.

  • [7]

     Josef Benno Sailer: Des Bayernkönigs Revolutionstage. Ein Beitrag zur Geschichte des Umsturzes in Bayern. München 1919, Zitat S. 23.

  • [8]

     König Ludwig III. und die Revolution. Hrsg. vom Bayerischen Kurier. München 1921.

  • [9]

     Franz Ritter von Epp: Ursachen, Verlauf und Lehren der Münchener Revolutionen. November 1918 bis Mai 1919. München 1919, Zitat S. 15.

  • [10]

     "Thronverzicht" König Ludwigs III., veröffentlicht in den Münchener Neuesten Nachrichten vom 14. November. Abgedruckt in: Appelle einer Revolution, Anlage 7.

  • [11]

     Sailer: Revolutionstage, S. 21.

  • [12]

     Zur heutigen Forschungslage vgl. zum Beispiel die beiden etwas älteren Werke: Karl Bosl (Hg.): Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Vorraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen. München 1969 und Beckenbauer: Ludwig III. Zur neuesten Forschung vgl. vor allem: Hans-Michael Körner: Geschichte des Königreichs Bayern. München 2006, S. 185-200 und Ernst Fischer / Hans Kratzer (Hg.): Unter der Krone. Das Königreich Bayern und sein Erbe. München 2006, S. 136-151.

  • [13]

     "Thronverzicht" Ludwigs (vgl. Anm. 10).

Empfohlene Zitierweise

Thun, Alexa: "Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!" König Ludwig III. und die Novemberrevolution in den Augen seiner Zeitgenossen. aventinus bavarica Nr. 5 (Sommer 2006), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7733/

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Erstellt: 23.05.2010

Zuletzt geändert: 28.05.2010

ISSN 2194-198X