Die Staufer und der Weg ins Spätmittelalter (1138-1250)

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aventinus mediaevalia Nr. 3 (Winter 2006) 

 

Schmid, Matthias 

Feindbild und Geschichtsbild. 

Zur Darstellung des Sultans Saladin in der lateinischen Historiographie des Hochmittelalters 

1. Einleitung 

Das Auftreten eines Feindes gegenüber einer Gemeinschaft stellt einen Angriff von außen auf die bisherige Ordnung dar, auf das Koordinatensystem dessen, was als gut anerkannt wird, und in das der Feind in der Position des Bösen integriert werden muss. Das Feindbild tritt nun in eine Wechselwirkung mit dem Weltbild und vor allem dem Geschichtsbild, der Vorstellung vom zeitlichen Ablauf der Dinge. Besonders interessant wird die Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Feind- und Geschichtsbild, wenn ein Geschichtsbild, welches ausgehend von einem gesetzmäßigen bzw. durch einen personalen Gott gelenkten Ablauf der Geschehnisse teleologisch, d.h. auf das Gute hin zielgerichtet, gedeutet wird, mit der Realitätserfahrung des Siegs des Feindes konfrontiert wird. 

Wie wird das Feindbild konstruiert, um es mit dem vorherrschenden Geschichtsbild kompatibel zu machen, und welche Funktionen übernimmt es? Macht ein Feindbild Modifikationen des Geschichtsbildes notwendig? 

Diesen Leitfragen lässt sich am besten dort nachgehen, wo Geschichte in eine schriftliche Darstellungsform gelangt: in der Historiographie. Als Untersuchungsgegenstand eignet sich die Rezeption des Sultans Saladin (1138–1193) durch die christliche Welt, weil hier ein religiös geprägtes Geschichtsbild – manifest im Ausruf „Gott will es!“, mit dem die Kreuzzugsbewegung Ende des 11. Jh.s ihren Anfang nahm – durch Erfolge des muslimischen Heeres Saladins, u. a. die Rückeroberung Jerusalems 1187, an einen kritischen Punkt gelangte. Betrachtet werden soll, wie die lateinische Geschichtsschreibung des 12./13. Jh.s das personalisierte Feindbild Saladin sowohl in seinem Machtaufstieg innerhalb der muslimischen Welt als auch in seinen Kämpfen gegen die Christen gestaltete. [1]

Anhand von drei ausgewählten hochmittelalterlichen Quellen, der Chronik des Wilhelm von Tyrus [2], dem Itinerarium peregrinorum et gesta regis Ricardi (kurz: Itinerarium) [3] sowie der Chronik des Salimbene de Adam [4], soll durch Analyse auf sprachlicher gleichwie inhaltlicher Ebene der Zusammenhang zwischen der Darstellung des muslimischen Herrschers Saladin und dem christlich-theologisch geprägten Geschichtsbild des Hochmittelalters skizziert werden. Gewiss können diese drei Primärtexte als Stichprobe nur begrenzt Repräsentativität beanspruchen, dennoch begründet sich die Quellenwahl über die durch sie abgedeckte Breite: sie spannt sich lokal vom Königreich Jerusalem (Wilhelm) über Italien (Salimbene) bis nach England (Itinerarium), zeitlich von der direkten Zeitzeugenschaft (bei Wilhelm, 1130–1186, und möglicherweise auch beim Verfasser des Itinerarium) bis zur Betrachtung der Ereignisse aus der temporal distanzierten Retrospektive (bei Salimbene, 1221–1288/89). Alle drei Autoren besitzen – wie für damalige Geschichtsschreiber üblich – einen religiösen Hintergrund; zumindest für Wilhelm von Tyrus ist ein weltlich-politisches Engagement [5] verbürgt.

Obwohl eine Gliederung nach den jeweiligen Autoren womöglich deutlicher Inkonsistenzen innerhalb einer der Chroniken herausstellen könnte, soll die Struktur dieser Arbeit so aussehen, dass nach einem groben Abriss über das mittelalterliche Geschichtsbild die Untersuchungsergebnisse der Quellentexte nach den verschiedenen Erklärungsmustern im Verhältnis Feindbild-Geschichtsbild geordnet präsentiert werden. 

2. Zum mittelalterlichen Geschichtsbild 

Dem Menschen des 21. Jahrhunderts erschweren vor allem zwei elementare Eigenschaften im Denken des Mittelalters den Zugang zum damaligen Geschichtsbild: Erstens trifft sich die heutige Betonung der einzelnen Person gegenüber dem Ganzen nicht mit dem im Mittelalter nur sehr schwach ausgeprägten Bewusstsein als Individuum. [6] Das Selbstverständnis als Teil eines einheitlichen wie ein Organismus gegliederten corpus Christi hatte für die Sichtweise historischer Abläufe zur Folge, dass diese für alle Christen Universalität beanspruchten und nach Objektivität strebten. [7] Metaphorisch gesprochen: Statt wie in der Moderne verschiedene subjektive Geschichts-Bilder nebeneinander zu stellen, sollte das mittelalterliche Geschichtsbild ein für alle gültiges großes Gemälde sein. Und in diesem Gemälde konnte man auch nur Geschichte darstellen, indem man sich innerhalb des vorgegebenen (theologischen) Rahmens bewegte und sich eines bestimmten Spektrums an Farben bediente. Anders gesagt: Historiographie musste (eben auch beim Herausbilden eines Feindbildes) stets rekurrieren auf ein kollektiv anerkanntes Denksystem und sich eines gemeinsamen Codes bedienen – und dieser Code war die göttliche Offenbarung (Bibel).

Die zweite Divergenz zwischen modernem und mittelalterlichem Geschichtsdenken ist die eben schon angeklungene Dominanz religiöser Elemente. Während es in der neuzeitlichen, zunehmend säkularen Geschichtsauffassung um das Aufzeigen kausaler bzw. hermeneutisch zu verstehender Zusammenhänge geht, liegt im Mittelalter ein Verständnis von Geschichte als “Hilfswissenschaft der Theologie” [8] und als gelenkte Universalgeschichte mit A und Ω in Richtung auf das Reich Gottes hin vor. [9] Geschichte war nur insoweit von Bedeutung, als sie mit der Heilsgeschichte, sprich: der Entwicklung durch göttliche Offenbarung bis hin zur endzeitlichen Erlösung, in Verbindung stand. Für die Geschichtsschreibung bedeutet dieses christliche Geschichtsbild, dass „der Annalist und Chronist […] in der Abfolge der Ereignisse nicht das freie Spiel menschlicher Willensakte und Ziele, sondern Kundgebungen des göttlichen Willens“ [10] sah.

Der Universalitätsanspruch des Christentums und die Deutung der Geschichte als mit dem Geistig-Göttlichen in Verbindung stehend sind die beiden Hauptbestandteile des Geschichtsbilds im lateinischen Westen und Osten. Gleichwohl muss zugegeben werden, dass es sich hierbei um einen Idealtypus handelt, welcher sich zum Spätmittelalter hin zunehmend abschwächte, [11] was auch in der späteren Analyse der drei historiographischen Werke des Hochmittelalters bereits in Ansätzen zum Vorschein kommen wird.

3. Das Feindbild Saladin im hochmittelalterlichen Geschichtsbild 

3.1 Fortuna: Abtrennung einer von Gott unbeeinflussten irdischen Sphäre 

Das Motiv der Fortuna, der (antiken) Göttin des wechselhaften Schicksals [12], galt auch seit dem frühen Mittelalter in der christlichen Lehre als Bestimmungskraft des individuellen Loses der Menschen die äußeren Güter (Geld, Macht, Gesundheit) betreffend. Mit der Fortuna als Versinnbildlichung der Eitelkeit irdischer Dinge in einem rein zufälligen Werden-und-Vergehens-Zyklus war es allerdings auch möglich, die weltliche Geschichte als eine Sphäre abgetrennt von direkter göttlicher Steuerung zu sehen. Besonders, wenn es darum geht den Machtaufstieg Saladins innerhalb der muslimischen Welt zu deuten, aber auch um eine Erklärung für die großen finanziellen und militärischen Ressourcen des kurdischen Herrschers zu finden, bedient sich sowohl die Chronik des Wilhelm von Tyrus [13] als auch das Itinerarium [14] des fortuna-Motivs. Die Funktion dieser Einordnung des Feindes liegt neben der bloßen Erklärung der gegnerischen Erfolge gegen das christliche Kreuzfahrerheer in der Delegitimierung des Sultans Saladin. Dadurch, dass der aus niedriger Herkunft stammende Saladin seine Karriere in der muslimischen Welt nicht nur dem Zufall, sondern sogar (zumindest laut Wilhelm von Tyrus15) Morden an seinem Herren und dessen Nachkommen zu verdanken habe, soll auch eine Brandmarkung des zum Großwesir über Syrien und Ägypten Aufgestiegenen als Tyrannus16 gerechtfertigt erscheinen lassen. Im für das Mittelalter bedeutsamen augustinischen Denken galt der tyrannische Usurpator als jemand, der sich der Ursünde der superbia [15] schuldig mache und somit  aus eigener Überheblichkeit gegen die göttliche Ordnung aufbegehre. Dieser Ausgestaltung des Feindbildes in Verbindung mit einem Geschichtsbild, in welchem die irdischen Fragen von Macht u. Ä. der fortuna überlassen sind, mag die Absicht zugrunde liegen, das christliche Heer als Rächer für Saladins Sünde der Tyrannei und superbia (anstelle des nicht in irdische Angelegenheiten eingreifenden Gottes) zu stilisieren.

3.2 Providentia: Die Unergründlichkeit von Gottes Willen 

Während die fortuna-Konzeption die weltliche Geschichte dem (hierarchisch zwar Gott untergeordneten, aber im Bereich der materiellen Dinge relativ eigenständigen) wechselhaften Schicksal zuordnet, stellt in den folgenden Konzeptionen der personale Gott eine Größe dar, die historische Abläufe lenkt und die in diese interveniert. Den Komplementärbegriff zur launischen fortuna bildet die providentia Dei (Vorsehung Gottes). Die providentia betont stärker, dass Geschehnisse, selbst wenn ihr Sinn dem Menschen verborgen bleibt, [16] Ausdruck von Gottes Willen seien und einem Plan folgen, dessen volle Erkenntnis den menschlichen Wesen verschlossen sei. Diese Variante geschichtlich-theologischen Denkens kommt in Wilhelms Chronik zum Vorschein. Nach einem Sieg des Sarazenenführers Saladin gegen Balduin IV. von Jerusalem fällt folgender Ausspruch: „Denn der Herr, der im vergangenen Jahr seine Gläubigen in so unermesslichem Maße beschenkt hatte, ließ sie nun in ebenso große Schande und Verwirrung kommen. Wer kennt den Sinn des Herrn, oder wer war sein Ratgeber?“ [17]

3.3 Die Abkehr Gottes 

Neben der mystischen Zuschreibung der Verantwortlichkeit für historische Verläufe an Gott, ohne jedoch wirklich ein für die Menschen erklärbares System für einen Zusammenhang von Tun und Ergehen zugrunde legen zu können, gibt es durchaus noch andere Möglichkeiten: Gott tritt dann quasi als Steuerungseinheit auf, die auf das Verhalten der Menschen negativ oder positiv reagiert. Die Stärke des Widersachers wird als Folge einer Entfremdung zwischen Gott und den Christen ausgelegt; die Sünden der Christen hätten eine vorübergehende Abkehr Gottes ausgelöst. [18]

3.4 „virga furoris sui“: Der strafende Gott 

Der Punkt 3.3 setzt eher bei einer passiven Zurückhaltung, einer Enthaltung der Unterstützung durch Gott, an. Dagegen kommt es im Itinerarium zu einer aktiven intervenierenden Rolle Gottes und bedient sich zugleich einer interessanten Kombination des strafend in die Geschichte eingreifenden Gottes mit der Deutung des übermächtigen Feindes. Saladin wird als Instrument Gottes, – in Anlehnung an ein Bibelwort (Jesaja 10, 5-11) – als „virgam furoris sui“ [19](seines Zornes Rute) bezeichnet, welches Gott zum Einsatz bringt, um das christliche Volk für seine Sünden zu strafen. Hier bringt das Itinerarium das christliche Geschichtsbild und das Feindbild Saladin in Einklang, indem der muslimische Herrscher zum ausführenden Organ von Gottes Willen wird.

.An einer späteren Stelle des Itinerarium kommt es zu einer interessanten Verknüpfung der Idee von Saladin als Rute Gottes, der niederen Abstammung des muslimischen Herrschers und – zumindest in der Lesart von Margaret Jubb [20] – der Vorstellung vom sich drehenden Rad der Fortuna: Ein Hofnarr trägt “Deo […] inspirante“ Saladin ein (implizites) Gleichnis vor, wonach Gott zur Bestrafung der frevlerischen Christen den muslimischen Fürsten erwählt habe und Gott wie ein Vater aus dem Dreck einen Stock zieht und diesen nach verrichteter Züchtigung wieder zurück in den Misthaufen stecke. [21] Dies kann so interpretiert werden, dass Saladin aus niederer Herkunft erhöht worden ist und, wenn er seinen Zweck getan hat, wieder in seine Ausgangslage zurückgedrängt wird.

3.5 Saladin als Negativfolie für gottgesandte weltliche Erlösungsgestalten 

Das von einem englischen Autor verfasste Itinerarium gilt in der Quellenkritik gemeinhin als Glorifizierung der Taten von Richard Löwenherz. Dieser Aspekt kann auch für die Themenfrage der Relation Feindbild – Geschichtsbild verwertet werden. Das Feindbild hat generell nicht nur die Funktion der Vergewisserung der eigenen (religiösen) Identität, sondern kann als Negativfolie zur Hervorhebung bestimmter Herrscherfiguren zum Einsatz gebracht werden. Wenn man sich vor Augen hält, wie die Ankunft Richards geschildert wird [22], so wird klar, dass die Präsentation einer von Gott geschickten Erlöserfigur eine Folge des von Erlösungssehnsucht geprägten Geschichtsbilds ist und Feindbild und Heroengestalt als strukturelle Rollen im Denken des Mittelalters einander bedingen. Schließlich erhält Saladin sogar noch affirmative Funktion [23], um mit einem positiven Urteil über den englischen König aus dem Mund des Gegners gesprochen diesem zusätzliches Gewicht zu verleihen.

Auf gleiche Weise werden in den Annalen Salimbene de Adams bestimmte Personen (bei Salimbene: die Angehörigen des Hauses Montferrat) als quasi-messianische Erscheinung in Antithese zum Barbaren Saladin inszeniert. [24]

3.6 Die joachimitische Apokalyptik: Ein Programm des Dualismus Gut-Böse

Die vorhin schon angeklungene Erlösungssehnsucht, als Lösung der Spannung zwischen irdischem und himmlischem Reich, kommt in der sog. joachimitischen Apokalyptik zu einem Höhepunkt. Diese spirituale Ausrichtung geht zurück auf den kalabrischen Abt Joachim von Fiore (1138–1202/05), welcher in seiner Lehre die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen konkreter Zeitgeschichte und dem göttlichen Heilsplan sowie die Einordnung in ein geschlossenes System der konkreten Abfolge des Kampfes Gut gegen Böse betreibt. [25] Salimbene, selbst ein joachimitischer Geschichtsschreiber, zitiert einen Text des Joachim von Fiore. In Interpretation der sieben Köpfe des Drachen in der Johannes-Offenbarung (Apk 17, 9–14) als sieben Verfolgungen des Christentums heißt es dort: „Sexta [persecutio] presens est. Saladinus.“ [26] Weiter: „Septima sequitur. Tempus calamitas et miserie. Hic septimus rex est, qui proprie dicitur Antichristus“ [27]. Saladin wird hier als direkter Vorläufer des Antichristen praktisch als zeitgeschichtliche Komponente in ein zahlenmystisch durchrationalisiertes Programm (vor-)endzeitlicher Kämpfe von Gut gegen Böse eingeflochten.

Nach Wolter haben solche Antichrist-Konzeptionen vor dem Hintergrund des Geschichtsbildes diese Funktionen: Sie liefern eine Begründung für die Übermacht des Feindes bei zeitweiliger Unheilserfahrung. Zugleich würde aber auf lange Sicht gesehen die Ohnmacht des Feindes gegenüber Gott betont. Darüber hinaus hegten apokalyptische Deutungen die Hoffnung, die Wende vom Unheil zum Heil stehe unmittelbar bevor. [28]

3.7 Weltliche Kausalitäten und realpolitische Betrachtungen 

Das Gegenstück zur spiritualistischen Überhöhung des religiösen Elements ist in einer stärkeren pragmatischen Zuwendung zu einer eher säkularen Betrachtung der Geschichte zu finden, die auch den weltlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung jenseits des direkten Eingriffs eines personalen Gottes heranzieht. So setzt Wilhelm von Tyrus beispielsweise bei der Bestimmung der Gründe für die Übermacht der Feinde neben die „prima […] causa“ der vorübergehenden Abkehr Gottes zwei weltliche Gründe für das Scheitern gegen die muslimischen Feinde. [29] An einer weiteren Stelle wird die fast schon machiavellistische Überlegung angestellt, ob man aus taktischen Gründen nicht den minderjährigen Sohn Nûraddîns unterstützen sollte, um Saladin zu schwächen. [30] Somit wird der Sultan und Führer des Sarazenenheeres Saladin in dieser realistischen Sichtweise des Feindes (ohne Scheu, auch aus rein taktischen Gründen Koalitionen mit anderen muslimischen Herrschern einzugehen) zu einem Objekt in einem Spiel weltlicher Machtpolitik. [31]

4. Schluss

Wie sich hier in der Analyse verschiedener Figuren im Verhältnis Feindbild – Geschichtsbild bei drei ausgewählten Quellen gezeigt hat, kann das mittelalterliche Geschichtsbild nicht als einheitlich gedacht werden, vielmehr handelt es sich um einen gemeinsamen Fundus an teils auch widersprüchlichen religiösen und theologischen Chiffren. Ob bei der Darstellung historischer Ereignisse das fortuna-Motiv, das des unmittelbar in die irdische Sphäre eingreifenden personalen Gottes, das mittelbare Einwirken göttlichen Willens über adlige Erlösungsgestalten, das des sich bis zum erlösenden Endpunkt steigernden Kampfes Gut gegen Böse oder eine säkulare Erklärung im Vordergrund steht: Neben spezifischen Funktionen wie z.B. Delegitimierung oder politischer Pragmatik hat die Einordnung des Feindes in das Geschichtsbild die Aufgabe der Vergewisserung einer kollektiven Identität über einen zumindest oberflächlich übergreifenden gemeinsamen gedanklichen Kosmos der Weltdeutung. Das durchaus diffuse Geschichtsbild des Hochmittelalters wies zwei gegenläufige Tendenzen auf: Das explanative Monopol der christlichen Heilsgeschichte wurde bei den einen zugunsten der Erklärung durch säkulare, realpolitische Kausalitäten allmählich abgeschwächt, bei den anderen wurde es zur radikalen Apokalyptik übersteigert. 

Empfohlene Literatur 

HARTMANN, Johannes: Die Persönlichkeit des Sultans Saladin im Urteil der abendländischen Quellen (=Historische Studien, Bd. 239), Berlin 1933 

JUBB, Margaret: The Legend of Saladin in Western Literature and Historiography, Lewinston u.a. 2000 

MÖHRING, Hannes: Saladin. Der Sultan und seine Zeit: 1138–1193 (= Beck’sche Reihe, Bd. 2386), München 2005 

SPÖRL, Johannes: Wandel des Welt- und Geschichtsbildes im 12. Jahrhundert? Zur Kennzeichnung der hochmittelalterlichen Historiographie, in: Walther Lammes (Hrsg.): Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze und Arbeiten aus den Jahren 1933–1959 (= Wege der Forschung, Bd. 21), Darmstadt 1965, S. 278–297 

WIECZOREK, Alfred (Hrsg.): Saladin und die Kreuzfahrer [Begleitband zur Sonderausstellung “Saladin und die Kreuzfahrer” im Landesmuseum Halle (Saale), im Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg und in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim] (= Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen, Bd. 17; Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch Oldenburg, Bd. 37), Mainz 2005 

Anmerkungen

  • [1]

     Bewusst wird nicht das Hauptaugenmerk auf die Präsentation des orientalischen Herr-schers als „edler Heide“ gelegt, wie sie auch in Ansätzen schon in den zeitgenössischen west-lichen Quellen vorhanden war, aber erst in der Literatur ab dem 14. Jh. zur Entfaltung kommt. Vgl. hierzu kurz zusammengefasst Hannes Möhring: Saladin. Der Sultan und seine Zeit: 1138-1193 (= Beck’sche Reihe, Bd. 2386), München 2005, S. 109–123; breiter diskutiert bei Margaret Jubb: The Legend of Saladin in Western Literature and Historiography, Lewinston u.a. 2000, S. 19 ff. und Johannes Hartmann: Die Persönlichkeit des Sultans Saladin im Urteil der abendländischen Quellen (= Historische Studien, Bd. 239), Berlin 1933.

  • [2]

     Wilhelm von Tyrus (kurz: WvT): Chronique, ed. R.B.C. Huygens, Bd. 2 (= Corpus Christianorum/Continuatio Mediaeualis, Bd. 63 A), Turnholti 1986. Die Chronik des Wilhelm (1130–1186) (Titel: „Hist. rerum in partibus transmarinis gestarum“) entstand ab 1168 auf Wunsch des Königs Amalrich I. von Jerusalem; abgebrochen wurde die Historia mit dem 23. Buch 1183/84. Der Autor hatte zahlreiche Quellen verarbeitet, als Kanzler des Königreichs Jerusalem besaß er zudem Zugang zum königlichen Archiv. Zuletzt redigierte Wilhelm sein Werk im Jahr 1184. Vgl. Huygens‘ Einleitung in seiner Edition von Wilhelms Chronik, S. 1–96.

  • [3]

     Itinerarium peregrinorum et gesta regis Ricardi, ed. William Stubbs (= Chronicles and memorials of the reign of Richard I., Bd. 1; Rerum Britannicarum medii aevi scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages, Bd. 38,1), London 1864. Als Itinerarium peregrinorum werden gemeinhin zwei Quellen bezeichnet: einmal ein älteres, kürzeres Werk, welches die Vorgeschichte und den Verlauf des Dritten Kreuzzuges bis zum Tod des Erzbischofs Balduin von Canterbury Ende 1190 schildert. Die zweite, hier zugrunde liegende Quelle des Itinerarium beschreibt den Dritten Kreuzzug bis zum Ende. Sie übernimmt in ihrem ersten Buch das ursprüngliche Itinerarium mit nur gerin-gen Abänderungen und ergänzt und erweitert es auf Basis der Darstellungen von Ambroise. Als Autor des Werkes wird der Londoner Augustinerchorherr Richard, 1222–1250 fünfter Prior von Holy Trinity, der zwar Templer, aber kein Augenzeuge des Dritten Kreuzzugs war, angenommen. Vgl. Hannes Möhring: Itinerarium peregrinorum, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Stuttgart 1999, Sp. 775.

  • [4]

     Salimbene de Adam: Cronica, ed. Giueseppe Scalia, Bd. 1: a. 1168–1249, Bd. 2: a. 1250–1287 (= Corpus Christianorum/Continuatio Mediaeualis, Bd. 12/12 A), Turnholti 1998. Die Chronik des Salimbene von Parma behandelt die Jahre 1167–1287. Für die Jahre 1167–1210 dienten ihm vorwiegend die Chronik des Sicard von Cremona und die Annales Mediolanenses als Quellen. Für den Zeitraum von mind. 1186–1205 soll ihm eine unbekannte palästinisch-byzantinische Quelle zugrunde gelegen haben, die auf Verherrlichung des Hauses Montferrat abzielt. Erst ab September 1284 hat die Chronik tagebuchartigen Charakter. Vgl. Alfred Do-ve: Die Doppelchronik von Reggio und die Quellen Salimbenes, Leipzig 1873, bes. S. 3–8, 110–117.

  • [5]

     Wilhelm war von 1174 bis vermutlich 1183 Kanzler des Königreichs Jerusalem. Vgl. Rudolf Hiestand: Zum Leben und Laufbahn Wilhelms von Tyrus, Deutsches Archiv 34 (1978), S. 345-381, S. 356 f.

  • [6]

     Vgl. Walter Ullmann: Individuum und Gesellschaft im Mittelalter (= Kleine Vanden-hoeck-Reihe, Bd. 1370), Göttingen 1974, S. 35.

  • [7]

     Vgl. ebenda, S. 17, 36.

  • [8]

     Heinrich von Eicken: Geschichte und System der mittelalterlichen Weltanschauung, 3. Aufl., Manul-Neudruck, Stuttgart u.a. 1917, S. 641.

  • [9]

     Vgl. Christian Simon: Historiographie. Eine Einführung, Stuttgart 1996, S. 54 f.

  • [10]

     Ullmann, Individuum, S. 36.

  • [11]

     Vgl. Hans Heinrich Schaeder: Der Mensch in Orient und Okzident. Grundzüge einer eurasiatischen Geschichte (= Sammlung Piper, o. Bd.), hrsg. v. Grete Schaeder unter Mitarbeit v. Kurt Heinrich Hansen, eingel. v. Ernst Schulin, München 1960, S. 235 f.; Johannes Spörl: Das mittelalterliche Geschichtsdenken als Forschungsprogramm, in: Historisches Jahrbuch 13 (1933), S. 281–303, S. 301.

  • [12]

     Ein philosophiegeschichtlicher Überblick über diese Frage findet sich bei Joerg O. Fichte: Providentia – Fatum – Fortuna, in: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 1 (1996) 1, S. 5–19 und spezieller: Hans-Werner Goetz: Fortuna in der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 1 (1996) 1, S. 75–89.

  • [13]

     Vgl. WvT, Chronique, XXI, 7, S. 971 (Zitation nach Buch, Kapiel, Seite); XXI, 29, S. 1003.

  • [14]

     Vgl. Itinerarium, I, 4, S. 10 (Zitation nach Buch, Kapitel [nach Stubbs], Seite).

  • [15]

     Vgl. u.a. WvT, Chronique, XXI, 23, S. 994; XXI, 29, S. 1003.

  • [16]

     K. Rahner u.a.: Vorsehung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 10, Freiburg 1986, Sp. 885–892.

  • [17]

     Übersetzung aus dem Lateinischen; WvT, XXI, 29, S. 1004.

  • [18]

     Vgl. ebenda, XXI, 7, S. 969–971.

  • [19]

     Itinerarium, I, 1, S. 6.

  • [20]

     Vgl. Jubb, Saladin, S. 10.

  • [21]

     Vgl. Itinerarium, I, 16, S. 31.

  • [22]

     Vgl. ebenda, V, 7, S. 319.

  • [23]

     Vgl. ebenda, VI, 28, S.430.

  • [24]

     Vgl. SdA, Cronica, S. 9.

  • [25]

     Zu Vita und Doktrin vgl. E. Pásztor: Joachim von Fiore, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Stuttgart 1999, Sp. 486 f.

  • [26]

     SdA, Cronica, S. 665.

  • [27]

     Ebenda.

  • [28]

     Vgl. Michael Wolter: Der Gegner als endzeitlicher Widersacher. Die Darstellung des Feindes an der jüdischen und christlichen Apokalyptik, in: Franz Bosbach ( Hrsg.): Feindbil-der. die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neu-zeit, Köln u.a. 1992, S. 23–40, S. 30 f.

  • [29]

     Vgl. WvT, XXI, 7, S. 969–971. Als zweiten Grund nennt er die militärische Erschlaffung durch den langen Frieden; als dritten das Vorhandensein einander entgegengesetzter Ziele bei den christlichen Fürsten in den Kreuzfahrerstaaten.

  • [30]

     Vgl. ebenda, XXI, 6, S. 969.

  • [31]

     Zum politischen Pragmatismus bei Wilhelm von Tyrus vgl. Hannes Möhring: Heiliger Krieg und politische Pragmatik: Salahadinus Tyrannus, in: Deutsches Archiv 39 (1993), S. 417-466.

Empfohlene Zitierweise

Schmid, Matthias: Feindbild und Geschichtsbild. Zur Darstellung des Sultans Saladin in der lateinischen Historiographie des Hochmittelalters. aventinus mediaevalia Nr. 3 (Winter 2006), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7560/

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Erstellt: 15.05.2010

Zuletzt geändert: 06.11.2010

ISSN 2194-1955