Restauration und Revolution (1815-1849)

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aventinus nova Nr. 13 (Winter 2009) 

Andreas C. Hofmann 

Als Regierungsbeamte noch eimerweise mit Wein besoldet wurden 

Anekdoten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 

Ein Jeder kennt es: Man sitzt in der Bibliothek über einem Buch oder Aufsatz, fertigt fleißig Exzerpte an. Je nach Schreibstil des Autors kommt es vor, dass sich Erschöpfung oder gar Müdigkeit bemerkbar machen. Und dann passiert es: Man stolpert über einen Satz und erwacht aus dem Halbschlaf. Man liest ihn ein zweites Mal und fragt sich, ob das, was dort zu lesen ist, der Wahrheit entspricht. Es wirkt übertrieben und ein wenig surreal, besonders vor dem ernsthaften Hintergrund historischer Dokumente und Darstellungen. Aber man hat sich nicht verlesen, Schwarz auf Weiß steht es vor einem. Gerade hat eine Anekdote dem Leser zu neuer Aufmerksamkeit verholfen. 

Als Anekdote bezeichnet der Online-Brockhaus „die skizzenhaft kurze, pointierte Erzählung einer bemerkenswerten Begebenheit bzw. eines wahren oder erfundenen charakteristischen Ausspruchs einer bekannten Persönlichkeit.“  

I. “Mia san mia.” Frühe Formen bayerischer Dickköpfigkeit 

Im Jahre 1819 verschärften die Karlsbader Beschlüsse die Repression im Deutschen Bund. Vor allem das Königreich Bayern hatte sich einer Einigung lange widersetzt, trat schließlich aber doch bei. Allerdings war den Bayern bereits im 19. Jahrhundert ein gewisser Eigensinn anzumerken. Die Beschlüsse des Deutschen Bundes mussten zu ihrer Wirksamkeit in den Einzelstaaten noch verkündet werden und genau hier setzte der bayerische Eigensinn ein: Das Königreich publizierte die Beschlüsse nicht wie vorgeschrieben, sondern mit eigenmächtigen Einschränkungen und nahm die sich hieraus ergebenden diplomatischen Verstimmungen in Kauf. Die entsprechenden Reaktionen lassen auch an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig: Der österreichische Gesandte überreichte dem bayerischen König ein Schreiben seines Kaisers, welches „in höflichster Form einige Drohungen enthielt“, der preußische Staatsminister v. Bernstorff war „durch den unerwarteten Vorbehalt schmerzlich befremdet worden.“ Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es bei höflichen Drohungen bleiben sollte und auch der erwähnte Staatsminister sich von seiner schmerzlichen Befremdung wieder erholte. (A. C. Hofmann) 

II. Wenn der Alkohol mit der Gehaltstüte kommt. Burnout-Syndrom im Staatsdienst 

Einer der vier Karlsbader Beschlüsse war das Universitätsgesetz. Sein Kern bestand darin, an allen Universitäten Regierungsbevollmächtigte einzusetzen, welche Dozenten und Studierende zu überwachen hatten. Dass dieser Job nicht immer auf die größte Gegenliebe der Universitäten stieß, kann man sich gut vorstellen. Dass allerdings die Leber des Regierungsbevollmächtigten der Universität Königsberg bereits kurz nach seinem Amtsantritt derart angeschlagen sein sollte, dass er um einen mehrmonatigen Kuraufenthalt nachsuchen musste, spricht Bände. Wenn ihm das Amt bereits derart zu schaffen machte, dass die Kompensation durch Alkoholgenuss seine Leber schädigen sollte, bleibt nur die Frage, ob es eine gute Idee war, in eben den Badeort namens Karlsbad zur Kur zu gehen, in welchem wenige Jahre zuvor sein Amt erst geschaffen worden war. (GStAPK, Rep. 76 Va, Sekt. 11, Tit. 2, Nr. 2)

Aber auch der Staat tat nicht sein Bestes, um seine Diener bei guter Gesundheit zu halten. Tritt man heutzutage nach dem Studium in den öffentlichen Dienst, so erhält man als Beamter für gewöhnlich eine Stelle der Besoldungsgruppe A 13 – das sind derzeit knapp 3.000 Euro brutto. Wenn man sich glücklich schätzen darf, findet sich auf dem Gehaltszettel noch eine ominöse allgemeine Stellenzulage oder für Münchener ein Ortszuschlag zum Ausgleich der hohen Lebenshaltungskosten. Wie aber wurden Beamte im 19. Jahrhundert entlohnt? Der Posten eines Regierungsbevollmächtigten an einer Universität zum Beispiel war ein ranghohes Amt. Dementsprechend waren 1.000 Taler für den damaligen Kurator der Universität Jena ein angemessen stattliches Gehalt. Aber scheinbar machte auch diesem Beamten seine Tätigkeit derart zu schaffen, dass der Staat ihm als Gehaltszulage jährlich sechs Eimer Wein gewähren musste. Von einer Lebererkrankung ist in diesem Fall nichts überliefert. (M. Vollert) 

III. Wie die Bundesversammlung in Gartenhäuschen tagt und ihre Sitzungsprotokolle sich im Fleischfachhandel wiederfinden. Schmankerl deutscher Politikgeschichte 

Wie aber wurde Politik im Großen gemacht? Das Entscheidungsgremium des Deutschen Bundestages war die Bundesversammlung in Frankfurt am Main. Hier versammelten sich die Gesandten der bis zu 41 Einzelstaaten. Den Vorsitz hatte der österreichische Präsidialgesandte inne, welcher in einer bestimmten Reihenfolge von den Gesandten der Einzelstaaten vertreten wurde. 1826 sollte es hierbei zu einer besonders ärgerlichen Szene kommen: Der bayerische Gesandte ließ sich als amtierender Präsidialgesandter entgegen der festgesetzten Reihenfolge gleich von Baden vertreten, wobei er Hannover, Sachsen und Württemberg ignoriert hatte. Und was machte der hannoversche Gesandte, der sich bei der Vertretung im Vorsitz übergangen fühlte? Er übte das ihm zustehende Recht, den Bundestag einzuberufen trotzdem aus. Um dem bayerischen Gesandten eins auszuwischen, wählte er als Versammlungsort allerdings sein ebenso idyllisches, wie ungeeignetes Frankfurter Gartenhäuschen. (K. Fischer) 

Über die Bundestagssitzungen wurden selbstverständlich Protokolle geführt. Ein besonders schönes Kuriosum findet man in einer Akte, welche mit einem Schreiben des Frankfurter Polizeiamtes beginnt, dem schließlich äußerst verschmutzte Protokollbögen folgen. Blättert man in der betreffenden Akte weiter, so offenbart sich einem der Leidensweg der Protokolle. Die Köchin eines Bundestagsgesandten verkaufte selbige als Verkaufspapier an eine Frankfurter Metzgerei. Diese Entwürdigung flog auf, als ein Legationssekretär feststellte, dass seine Wurst auf ihm unerklärliche Weise in Bundestagsprotokolle eingewickelt war. (K. Fischer) 

Literaturhinweise: 

Fischer, Karl, Die Nation und der Bundestag. Leipzig 1880, S. 23f.

GStAPK, Rep. 76 VA, Sekt. 11, Tit. 2, Nr. 2,Die Anstellung und Besoldung des außerordentlichen Regierungsbevollmächtigten und des Universitätsrichters bei der Universität zu Königsberg 1819-1833. 

Hofmann, Andreas C., „Schwere Gewitterwolken am politischen Horizont“. Eine Einordnung der Karlsbader Beschlüsse in die bayerische Außenpolitik von 1815 bis 1820, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten Ausg. 3 (Winter 2006), http://www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?id=55&subid=49 (24.1.2009) [dort die entsprechenden Quellenbelege].

Vollert, Max, Geschichte der Kuratel der Universität Jena. Nach den Kuratorialakten bearbeitet, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde N.F. 23 (1918), S. 1-54, hier S. 7. 

Empfohlene Zitierweise

Hofmann, Andreas C.: Als Regierungsbeamte noch eimerweise mit Wein besoldet wurden. Anekdoten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. aventinus nova Nr. 13 (Winter 2009), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7827/

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Erstellt: 28.05.2010

Zuletzt geändert: 29.05.2010

ISSN 2194-1963