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aventinus recensio Nr. 30 [29.03.2012] / Skriptum 1 (2011), Nr. 2  (Unveränd. Nachdruck)

Katharina Üçgül / Dominik Kasper 

Dieter Schiffmann / Hans Berkessel / Angelika Arenz-Morch (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz, Mainz 2011 

I. 

Die im Mai 2011 vorgestellte Publikation trägt den Untertitel Wissenschaftliche Darstellung und Materialien für den Unterricht – und der Name ist Programm: die Publikation möchte in einem Band fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse, didaktische Konzepte und Ansätze zur Vermittlung der Thematik anbieten – also ein Gesamtpaket für Lehrkräfte und Pädagogen. Das Anliegen erscheint dabei gleichzeitig schwierig wie erforderlich. Auf der einen Seite verlangt ein nach konstruktivistischen Kriterien konzipierter – also handlungsorientierter – und problemorientierter Geschichtsunterricht [1] geradezu nach ortsbezogenem, authentischem [2] und dennoch didaktisch gut aufgearbeitetem Quellenmaterial, andererseits ist die NS-Widerstandsforschung und die damit einhergehende Sichtung der Quellen für die Gebiete des heutigen Rheinland-Pfalz bei weitem nicht abgeschlossen.

Was liefert also die als Sammelband gestaltete Publikation? Die inhaltliche Struktur ist simpel wie logisch. Der erste Teil der wissenschaftlichen Darstellung besteht aus mehreren Darstellungen zum Thema „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Mit Hilfe einer Einleitung von Peter Steinbach, des Leiters der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, sowie eines Berichts von Axel Ulrich zum Widerstand auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz werden eingangs Überblicksdarstellungen zum Forschungsstand auf Makro- und Mikroebene geliefert. Die folgenden Aufsätze sind nach strukturellen oder geographischen Aspekten gegliedert: Dem Leser werden Texte zum politischen und religiös motivierten Widerstand – vornehmlich in Rheinhessen – an die Hand gegeben. Im Anschluss wird mit Einzelarbeiten zum Widerstand in der Pfalz, im Koblenzer Raum, im Westerwald und im Raum Trier ein großer Teil des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz abgedeckt.

Die inhaltliche Ausrichtung der  Aufsätze und deren Anordnung – von Übersichtsdarstellungen hin zu Detailuntersuchungen – erleichtert die Einarbeitung in die Thematik. Sie bilden so eine gute Handreichung für Lehrkräfte, die sich bis dato noch nicht näher mit der Sache befasst haben. Dass sich der thematische Schwerpunkt vieler Aufsätze inhaltlich überschneidet, hängt vor allem mit der Zielsetzung der Autoren zusammen, möglichst umfassende Darstellungen abzuliefern. Daher werden oftmals zahlreiche Fakten und Strukturen mehrfach wiedergegeben. Im Ganzen genommen kann die häufige Redundanz dem Leser störend erscheinen, bei der Betrachtung einzelner Aufsätze steigert es jedoch den Erkenntniswert des spezifischen Beitrages.

Die Art der wissenschaftlichen Darstellung ist zudem wohl kaum dazu geeignet, Schülern als Lese- oder angewandtes Lernmaterial zu dienen [3] – dies ist aber auch nicht ihr Anliegen. Auf universitärer Ebene eignen sich die Texte jedoch sehr gut für Studierende, bspw. im Rahmen eines Seminares, da Länge und Komplexität der Aufsätze für den akademischen Gebrauch durchaus angemessen sind.

Die meisten Beiträge sind – neben Fakten – gespickt mit biographischen Beispielen von Widerständlern verschiedenster Couleur, die ihrerseits – oftmals gut aufbereitet, in Form eines Exkurses – bereits als Unterrichtsmaterial, z. B. im Rahmen des exemplarischen Geschichtsunterrichtes [4], verwendet werden könnten. [5] Mitunter lesen sich aber auch einige Abschnitte eher als Aneinanderreihung von „Biografieskizzen“ [6] und geben den Texten unnötige Länge.

II.

Der zweite Teil der Publikation ist von didaktischer Natur und beinhaltet eine Sammlung von Unterrichtsmaterialien in Form von Arbeitsblättern, an die ein Kapitel mit Kommentaren   anschließt. Zusätzlich zu einer Begründung der Auswahl in didaktischem und wissenschaftlichem Kommentar, finden sich dort Erläuterungen der Arbeitsaufträge sowie Literatur- und Quellennachweise. Letztere wären wohl besser direkt auf den Arbeitsblättern abgedruckt worden. Möchte man die Materialien unmodifiziert im Unterricht einsetzen, sollte der Quellennachweis in jedem Fall auf den Kopien ergänzt werden. [7]

Eine gelungene Einleitung von Hans Berkessel und Marco Hörnig in Form eines didaktischen Kommentars geht der Materialsammlung voran. Darin greifen die Autoren neben der obligatorischen Erläuterung der Materialkonzeption auch die Problematik des Überdrusses der NS-Thematik bei Schülern auf und geben in wenigen – dafür aber umso klareren – Worten eine Standortbestimmung hinsichtlich des Verhältnisses von Schülern zum Thema Widerstand. Weiterhin  problematisieren die Verfasser die Schwierigkeiten des regionalen Bezugs; Rheinland-Pfalz entstand erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Das „gesamte Rhein-Main-Gebiet und die badisch-pfälzischen Widerstandstrukturen“ [8] in die Materialfindung einzubeziehen, erscheint daher sinnvoll und logisch. Neben den Schwierigkeiten und dem Hinweis auf die wachsende Bedeutung von „außer schulischen [sic] Lernorten“ [9] werden selbstredend auch die Möglichkeiten und Chancen für den Unterricht betont, die sich aus der geographischen Festlegung und der lokalen/regionalen Bezugnahme ergeben. [10]

Der Aufbau der Arbeitsblätter folgt einem festen Schema: Nach einem kurzen Einführungstext, der den Schüler/innen dabei helfen soll, das Thema in den historischen Kontext einordnen zu können, folgen die Quellen in Form von Texten wie Augenzeugenberichten, Briefen, Chroniken, Protokollen u. a., aber auch Fotografien von Akten, Flugschriften oder Protokollen. Selbst bei reinen Textquellen sind oft ergänzende und illustrierende Abbildungen beigegeben. Zu erwartenden Verständnisproblemen bei schwierigen Begriffen, unbekannten Personen oder Abkürzungen wird durch einen Anmerkungsapparat vorgebeugt. Abschließende Arbeitsaufträge sind mit Hilfe der üblichen „Formulierungen zur Benennung von Operationen“ [11] klar und verständlich gegeben. Vorschläge für Hausaufgaben werden den meisten Arbeitsaufträgen ebenfalls hintenangestellt.

Insgesamt werden 28 verschiedene Arbeitsblätter vorgelegt. Der größere Teil der Materialien thematisiert die verschiedenen Formen des politischen Widerstands. Für den Einstieg in eine Unterrichtseinheit zum Widerstand liefert M1 das theoretische Rüstzeug, dank einer Einführung in die kontroverse Diskussion der Fachwissenschaft rund um den Widerstandsbegriff. Da mit M2 (Kommunistischer Widerstand) und M11 (Sozialdemokratischer Widerstand) ähnlich Einführungen für unterschiedliche Widerstandsformen geliefert wurden, stellt sich die Frage, wieso dies bspw. für kirchlichen bzw. religiös motivierten Widerstand ausblieb. Eine eigene Materialerstellung für derartige Einführungen erleichtert der Band jedenfalls: Alle Überblicksmaterialien wurden dem Beitrag Axel Ulrichs entnommen, der dort die üblicherweise unterschiedenen Widerstandsformen (also zusätzlich zu den oben genannten noch den bürgerlichen und militärischen Widerstand  sowie Jugend- und Exilwiderstand) vorstellt.

Neben politischem werden jedenfalls auch einige Fälle von gewerkschaftlichem, kirchlichem bzw. religiös motiviertem und bürgerlichem Widerstand sowie zu den Taten von Einzelpersonen in Arbeitsmaterialien aufgearbeitet – eine Bandbreite, die es erlaubt, die verschiedensten Facetten der Widerstandsbewegung in unterschiedlichen Regionen zu thematisieren. 

Die Problematisierung des Widerstandsbegriffs, die Ausdifferenzierung seiner Formen und die – besonders beim politischen Widerstand – breite Palette an Arbeitsmaterialien ist einer  multiperspektivischen und kontroversitären Unterrichtsgestaltung in hohem Maße förderlich. [12]

Während die ausgesuchten Quellen durchweg von hohem historischem Wert sind, offenbart das Niveau der gestellten Arbeitsaufträge deutliche Unterschiede – was bedeutet, dass hier Materialien zusammengefasst sind, die generell eine große Adressatengruppe von jüngeren Schülern bis hin zu Studierenden ansprechen kann. 

Innerhalb der Sammlung überwiegen allerdings die für Sekundarstufe II geeigneten Arbeitsaufträge und Materialien. Selbstredend obliegt es der Lehrkraft, die Materialien ggfs. an das Klassenniveau anzupassen. Dass die Absicht der Autoren, die Arbeitsblätter als „Kopiervorlage“ [13] zu gestalten, unseres Erachtens nicht vollständig gelungen ist, wurde bereits dargelegt.

Seinen letzten Schliff erhält die Publikation durch eine umfangreiche und gut recherchierte Auswahlbibliographie, die eine nachvollziehbare Gliederung (Hilfsmittel und Quellen, Literatur zum Widerstand allgemein und regional) aufweist und in ihrer Gesamtheit nichts zu wünschen übrig lässt. 

Fazit: Ein Buch, das viele Möglichkeiten bietet, aber dennoch Platz für eigene Ideen lässt und zur weiteren Beschäftigung anregt. Die Kombination von wissenschaftlichem und didaktischem Inhalt ergibt eine äußerst praktische wie fundierte Lösung für den ewigen Spagat zwischen Wissenschaft und Unterrichtsgestaltung. Insgesamt ist den Autoren also eine gelungene Zusammenstellung an vielseitig einsetzbaren Materialien und eine sachgemäße Einordnung in die Fachwissenschaft und Fachdidaktik zu attestieren. 

Katharina Üçgül ist Studentin der Geschichte, der Deutschen Philologie und der Buchwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Studiengang Magister Artium. 

Dominik Kasper ist Student der Geschichte, Philosophie und Germanistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Studiengang Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. 

Lizenz für den Text und die Anmerkungen: creative commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland (CC BY-ND 3.0)

Unveränd. Zweitpubl. v. Üçgül, Katharina / Kasper, Dominik: Rezension: Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz – Wissenschaftliche Darstellung und Materialien für den Unterricht, in: Skriptum. studentische onlinezeitschrift für geschichte und geschichtsdidaktik Ausg. 1 (2011), Nr. 2, URN: urn:nbn:de:0289-2011110285.

Anmerkungen

  • [1]

    Vgl. Uffelmann, Uwe: Problemfindung, Problemlösung, Reflexion. In: Praxis Geschichte 2 (1998), S. 4-7 u. 37-39 und Uffelmann, Uwe: Problemorientierter Geschichtsunterricht. In: Bergmann, Klaus (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber, 5. Aufl. 1997, S. 282-287.    

  • [2]

    Zu den verschiedenen Formen der Authentizität von Quellenmaterialien siehe Pandel, Hans-Jürgen: s. v. Authentizität. In: Mayer, Ulrich / Pandel, Hans-Jürgen u. a. (Hrsg): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. Schwalbach/Ts. 2006, S. 25f.  Zur Bedeutung von Authentizitätserfahrungen im Geschichtsunterricht vgl. Zwölfer, Norbert: Über die Relevanz des Geschichtsunterrichts. In: Informationen für die Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer 66 (2003), S. 14. und Pandel, Hans-Jürgen: Postmoderne Beliebigkeit? Über den sorglosen Umgang mit Inhalten und Methoden. In: GWU 50 (1999), S. 286.

  • [3]

    Eine Ausnahme bilden lediglich die Biografien, mehr dazu weiter unten. 

  • [4]

    Vgl. Rohlfes, Joachim: Exemplarischer Geschichtsunterricht. In: Handbuch der Geschichtsdidaktik, S. 280-282. Die meisten Materialien zu Personen des politischen, gewerkschaftlichen oder religiös motivierten Widerstands sollen den Schülern exemplarisch die Situation von Menschen in diesen Widerstandsformen vor Augen führen. Vgl. zum didaktischen Prinzip der „Personifizierung“ Sauer, Michael: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. Seelze-Velber, 7. aktualisierte und erweiterte Aufl. 2008, S. 87f. 

  • [5]

    Einzelen Biographieskizzen aus dem darstellenden Teil haben natürlich auch Eingang in die Arbeitsmaterialien gefunden. Dies gilt beispielsweise für die kommunistische Widerständlerin Luise Ott, S. 70 in M4, S. 184. Insgesamt können wissenschaftlichem Darstellungs- und Materialteil eine hohe Kohärenz attestiert werden. 

  • [6]

    Jungbluth, Widerstand im Westerwald, S. 144. 

  • [7]

    Zu den Standards von Arbeitsblättern vgl. Sauer, Unterrichtsplanung, S. 104. 

  • [8]

    Berkessel / Hörnung, Didaktischer Kommentar, S. 174. 

  • [9]

    Berkessel / Hörnung, Didaktischer Kommentar, S. 174. Darunter lassen sich sowohl historische Orte, als auch Museen, Bibliotheken oder Archive verstehen. Siehe weiterführend zu diesem Thema Mayer, Ulrich, Historische Orte als Lernorte. In: Mayer, Ulrich u. a. (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts., 2., überarb. Aufl. 2007, S. 389-407 und Sauer, Außerschulische Lernorte, S. 142-153. 

  • [10]

    „Im direkten lokalen/regionalen oder biografischen Bezug liegt im Blick auf die Identifikation mit dem Lehregenstand eine große Chance.“ Berkessel / Hörnung, Didaktischer Kommentar, S. 174. 

  • [11]

    Sauer, S. 118f., der auf S. 117 betont, dass sich diese Form der Aufgabenformulierung als alternative zu den W-Fragen bei Unterrichtsmaterialien inzwischen weitgehend durchgesetzt hat. Vorgeschlagen und zusammengestellt wurden diese „Operatoren“ von El Darwich, Renate / Pandel, Hans-Jürgen: Wer, was, wo, warum? Oder nenne, beschreibe, zähle, begründe. Arbeitsfragen für die Quellenerschließung. In: Geschichte lernen H. 46 (1995), S. 33-37. 

  • [12]

    Zur Multiperspektivität (und Kontroversität) siehe Bergmann, Klaus: Multiperspektivität. In:  Handbuch der Geschichtsdidaktik, S. 301-303 und Sauer, Multiperspektivität und Kontroversität, S. 81-85.

  • [13]

    Schiffmann / Berkessel / Arenz-Morch, Einführung, S. 5. 

Empfohlene Zitierweise

Üçgül, Katharina/Kasper, Dominik: Rezension Dieter Schiffmann / Hans Berkessel / Angelika Arenz-Morch (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz. Wissenschaftliche Darstellung und Materialien für den Unterricht, Mainz 2011.. aventinus recensio Nr. 30 [29.03.2012], in: aventinus, URL: https://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9357/

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Erstellt: 29.03.2012

Zuletzt geändert: 30.03.2012

ISSN 2194-2137

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