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aventinus recensio Nr. 37 [12.06.2013] 

Matthias Krämer 

Thomas König: Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich. Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“, Innsbruck/Wien/Bozen: StudienVerlag 2012. 26,90 €. ISBN 978-3-7065-5088-8.

 

Ein Fulbright-Stipendium gilt heute als Prototyp des Studierendenaustauschs, auch wenn Senator James William Fulbright 1946 keineswegs das erste akademische Austauschprogramm initiierte. Erst in jüngster Zeit übertrifft das innereuropäische Erasmus-Programm die weltweiten Ausmaße des Fulbright-Austauschs. Thomas König hat 2008 eine politikwissenschaftliche Dissertation zum Fulbright Program in Wien vorgelegt, deren deutlich überarbeitete Fassung 2012 als sechster Band der von Günter Bischof herausgegebenen Reihe Transatlantica erschien. [1] Darin untersucht er die Tätigkeit der United States Educational Commission in Austria (USEC/A) von ihrer Gründung 1950 bis zur Umstrukturierung 1964, bei der diese österreichische Fulbright-Kommission in Austrian American Educational Commission (AAEC) umbenannt wurde.

Doch nicht auf den Studierendenaustausch konzentriert sich König, sondern auf den Wissenschaftleraustausch der „Fulbright Visiting Lecturers“ und „Fulbright Research Scholars“, also der Gastdozenten und Forschungsstipendiaten, deren Personalakten er im Archiv der AAEC in Wien untersucht hat. Neben anderen Akten der österreichischen Fulbright-Kommission zieht er auch Bestände aus dem Österreichischen Staatsarchiv (Archiv der Republik), aus dem Archiv der Universität Wien und vereinzelt aus den University of Arkansas Special Collections heran. Während letztere Unterlagen eher illustrativ Verwendung finden, analysiert König eingehend persönliche Daten der Gastwissenschaftler, besonders der nach Österreich gekommenen Amerikaner, und ihre Berichte über die Gastaufenthalte. Der über 15 Seiten lange Tabellenanhang mit allen 155 amerikanischen Gastdozenten und -forschern in Österreich 1951–1964 sowie den 161 im selben Zeitraum mit Fulbright-Finanzierung in die USA gegangenen Wissenschaftlern aus Österreich (S. 122-136) zeigt die serielle Auswertung der Personalakten. Die darin enthaltenen Final Reports, die Geförderte nach einem Gastaufenthalt anzufertigen hatten, werden unter anderem genutzt, um vergleichend ihre Erfolge zu bewerten und ihre Tätigkeitsfelder (etwa die Themen angebotener Veranstaltungen) aufzuschlüsseln.

Darüber hinaus verortet König die Gastaufenthalte in Österreich sorgfältig im Kontext des dortigen Wissenschaftssystems: Die gegensätzlichen Interessen der Akteure, insbesondere der österreichischen Fulbright-Kommission, des ihr in den USA „vorgesetzten“ Board of Foreign Scholarship, der Professorenkollegien und der Ministerialbürokratie Österreichs, kontrastiert König anhand der Protokolle und Berichte der Fulbright-Kommission, in der die anderen Interessengruppen repräsentiert waren. Die Ziele der amerikanischen Kulturdiplomatie – Förderung wechselseitigen Verständnisses, Demokratisierung, Amerikanisierung – ließen sich dabei trotz der teils massiven Widerstände des als rückständig und provinziell skizzierten österreichischen Hochschulwesens weitgehend durchsetzen. Der Widerstand der mächtigen Professorenkollegien habe zunächst die internationale Integration der österreichischen Wissenschaften gehemmt, sie jedoch für die Studierendengeneration vorbereitet, die mit den Gastprofessoren und eigenen Austauschmöglichkeiten akademisch sozialisiert wurde (S. 106 u. 121).

Dies zeigt, dass im Hinblick auf den transatlantischen Wissenstransfer Königs Konzentration auf die Wechselwirkung zwischen etablierten österreichischen Wissenschaftlern und amerikanischen Gastwissenschaftlern misslich ist: Die Transfereffekte – und damit die Grundlage der Bewertung, inwiefern die Ziele des Fulbright-Programms in Österreich erreicht werden konnten (S. 120f.) – sind stärker in der jungen Generation zu suchen. Amerikanische Gastprofessoren wirkten auf österreichische Studierende ein – und als deren Karrieren fortschritten, setzte sich die Orientierung an amerikanischen Wissenschaftsvorstellungen durch (S. 106), bemerkt König selbst. Solcher Wissenschaftswandel durch Generationswechsel impliziert die stärkere Beachtung der Perspektiven Studierender in wissenschaftlichen Transferprozessen. Die Konzentration auf die Gastwissenschaftler aus den USA, ihre Auswahl und ihre Erfahrungen dürfte sich vielmehr aus der Quellenlage im Archiv der AAEC ergeben haben. Das allein macht sie jedoch nicht zu den „zentralen Komponenten des Austauschprogramms“, zumal ihnen nur ein Budgetanteil von 22,5 Prozent zufiel, während in die Entsendung amerikanischer Studierender mit rund einem Drittel „der größte Teil des tatsächlich von der Kommission ausgegebenen Budgets“ floss (S. 50). Deren Erfahrungen sind im AAEC-Archiv ebenfalls in Form von Berichten und Fragebögen dokumentiert, [2] ein Desiderat zur Ermittlung der Wirkungen des Wissenschaftsaustauschs bleibt jedoch die Analyse der Erfahrungen österreichischer Studierender mit den Gastdozenten.

Ein damit zusammenhängendes methodisches Problem, das auch König selbst sieht (S. 117), ist seine weitgehende Übernahme der Quellenperspektive: Die beabsichtigte „kritische Analyse des Wissenschaftsbetriebs in Österreich“ (S. 117) ist in manchen Teilen eng an die kritische Analyse angelehnt, die amerikanische Gastwissenschaftler zeitgenössisch vornahmen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Adolf Kozliks, der „eine fundierte Analyse des österreichischen Bildungssystems im Vergleich mit den USA“ vornahm und dazu als „aus Nordamerika zurückgekehrter Emigrant […] auch aufgrund seiner eigenen Vita bestens qualifiziert“ schien (S. 46). [3] Sicher hatte der Remigrant Kozlik eine distanziertere Sicht auf das österreichische Hochschulwesen als die darin Verstrickten. Doch Kozliks Emigration und seine mäßige Reintegration in den österreichischen Wissenschaftsbetrieb nach 1945 haben nicht nur seine „Diagnosefähigkeit geschärft“ (S. 144, Anmerkung 16), sondern ihm auch bestimmte Wahrnehmungs- und Bewertungsfilter verschafft, die König nicht kritisch reflektiert: Was war die spezifische Remigrantenperspektive, aus der Kozlik schrieb? Welche Ideale brachte er aus der Emigration mit? Inwiefern machte er den sich als unpolitisch ausgebenden österreichischen Hochschulbetrieb für seine persönliche Leidensgeschichte verantwortlich? Und an wen richtete er sich, indem er den Topos der Minderwertigkeit österreichischer Wissenschaft strapazierte? Die enge Anlehnung an die Einschätzungen Kozliks – und an ähnliche Positionierungen der Fulbright-Gastwissenschaftler – bietet zweifellos „einen neuen und detailreichen Blick auf die österreichische Wissenschaftslandschaft der frühen Zweiten Republik“ (S. 117), sie kann aber die hervortretenden Impulse zur Veränderung des österreichischen Wissenschaftsbetriebs nicht hinterfragen oder erklären – ob sie nun aus sozialistischer Perspektive (S. 145), aus amerikanischen Interessen im Kalten Krieg (S. 117) oder aus allgemeinen Entwicklungstendenzen der Wissenschaften im 20. Jahrhundert herrühren.

Diese allgemeinen Entwicklungstendenzen, die König als „Expansion des Wissenschaftsbetriebs“, „Streben nach Autonomie“ und „Internationalisierung der Wissenschaften“ vorstellt (S. 19), bindet er allerdings sehr überzeugend in die Darstellung ihrer konkreten Ausprägungen im Nachkriegsösterreich ein. So kann er das Fulbright-Programm als prägendes Element der (nicht nur österreichischen) Wissenschaftsentwicklung in der Mitte des 20. Jahrhunderts und „vielleicht effizientestes Instrument US-amerikanischer Hegemoniebildung nach dem Zweiten Weltkrieg“ identifizieren (S. 117). Die besonderen Rollen der Social Sciences und der American Studies in diesem Prozess erörtert König eingehend und kann dabei sowohl die amerikanischen Intentionen als auch die positiven wie negativen Reaktionen in Österreich plausibel machen. Für die Erforschung des transatlantischen Wissenschaftstransfers nach 1945 ist die Studie daher eine wichtige Orientierung. 

Daher erscheinen noch einige Bemerkungen zur Form der Publikation geboten: Ausgehend von der 2008 eingereichten Dissertation wurde die vorliegende Schrift stark überarbeitet und von über 300 Seiten auf etwas über 100 Textseiten – zuzüglich Anhänge – gekürzt. Dadurch ist die Studie sicher lesbarer für ein breiteres Publikum geworden. Doch einige Bearbeitungsentscheidungen erschweren die Verwendung als Grundlage weiterer Forschungen: Methodische Überlegungen wurden weitgehend gestrichen; die Autorennamen vieler Archivquellen – etwa der Final Reports der Gastwissenschaftler – fehlen; schließlich wurden die Fußnoten in fast 30 Seiten Endnoten umgewandelt. Daher empfiehlt sich in vielen Fällen die Konsultation der Originaldissertation. Da beide Versionen kostenfrei im PDF-Format online erhältlich sind (siehe Anmerkung 1), stellt diese Empfehlung den Leser erfreulicherweise nicht vor größere Probleme.

Anmerkungen

Empfohlene Zitierweise

Krämer, Matthias: Rezension Thomas König: Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich. Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“, Innsbruck/Wien/Bozen: StudienVerlag 2012. 26,90 €. ISBN 978-3-7065-5088-8.. aventinus recensio Nr. 37 [12.06.2013], in: aventinus, URL: https://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9812/

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Erstellt: 04.06.2013

Zuletzt geändert: 12.06.2013

ISSN 2194-2137

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