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aventinus varia Nr. 6 (Winter 2005/06)
Weber, Albert
Der Pazifismus - ein kritischer Blick auf die Schwächen einer Ideologie
Ich will in diesem Artikel versuchen, mit einer sehr kritischen, vielleicht etwas polemisch geratenen Herangehensweise die Schwächen der Friedfertigkeit aufzudecken. Der Autor gesteht, sich beim Schreiben vom Grundsatz sine ira et studio distanziert zu haben, also durchaus voreingenommen zu sein.
Zunächst definiere ich den Pazifismus und lege sodann die Gründe für sein Aufkommen dar, die Zusammensetzung seiner Anhänger und schließlich seine Bewährung in der Geschichte, gefolgt von einer Zusammenfassung.
Der Pazifismus sieht die Welt von einem grundsätzlich guten, zur Moral erziehbaren Menschen bevölkert; diesem gilt es das Ideal des friedlichen Zusammenlebens näherzubringen. Der Gegensatz dieses Ideals, der Krieg, wird aus Unwissen verbrochen, das von den Mächtigen dieser Welt aus eigenem Interesse vermehrt wird. Dieses Denken ist von kommunistischem Gedankengut durchdrungen oder überschnitten, was seine Nähe zum Marxismus erklärt.
Der Pazifismus sieht sich als hochmoralische Bewegung, die besonders unterdrückten Völkern die Kenntnis ihrer Unterdrückung und Ausnutzung vermitteln will.
Krieg wird als Anachronismus angesehen, der jetzt, da das Wissen um die scheinbare Friedensfähigkeit dieser Welt existiert, ein überkommenes Übel ist, das man wie eine alte Krankheit mit einer neuen Arznei ausmerzen will.
Das hohe Ziel des Friedens ist hauptsächlich mit dem Willen zu erreichen, was die allgemeine Bereitschaft erfordert, sich auf diese Ideologie einzulassen. Der Pazifismus sieht sich als eine Bewegung der Verbrüderung an, weswegen er sich weniger auf die Ausschließlichkeit einer Partei verläßt, wie das etwa die Marxisten tun. Eine Partei schließt immer jene aus, die nicht zu ihr gehören. Gerade diese bisher übliche Trennung soll jetzt aufgehoben werden - etwas Neues soll die alten Probleme bewältigen. Als Parteiplattform stützen sich die Pazifisten auf die linken Parteien und versuchen von dort aus direkt die Politik zu beeinflußen.
Die Gründe für das Aufkommen des Pazifismus sind zahlreich und interessant:
Das Volk hat besonders wirtschaftliche, also materielle Gründe, gegen den Krieg zu sein:
Der moderne Krieg fordert vom Sieger nahezu dieselben Anstrengungen und Leiden wie vom Verlierer; von einem Gewinner wie früher kann nicht mehr die Rede sein, denn heutzutage wird die feindliche Bevölkerung nicht mehr in ein Heer von Arbeitssklaven verwandelt oder ausgeplündert, bis ihr sämtliche Lebensgrundlagen fehlen. Die Soldaten dürfen grundsätzlich keine Beute mehr machen und keine Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begehen, was früher durchaus selbstverständlich war. Landverteilungen oder Prämien gehören einer fernen Vergangenheit an, genauso das Ansehen, das man ehemals für militärische Leistungen empfand.
Die zunehmende Entschärfung des Krieges durch humanitäre Aspekte macht ihn materiell immer uninteressanter. Bereits seine Vorbereitung fordert hohe Steuerabgaben von den Bürgern, ohne daß diese einen entsprechenden Gewinn erzielen könnten.
Der moderne Staat hat über lange Zeit hinweg eine allgemeine Militärpflicht eingefordert oder tut es noch heute, was vielen Bürgern nicht nur lästig, sondern auch finanziell schädlich ist: durch das immer komplexer werdende Wirtschaftsleben und somit durch steigendes Volkseinkommen wird jeder verpflichtet, sich um sein Vermögen oder seinen Beruf zu kümmern; ein längerer Militärdienst, in dem man zudem sein Leben und seine Gesundheit riskiert, ist für viele ein nicht unbedeutender Einschnitt in die wirtschaftliche Existenz. Früher war dies einfacher, da es mehr Besitzlose gab und diese leichter zurückließen, was sie hatten - es war ohnehin nicht viel.
Die regierende Klasse eines Landes, d.h. besonders die Wirtschaftsführung, arbeitet meist lieber auf Frieden als auf Krieg hin (von der Rüstungsindustrie abgesehen), weil die moderne Wirtschaft komplex und empfindlich ist; ein großer Krieg bringt zudem, bereichert durch die Vernichtungskraft moderner Waffen, das Risiko schwerster Schäden an den ökonomischen Strukturen eines Landes. Zusammenarbeit und die Öffnung wirtschaftlicher Räume macht eine prosperierende Wirtschaft erst möglich. Der Erfolg des Schuman-Plans zeigt, wie treffend diese Einsicht ist. Es ist daher nur vernünftig, an einer Völkerverständigung zu arbeiten und den Frieden zu propagieren.
Kleinere Kriege, die fern der Heimat ohne großes Risiko mit einigem Gewinn geführt werden, sind von diesen Friedensbemühungen allerdings ausgenommen; die Kriege im Irak stellen dafür ein aktuelles Beispiel.
Psychologische Gründe für den Erfolg dieser Bewegung ist die Erschöpfung durch die Kriegsleiden des letzten Jahrhunderts; eine Erfahrung, die sich im Volksbewußtsein festgesetzt hat und in vielen Ländern, bewußt oder unbewußt, Teil der Erziehung geworden ist.
In Europa etwa, das furchtbar unter den Weltkriegen gelitten hat, ist die Friedensbewegung viel verbreiteter als in den USA, die ihre Kriege im Ausland führen konnten. Interessant ist auch, daß nach den hohen Verlusten im Vietnamkrieg, der für diese Nation eine leidvolle Erfahrung gewesen ist, der Pazifismus massiv verstärkt wurde, was etwa nach dem Korea- oder Irak-Krieg nicht geschehen ist.
Eine bedeutende Belastung ist auch der moderne Staat, der scheinbar immer weiter in das Leben seiner Bürger dringt; die Menschen fühlen sich erdrückt und vielleicht auch verfolgt, so als wäre ihre Natur durch und durch verkommen. Der Pazifismus bietet eine moralische Aufwertung des eigenen Ichs und baut zugleich Feindbilder als auch den allgegenwärtigen Zivilisationsstreß ab - er bietet eine Besserung an, und auch eine Identität, die so mancher verzweifelt sucht.
Der moderne Staat hat seinem Bürger eine gewaltige Last öffentlicher Pflichten aufgebürdet, ihn aber privat befreit, gestärkt und sogar ermutigt, sich zu entfalten - solange er seine staatlichen Aufgaben erfüllt. Der Pazifismus rebelliert dank dieser persönlichen Freiheit gegen diese Staatsdoktrin auf gewisse Weise, denn der pazifistische Bürger will den Staat in sein eigenes Ideal verwandeln und mit der Tradition brechen. Er politisiert sich selbst und privatisiert den Staat.
Der Staat hat uns ein gutes Stück Sicherheit geschenkt; kein Volk zu keiner Zeit hat weniger Verbrechen begangen als der moderne Mensch in seiner Gesellschaft. Dieses Gefühl der Sicherheit schafft ein neues Weltbild: Gewalt ist verpönt, da sie die staatliche Gemeinschaft vernichtet. Gewalt ist auch unnötig, da man mit anderen Mitteln viel ungefährlicher und leichter an sein Ziel kommt. Diese Einsichten im sozialen Bereichen reißen viele dazu hin, sie auf den außenpolitischen zu übertragen, wo sie indes nicht ohne weiteres gelten können.
Der Pazifismus ist auch ein Kind des Fortschrittsglaubens: eine neue Idee scheint gut zu sein, weil sie scheinbar in der Moderne das erste Mal angedacht wurde. Die Vergangenheit ist dem Pazifisten verdächtig, denn sie hat zu oft das Gewaltextrem des Krieges entfacht. All die Kriege hatten aber scheinbar kein Ergebnis, sie haben keine Lösung erbracht, denn die zunehmende Bildung lehrt, daß auf einen Krieg gleich der nächste folgte und sich die Geschichte immer wiederholt hat. Daher erscheint die Welt der Vergangenheit äußerst einfältig, wenn sie sich eines so schädlichen und nutzlosen Mittels bedient hat; diese Einsicht stärkt den Pazifisten, der so gern die Parole führt, daß Gewalt keine Probleme löse. Er sieht seine Ideologie als die passende Lösung an, dieses Problem der fehlgeleiteten Konfliktführung zu bewältigen, und zwar will er das ähnlich erfolgreich fertigbringen, wie die Naturwissenschaft andere Probleme in anderen Bereichen gelöst hat.
Jeder Mensch, und der moderne vielleicht mehr als seine Vorläufer, braucht Identität, und die verschafft er sich durch den Aufbau einer Gefühlswelt, die voll interessanter und wohlklingender Ideale steckt; der Pazifismus bietet Gläubigen wie Konfessionslosen die Gelegenheit, sich der Welt mit christlich-moralischen Idealen in einer neuen, ansprechenden Form zu präsentieren, denn die alten Religionen sind verbraucht und benötigen eine Erneuerung. Man wirft sich also, begünstigt durch viele andere Umstände, in ein Extrem der Liebe und Gleichmacherei, um sein Empfinden zu erneuern und sich selbst zu unterhalten.
Es gibt zwei Hauptgruppen von Menschen, die innerlich oder nur äußerlich nach der pazifistischen Ideologie leben. Die einen meinen es durchaus ernst mit ihren Worten und bemühen sich nur Menschen zu kennen, aber keine Parteien.
Die anderen, die weit weniger ehrlichen Friedenskämpfer, pflegen eine doppelte Moral, je nachdem, wer ihre Sympathien genießt. Sie mögen zwar ein vages Ziel des Friedens am Ende ihrer Wünsche und Bemühungen sehen, sperren sich aber nicht gegen den Einsatz von Gewalt oder akzeptieren ihn zumindest. Man denke an die Propaganda, die sogenannte Pazifisten während des Kalten Krieges betrieben haben: Vietnam wurde als Demonstration des westlichen Imperialismus' präsentiert, etwas unbeholfen übersehen oder erklärt wurde aber die sowjetische Intervention in der DDR, in Ungarn, der CSSR oder in Afghanistan. So mancher Pazifist verurteilt mit seinen schärfsten Worten die amerikanische Irak-Invasion, begrüßt aber die Gewalttaten von Terroristen und Aufständischen.
Es haften dieser Ideologie einige schwere Mängel an; eines ihrer ersten Argumente ist die Gewaltspirale: Gewalt erzeuge noch mehr Gewalt; das ist falsch. Ein Konflikt ist ein Kräftemessen zwischen zwei Mächten, das endet, sobald sich beide auf einen Frieden einigen, wenn beide Mächte dabei umkommen oder die eine die andere besiegt und ausschaltet. Ein ständiger, langer Kampf beweist nur, daß sich zwei gleichstarke Mächte bekriegen und daher keine von ihnen gewinnen kann. Keine will der anderen, besonders aus Prestigegründen, einen Schlag schuldig bleiben.
Deutschland hat nach 1945 keinen Krieg mehr geführt, weil es anfangs dazu keine Möglichkeit mehr hatte, später aber beschloß, daß der Frieden nützlicher sei. Nach der Gewaltspiraltheorie hätte Deutschland immer wieder und wieder Krieg geführt, weil man es mit Gewalt angegangen ist. Es war aber eher so, daß der Krieg der Alliierten das bedrohliche Problem des faschistischen Deutschland gelöst hat; Gewalt kann sehr wohl Probleme lösen, wenn sie bedacht gebraucht wird. Man betreibt sie aber nur, wenn einfachere, bequemere Mittel wirkungslos geblieben sind, und man unterläßt sie, wenn darin kein Nutzen mehr gesehen wird.
Die Moral ist im Kampf um die Macht ein sehr beschränktes Mittel, denn sie erbringt keinen konkreten, materiellen Nutzen, sondern nur Ansehen, weswegen sie mehr zum Schein, als in Wirklichkeit gebraucht wird.
In der Politik herrscht nicht der größte Moralist, sondern der Mächtigste. Das aber ist gerade, was die Pazifisten verdammen und böse nennen (wohlgemerkt als Moralisten, die ihre ideologischen Antipoden kritisieren), was es aber nicht ist: was ist böse daran, daß einer die meisten Mittel für sich genießt, weil er fähig genug war, sie sich zu verschaffen? Zwei Mächte, die Frieden geschlossen haben, einigen sich auf den Gebrauch der Moral. Die Pazifisten aber stehen auf der Position des Unterlegenen, Schwächeren, der alle zu sich hinunterziehen will (Kommunismus!) oder aber fremde Errungenschaften zum Allgemeingut erklären möchte, ohne durch seine Befähigung oder sein Vermögen ein Anrecht darauf zu besitzen. Wie begreiflich, daß die Pazifisten jeden, der sich ihrem Bestreben widersetzt, als moralisch verkommen bezeichnen.
Sie versuchen zwanghaft die Moral in die Politik zu bringen, weil jene dort fast gar nicht existiert. Erkennen können sie aber nur, daß sie fehlt, nicht allerdings, daß sie dort kaum bestehen kann.
Ein Konflikt bricht aus, wenn eine Partei etwas besitzen will, was auch eine andere für sich beansprucht. Der Pazifist aber will diesen Konflikt nicht mit Gewalt führen, sondern mit friedlicher Diplomatie; wenn es indes darum geht (angenommen, alle befolgen das Gebot des Friedens), daß jemand einen besonders großen Vorteil zugunsten eines anderen aufgeben soll, so wird sich diese Partei dagegen sperren; ein Präzedenzfall entsteht, andere folgen. Im günstigsten Fall verbleibt alles im Status quo; Mächte, die erfolgversprechende, fortschrittliche Konzepte besitzen, können diese nur in den sehr engen Grenzen verwirklichen, in denen ein anderer, so unfähig er auch sein mag, nicht verletzt wird; der Fortschritt ist bedroht.
Freilich würde eine solche Weltordnung irgendwann zusammenbrechen, wenn einer die bestehenden Prinzipien aufgibt, was sehr ansteckend für die anderen sein dürfte.
Es ist noch leichter vorstellbar, wie ein pazifistischer Staat sich mit seiner Moral im rücksichtslosen Machtkampf anstellen wird, dem alle außer er selbst nachgehen; mit einer Ideologie, deren Handeln hauptsächlich in einem Unterlassen besteht, kommt man nicht an seine Ziele, für die man immer etwas tun muß, nämlich sich gegen andere Mächte durchsetzen. Sich aus allem herauszuhalten beruhigt nur einen selbst, verrät aber die eigene Machtposition an alle anderen und schaltet keineswegs den immer bestehenden Machtkampf aus.
Der Pazifismus krankt an einer beschränkten Weltsicht; seine Gedankenwelt macht sich keine große Mühe, die Gegnerschaft genau auszukundschaften, denn es geht den meisten nicht um die Gegner an sich, sondern um das Präsentieren des eigenen Willens.
Der Pazifismus sieht nicht so genau hin, wer denn nun die eigenen Freunde sein sollen; der durchschnittliche Pazifist hat einen trüben Blick, er macht alles gleich und vereinfacht nach Belieben, weil so alles angenehmer zu sein scheint. Er meint, der andere werde sein Freund, wenn er es nur selbst will, weil sein Wille dazu so stark ist; Differenzen werden übersehen, denn sie existieren nur, um überwunden zu werden - sie nehmen das frühere Feindbild ein.
So meinte der durchschnittliche Pazifist, wenn der Westen abgerüstet hätte, hätte die SU dasselbe getan, ohne sich in Mißtrauen zu ergehen oder diese Geste als Unterwerfung zu verstehen; man sieht, wie weit solche Politik geführt hätte. Wer kein Pazifist sein will, wird schnell zum Kriegstreiber erklärt; diverse Parolen sollen vor den Argumenten einer vernünftigen Diskussion schützen. Gerechterweise muß man aber sagen, daß die Pazifisten von Andersdenkenden als naiv, feige und lebensuntüchtig abgetan werden. Der Dialog ist durchaus entwicklungsfähig.
Viele Pazifisten wollen sich nur sehen lassen, besonders im Fernsehen. Wichtig ist, etwas zu tun, nicht was man tut. Viele haben gegen die nukleare Aufrüstung demonstriert, ohne sich näher mit den verschiedenen Aufrüstungsplänen zu beschäftigen, denn das war nicht das Hauptanliegen dieser Leute. Dieses Verhalten kann als Aktionismus beschrieben werden; Menschen, die sich nicht die Mühe machen wollen, politisch aktiv zu sein, wählen diesen anderen, leichteren und auch angeseheneren Weg, ihre Energien zu erschöpfen, ihr Moralpensum zu erfüllen und ihre Identität zu verwirklichen. Sie laufen vor den Schwierigkeiten davon und erklären diese somit für gelöst; eine solche Lebensphilosophie wäre bereits für den privaten Bereich verheerend, wie aber erst für den staatlich-außenpolitischen? Der Pazifismus ist sich paradoxerweise selbst sein ärgster Feind. Pazifistische Staaten haben sich in der Geschichte nicht bewährt; dafür darf man einen guten Grund annehmen; die Schweiz, als ein Land der Mitte, ist eine Ausnahme, wie man so leicht keine zweite finden wird, weil ein solches Land nur in einer bestimmten geographischen und politischen Lage bestehen kann.
Es ist Tatsache, daß Philosophenstaaten nicht zu finden sind, und stattdessen eine mehr oder weniger verborgene Rücksichtslosigkeit die Politik beherrscht. Es hat sich diese Staatsform durchgesetzt, die an die gegebenen Verhältnisse die angepaßteste ist. Betrachten wir aber, wie die Friedfertigkeit sich in der Geschichte bewährt hat:
Gegen das Dritte Reich hat sich, wie bekannt, der Pazifismus nicht bewährt; er war erschreckend hilflos, als es darauf ankam, gegen verschlagene Brutalität zu bestehen, und letztlich war er für seine Anhänger und viele andere unheilvoll. Der Krieg oder zumindest die Gewalt war das einzige Mittel, das dieses Problem gründlich aus der Welt schaffen konnte. Den Kalten Krieg hat man auch nicht mit Friedfertigkeit gewonnen, sondern mit besonnener Überlegung und Geduld. Sein Ausgang ist ein guter Beweis, daß auch keine explizit pazifistisch orientierte Politik den Frieden bewahren kann.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, daß der Pazifismus von materiellen Überlegungen nicht zu trennen ist; freilich kann man das auch nicht erwarten, der moralische Selbstanspruch dieser Ideologie widerspricht sich allerdings nur allzu deutlich. Ich halte es für keinen Zufall, daß die Friedfertigkeit gerade in einer Zeit in so gutem Rufe steht, die den Krieg so unrentabel sein läßt. Entsprechende finanzielle Gewinne würden die meisten ''Moralisten" um ihre Grundsätze bringen. Diese Ansicht mag man pessimistisch nennen, es ist aber historische Tatsache, daß die soziale Lage, also das Materielle, einen Menschen und seine Ideale formt. Ist eine Handlungs- oder Denkweise in der Gesellschaft angesehen und materiell lohnend, wird sie viele Anhänger finden, wenige aber, wenn sie es nicht ist.
Ich meine weiterhin, daß der Pazifismus eine ideologische Fortsetzung des Kommunismus ist; in wirtschaftlichen Fragen ist er größtenteils etwas reserviert - er ist eben friedfertig und meidet die großen Streitpunkte. Gleichmacherei, Selbsterlösungs- und Verbrüderungsglaube als auch Abgrenzung gegen die regierende Wirtschafts- und Politikerklasse sind beiden Bewegungen gemein; nicht wenige Marxisten haben seit längerer Zeit, ehrlicherweise oder nur vorgegeben, sich des moralisch-pazifistischen Anstrichs bedient, was die Übergänge teilweise fließend sein läßt.
Das Prinzip der Friedfertigkeit ist an sich durchaus zu begrüßen, allerdings muß es seine heutige, meist populistische Erscheinungsform ändern, um politisch irgendwie eine größere Rolle zu spielen. Man muß diese Ideologie weiter durchdenken, weiter entwickeln und auch Kompromiße wagen - alles kann man nicht haben. Vor allem sollte man sich stets bewußt sein, daß einfältig-naive Ja-Sagerei und das Ignorieren ernsthafter Probleme keine Politik ist. Dies beinhaltet die gegenwärtige Bewegung der Friedfertigkeit, und daher halte ich mich nicht damit auf, ihre durchaus vorhandenen Vorzüge zu erläutern, denn sie sind mangels Realisierungsvoraussetzungen utopisch.
Zudem muß man stets die Schwäche einer jeden Ideologie kennen, sonst verfällt man in den Fehler, sein Handeln der Starrheit zu unterwerfen. Jede Situation, jedes Problem verlangt eine bestimmte Lösung, die man fast immer auf den jeweiligen Fall abstimmen muß. Eine Ideologie ist der realisierte Wunsch, diese Abstimmung durch ein Universalrezept zu übergehen und sogleich zur Lösung zu schreiten. Manche Ideologien sind ein hektisches Extrem, andere suchen den toleranten, vernunftbesessenen Mittelweg und meiden alles Übertriebene, was aber häufig genug auch falsch sein kann.
Der beste und zuverlässigste Weg ist ein beharrliches Überprüfen der Lage, woraus das angebrachteste, nützlichste Handeln erwächst, nur ist es nicht eben einfach, diesen Weg zu gehen. Vollendete und saubere Lösungen sind selten zu haben; man muß meist Kompromiße schließen und verführerische Illusionen hinter sich lassen, wenn man etwas erreichen will.
Literatur
Hättich, Manfred: Weltfrieden durch Friedfertigkeit?. München 1983.
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Weber, Albert: Der Pazifismus - ein kritischer Blick auf die Schwächen einer Ideologie. aventinus varia Nr. 6 (Winter 2005), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7717/
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Erstellt: 21.05.2010
Zuletzt geändert: 28.05.2010
ISSN 2194-1971